DIE ZUKUNFT DER FILIALE

Die Zukunft der Bankeninfrastruktur - Corona als Katalysator

Dr. Reiner Brüggestrat, Foto: Hamburger Volksbank

Bei der Hamburger Volksbank hatte die Corona-Krise eine Katalysator-Wirkung bei der Anpassung des Filialnetzes. Weil der Test, ob das Geschäft auch mit weniger Standorten funktioniert, erfolgreich war, wurde beschlossen, zehn Filialen, die ohnehin schon auf der Streichliste standen, gar nicht wieder zu eröffnen. Begleitet wurde das von intensiver Kundenkommunikation und einer kräftigen Aufstockung der "digital-persönlichen Einheit" Hamburger Volksbank Di@log, die für Kunden telefonisch, per Chat oder Mail erreichbar ist. Insgesamt resümiert Reiner Brüggestrat: Mit dem Strategieprojekt "Smartes Volksbanking in Hamburg 2020+" wurde ein Modell geschaffen, das sich in Corona-Krisen-Zeiten als essenziell bewährt hat und sich als zukunftsfähig erweist. Red.

Foto: Hamburger Volksbank

"Turbo", "Katalysator", "Booster" - die Auswirkungen der Corona-Krise haben vorweggenommen, worüber sich die Finanzbranche seit Jahren einig ist: Die Infrastruktur von Filialbanken muss sich grundlegend ändern. Innerhalb von fünf Monaten hat ein radikaler Transformationsschub stattgefunden, mit dem lang vorbereitete, aber bislang nur schrittweise realisierte Digitalisierungsstrategien und Standortentscheidungen im Sprint umgesetzt wurden.

Das Fazit: Es funktioniert. Und um es gleich vorwegzunehmen: Es funktioniert auch bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die sich als Banken vor Ort lange Zeit als einzig verbleibender Hort persönlicher Kundennähe verstanden wissen wollten. Wie ein dauerhafter Spagat zwischen digitalem Angebot und Filialvertrieb gelingen kann - der USP von Genossenschaftsbanken der Zukunft.

Filialschließungen vorgezogen

Die Auswahl der zunächst vorübergehend zu schließenden Filialen war Mitte März im Zuge der Corona-Auswirkungen und der Sicherheitsbeschlüsse des Hamburger Senats schnell entschieden. Eine Standortkonzentration auf 15 Filialen stand im Rahmen des Strategieprojekts "Smartes Volksbanking in Hamburg 2020+" seit 2019 fest und wurde aufgrund der Corona-Krise vorgezogen. Die Berater sowie Fachspezialisten waren ab sofort telefonisch, per E-Mail oder Webkonferenz zu erreichen. So konnten weiterhin Termine für eine persönliche Beratung vereinbart werden.

Im Verlauf der Corona-Entwicklungen hatte die Hamburger Volksbank damit außerdem ein Back-up an Beratern geschaffen, mit dem vor allem die internen Abteilungen unterstützt wurden. Insbesondere im Kreditbereich konnte sich die Bank so flexibel auf den Corona-bedingten enorm hohen Beratungsbedarf einstellen und hier die personellen Kapazitäten entsprechend aufstocken.

Insgesamt hatte die Corona-Krise eine Katalysator-Wirkung auf unsere Entscheidung, diese zunächst vorübergehend geschlossenen Filialen nicht wieder zu öffnen. Wir hatten die Möglichkeit zu testen, ob unser Geschäft mit weniger Filialen funktioniert. Nach einer umfangreichen Standort-Auswertung haben wir entschieden, zehn Standorte dauerhaft zu schließen und in neue attraktive Präsenzen zu investieren, für das Jahr 2020 konkret mit einem Investitionsvolumen für zwei Standorte in Höhe von 7,5 Millionen Euro.

Kundenorientierung zunehmend digital

Hintergrund der Filialschließungen ist ein digitalisiertes Nutzungsverhalten. Sowohl Privat- als auch Firmenkunden nutzen uns zunehmend digital und suchen für alltägliches Banking nicht mehr die Filiale auf. Dieser Trend wurde durch die Auswirkungen der Corona-Krise verstärkt und verstetigt. Bereits Ende März haben Benchmark-Analysen das Nutzungsverhalten bestätigt, wonach für 77,1 Prozent der Kunden das Online-Banking nutzbar ist, Tendenz kontinuierlich steigend. Damit ist die Hamburger Volksbank unter den Top 10 unter 795 teilnehmenden VR-Banken.

