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"Die Politik und die Fintech-Branche - Erfahrungen aus dem Fintech-Rat" Interview mit Chris Bartz

Chris Bartz, Foto: Elinvar

Deutsche Fintechs werden häufiger übernommen, als dass sie selbst internationale Player akquirieren. Das liegt nach Einschätzung von Chris Bartz an der Regulierungsarbitrage zulasten deutscher Unternehmen. Hier sieht er eine wichtige Aufgabe für die Politik. Sein Grundsatz dabei: Europäische Einheitlichkeit ist besser als nationales Gold-Plating. Bei der Weiterentwicklung der Regulatorik, so Bartz, kann und sollte Deutschland Impulsgeber für Europa sein. Zudem fordert er den Einklang von inhaltlicher und regulatorischer Verantwortung. Gleiche Regeln für alle hieße dann auch: Für Finanzdaten sollen keine anderen Regeln als für andere Daten gelten. Red.

Herr Bartz, Sie waren in der vergangenen Legislaturperiode Vorsitzender des Fintech-Rats. Welches Fazit ziehen Sie aus dieser Arbeit? Hat sich der Fintech-Rat bewährt?

Ja, eindeutig. Es gab in der vergangenen Legislaturperiode einen sehr intensiven, fruchtbaren Austausch mit dem Bundesministerium der Finanzen. Hier zeigt sich, dass die Relevanz von Digitalisierung und Technologie für die (Finanz-)Wirtschaft voll in der Politik angekommen ist.

Das Ministerium unter Olaf Scholz und mit Staatssekretär Jörg Kukies und seinem Team als direkter Schnittstelle des Fintech-Rats hat wichtige Impulse gesetzt, um den Finanztechnologiestandort Deutschland und im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft auch den Standort Europa zu stärken und zukunftsfähig aufzustellen. Beispiele sind die Förderung von technologischer Expertise in Geschäftsführungen regulierter Finanzdienstleister, die Etablierung eines verlässlichen regulatorischen Rahmens für Kryptoverwahrung und, im europäischen Regulierungskontext, Initiativen für klare Standards in der Cloud-Regulierung.

Klar ist aber auch: Es bleibt viel zu tun. So sind beispielsweise die regulatorischen Rahmenbedingungen in ihrem Kern weiterhin auf traditionelle Prozesse und Strukturen ausgerichtet - während de facto die Leistungserstellung zunehmend in fragmentierten Wertschöpfungsketten und im Ökosystem erfolgt. Das klare Bekenntnis zu Deutschland als führendem Standort für Fintech im Koalitionsvertrag der Ampel ist das richtige Signal, die nächste Legislaturperiode wird entscheidend für unsere globale Wettbewerbsfähigkeit in diesem Bereich.

Wo steht Deutschland heute als Fintech-Standort im Vergleich zu anderen Märkten?

Die Findungsphase im Fintech-Kontext nähert sich ihrem Ende, in einigen Bereichen ist sie bereits abgeschlossen. Der Fokus liegt jetzt auf Skalierung und teilweise bereits Konsolidierung: Das zeigen auch erste größere Übernahmen, etwa im Payment-Bereich.

Im Vergleich zu anderen Märkten ist Deutschland weiter einer der führenden Standorte, was Neugründungen und Finanzierungsvolumina betrifft. Leider können wir dieses Wettbewerbslevel nicht halten, wenn es in die späteren Wachstumsphasen geht. Hier werden deutsche Fintechs leider öfter übernommen, als dass sie internationale Player akquirieren.

Dabei haben Europa und Deutschland zahlreiche Voraussetzungen, um im globalen Wettbewerb eine maßgebliche Rolle zu spielen: Eine reiche Finanztradition, sehr guten Zugang zu Talenten mit Finanzexpertise und einen der global größten Märkte für Finanzdienstleister in Bezug auf Kerngrößen wie Geschäfts- und Transaktionsvolumina. Dazu kommt eine enorme Reputation bezüglich Vertrauenswürdigkeit, Sicherheit und Datenschutz. Wenn wir zusammenarbeiten, haben europäische Standards globale Relevanz. Diese Potenziale sollten wir voll ausschöpfen.

Stattdessen sehen wir in der Praxis bei Beispielen wie digitalen Identitäten, Cloud und Datenschutz noch immer unterschiedliche Handhabungen. In Kernbereichen der Digitalisierung, wie der Anwendung der DSGVO, werden wesentliche Einzelentscheidungen bis hinunter auf die föderale Ebene delegiert. So wird echte Verlässlichkeit ausgehebelt und stattdessen zur Regulierungsarbitrage eingeladen - typischerweise zum Nachteil von Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Wohlgemerkt nicht durch den Datenschutz an sich, sondern durch auseinanderklaffende Interpretationen. Unser Ziel müssen verlässliche Standards in einem einheitlichen europäischen Markt sein.

