DIGITALE ÖKOSYSTEME

"Das Plattformgeschäft ist für Banken alternativlos" - Interview mit Markus Hamprecht

Dr. Markus Hamprecht, Foto: Accenture

In Europa gibt es im Bankbereich nur ganz wenige Beispiele, wie sich Banken als Plattformen positionieren. Dennoch ist der Aufbau solcher Plattformen unumgänglich, meint Markus Hamprecht. Denn die Bigtechs werden etwa fünf bis zehn Prozent des Marktes abgreifen - und um hier als Partner mit ins Geschäft zu kommen, fehlt europäischen Banken die nötige Größe. Es geht aber nicht allein darum, eigene Plattformen aufzubauen. Sondern ebenso wichtig ist die Vollintegration in realwirtschaftliche Prozesse. Für regionale Institute könnte hier eine Stärke gerade in der Regionalität liegen. Die Integration bei überregionalen Partnern ist Sache des Verbunds. Red. 

Wie kommt es dazu, dass auch bei Finanzprodukten Plattformen eine immer größere Bedeutung gewinnen?

Wir sehen folgende Trends, die zu Plattformen bei Banken führen: Die Kunden sind zunehmend bequem. Sie suchen einen möglichst integrierten, keinen getrennten Service. Das geht so weit, dass selbst Kredite weniger nach Konditionen oder anderen Kriterien ausgesucht werden, sondern primär nach der Einfachheit des Zugangs.

Im Grunde gibt es kein Finanzprodukt, das ein Kunde haben möchte, sondern es geht immer um ein Produkt der Realwirtschaft. Das gilt nicht nur für den Finanzierungsbereich, sondern auch für die Vermögensbildung. Dies wird zu Wettbewerbsvorteilen für Plattformen führen, in die Finanzdienstleistungen vollständig integriert sind.

Punkt zwei: Die Hausbank als umfassender Anbieter von Finanzdienstleistungen hat ausgedient. Durch die Digitalisierung sind sehr spezialisierte Anbieter auf den Markt gekommen, die spezifische Finanzdienstleistungen mit dem besten Zugang und der besten Qualität anbieten. Zudem hat die Wechselhäufigkeit der Kunden stark zugenommen, da heute fast jede Bank innerhalb von wenigen Minuten die Eröffnung eines neuen Kontos ermöglicht.

Wir haben uns auch in anderen Bereichen daran gewöhnt für jedes Bedürfnis genau "die eine App" herunterzuladen. Kunden werden also zunehmend für jedes einzelne Finanzdienstleistungsbedürfnis einen spezifischen digitalen Service kaufen und somit häufiger die Bank wechseln.

Auch deshalb muss man in Ökosystemen im Sinne branchenübergreifender Partnerschaften denken oder in Plattformen, die einen Rundum-Service aus einer Hand anbieten und sowohl eigene Angebote als auch die von Partnern umfassen.

Erste Ökosysteme und Plattformen entstehen bereits. Aktuelle Beispiele finden sich vor allem auf dem chinesischen Markt. Auf Wechat beispielsweise kann man mit Wechat Pay als digitaler Geldbörse einkaufen und bezahlen. Integriert in Wechat sind außerdem der Online-Vermögensverwaltungsservice Licaitong, die digitale Bank Webank sowie Wechat-Mini-Programme, über die Kunden innerhalb der App mit anderen Unternehmen in Kontakt treten können. Der Bequemlichkeitsgedanke wird hier also konsequent umgesetzt. Der Nutzer braucht nur noch eine App. Plattformen wie diese kommen bereits nach Deutschland und Europa.

Was wären gute Beispiele aus dem Bankbereich?

In Europa gibt es noch ganz wenige Beispiele aus dem Bankbereich. Die ING baut in ihrem Heimatmarkt ein Ökosystemgeschäft zur Erhöhung der Provisionseinnahmen auf. Sie integriert dabei Captives und externe Finanzdienstleister in ihr Ökosystem, wie zum Beispiel Versicherungen der Axa oder Kooperationen, wie mit dem Robo Advisor Scalable in Deutschland. Die Bank verspricht sich von diesem Vor gehen laut Investors-Relations-Daten ein Provisionswachstum von fünf bis zehn Prozent. Ich glaube, das ist der Ansatz, der am weitesten gediehen ist.

In Deutschland hat die ING, neben Scalable, Kooperationen mit Fincompare, Easyfolio, Gini und anderen Fintechs. Die Deutsche Bank baut mit Blueport eine Plattform für Geschäftskunden auf, auch mit Kooperationen.

Das zeigt: Die Grenzen lösen sich immer mehr auf. Dieser Trend wird sich auch in Deutschland fortsetzen. Banken mit Vollsortiment sehen sich nicht nur der Fintech-Konkurrenz ausgesetzt, sondern auch dem Wettbewerb aus dem Bankensektor, der sich auf spezifische Dienstleistungen oder Produkte spezialisiert.

