INSOLVENZ UND INKASSO

Vorinsolvenzliche Restrukturierung - mehr Risiken als Chancen für Banken

Dr. Thomas Paul, Foto: SSC Corporate Recovery

Volksbanken und Sparkassen beurteilen die EU-Richtlinie zum vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren eher negativ. Sie fürchten, dass die Ungleichbehandlung der Gläubiger zulasten der Banken gehen können. Außerdem sehen sie Missbrauchsgefahren - das geht aus einer Studie von SSC Corporate Recovery hervor. Nicht zuletzt ist diese Skepsis auf unpräzise Definitionen und inhaltliche Spezifikationen des Richtlinientextes zurückzuführen, ist sich Thomas Paul sicher. Denn der grundsätzliche Ansatz, bei einer drohenden Insolvenz erst einmal eine Restrukturierung zu versuchen, wird auch von den Kreditgebern begrüßt. Red.

Gesetzlich bindende vorinsolvenzliche Sanierungslösungen existieren bislang nicht. Seit knapp zehn Jahren gehen die Insolvenzfälle in Deutschland zwar stetig zurück: Im vergangenen Jahr gab es laut Creditreform knapp 20 000 Fälle. Mit mehr als 90 Prozent sind jedoch kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) weiterhin stark betroffen, in den meisten Fällen zudem Kreditinstitute als größte Gläubiger involviert.

Trotz des Rückgangs sind die negativen Folgen nach wie vor immens: Die Schadenssumme der Unternehmensinsolvenzen betrug zuletzt 26,6 Milliarden Euro, 198 000 Arbeitsplätze fielen weg oder waren zumindest bedroht. Würden beide Seiten frühzeitiger auf finanzielle Krisen reagieren, könnte dies zur schnellen und kostengünstigen Sanierung von Unternehmen beitragen und ein Insolvenzverfahren mit meist hohen Forderungsausfällen vermieden werden. Es würden bessere Sanierungsergebnisse für Schuldner und Gläubiger erzielt, ein Imageverlust verhindert und Kunden- ebenso wie Lieferantenbeziehungen blieben erhalten.

In diese Richtung zielt ein im November 2016 veröffentlichter EU-Richtlinienentwurf zum vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren. Mit einem Frühwarnsystem für Schuldner bei drohender Insolvenz will die EU-Kommission finanziell angeschlagenen, aber grundsätzlich sanierungsfähigen Unternehmen Zugang zu Restrukturierungsmaßnahmen verschaffen. Das neue Sanierungsinstrument soll die Lücke schließen zwischen der außergerichtlichen Sanierung nach dem gängigen Standard IDW S6 und der Unternehmenssanierung unter Insolvenzschutz. Dabei sollen vor allem finanzwirtschaftliche Regelungen zwischen Unternehmen und Gläubigern die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vermeiden, Arbeitsplätze erhalten und notleidende Kredite verringert werden. Last, but not least will die EU-Kommission europäische Verfahrensvorschriften harmonisieren.

Welche Chancen und Risiken Sparkassen und Volksbanken als wichtigste Finanzierer des deutschen Mittelstandes durch diesen EU-Richtlinienentwurf sehen, hat eine Ende 2018 veröffentlichte Studie der Kölner SSC Corporate Recovery GmbH ermittelt. Die Managementberatung, die kleine und mittelständische Unternehmen branchenübergreifend bei der Restrukturierung und Sanierung begleitet, hat für ihre Studie vorrangig leitende Angestellte der Sparkassen und Volksbanken befragt. Wesentliche Bausteine des EU-Richtlinienentwurfs beurteilen die Finanzexperten wie folgt:

1. Verfügbarkeit eines präventiven Restrukturierungsverfahrens: Die vorinsolvenzliche Restrukturierung soll nur bei einer drohenden oder wahrscheinlichen Insolvenz möglich sein. Sehr positiv oder eher positiv finden das mit 53 Prozent mehr als die Hälfte der Befragten. Gründe für Vorbehalte könnten laut der Studie sein, dass die EU-Richtlinie keine konkreten Kriterien formuliert, wann ein Unternehmen das Verfahren nutzen darf.

2. Schuldner in Eigenverwaltung: Die Schuldner sollen das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung durchführen können. Das beurteilen 67 Prozent der Kreditinstitute kritisch, wobei die Volksbanken diese noch stärker ablehnen als die Sparkassen. Den Handlungs- und Entscheidungsträgern mangele es oftmals an der passenden Qualifikation, so die Begründung. Zwingend sei vielmehr ein externer "Restrukturierungsverwalter", der den Prozess begleiten müsse. Dann bliebe die Kontrolle über Vermögenswerte und das operative Geschäft beim Schuldner.

Cherry-Picking bei Gläubigerklassen

3. Moratorium: Dass der Schuldner ein Moratorium von vier und bei Bedarf bis maximal zwölf Monate erhalten soll, beurteilt die Mehrheit zwar positiv, findet aber, dass die Regel deutlich unterhalb der Erwartungen bleibt. Vollstreckungsschutz sei notwendig, um einerseits Zeit für die Vergleichsverhandlungen mit den Gläubigern zu gewinnen. Andererseits bestehe die Gefahr, dass der Schuldner gezielt in das Verfahren flüchte, um zu verhindern, dass Gläubiger die Leistung verweigern oder vom Kündigungsrecht Gebrauch machen.

