FIRMENKUNDENGESCHÄFT

Die Wiedergeburt des Lagerbestands als Kreditsicherheit

Dirk Piethe, Foto: Labestonline

Kaum eine Branche wächst so dynamisch wie der E-Commerce. Bei der Finanzierung des Wachstums stoßen Online-Händler aber oft auf Probleme, so Dirk Piethe. Lagerbestandskredite werden von Banken häufig gar nicht oder nur zu unattraktiven Konditionen angeboten und das birgt die Gefahr, dass die Unternehmen sich anders orientieren. Hier kann die Digitalisierung Abhilfe leisten. Die Verknüpfung von Echtzeitdaten der Lagerlogistik mit Echtzeitpreisen ermöglicht Kreditinstituten die Lagerfinanzierung mit sehr begrenztem Risiko. So werden nicht nur bislang verschenkte Potenziale ausgeschöpft, sondern der verstärkte Austausch über die Cloud festigt überdies die Kundenbindung. Red.

In Deutschland wächst der Online-Handel jedes Jahr zweistellig. Laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau setzt der Handel inzwischen jährlich mehr als 200 Milliarden Euro allein über Webshops, Auktions- und E-Commerce-Plattformen in Deutschland um. Doch Online-Handelsunternehmen klagen zunehmend darüber, dass die Kreditinstitute ihr Wachstum nur beschränkt finanzieren können. Wie kommt das, trotz enormer Liquidität im Markt und Negativzinsen für Kreditinstitute auf deren Liquiditätsreserven?

Kreditwirtschaft verpasst Chancen

Für die Online-Händler und vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen bedeutet dies ein Wachstumshemmnis. Die deutsche Kreditwirtschaft verpasst hier scheinbar Chancen für Kundenbindung, Neugeschäft und zusätzlichen Service. Hier bleiben Potenziale im margenstarken Kreditgeschäft liegen.

Selbst im Sektor des eher kleineren Online-Handels bietet Amazon weltweit bereits in Milliardenhöhe Warenfinanzierungen für angeschlossene Händler an und nimmt damit den regionalen Banken sukzessive Marktanteil in ihrem angestammten Kerngeschäft ab.

Doch die meisten deutschen Banken und Sparkassen stehen unter einem enormen Wettbewerbs- und Veränderungsdruck. Die aktuelle Niedrigzinsphase bedroht die Margen der Branche. Staatliche und internationale Regulierung sowie die weitere Entwicklung der Kapitalanforderungen für Kreditinstitute erhöhen permanent den Verwaltungsaufwand und belasten die Effizienz.

Die BaFin und die Deutsche Bundesbank haben zuletzt angekündigt, die Risiken der deutschen Kreditinstitute noch stärker unter die Lupe zu nehmen. Dazu zählen Ertragsrisiken, Zinsrisiken, Digitalisierungs- und IT-Risiken, Länderrisiken, Rechts- und Reputationsrisiken sowie natürlich Kreditrisiken. Banken können damit rechnen, zukünftig verstärkt in diesen Disziplinen in den kritischen Dialog mit der Bankenaufsicht eintreten zu müssen.

Unter diesen Prämissen fällt es der klassischen Kreditwirtschaft schwer, wettbewerbsfähig Lagerfinanzierungskredite anzubieten. Lagerbestände deutschlandweit und gar weltweit zu bewerten, zu besichern und im Notfall sicherzustellen, erscheint aus Kreditgebersicht mit enormem Aufwand verbunden zu sein.

Warenlager als Sicherheit für Banken ein Risiko

Waren, Vorprodukte und Märkte werden immer vielschichtiger und komplexer. Gleichzeitig steigt die Warenumschlagsgeschwindigkeit stetig. Damit nimmt die Verweildauer in einem konkreten Lager ab. Bisher gibt es externe Dienstleister für die Kreditwirtschaft, die sich Lagerbestände anschauen, bewerten und deren Bestand regelmäßig kontrollieren. Doch auch dies schützt den Kreditgeber nicht davor, im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers vor einem leeren Lager zu stehen und nicht auf die Sicherheit zugreifen zu können.