Ein weiterer Bereich, in dem ich Plattformwettbewerb sehe, sind die Bigtechs, die man nicht unterschätzen sollte. Das ist auch ein besonders gutes Beispiel für Kooperationen: Goldman Sachs gibt die Apple Card aus und hat unlängst verkündet, Kredite an Amazon-Händler in den USA vergeben zu wollen. So werden oligopolartige Strukturen aufgebaut - und zwar nicht unter dem Namen der Bank, sondern unter dem des Partners. Das Plattformgeschäft ist deshalb für Banken alternativlos. Hier kann es in den meisten Fällen aber nur einen oder wenige Partner geben.

Welche Chancen haben Banken in diesem Umfeld überhaupt - wenn einerseits die Kunden immer bequemer werden und andererseits die Bigtechs immer weiter ins Bankgeschäft vordringen...

Kunden möchten den Service möglichst gut auf sich zugeschnitten haben. Junge Kunden schauen immer weniger auf die Konditionen, sondern vor allem auf die Bequemlichkeit. Natürlich bricht Banken durch Bigtechs ein Teil ihres Marktes weg. Im Rest des Marktes können sie aber aufgrund des Trends zu spezifischen Funktionen ihr eigenes Ökosystem bauen.

Das heißt: Entweder man ist als Partner bei den Bigtechs dabei oder man baut Ökosysteme und öffnet sich für Dritte. Für Institute der Größe, wie sie in Deutschland und Europa vorherrschen, ist der Aufbau von Ökosystemen entscheidend. Sie sind im Zweifel nicht groß genug, um der dominante Partner einer Bigtech-Plattform zu sein. Deshalb halte ich für sie die Ökosystem-Aktivität für unumgänglich.

Dabei geht es nicht darum, alles selbst zu bauen, sondern sich mit Anbietern zu verbinden, die jeweils für ein spezifisches Angebot besonders gut passen. Der Datenaustausch ist durch PSD2 bereits möglich. Diejenigen Banken, die sich dieses Thema annehmen, werden dann auch die Chance haben, ihre Provisionserlöse zu steigern.

Welchen Anteil des Marktes können die Bigtechs denn abgreifen?

Wichtig ist zu verstehen, dass die Bigtechs ihre Finanzdienstleistungsaktivitäten oft als integrierten Teil ihres Hauptgeschäfts starten. Beispielsweise ist den vielen Kleinsthändlern auf Amazon der Finanzierungsmarkt gar nicht oder schwer zugänglich. An sie richten sich die neuen Kreditangebote. Da Amazon Einblick in die Geschäftsentwicklung hat, ist die Kreditvergabe vergleichsweise risikolos.

Insgesamt schöpfen die Bigtechs vielleicht fünf bis zehn Prozent des Marktes ab. Aber sie greifen profitable Geschäftsfelder an. Dagegen müssen sich Banken durch den Aufbau von Ökosystemen mit Drittanbietern absichern.

Volkswirtschaftlich nennt man so etwas Streckendörfer. Mathematisch lässt sich nachweisen, dass mehr Angebot und Auswahl zu mehr Umsatz führen. Das wird man auch in den Ökosystemen sehen, die für Drittanbieter geöffnet werden.

Damit verbunden ist ein anderer Aspekt: Als klassische Bank muss man seine Produkte nicht mehr als Produktfamilie sehen, sondern als Einzelprodukte denken, die im Wettbewerb mit spezialisierten digitalen Marktteilnehmern stehen. Immobilienkredite beispielsweise sind dann nicht wie bisher als Teil des eigenen Produktportfolios zu betrachten. Sie müssen neu gedacht werden, zum Beispiel als eigenständige App. Dabei sollte es das Ziel sein, den am einfachsten abschließbaren Immobilienkredit der Bundesrepublik anzubieten. Das heißt: Leistungen, die eine Bank als ihre strategische Stärke sieht, müssen als eigenständiges Produkt gedacht werden, das dem Kunden die beste digitale Nutzererfahrung im Wettbewerb liefert.

Sind Banken bei vielen Dienstleistungen aber nicht automatisch im Nachteil gegenüber Plattformen aus dem Nicht-Finanzbereich, wenn diese ergänzende Finanzdienstleistungen anbieten - beispielsweise die Finanzierung zum Produkt?

Die Kunst wird darin bestehen, die eigenen Finanzdienstleistungen in den realwirtschaftlichen Vorgang einzubeziehen. Zum Beispiel bietet die spanische Bank BBVA vorab genehmigte Kredite an, die Händler in ihren Kaufprozess integrieren können. Damit können Kunden dieser Bank auf der entsprechenden Website des Händlers automatisch einen Kredit in Anspruch nehmen. So positioniert man sich gleichzeitig beim Privatkunden wie bei den Firmenkunden. Zu solchen Angeboten muss die Branche mit der Vollintegration kommen.

