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Wege zu einer intelligenten Kundensegmentierung

Thomas Schlösser, Bereichsleiter Vertriebsmanagement, Vereinigte Volksbank Raiffeisenbank eG, Wittlich

Die Vertriebssteuerung der Vereinigten Volksbank Raiffeisenbank in Wittlich hatte gravierende Mängel, so Thomas Schlösser. Rund die Hälfte der Kunden wurde gar nicht betreut, manche Berater klagten über zu viele, andere über zu wenige Ansprachemöglichkeiten, Zielvorgaben schienen oftmals unrealistisch. Ein Projekt zur Entwicklung einer Standardsoftware für intelligente Kundensgmentierung und Vertriebssteuerung soll hier Abhilfe schaffen. Mithilfe einer neuen Datentransparenz sollen Kundenpotenziale ebenso sichtbar werden wie Mengengerüste bei den Beratern, um so Beratungskapazitäten besser planen zu können. Gleichzeitig werden Planziele plausibler, was zu einer höheren Akzeptanz bei den Beratern führt. Red.

Die intelligente Segmentierung von Privat- und Firmenkunden auf Einzelkunden- und Einheitenebene ist ein elementarer Bestandteil der Vertriebssteuerung und ist daher maßgeblich am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Immerhin geht es nicht nur darum, welche Kunden mit welchen Beratungsangeboten angesprochen werden. Es geht auch darum, die eigenen Beratungskapazitäten im Blick zu behalten. Manuell ist diese hoch komplexe Aufgabe kaum zu stemmen und am Markt erhältliche Softwaresysteme waren lange Zeit nicht in der Lage, hier wirksam und nachhaltig zu unterstützen. Gerade mit Blick auf die verfügbaren Daten liegen große Potenziale brach.

Folglich suchen Banken nicht erst seit gestern nach Lösungen, die nicht nur eine belastbare Kundensegmentierung gewährleisten, sondern obendrein verdecktes Potenzial offenbaren. Die Vereinigte Volksbank Raiffeisenbank eG ist nach intensiver Suche fündig geworden und hat in Zusammenarbeit mit der WGP Unternehmensberatung GmbH ein System der Foconis AG pilotiert.

50 Prozent der Kunden nicht betreut

Die bereits vorliegende Vermutung, dass die anstehenden Herausforderungen im Vertrieb keinen Aufschub mehr dulden, hat sich im Laufe des Projektes bestätigt. So fiel den Fachverantwortlichen im Rahmen ihrer Analysen auf, dass ungefähr die Hälfte aller Kundenkontakte der Berater in den Filialen immer mit denselben Kunden erfolgte. Die anderen 50 Prozent wurden nicht gemäß der definierten Betreuungsstrategie betreut.

Die Philosophie der Genossenschaftsbank sieht jedoch einen im Turnus von wenigstens zwei Jahren regelmäßigen Kundenkontakt vor. Schließlich geht es auch darum, den genossenschaftlichen Förderauftrag umzusetzen, der unter anderem beinhaltet, die Mitglieder der Bank optimal mit Bankdienstleistungen zu versorgen. Dies setzt jedoch zwingend einen regelmäßigen Kontakt voraus, damit eine bedarfsgerechte Finanzlösung angeboten werden kann.

Dass dies von den Beratern in der Praxis nicht gelebt werden konnte, hatte unterschiedliche Gründe. Angeregt durch ihre Zielvorgaben, sprachen sie in der Regel bereits zum Jahresbeginn mit bekannten Kunden, die dahingehend die größten Potenziale versprachen. Das ungenutzte, weil unerkannte, Potenzial fristete ein Schattendasein.

Nicht aufs falsche Pferd setzen

Auf Beraterseite stellten die Kollegen in den Filialen indes fest, dass sie ihre Aktivitätsziele (zum Beispiel die Anzahl von vereinbarten Terminen) nicht erreichen konnten. Gleichzeitig blieben in den Reihen unbeachteter Kunden Chancen unerkannt, die womöglich einen großen Umsatzbeitrag hätten leisten können. In Unkenntnis jener Chancen vergeudeten die Vertriebsmitarbeiter stattdessen mitunter ihre wertvolle Zeit mit Akquiseversuchen bei Kunden ohne jegliches Potenzial.

