IM GESPRÄCH

"Wir bereiten uns auf schwierige Jahre vor" Interview mit Peter Schneider

Peter Schneider, Foto: Sparkassenverband BW

Eine "Zombifizierung" der Wirtschaft durch die staatlichen Hilfen befürchtet Peter Schneider nicht. Er sagt aber auch: Die Bonitätsprüfung seitens der Kreditwirtschaft ist mit mehr Unsicherheit behaftet als vor der Krise. Der anfängliche Grundsatz "Unternehmen, die vor der Krise gesund waren, sind es auch hinterher", lässt sich immer weniger aufrechterhalten. Den durch die Krise noch einmal verstärkten Einlagenboom sieht Schneider mit Sorge. Dass bisherigen Sparbuch-Sparern jetzt Wertpapiere empfohlen werden, weil Geld zur "heißen Kartoffel" geworden ist, bezeichnet er als durch die Geldpolitik verursachte Fehlleitung. Red.

Herr Schneider, wir befinden uns jetzt im zweiten Jahr der Pandemie. Wie groß sind aktuell Ihre Sorgen, wie die Kunden der Sparkassen und mit ihnen auch die Institute selbst durch die Krise kommen?

Auf der Kundenseite haben wir eine mehrschichtige Welt. Um mit dem Positiven zu beginnen: Wir haben einige Kunden, die in der Krise besser dastehen als vorher. Es gibt Unternehmen, die 2020 ein Rekordjahr erlebt haben. Das ist aber leider bei Weitem nicht die Mehrheit.

Der große Mittelteil der Kunden kommt gerade so eben zurecht. In Baden-Württemberg haben wir eine stabile Seitwärtsbewegung in der Industrie und den vielen Zulieferbetrieben, die auch von der guten Nachfrage aus dem Ausland, allen voran von Asien, genährt wird. Und dann haben wir Kundinnen und Kunden, denen es mittlerweile richtig schlecht geht. Hier spreche ich zum Beispiel von Hotels und Gastronomie, einem Großteil des Einzelhandels und dem Messe- und Veranstaltungsbereich. Das macht mir große Sorgen, da deren Not immer größer wird, je länger die Pandemie dauert. Auch wenn diese Branchen gemessen am Bruttoinlandsprodukt und auch in den Kreditportfolios der Sparkassen nicht so stark vertreten sind, sind sie enorm wichtig. Und die Sorgen nehmen mit jedem weiteren Tag Lockdown zu.

Unsere Sparkassen selbst haben sich 2020 als sehr leistungsfähig erwiesen. Sie konnten eine Förderberatung in hoher Qualität bieten und in enger Abstimmung mit der Politik viele Förderprogramme mitgestalten. Zahlungsverkehr und Liquiditätsversorgung haben funktioniert, die Kreditvergabe wurde stark ausgeweitet und so eine Kreditklemme verhindert. Bei rund 60 000 Privat- und Unternehmenskunden wurden die Kreditraten gestundet.

Dass es bei einer solchen Situation Bremsspuren im Ergebnis gibt, ist klar. Aber nach einem Jahr Pandemie kann ich sagen: Wir als Marktführer sind unserer Verantwortung vollumfänglich gerecht geworden. Wir haben keinerlei Kritik aus den Wirtschaftsverbänden erfahren. Die Sparkassen haben diese neue Form einer Krise bis heute gut bewältigt.

In welchem Maß haben Kreditstundungen dazu geführt, dass die Kunden danach ihre Kredite wieder ordnungsgemäß bedienen konnten? Oder wo haben sich die Erwartungen auf eine Besserung der Lage nicht erfüllt?

Bis heute haben wir bei den Krediten keine besorgniserregende Entwicklung. Die allermeisten Kunden bedienen ihre Kredite wieder ganz normal. Die staatlichen Hilfsprogramme stützen die Wirtschaft. Allerdings verdeckt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ein Stück weit das wahre Ausmaß der Krise.

Sind Kreditstundungen auch jetzt im Dauer-Lockdown noch ein Thema?

Stundungen sind weniger das große Thema, aber neue Kredite sind weiterhin stark gefragt. Stand Ende März liegen die Kreditzusagen an Unternehmen und Selbstständige mit 16,5 Prozent über dem Vorjahreswert, der auch schon außerordentlich hoch war. Auch der Bestand steigt im Vergleich zum Vorjahr um weitere fünf Prozent. Das heißt: Wir erleben ein reges Kredit geschehen. Nach wie vor sind Kredite wichtig zur Sicherung der Liquidität und des Überlebens.