Beispielhaft für die zunehmende Wahl der digitalen Kanäle zu Bankdienstleistungen ist die Auftragsentwicklung im Wertpapiergeschäft. So sind die Online-Wertpapieraufträge in den ersten fünf Monaten 2020 um 183 Prozent gestiegen, diejenigen über Berater lediglich um 31 Prozent. Was die Pandemie damit auch klar vor Augen führt, ist, dass Digitalisierung für Banken zwingend notwendig und nicht aufschiebbar ist, um in Krisen flexibel und belastbar zu bleiben.

Der persönlichen Kundenkommunikation kommt seit Ausbruch der Corona-Krise eine besondere Rolle zu. Als Genossenschaftsbank definieren wir Kundenähe selbstverständlich über eine exzellente persönliche Beratung in der Filiale oder einem anderen Ort nach Wunsch des Kunden. Ebenso selbstverständlich sollte sich Kundennähe über einen digital-persönlichen Rundum-Support und automatisierte Services definieren. Es geht also darum, den geänderten Kundenbedürfnissen gerecht zu werden und auch über digitale Kontaktpunkte Nähe herzustellen.

Schub zu noch mehr Agilität

Die Corona-Krise hat uns einen kräftigen Schub hin zu noch mehr Agilität und vor allem Tempo verpasst. Binnen kürzester Zeit wurden zum Beispiel im Kreditbereich

- neue Teams mithilfe von Kollegen aus anderen Abteilungen zusammengestellt,

- Arbeitszeiten bedarfsgerecht auf die Samstage ausgedehnt,

- Prozesse verschlankt - und natürlich

- jede erdenkliche Art digitaler Arbeits- und Meetingmethoden verprobt.

Auf sehr positive Resonanz stießen dabei die regelmäßige Kommunikation auf der Homepage und in den sozialen Medien über Unterstützungsleistungen für Unternehmenskunden im Kreditbereich sowie die digitalen Angebote in Zeiten des "Social Distancing". Dabei haben wir gelernt, dass die Kunden ebenso wandlungsfähig sind und selbst Digitalverweigerer zu Mobile-Banking-Kunden werden, indem sie zum Beispiel sehr schnell auf bargeldlose Bezahlwege umgestellt haben. Nach dem Motto "digitaler werden, Volksbank bleiben" investieren wir in die digitale Infrastruktur und in Standorte: Es zeichnet sich deutlich ab, dass der Anteil der Kunden, die ihre Bankgeschäfte auch online erledigen, stetig steigen wird.

Proaktive Kundenkommunikation zu Filialschließungen

Das Thema "Filialschließungen" im Zuge der Corona-Auswirkungen hat auch die Szenarien in den Medien über ein flächendeckendes Bankensterben zugespitzt. Im Gegenzug haben wir Mitglieder und Kunden proaktiv in persönlichen Gesprächen und per Newsletter über die Gründe unserer Filialschließungen aufgeklärt und über telefonische und Online-Angebote informiert, mit denen alltägliche Bankgeschäfte schnell und selbstständig erledigt werden können. Im Zentrum stand dabei die Frage, wie oft eine Filiale aufgesucht wird, um ein Geschäft mit größeren finanziellen Auswirkungen abzuschließen.

Der weit überwiegende Teil der Kunden zeigte Verständnis für unsere unternehmerische Entscheidung, uns für die qualifizierte persönliche Beratung auf 15 attraktive Standorte zu konzentrieren. Die Hamburger Volksbank setzt damit konsequent ihr Zukunftsmodell um. Der Wandlungsprozess ist nicht nur zwingend notwendig, mit der sich unser Geschäftsmodell auch in der Krise bewährt, sondern genossenschaftlich fundiert und entwickelt sich aus einem engen Vertrauensdialog mit unseren Eigentümern und der Analyse geänderter Kundenbedürfnisse.