Folglich müssen Banken und Sparkassen klassische Lagerbestandskredite mit Risiken belegen und diese einkalkulieren. Für die Banken bleibt oft die Eigenkapitalsituation der jeweiligen Firma die maßgebliche Grundlage für eine Finanzierungsentscheidung. Angeschaffte und bezahlte Ware oder vorproduzierte Güter akzeptiert die Kreditwirtschaft nur widerwillig als Sicherheit - und wenn, dann in einer inakzeptablen Höhe von nur 20 Prozent des Einkaufswertes.

Letztendlich sorgen diese Rahmenbedingen bisher dafür, dass Lagerbestandskredite für die Wirtschaft und die Kreditwirtschaft eine untergeordnete Rolle spielen. Einige Kreditinstitute bieten sie nicht einmal mehr an.

Digitale Transformation verstärkt Wettbewerb um KMUs

Neben den angesprochenen Schwierigkeiten sorgt die digitale Transformation dafür, dass die klassischen Geschäftsmodelle der Banken bedroht sind. Das sich wandelnde Kundenverhalten setzt die Banken unter Veränderungsdruck. Eigene IT-Infrastrukturen und Prozesse sind häufig nicht mehr zeitgemäß. Gleichzeitig stellen sich neue dynamische Wettbewerber aus dem Fintech-Bereich auf, um Märkte radikal zu verändern.

Auch wenn die Fintechs sicherlich nicht umgehend so disruptiv sein werden, wie sie sich häufig selbst darstellen, wird diese Entwicklung nicht aufzuhalten sein. Dass die Unternehmen auch über klassischen Risikothemen der Kreditbranche straucheln können - wie die aktuelle Entwicklung von N26 zeigt -, ist nur eine Momentaufnahme und ändert nichts am grundsätzlichen Trend.

Um nicht weitere Marktanteile zu verlieren, gilt es, sich schlanker aufzustellen und eine höhere Kundenzufriedenheit zu erzielen. Insbesondere im Kerngeschäft der deutschen Kreditinstitute, bei den kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), intensiviert sich der Wettbewerb.

Wirtschaft sucht neue Finanzierungsformen

Firmen beginnen, sich neu zu orientieren: Finetrading, Asset Based Lending, Factoring oder auch die Peer-to-Peer-Kreditvermittlung über innovative Online-Angebote gewinnen inzwischen deutlich Marktanteile. Fintechs und Bigtechs bieten neue Finanzierungsformen und Dienstleistungen an.

Die bankfremden Dienstleister erhöhen den Wettbewerb. Gleichzeitig bieten sie der klassischen Kreditwirtschaft die Chance für eine kundenorientierte Kooperation. Matching-Veranstaltungen zwischen der Digital- und der Kreditbranche, wie beispielsweise die EXEC-Fintech oder die Plug and Play Fintech Europe, zeigen, welche großen Potenziale hier noch für beide Seiten bestehen.

Die neue digitale Welt schafft dank Big Data und Realtime-Analyse Informationsgewinne am Markt, die die Kreditwirtschaft optimal nutzen könnte. Bisher werden schon bei der Entscheidung über die Zusage oder Ablehnung eines Kredites zahlreiche Informationen herangezogen und geprüft. Der Fokus liegt allerdings meist auf der historischen Analyse der Unternehmensentwicklung und weniger auf Echtzeitinformationen und auf zukünftigen Wachstumspotenzialen.

Digitalisierte Lagerlogistik macht Waren- zu Sicherungswerten

Die Digitalisierung der Wirtschaft bietet den Banken Chancen, ihr Geschäftsmodell zu verändern, denn mit großen Schritten wandelt sich der Handel von einem Offline- zu einem Online-Markt. Schon heute sind die Beschaffungs-, Liefer- und Lagerlogistik in der Regel komplett digitalisiert.

Verknüpft man diese Daten mit Echtzeitinformationen zu der aktuellen Entwicklung von Einkaufs- und Verkaufspreis sowie mit historischen Daten, können Kreditentscheidungen auf einer neuen effizienteren Basis erfolgen. Da diese Datenbasis laufend in Echtzeit aktualisiert wird, können Kreditgeber so ihre Kredite fortlaufend kontrollieren und anpassen.