Sehen Sie durch staatliche Hilfen und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Gefahr einer Zombifizierung der Wirtschaft?

In dem einen oder anderen seltenen Fall ja. In der breiten Mehrheit sehe ich das allerdings nicht. Sehen Sie zum Beispiel die Förderkredite, bei deren Vergabe sich gerade die Sparkassen sehr engagieren. Diese Kredite werden nicht ins Blaue hinein vergeben, denn auch wenn die Hausbank dabei nicht voll im Risiko steht, bleibt immer ein Eigenanteil. Zudem erfolgt auch die Vergabe von Förderkrediten ganz normal nach Bonitätsgesichtspunkten. Das heißt in einem aussichtslosen Fall vergibt eine Sparkasse keinen Förderkredit, selbst wenn die Haftung auf 10 Prozent beschränkt ist. Das Überleben des Unternehmens nach der Pandemie steht immer als oberste Frage vorneweg. Daher befürchte ich die Zombifizierung der Wirtschaft nicht. Die positiven Effekte der Hilfen und Förderkredite überwiegen bei Weitem.

Natürlich gibt es wie immer auch Trittbrettfahrer. Das betrifft allerdings weniger die Förderkredite als die Soforthilfen. Oft ist das der Schnelligkeit bei der Auszahlung der Hilfe geschuldet, die in einer solchen Situation jedoch besonders wichtig ist.

Inwieweit kann eine Bonitätsprüfung in diesen Zeiten die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens realistisch beurteilen? Schließlich hängt das doch auch vom weiteren Verlauf der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen ab.

Die Bonitätsprüfung ist in jedem Fall mit größerer Unsicherheit behaftet. Zu Beginn der Krise haben wir gesagt: Wer vor der Krise gesund war, ist es jetzt auch und damit kreditwürdig. Mit zunehmendem Verlauf der Krise lassen sich solche Beurteilungen nicht mehr vornehmen, sondern man muss differenzierter hinschauen. Aber die Hausbanken kennen ihre Kunden sehr gut und gehen mit, solange es geht.

Stärkt die Krise die Hausbankbeziehung?

Eindeutig ja. Gerade in der Krise bewährt sich die Hausbank. Das Hausbankprinzip fußt ganz stark auf gegenseitiger Kenntnis und Vertrauen. Es sind langjährige Beziehungen. Hinzu kommt: Das Hausbankprinzip in Baden-Württemberg ist aufseiten der Sparkassen und Genossenschaftsbanken in der Regel durch sehr kapitalstarke und leistungsfähige Institute unterlegt.

Ganz zentral ist die Beratung. Das sagen uns auch die Kunden. In der Krise war Fachwissen gefragt, und da haben die Sparkassen gepunktet. Wenn man dann mit der Frage nach Förderkonditionen in Baden-Württemberg in einem Callcenter in Indien landet, versteht plötzlich jeder, wie wertvoll gute Beratung ist.

Die Beschwerden, die in der Öffentlichkeit aufgeschlagen sind, auch in Diskussionsrunden, an denen ich teilgenommen habe, betrafen in aller Regel vermeintlich günstige Bankangebote. In der Krise zeigt sich die Wertigkeit von Qualitätsberatung. Und die spricht eindeutig für das Hausbankprinzip.

Erwarten Sie, dass diese Erkenntnis auch nach der Krise noch nachwirkt?

Ja. Schon nach der Finanzkrise war ganz stark zu beobachten, dass die Sparkassen Marktanteile hinzugewonnen haben. Und genau das ist auch jetzt wieder der Fall. Die Sparkassen haben den größten Marktanteil. Üblicherweise wird der Marktführer vom Wettbewerb "gejagt", sodass der Marktanteil eher kleiner wird. Das sehen wir jedoch nicht. Der Marktanteil ist seit Jahren stabil.

Auf der langen Zeitachse geraten Erfahrungen aus der Krise natürlich ein Stück weit in Vergessenheit, aber eben nicht vollständig. Der Tübinger Impfstoff-Pionier Ingmar Hoerr von Curevac ist ein Musterbeispiel eines Unternehmensgründers, der in aller Deutlichkeit sagt: Ohne das Engagement der Sparkasse gäbe es uns heute nicht.

Wie wirkt sich die Krise auf das Thema Unternehmensnachfolge aus? Steigt dadurch die Anzahl der Unternehmer, die die Zwangsschließung ihres Unternehmens dazu nutzen, auszusteigen und nicht wieder zu öffnen?