Warum sind deutsche Fintechs so häufig Übernahmeziele, anstatt selbst andere zu übernehmen?

Ja, eine wichtige Frage. Leider gibt es keine einfache Antwort, sondern eine ganze Palette an Grautönen. Ziel des Fintech-Rats ist es, hilfreiche Faktoren zu identifizieren und so die Wahrscheinlichkeit zu optimieren, dass Deutschland in eine gute Position kommt.

Es gibt in Deutschland viel Gründergeist, Talent und hervorragende Ideen. Der Erfolg zeigt sich auch an der zunehmenden Anzahl an "Unicorns", sprich Gründungen, die mittlerweile jeweils über eine Milliarde Euro Unternehmenswert geschaffen haben. In der letzten Legislaturperiode wurden zudem einige wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht, ganz maßgeblich zu nennen der Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien aka "Zukunftsfonds", den der Bund mit 10 Milliarden Euro unterstützt.

Mangelndes einheimisches Wagniskapital war in der Vergangenheit ein limitierender Faktor. Größter Stellhebel aus Sicht der Politik bleibt es, die notwendigen Voraussetzungen für Wachstum zu schaffen: Digitalisierung und Skalierbarkeit beeinflussen sich wechselseitig massiv. Daher muss die deutsche und die europäische Politik beides ermöglichen, um einen gemeinsamen, starken und homogenen Heimatmarkt für innovative digitale Dienstleistungen zu erschaffen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu sichern.

Im abschließenden Positionspapier hat der Fintech-Rat festgehalten, dass die Anforderungen eines modernen Finanz-Ökosystems mit fragmentierten Wertschöpfungsketten sowie dem Anspruch skalierbarer, komplett digitaler Prozesse inklusive Nutzung digitaler Identitäten bisher regulatorisch nur unzureichend abgebildet werden. Gilt das europaweit - oder betrifft es Deutschland in besonderem Maße?

Das sind in der Tat europaweite Herausforderungen, die auf europäischer Ebene einheitlich zu lösen sind. Digitale Souveränität entsteht vor allem durch marktwirtschaftlichen Erfolg europäischer Anbieter. Sie braucht Rahmenbedingungen, die auf Skalierung statt auf Abschottung abzielen.

Wir benötigen europaweit eine klare, eindeutige Regulatorik, die auf moderne, digitale Geschäftsmodelle ausgerichtet ist. In unserer Fintech Roadmap Europe haben wir als Fintech-Rat wesentliche Handlungsfelder mit konkreten Beispielen publiziert: Es gilt gerade innerhalb der EU, Hindernisse für grenz überschreitende Aktivitäten zu be seitigen, etwa IBAN-Diskriminierung, unzureichende Harmonisierung in der Regulierung oder Lücken im Passporting-System.

Als größte Volkswirtschaft hat Deutschland in Europa eine wichtige Rolle und Vorbildfunktion und kann entscheidend dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Beispielsweise, indem wir das Grundprinzip etablieren, dass europäische Standards zügig und unverändert umgesetzt werden.

Verlässliche europäische Einheitlichkeit ist besser als nationales Gold Plating in der Regulierung. Dazu zwei Beispiele: Die Größe von Containern folgt klaren und weltweit einheitlichen Standards. Das ist die Voraussetzung für die internationale Normierung von Schiffen und Zügen, ganze Hafenanlagen sind darauf ausgerichtet. Diese verlässliche Standardisierung hat Skalierbarkeit und den Logistik-Boom erst ermöglicht. Wenn nun eine Partei in bester Absicht die Abmessung der eigenen Container verändert, funktioniert das ganze System nicht mehr. Oder überlegen Sie, wie lästig es ist, bei internationalen Reisen selbst für Steckdosen Adapter zu brauchen, weil die Systeme national unterschiedlich sind. Bei Steckdosen mag es noch möglich sein, fünf Adapter für fünf Länder mitzuführen - bei Geschäftsmodellen ist das Problem exponentiell komplexer.

Die europäische Harmonisierung ist also eine zentrale Voraussetzung, damit Geschäftsmodelle skalieren können. Das bedeutet nicht, nationale Interessen pauschal aufzugeben. Aber es führt zur Notwendigkeit, diese in Verhandlungen einzubringen und Kompromisse zu finden, die dann europaweit einheitlich umgesetzt werden.

Welche Herausforderungen sind noch nicht gelöst?

Ich finde es erfreulich, dass wir Menschen uns immer neue Ziele setzen und es immer neue Herausforderungen gibt. Kurzfristig entscheidend sind dabei vor allem die richtigen Prioritäten.