Warenwerte entwickeln sich so zu echten Sicherungswerten und Unternehmen können nun ihre Warenlager als echte Sicherungsgüter beleihen. Dank dem von Labest entwickelten Cloud-Service können Unternehmen und Kreditgeber den Lagerbestand stets in Echtzeit einsehen. Dabei werden alle wesentlichen Parameter über die bestehenden digitalen Schnittstellen der Logistik in einer einfach bedienbaren Nutzeroberfläche zusammengeführt und mit Echtzeitpreisen der Produkte aus den jeweiligen Märkten deutschlandweit und global verknüpft. Damit lässt sich ohne Aufwand der tagesaktuelle Marktwert des Warenbestands bestimmen.

Kreditvergabe fast ohne Risiko

Kreditgeber erhalten dank interaktiver Analysemöglichkeiten eine umfangreiche Transparenz über die Lagerbestände und ihre Werte und können diese als seriöse und verlässliche Sicherheit beleihen. Gleichzeitig reduzieren sie damit die bankinternen Risikokosten und können ihren Firmenkunden neue, wettbewerbsfähige Angebote bieten. In dem umkämpften Markt der Unternehmensfinanzierung, auf dem sich immer mehr Anbieter tummeln, können die Kreditgeber ihre Kunden besser binden.

Sollte tatsächlich einmal der Risikofall eintreten, kann der Kreditgeber den kompletten Lagerbestand mit einem Mausklick sichern. Labest schafft somit Markttransparenz und minimiert die Kreditrisiken einer Lagerbestandsfinanzierung auch im Verwertungsfall.

Firmen hingegen können durch die schnell verfügbare zusätzliche Liquidität günstiger einkaufen und ihr Wachstum finanzieren. Dabei handelt es sich nicht nur um eine kurzfristige Lösung, wie bei anderen sogenannten "Borrowing-Base"-Angeboten, die sich auf die Lagerbestände beziehen. Kreditnehmer können längerfristige Kreditverträge eingehen - mit wettbewerbsfähigen Zinssätzen und Abruf bei Bedarf.

Der Liquiditätsrahmen variiert dann entsprechend dem Wert der aktuellen Lagerbestände. Dies soll neue Finanzierungsmöglichkeiten für den unternehmerischen Mittelstand in Deutschland und Europa schaffen.

Verstärkter Austausch erhöht die Kundenbindung

In der Kooperation mit der klassischen Kreditwirtschaft bleibt es entscheidend, dass die Lösungen der Fintechs reibungslos mit den bankinternen Abläufen funktionieren. Labest ist als Cloud-Service letztendlich eine Standalone-Lösung, die keine komplizierte Einbindung in die jeweilige eigene Bank-IT-Welt benötigt. Nur das Messaging- und Alert-System wird an die jeweiligen Anforderungen des Kreditgebers angepasst. Auch das Frontend für den Kreditnehmer kann visuell auf die jeweilige Hausbank adaptiert werden, sodass der Kunde nicht das Gefühl bekommt, das Ökosystem seiner eigenen Hausbank zu verlassen.

Für den Kreditnehmer bieten sich dank des Cloud-Services Zusatzleistungen. Er erhält stets aktuell einen Überblick über seinen Lagerbestand und dessen aktuellen Marktwert.

Die generierten und gespeicherten Daten stehen ihm letztendlich auch nach dem Wechsel zu einem anderen Kreditinstitut weiterhin zur Verfügung.

Dies schafft ein Gefühl der Unabhängigkeit, das interessanterweise dafür sorgt, dass Firmen sich letztendlich noch stärker an ihre Hausbank binden. Dies zeigen die Erfahrungen aus Kundenprojekten mit der Ersten Bank. Kunden, insbesondere im Online-Handel, reagieren positiv auf den neuen Service der Ersten Bank. Der verstärkte Austausch bei der Einführung des Cloud-Services erhöht die Bindung zwischen Firma und Bankbetreuer.

Der digitale Wandel mit seinen Big Data- und Realtime-Analysen bietet der Kreditwirtschaft letztendlich die Möglichkeit, das alte Kreditinstrument der Lagerbestandsfinanzierung wiederzubeleben. Mittelfristig könnte sich dies auch positiv auf die Eigenkapitalkosten der Banken auswirken. Denn mit der neuen Technologie schafft man zusätzlich Transparenz aus Sicht der weiter steigenden Anforderungen der Aufsichtsbehörden und senkt die Risikokosten.

Dirk Piethe, Geschäftsführer, LABESTonline GmbH, Berlin
Dirk Piethe , Geschäftsführer, LABESTonline GmbH, Berlin

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