Folglich wuchs in der Volksbank Raiffeisenbank der Wunsch, künftig die Bemühungen auf eher aussichtsreiche Kunden zu konzentrieren - und zwar nicht nur, um Zeit zu sparen, sondern auch, um die kostbaren Ressourcen vertriebsstarker Berater nicht auf das falsche Pferd zu setzen. Dafür fehlte es an Transparenz im Datenbestand, die es nun herzustellen galt.

Mengengerüste der Berater transparent machen

Eine nicht minder große Herausforderung bestand darin, unterschiedliche Beratertypen mit entsprechenden Kundensegmenten zu verknüpfen. Privatkundenbetreuer auf der einen, Individualkundenbetreuer auf der anderen Seite erwirtschaften mit ihren jeweiligen Kundengruppen naturgemäß unterschiedlich hohe Deckungsbeiträge. Durch persönliche, langjährig gewachsene Vertrauensverhältnisse zwischen Kunde und Berater gibt es natürlich immer wieder Mischbestände, wo zum Beispiel ein Betreuungskunde vom Individualkundenberater betreut wird. Die Regel sollte allerdings sein, dass der Schwerpunkt der zugeordneten Kunden zu dem Beratersegment passt.

Diese Markierung hat gute Gründe. So wird die Kompetenz der Privatkundenbetreuer den Ansprüchen der Individualkunden möglicherweise nicht abschließend gerecht, etwa wenn es um komplexere Themen, wie beispielsweise eine Vermögensstrukturierung über alle Anlageklassen hinweggeht, eine Generationenberatung ansteht oder unternehmerische Hintergründe vorliegen. Wird ein Kunde mit entsprechenden Bedürfnissen von seinem persönlichen Ansprechpartner nicht optimal beraten, wechselt er womöglich die Bank.

Darum muss es der Anspruch der Bank sein, ihr Alleinstellungsmerkmal, nämlich die qualitativ hochwertige, bedarfsgerechte Beratung ihrer Mitglieder und Kunden, weiterhin jederzeit gewährleisten zu können. Damit dies gelingt, müssen nicht nur die Potenziale der Kunden offenliegen. Auch die Mengengerüste der Berater müssen transparent Auskunft darüber geben, ob betreute Kunden ihrer Qualifikation entsprechen. Betriebswirtschaftlicher Druck lastet heute auf allen Finanzinstituten. In der Vereinigten Volksbank Raiffeisenbank eG in Wittlich stehen die Zeichen darum auf Effizienz. Folglich stellen die Fachverantwortlichen auf unterschiedlichen Ebenen Bestandsprozesse auf den Prüfstand.

Kapazitäten planen

Ein wesentlicher Baustein ist auch hier der Vertrieb. Überprüft werden sollte insbesondere das Verhältnis von Kundenpotenzialen auf der einen und Beraterkapazitäten auf der anderen Seite.

- So gab es Berater, welche seit längerem beklagten, dass sie keine Kunden mehr zur Ansprache haben.

- Andere Berater schilderten gleichzeitig, dass sie nicht in der Lage seien, die Masse an Mitgliedern und Kunden zu beraten und oft keine Möglichkeit der aktiven Ansprache besteht, da nur das sogenannte Bringgeschäft abgewickelt werden kann.

Dieser Eindruck der betreffenden Berater konnte nur mit Hilfe eines transparenten Datenbestandes quantifiziert und bestätigt werden. Für die Bank fiel das Ergebnis positiv aus: weder ein Berater zu viel noch zu wenig. Bei anderen Banken zeigt sich oft ein anderes Bild. Hier übersteigen die Beraterkapazitäten die Kundenertragspotenziale um Längen und müssen folglich abgebaut oder umjustiert werden.

Die Erkenntnisse, die mit der Transparenz über die Kapazitäten einhergehen, haben weitreichende Effekte bis hinein in interne Abteilungen wie Human Resources oder die IT.

Planwerte plausibel machen

"Wie soll ich das bloß schaffen?" mag sich mancher Vertriebsmitarbeiter nach einem Blick auf seine persönlichen Ziele denken. Schnell weicht die Motivation dem Zweifel und die Erfolge lassen auf sich warten. Ganz anders wird es sich verhalten, so ist sich die Bank sicher, wenn die zur Zielerreichung notwendigen Werkzeuge, wie etwa plausible Gesprächsanlässe anhand transparenter Kundenpotenziale nachvollziehbar und sichtbar dargestellt werden. War es bis vor kurzem noch einigermaßen unklar, ob sich ein Telefonat mit Kunde A überhaupt lohnt, weiß der Berater nun um seine Bedürfnisse und kann an dieser Stelle ansetzen.