Das können wir nicht beobachten. Natürlich ist das Thema Unternehmensnachfolge die Achillesferse des Mittelstands. Ich sehe hier jedoch keine Verschärfung aufgrund der Pandemie.

Die befürchtete Insolvenzwelle ist im vergangenen Jahr ausgeblieben. Welche Entwicklung zeichnet sich aktuell ab?

Im Herbst 2020 war ich optimistischer. Durch die dritte Welle der Pandemie und mit jedem weiteren Tag Lockdown wird es für viele Unternehmen schwieriger. Damit steigt natürlich auch die Insolvenzgefahr. Wir richten uns für 2021 und 2022 auf eher schwierige Jahre ein.

Das Jahr 2020 war auch von einem Einlagenboom geprägt. Wie stark hat dabei die Pandemie eine Rolle gespielt?

Es stimmt, 2020 hatten die Sparkassen in Baden-Württemberg den größten Einlagenzuwachs in ihrer Geschichte. Dafür war sicher die Pandemie die Hauptursache. Zum einen sind Krisenzeiten immer Zeiten, in denen stärker gespart wird. Das war auch im vergangenen Jahr der Fall. Zum anderen hatten viele Menschen schlicht kaum Gelegen heit, das Geld auszugeben, und haben deshalb ihr Geld geparkt.

Wenn sich die Konsumzurückhaltung der Verbraucher nach der Krise wieder löst, können sich daraus Impulse ergeben, die die Wirtschaft dringend braucht, gerade in den Bereichen Handel, Gastronomie und Touristik.

Auch Unternehmen haben 2020 Ein lagen gesteigert. Ist das ein gutes Zeichen oder ein Indiz für einen Investitionsstau?

Es ist beides. Teilweise ist es Liquiditätsvorhaltung aus dem Vorsichtsprinzip heraus und insofern in Ordnung. Der negative Aspekt ist eine gewisse Investitionsverzögerung aufgrund der derzeitigen Unsicherheit.

Wie viele der Sparkassen in Baden-Württemberg erheben inzwischen Verwahrentgelte von ihren Kunden?

Bei den Bestandskunden geht das nur nach Vereinbarung. Bei Neukunden fangen einige Institute bei 100 000 Euro an, einige erst bei 500 000 Euro.

Helfen Verwahrentgelte, die nur ab hohen Beträgen und nur für Neukunden berechnet werden, den Sparkassen überhaupt? Oder sind das lediglich "Abwehrkonditionen"?

Klar ist, dass damit keine großen Erträge erzielt werden. Ich bin sehr unglücklich darüber, dass wir diese Diskussion überhaupt führen müssen. Wir heißen "Spar Kassen" und sind vor 200 Jahren dafür gegründet worden, Ersparnisse sicher aufzubewahren. Das ist auch heute ein Wesensbestandteil von Sparkassen. Durch die aktuelle Diskussion fühlen wir uns regelrecht auf den Kopf gestellt. Bis vor kurzem haben die meisten Kreditinstitute noch intensiv für Einlagen geworben. Jetzt wird das Geschäftsmodell auf den Kopf gestellt.

Durch die Geldpolitik ist Geld zur heißen Kartoffel geworden. Im Prinzip ist doch jeder auf der Flucht vor Geld - ein völlig abnormer Zustand.

Als Ausweg werden jetzt Wertpapiere empfohlen - und das auf dem aktuell hohen Dax-Niveau. Da zeichnen sich schon die nächsten Probleme ab, wenn die Kurse wieder sinken.

Die Umsteuerung in Richtung Wertpapiergeschäft sehen Sie kritisch?

Auf der einen Seite sind Wertpapiere eine Sachanlage und eine gesunde Wertpapierkultur ist etwas Gutes. Aber aktuell ist der Normalsparer mit seinem Geld quasi auf der Flucht. Deshalb investiert er zum Teil in Immobilien, wo es bereits einige Blasenerscheinungen gibt, und ihm werden Wertpapiere empfohlen.