Virtuelle Vertreterversammlung

Auch die diesjährige Vertreterversammlung der Hamburger Volksbank stand im Zeichen der Corona-Krise und wurde erstmals nicht als Präsenzveranstaltung, sondern virtuell durchgeführt.

Eine Digitalisierungsprobe für die genossenschaftliche Demokratie und insbesondere für die virtuellen Abstimmungsverfahren: Die Teilnehmer konnten per Livestream teilnehmen und wurden mit einem Angebot von drei Vor-Vertreterversammlungen auf die digitale Veranstaltung vorbereitet. Diese hatten sich vor allem im Hinblick auf ältere Vertreterinnen und Vertreter bewährt und den genossenschaftlichen Stakeholder-Dialog binnen kürzester Zeit intensiviert: Wie funktioniert eine Online-Wahlkabine? Kann ich Fragen während der Vertreterversammlung auch per Telefon stellen? Ist mir jemand im Umgang mit der Chatfunktion behilflich? Ganz nach dem

Motto "Digitaler werden, Volksbank bleiben" hatten wir so die Möglichkeit, den Eigentümern der Bank exemplarisch den Nutzen, die Notwenigkeit und alle Vorteile der Digitalisierungsoffensive und der Omnikanalstrategie vor Augen zu führen:

Ein Vertreter hatte sich aus Mailand zugeschaltet, ein Team von Hamburger Volksbank Di@log nahm Fragen an den Vorstand telefonisch entgegen und konnte direkt und unmittelbar in die Vertreterversammlung durchstellen, individueller tech nischer Support stand rund um die Veranstaltung zur Verfügung.

Hamburger Volksbank Di@log wird aufgestockt

Mit der digital-persönlichen Einheit "Hamburger Volksbank Di@log" entspricht die Hamburger Volksbank den geänderten Kundenbedürfnissen nach einem omnikanalen Angebot per Telefon, E-Mail, Whatsapp oder Chat und mit erweiterter Erreichbarkeit. Seit Ende 2018 entwickeln wir Kundenähe kontinuierlich und mit sehr großem und wachsendem Zuspruch weiter: mit Serviceexzellenz, einer hohen Frequenz an Telefonaten und zunehmend auch mit qualifizierter Beratung.

Die ursprüngliche Anzahl von 13 Mitarbeitern wird bedarfsgerecht bis Ende Oktober auf 33 Stellen aufgestockt. Dazu wurden Personalkapazitäten flexibel verschoben, indem Beschäftigte aus Filialen eingesetzt werden, die nach der Corona-Krise nicht wieder geöffnet werden.

Digitalisierungsoffensive bewährt

Mit dem Strategieprojekt "Smartes Volksbanking in Hamburg 2020+" entwickelt die Bank ihre genossenschaftlichen Geschäftsprinzipien im digitalpersönlichen Zeitalter stetig weiter. Damit wurde ein Modell geschaffen, das sich in Corona-Krisenzeiten als essenziell bewährt hat und für Eigentümer, Kunden, Mitarbeiter und Marktteilnehmer als sehr zukunftsfähig erweist. Die Katalysatorwirkung der Pandemie forciert die Umsetzung der Zielsetzung im Hinblick auf die digitale und stationäre Infrastruktur, die dauerhafte Förderung digitaler Kompetenzen und agiler Arbeitsmethoden. Im Zuge des Omnikanalansatzes werden wir den Ausbau der fallabschließenden Online-Bestellstrecken für Produkte und Karten mit weiteren One-and-Done-Prozessen vorantreiben. Diese bewähren sich in der Krise, vor allem in der Kombination mit Unterstützungsleistungen per Chat oder telefonisch durch das Di@log-Kompetenzteam.

Im Fokus steht dabei weiterhin, mit den Bigtechs im Hinblick auf die digitale Kundenähe und den Plattformgedanken gleichzuziehen und gleichzeitig an den genossenschaftlichen Werten festzuhalten. Damit geht einher, Kundenbindung und Kundennutzen konsequent in den Mittelpunkt der strategischen Weiterentwicklung zu stellen.