Bereits im Rahmen der derzeit laufenden Planung für das Vertriebsjahr 2018 konnten die Ergebnisse zur potenzialorientierten Zielsetzung der einzelnen Berater genutzt werden. In Anlehnung daran zeigt die Volksbank Raiffeisenbank in Wittlich den Beratern in Verbindung mit der Kommunikation der persönlichen Vertriebsziele auf, wie die Planwerte plausibel auf Basis der Kundenpotenziale oder Affinitäten hergeleitet wurden und welche Impulse von seiten der Vertriebssteuerung zur Unterstützung bei der Zielerreichung geliefert werden - wie beispielsweise Impulse für Kunden mit Affinitäten für bestimmte Bedarfsfelder aufgrund der Lebensphase.

Zur Abrundung kann die Bank nun identifizieren, wo die Präferenzen des anzusprechenden Kunden liegen - etwa eher in Richtung einer digitalen oder analogen Ansprache. Daraus resultierend erwartet das Institut eine wesentlich höhere Akzeptanz für die Zielvereinbarungen im Vertrieb und in dem Zusammenhang eine erhöhte Motivation zur Erreichung der Planwerte.

Neuausrichtung der Kundensegmentierung

Lange schon arbeiteten die Vertriebsverantwortlichen der Bank mit den klassischen ABC-Segmenten - ein Prinzip jedoch, das sich als wenig praxistauglich erwies und bei den Beratern teilweise auf Unverständnis stieß. In der Regel ohne jegliche Beachtung, stapelten sich folglich unzählige Listen. Eine grundlegende Veränderung musste her. Deshalb beschloss die Bank, die Kundensegmentierung vollkommen neu und zukunftsweisend auszurichten.

Den Rahmen steckte das zuletzt 2016 aktualisierte BVR-Konzept, in dem Themen wie etwa "Beratungsqualität" beziehungsweise "Kundenfokus" behandelt werden. Die vorhandenen technischen Lösungen erfüllten hierbei nicht die definierten Anforderungen. Also fasste die Geschäftsleitung den Entschluss, selbst aktiv zu werden. Gemeinsam mit der WGP Unternehmensberatung wurden schon im Projekt "Genossenschaftliche Beratung" positive Erfahrungen gesammelt. Die WGP wiederum führte zum Thema Kundensegmentierung zeitgleich längst intensive Gespräche mit der Foconis AG. Für die Bank kam diese Schnittstelle der beiden Unternehmen wie gerufen, sodass sie sich in das bestehende Projekt eingliederte. Die Bank brachte das praktische Know-how ein.

Durch die Verzahnung entstand ein konstruktives Miteinander mit dem gemeinsamen Ziel einer innovativen Standardanwendung. Im Rahmen der Lösungsfindung war es für die Bank besonders wichtig, das bestehende BVR-Konzept sinnvoll zu erweitern und datenbasiert in die Zukunft zu schauen.

Gemeinsam mit den Projektpartnern eine wesentliche Erweiterung in der Kundensegmentierung zu schaffen, lag sehr im Interesse der Genossenschaftsbank. Als Anforderung für die Konzeption wurden gemeinsam neue beziehungsweise erweiterte Elemente für die potenzialorientierte Kundensegmentierung definiert. Folglich erklärte sich die Bank bereit, das Projekt zu pilotieren. Zu diesem Zweck entstand als erstes ein Projektstrukturplan, der in der Folge konsequent abgearbeitet wurde.

Königsdisziplin "Datengrundlage"

Als Teilaufgabe legte die Bank die Segmentierungskriterien fest, wie etwa Einkommen, Vermögenswerte, Verbindlichkeiten oder Immobilienwerte in Anlehnung an das BVR-Papier, und erfasste die dafür notwendigen Daten in einer Matrix. Für die Kundensegmentierung herangezogen wurden dabei ausschließlich Daten, die im Rahmen von Kundengesprächen erfasst wurden oder aus der Geschäftsbeziehung selbst resultieren.

In der Tabelle konsolidierte die Bank nun für jeden Kunden alle im Sinne geltender Datenschutzregelungen verfügbaren Informationen - über das im Konto sichtbare Einkommen hinaus. Damit erreichte sie eine bislang unerreichte Transparenz auf Einzelkundenebene. Welche Daten für die Segmentierung aus welchem Grund erforderlich waren, legten die Projektpartner im Vorfeld fest.