4. Selektive Einbeziehung der Gläubigerklassen: Für das vorinsolvenzliche Verfahren sieht die EU-Kommission zudem vor, dass der Schuldner selbst entscheiden kann, welche Gläubiger in das Verfahren integriert und in welche Gläubigerklassen diese segmentiert werden sollen. Als "Cherry-Picking", also Rosinenpicken, empfindet die Mehrheit der befragten Kreditinstitute diese Regelung. 52 Prozent fällten das Urteil "sehr negativ", 40 Prozent gaben "eher negativ" an. Um potenziellen Missbrauch vorzubeugen, ziehen die Befragten eine klare Gruppenbildung nach deutschem Insolvenzrecht vor. Aus Sicht der SSC Corporate Recovery ist die Bildung von Gläubigerklassen für den Vergleichserfolg dennoch essenziell und nimmt Einfluss auf den weiteren Verlauf des Verfahrens.

Deutlich positiver bewerten die Sparkassen und Volksbanken, dass laut EU ein Restrukturierungsplan auch ohne absolute Mehrheit durchgeführt werden kann. "Akkordstörer" würden diszipliniert und könnten sich einer von der Mehrheit angestrebten Lösung zum Erhalt des Unternehmens nicht verschließen.

Restschuldbefreiung mit deutschem Recht unvereinbar?

Zu den positiv bewerteten Punkten zählt, dass neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen privilegiert behandelt werden. Aus Sicht von SSC Corporate Recovery hat dieser Punkt eine hohe Bedeutung für den Sanierungserfolg, da kein Äquivalent zum "Insolvenzgeld" gegeben ist. Sanierungsfinanzierungen ebenso wie Zahlungen etwa für Berater müssen zudem insolvenzfest vor Anfechtungen geschützt sein.

Dass Schuldner schon nach drei Jahren eine zweite Chance bekommen sollen, indem sie von den Restschulden befreit werden, finden die befragten Kreditinstitute sehr negativ (34 Prozent beziehungsweise eher negativ (28 Prozent. Der Zeitraum sei zu kurz und es fehlten normative Regelungen. Eine bedingungslose Restschuldbefreiung sei zudem mit dem deutschen Insolvenzrecht unvereinbar.

Ungleichbehandlung der Gläubiger zulasten der Banken

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Sparkassen und Volksbanken dem neuen Sanierungsinstrument laut der Studie eher kritisch gegenüberstehen, aktuell mehr Risiken als Chancen und keine eindeutige Notwendigkeit für ein neues Verfahren sehen. Aktuelle Möglichkeiten und Verfahren seien ausreichend.

Die Befragten befürchten vor allem, dass die Ungleichbehandlung der Gläubiger deutlich zulasten der Finanzgläubiger gehen könnte. Sie sehen in dem Verfahren die Gefahr des Missbrauchs, kritisieren die Unantastbarkeit des Unternehmers und bezweifeln ausreichendes fehlendes Know-how für die Komplexität des Verfahrens. Ein nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg auf Grundlage von Planungsrechnungen werde nicht belastbar eingefordert und sei daher nicht nachweisbar. Last, but not least bestehe die Gefahr der Insolvenzverschleppung.

Positiv wird bewertet, dass es sich um ein kostengünstiges, schnelles und schlankes Verfahren handele, dass der Schuldner durchführen könne, ohne die Öffentlichkeit in Kenntnis zu setzen oder das Gericht einzubinden. Es gebe die Chance, Risiken frühzeitig zu erkennen und dadurch die Krise zu bewältigen. Durch die zweite Chance werde der Schuldner gestärkt und nicht infolge einer Insolvenz stigmatisiert. Insolvenzen könnten vermieden oder reduziert werden. Dank Entschuldung stiegen die Sanierungschancen. Das dennoch eher negative Gesamturteil der Sparkassen und Volksbanken ist in vielen Punkten auf unpräzise Definitionen und inhaltliche Spezifizierungen des EU-Richtlinienentwurfs zurückzuführen.

Unpräzise Definitionen

Nach Ansicht der SSC Corporate Recovery würde ein vorinsolvenzliches Re strukturierungsverfahren - unter Berücksichtigung erforderlicher Anpassungen und Modifikationen - die deutsche Sanierungskultur maßgeblich erweitern. Verschiedene Detailfragen, etwa zur Eintrittsvoraussetzung, zu Moratorium, Gruppenbildung und Entschuldungsfrist müssen jedoch noch wesentlich deutlicher definiert und inhaltlich spezifiziert werden.

Gerade für mittelständische Unternehmen mit einer realistischen Zukunftsperspektive sollte ein solches Verfahren eine wirkungsvolle und realistische Option in finanzwirtschaftlichen Krisen sein. Von den Vorzügen eines dann geregelten Zwangsvergleichs, ohne dafür einen Insolvenzantrag stellen zu müssen, ist gerade bei inhabergeführten Mittelständlern ein spürbar positiver Reflex bei Unternehmern und Finanzgläubigern zu erwarten. Bis zum Jahr 2022 hat Deutschland noch Zeit, die EU-Richtlinie durch Vorschriften und Gesetze zu verankern.

Die Studie mit dem Titel "Das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren - Neues Sanierungsinstrument ohne Stigma der Insolvenz? Relevanz und Erfolgsfaktoren für kleine und mittelgroße Unternehmen und Kreditinstitute" kann heruntergeladen werden unter https://ssc-mc.de/aktuelles/studien

Dr. Thomas Paul, Partner und Geschäftsführer, SSC Corporate Recovery GmbH, Köln

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