Viele Sparer haben jedoch nicht das Potenzial, um dauerhaft mit einem eigenen Depot in Wertpapiere zu investieren. Im Durchschnitt hat ein Sparkassenkunde ein Depot mit 9 000 bis 10 000 Euro. Mit solchen Beständen wird es schwierig, bei allen Aufs und Abs und den anfallenden Gebühren dauerhaft die Nulllinie zu schlagen. Auf der aktuellen Höhe des Dax ist die Gefahr eines Rückschlags natürlich umso höher. Deshalb ist es eine durch die Geldpolitik hervorgerufene Fehlleitung, wenn wir Menschen, die bisher mit ihrem Sparbuch glücklich waren, jetzt Wertpapiere empfehlen. Das wird ihrer Erwartungshaltung oft nicht gerecht.

Droht das zum Imagerisiko für die Sparkassen zu werden, wenn in den Depots Verluste sichtbar werden?

Es gibt Produkte, die eine Absicherung nach unten bieten. Aber das begrenzt natürlich auch die Renditechancen. Beides geht nicht zusammen: die Teilhabe am Wertpapiermarkt mit Entwicklungen nach oben, aber bitte ohne Risiko. Das gibt es nicht und das müssen wir den Kunden sehr deutlich sagen.

Im Übrigen sollte das auch die Politik betonen. Die Aufforderung zu mehr Wertpapiersparen als Antwort auf Kritik an der Geldpolitik, ohne die Risiken zu benennen, ist allzu wohlfeil. Das finde ich nicht in Ordnung.

Der Gemütszustand der meisten Sparer ist ein ganz anderer: Sie wollen Sicherung ihres Vermögens und keinen Vermögensverlust. Das ist ein berechtigter Anspruch. Und sie wollen keine Risiken haben und ruhig schlafen. Das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Diskussion um die Abschaffung der Garantien in der Altersvorsorge, sei es nun in der privaten Altersvorsorge, bei Riester oder auch dem Sozialpartnermodell in der bAV?

Die garantierte Altersvorsorge wird durch die aktuelle Geldpolitik kaputt gemacht. Das ist gesellschaftspolitisch eine fatale Entwicklung. Hier muss man den Menschen in aller Deutlichkeit sagen, dass sie gegen die Erosion ihres Geldes, die die Negativzinssituation mit sich bringt, ansparen müssen.

Immer mehr Kreditinstitute arbeiten mit Zinsplattformen zusammen, um Sparern in Zeiten von Negativzinsen eine Alternative bieten zu können. Ist das auch für die Sparkassen in Baden-Württemberg ein Thema?

Im Wettbewerb werden wir damit natürlich konfrontiert. Ich warne die Institute jedoch, mit diesen Plattformen unbesehen zusammenzuarbeiten, weil es Lockvogelangebote sind. Denn mit allem, was da an Zinsen im positiven Bereich steht, ist ein höheres Risiko verbunden. Die Insolvenz der Greensill Bank ist ein Beispiel dafür.

Sind die Plattformen also eine Einladung zum Missbrauch der Einlagensicherung?

Natürlich werben auch weniger seriöse Banken mit der Einlagensicherung. Und das würde erst richtige Urstände feiern, wenn die Einlagensicherung europäisch vergemeinschaftet wäre. Die Banken mit Lockvogelangeboten würden sich freuen, wenn in die Sicherungsgemeinschaft gute Bonitäten wie die der deutschen Verbünde und der Mehrzahl der deutschen privaten Banken kommen würden. Das wäre das ideale Umfeld für schwarze Schafe mit riskanteren Geschäftsmodellen. Aber ich habe keine Lust darauf, diese Geschäftsmodelle mit dem Geld der deutschen Sparerinnen und Sparer zu füttern.

Deshalb bin ich nach der Erfahrung mit Greensill noch viel entschiedener als zuvor gegen die europäische Vergemeinschaftung der Sicherungssysteme. Der Weg muss ein ganz anderer sein: Wir brauchen kleinteilige Sicherungssysteme wie die der Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die sehr viel besser überschaubar und kontrollierbar sind. Hier gewinnt man Stabilität.

Wie wird die Pandemie-Erfahrung sich Ihrer Meinung nach auf diese Entwicklung auswirken?

Das ist eine spannende Frage. In der Corona-Impfstoff-Beschaffung hat sich ja gezeigt, dass diejenigen Länder, die national agiert haben, sehr viel besser dastehen, als diejenigen, die sich auf eine europäische Lösung verlassen haben.

Bei manchen Themen bin ich sehr dafür, sie europäisch zu regeln. Aber es gibt andere Themen, die national gelöst werden müssen. Dazu gehört für mich auch die Fiskalpolitik und auch das Sicherungssystem, das ich - zumal in der aktuellen Situation - keinesfalls europäisieren würde.

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