Es wird also zwei Arten von Ökosystemen geben: Ökosysteme auf der Seite der Bank oder Allianzen, bei denen die Dienstleistung der Bank direkt in ein anderes Angebot voll integriert wird. Damit meine ich nicht, dass mit einem Link auf die Bankdienstleistung übergeleitet wird. Sondern die Finanzdienstleistung muss direkt in den Prozess des jeweiligen Partners integriert sein und damit zum Teil auch unsichtbar werden. Dann gibt es einen echten Mehrwert auf allen Seiten. Vermutlich fehlt hier noch etwas die Fantasie. Aber da werden sich eine Reihe von Möglichkeiten auftun.

Um das zu erreichen, werden Banken sich natürlich verändern müssen. Künftig werden Kreditinstitute vermutlich sehr viel größere Allianz-Abteilungen haben als bisher, weil sie gemeinsam mit ihren Firmenkunden neue Dienstleistungen und Produkte entwickeln müssen. Ziel muss es dabei sein, nicht nur zwei oder drei Partnerschaften aufzubauen, sondern sich möglichst breit zu integrieren.

Ist das auch eine Perspektive für regionale Banken?

Es kommt darauf an, wie die Sektoren das leben. Wenn es gelingt, das, was der Sektor an digitalen Angeboten bietet, mit regionaler Stärke zu kombinieren, kann das sogar ein Vorteil sein. Insofern sehe ich für Sparkassen und Genossenschaftsbanken kein Problem. Die Voraussetzungen sind jedenfalls gegeben. Die Zusammenarbeit mit überregionalen Partnern geht natürlich nur im Verbund. Die eigentliche Stärke liegt allerdings im Regionalen.

Welches Modell ist erfolgversprechender: die Bank-Plattform als Ausgangspunkt oder die Vollintegration in die Plattformen von Partnern? Oder müssen Banken generell beides tun?

Sie müssen beide Strategien verfolgen. Das ist alternativlos. Es kommt auch ein Stück weit auf das jeweilige Bankdienstleistungsportfolio an. Beim Konsumentenkredit ist die Vollintegration bei Partnern wichtig. Für die Integration eines Robo Advisors ist die Bankplattform der richtige Ausgangspunkt.

Das ist aber auch keine Option für jede Bank. Denn eine Vollintegration wird es wohl immer nur mit wenigen Kreditinstituten oder sogar nur einem geben...

Das ist so. Natürlich ist das ein Geschäft, das sich oligopolisieren kann. Das ist nicht anders als zum Beispiel bei den von Online-Shops angebotenen Bezahlverfahren. Es wird Wettbewerb geben und es können nicht alle gewinnen.

Das heißt, es kommt jetzt darauf an, schnell zu sein?

In solchen Märkten ist Schnelligkeit entscheidend. Genauso wichtig ist es jedoch, sich agil Neues auszudenken und die Services möglichst bequem zu machen. Es wird auch viele Mikroservices geben, die wir heute noch gar nicht sehen. Darüber muss die Branche nachdenken.

Banken versuchen jetzt zunehmend wieder, bankfremde Services anzubieten. Würden Sie das auch als zielführend ansehen?

Das sind alles gerechtfertigte Versuche, wenn man sie schnell abändert, falls sie nicht funktionieren. In jedem Fall führt das zu stärkerer Kundenbindung. Die entscheidende Frage ist, wie geschickt das betreffende Angebot gemacht ist. Medienbrüche sind dabei tabu.

Auch sollte es in Richtung Vollintegration gehen. Vor allem regional können solche Angebote funktionieren. Man sollte aber nicht dabei stehen bleiben, Kunden bei bestimmten Partnern einen kleinen Preisnachlass anzubieten. Der Kreativität dürfen in einer agilen Welt keine Grenzen gesetzt sein.

Wie groß ist das Zeitfenster für die Banken, sich entsprechend zu positionieren?

Ich denke, dass die Branche sich in den nächsten zwei bis drei Jahren für die Plattformökonomie aufstellen muss. Selbst regionale Anbieter brauchen keine ganze Palette von Partnern - im Gegenteil. Je kleinteiliger die Unternehmen sind, umso häufiger werden sie sich auf nur einen Finanzdienstleistungspartner beschränken.

Für Banken, die langsamer sind, ist es ein Lichtblick, dass die Wechselhäufigkeit stetig steigt. Das wiederum heißt auch für diejenigen, die schnell sind: Sie müssen kontinuierlich einen Strom neuer Ideen entwickeln. Das macht viel Arbeit, stellt aber auch eine Chance dar.

Dr. Markus Hamprecht, Geschäftsführer Client Group Lead - Financial Services DACH, Accenture Holding, Hamburg
Linkedin

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X