Nach Fertigstellung des theoretischen Konzepts konnte die Überführung in die Software beginnen. Als Zwischenergebnis lag nun eine alle Kundeninformationen beinhaltende Tabelle vor, die von der Bank manuell geprüft und deren Einzelbestandteile in einen sinnvollen Kontext zueinander gebracht werden mussten - inklusive notwendigem Plausibilitätscheck. Mit dem genossenschaftlichen Gedanken im Sinn, machte sich die Bank an die Arbeit und konnte in weniger als zwölf Monaten diese einmalige, mühevolle Aufgabe abschließen - ein Aufwand, der künftigen Anwendern erspart bleiben wird. Schon heute sind sich die Fachexperten der Genossenschaftsbank sicher, dass diese Arbeit sich gelohnt hat.

Alle Daten liegen sauber und einsatzbereit vor und können mithilfe des neuen Funktionspakets "Kundensegmentierung Plus" ihren wichtigen Dienst leisten. Damit ist die validierte Lösung ab sofort auch für andere Banken nutzbar. Im jetzt erhältlichen Standard müssen in zukünftigen Projekten lediglich die so vorgefertigten Datenabfragen zum Durchlauf aktiviert werden. Die jeweilige Bank kann im Ergebnis des vollautomatischen Durchlaufs dann individuell entscheiden, welche Daten genutzt werden sollen, und die Notwendigkeit des manuellen Abfrageaufwands fällt vollständig weg.

Nutzen schnell spürbar

Von der neuen technischen Plattform wird die Bank innerhalb kürzester Zeit profitieren.

- So werden mit Hilfe der nun gewonnenen Transparenz beispielsweise Kunden ohne erkennbare Potenziale nicht mehr den hochqualifizierten Beratern zugeordnet, sondern künftig in einem Servicepool betreut.

- Transparente Mengengerüste sorgen zudem für die Sichtbarkeit der Kundenarten auf Einzelberaterebene und führen so zu einer eindeutigen Zuordnung gemäß der entsprechenden Beraterqualifikation. Natürlich dürfen einzelne Mischformen bestehen bleiben. Doch die Regel, dass beispielsweise ein Individualkundenberater im Schwerpunkt Individualkunden betreut, kann nun dank der neu gewonnenen Erkenntnisse effektiv eingehalten werden.

- Auch für die Kapazitätsplanung leistet die Lösung ihren wichtigen Beitrag für die Bank: Jederzeit ist einsehbar, wie stark welcher Berater ausgelastet ist. Die Ergebnisse dieser zukünftig regelmäßigen Analysen machen eine agile Umverteilung bei Über- oder Unterlast möglich. Zudem gelingt auch aus Gesamtbankperspektive ein Überblick, ob die Anzahl der Berater den Vertriebspotenzialen entsprechend angemessen ist. Je nachdem kann die Bank nach oben oder nach unten korrigieren sowie Prozesse hinterfragen und bei Bedarf nachjustieren.

Auch für die Motivation der Mitarbeiter wird die Lösung neue Horizonte öffnen. Sie verstehen nicht nur ihre Zielvereinbarungen, sondern erkennen greifbare Möglichkeiten, diese einzuhalten. Dazu gehören vor allem überzeugende Anlässe für eine Kundenansprache, beispielsweise ein Vermögen bei einer anderen Bank oder der Beginn einer neuen Lebensphase des Kunden. Dass die Berater die neuen Vertriebschancen optimal nutzen können, dafür sorgen Schulungen, die die Beratungsqualität einmal mehr erhöhen.

Die intelligente Segmentierung der Kunden als elementarer Bestandteil für den Vertriebserfolg gelingt mit Hilfe einer modernen Softwarelösung. Diese setzt die entsprechenden Empfehlungen des BVR-Konzepts um und kontrolliert zusätzlich viele weitere Verknüpfungen, wie etwa fremde Volumina, die Lebensphase oder die Online-Nutzung der Kunden. In Anlehnung daran können sämtliche Kriterien ausgewertet und in Relation zueinander gestellt werden. Das Institut urteilt heute, dass die Entscheidung für die Einführung der Anwendung die notwendige Transparenz über die Kundenvertriebspotenziale schafft und einen Meilenstein hinsichtlich neuer, moderner Betreuungskonzepte sowie einer höheren Qualität in der Vertriebssteuerung markiert.

Zum Autor Thomas Schlösser, Bereichsleiter Vertriebsmanagement, Vereinigte Volksbank Raiffeisenbank eG, Wittlich

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