Insgesamt bedeutet das für die Stakeholder-Struktur aufseiten der Bank: Anschlussfähigkeit für eine erfolgreiche Zukunft, unabdingbare Notwendigkeit in die innovative Entwicklung und Anwendung digitaler Techniken, Methoden und Prozesse zu investieren, konsequente Digitalisierung und Standardisierung unserer Prozesse, laufende Optimierung der Datenqualität, kundenorientierte und sichere Nutzung von Smart Data sowie hohe Investitionen in die digitale Infrastruktur und die Kompetenzen der Mitarbeiter.

Für die Mitarbeiter bedeutet die neue Strategie zukunftsorientierte Arbeitsplätze, standortunabhängiges Arbeiten, Förderung digitaler Kompetenzen, Entlastung dank digitaler Prozesse und höhere Treffsicherheit im Abschluss.

Nicht zuletzt profitieren Kunden und Mitglieder von allen Vorteilen der Digitalisierung: persönliche genossenschaftliche Beratung, Banking immer, überall und auf allen Wegen, transparente Prozesse und schnelle Lösungen sowie individuelle Lösungen nach dem Baukastenprinzip. Und die Metropolregion Hamburg behält einen verlässlichen Finanzpartner mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell, sichere Arbeitsplätze und finanzielle Substanz.

Vorbereitung der virtuellen Vertreterversammlung der Hamburger Volksbank eG

Genossenschaftliche Zukunftsfähigkeit

Im Privatkundenbereich wird sich der Trend zum digitalen Banking forciert durchsetzen. Dies betrifft vor allem einfache Basisdienstleistungen sowie das stationäre Bezahlverhalten. Dies hat Auswirkungen auf die Infrastruktur von Geldautomaten. Gleichzeitig steigt der Bedarf nach einer qualifizierten und persönlichen Beratung in der Filiale, wenn es um den Abschluss eines Geschäfts mit größeren finanziellen Auswirkungen geht. Dementsprechend erfolgen Investitionen für den Standortbetrieb in moderne, hoch frequentierte Filialen.

Im Firmenkundenbereich wird einer der Schwerpunkte sein, Kunden in ihrem Prozess der digitalen Transformation zu begleiten - sowohl als Ratgeber als auch mit den entsprechenden technischen Lösungen für das digitale Banking. Um hierbei jederzeit reformfähig zu bleiben, wird die Bank ihre digitalen Prozesse auch zusammen mit weiteren Partnern vorantreiben. Dazu kann zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Fintechs gehören. Ebenfalls wird das Thema "Nachhaltigkeit" eine wesentliche Rolle spielen. Die Corona-Auswirkungen bestätigen die essenzielle Bedeutung nachhaltiger Geschäftsmodelle. Nachhaltiges Wirtschaften entspricht nicht nur einer zunehmenden Werteorientierung, sondern zahlt sich besonders in Krisenzeiten aus.

Die Hamburger Volksbank hat frühzeitig die Weichen für ihre genossenschaftliche Zukunft gestellt und hält, einvernehmlich mit ihren Vertreterinnen und Vertretern, an diesem Zukunftsmodell fest. Die Handlungsfähigkeit im Umgang mit den Auswirkungen der Corona-Krise haben verdeutlicht, dass die Bank künftig schwierige Rahmenbedingungen besser meistern kann als noch im Analogen verhaftete Wettbewerber.

Eine zunehmend strenge Regulatorik, die Digitalisierung aller Lebensbereiche, ein zunehmend härterer Wettbewerb und das anhaltende Niedrigzinsumfeld sind Ansporn und Verpflichtung, die genossenschaftlichen Geschäftsprinzipien im digital-persönlichen Zeitalter stetig weiterentwickeln. Mit dem Förderauftrag als Genossenschaftsbank haben wir den Anspruch, ein ausbaufähiges Modell zu forcieren, das für Eigentümer, Kunden, Mitarbeiter und weitere Marktteilnehmer anschlussfähig sein wird: "Digitaler werden - Volksbank bleiben".

Dr. Reiner Brüggestrat, Sprecher des Vorstands, Hamburger Volksbank eG, Hamburg
Dr. Reiner Brüggestrat , Sprecher des Vorstands, Hamburger Volksbank, Hamburg

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