Bezogen auf Fintech drängt auf jeden Fall die Weiterentwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen entsprechend den Anforderungen eines modernen Ökosystems, wie sie der Fintech-Rat beispielsweise in Cloud-Whitepaper ausgeführt hat. Im modernen Finanz-Ökosystem kooperieren zahlreiche Akteure entlang der Wertschöpfungskette. Das erfordert eine Anpassung der bisherigen regulatorischen Praxis hin zu einem Gleichklang zwischen inhaltlicher und regulatorischer Verantwortung. Das heißt, wir müssen von der bisherigen institutsorientierten Regulierung hin zu Lösungen gelangen, die die Vorteile von Ökosystemen unterstützen.

Erstens sollte die regulatorische Verantwortung jeweils bei demjenigen liegen, der die entsprechenden fachlichen Leistungen erbringt.

Zweitens muss die Transparenz über Schnittstellen gewährleistet werden - verbunden mit klaren Anforderungen an die Gestaltung dieser Schnittstellen. DORA kann als europäische Regulierung in diesem Kontext wichtige Impulse in die richtige Richtung setzen.

Daneben bringen die Themen Nachhaltigkeit und ESG neue Herausforderungen, aber auch große Chancen mit sich. Hier, ebenso wie im Bereich Blockchain-Technologie und Token-Ökonomie, haben wir noch die Möglichkeit, im globalen Vergleich vor die Wettbewerbskurve zu gelangen. Diese Chancen sollten wir dringend ergreifen, wenn wir es ernst meinen mit dem Anspruch, selbst international Standards zu setzen, statt sie nur von anderen zu übernehmen.

Inwieweit kann nationale Gesetzgebung die Anforderungen digitaler Ökosysteme überhaupt lösen? Braucht es dafür nicht einen europäischen Ansatz?

Natürlich muss der Finanzplatz Deutschland klar im europäischen Kontext gesehen werden, daher sind die entscheidenden Themen regelmäßig auf europäischer Ebene angesiedelt. Wie skizziert, spielt Deutschland aber eine entscheidende Rolle für den europäischen Erfolg. Im Kern geht es um Best Practice statt Gold Plating. Das bedeutet auch nicht, dass wir immer auf Europa warten sollten. Deutschland kann und sollte Vorreiter und Impulsgeber sein. Indem wir bei neuen Themen auf nationaler Ebene - idealerweise gemeinsam mit anderen Ländern - erfolgreiche Pilotprojekte im Sinne eines Minimum Viable Products schaffen, die anschließend in den weiteren Ländern Europas zur Adaption einladen, können wir Dynamiken für den gesamten europäischen Markt erzeugen.

Und die Politik auf nationaler, föderaler und lokaler Ebene kann viele Voraussetzungen schaffen, um den gemeinsamen Erfolg zu ermöglichen: etwa durch Innovationsförderung, Vernetzung, digitale Bildung oder attraktive Standorte, um Talente anzulocken und zu halten.

Gibt es in der Regulatorik Gleichstand zwischen Fintechs und Banken? Oder sehen Sie eine der beiden Seiten im Nachteil?

Ich verstehe diese Unterscheidung gar nicht. Auch Banken sind relevante Finanztechnologie-Akteure. Jeder Akteur in der Finanzbranche, der sein Geschäftsmodell digital und damit zukunftsfähig aufstellt, ist mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Wir haben uns im Fintech-Rat immer schon dafür eingesetzt, dass im Finanz- und im Finanztechnologie-Bereich ein einheitliches Level Playing Field besteht, mit vergleichbaren Anforderungen für vergleichbare Akteure. Dabei spielt auch Proportionalität eine Rolle, es sollte also keine unüberwindbaren Eintrittsbarrieren für neue Akteure geben.

Unser Ziel ist es, die Zusammenarbeit im digitalen Ökosystem durch zeitgemäße Regulierung sicher und einfach zu ermöglichen. So können sich alle Beteiligten auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und von der Zusammenarbeit profitieren. Jedes Engagement, das auf die Entwicklung des Ökosystems abzielt, treibt die digitale Transformation der gesamten Branche voran.

Wie sieht es beim "Level Playing Field" im Vergleich mit Bigtechs aus?

Hier stellt sich für mich die Frage, was Level Playing Field im branchenübergreifenden Vergleich überhaupt bedeutet. Es zeigt sich deutlich, dass traditionelle Abgrenzungen zwischen Branchen nicht mehr greifen. Sind branchenübergreifende Akteure im Wettbewerb aktiv, darf keine Regulierungsarbitrage entstehen.

Für ein Level Playing Field muss für alle Marktteilnehmer gelten, dass sie die jeweilige spezifische Regulierung er füllen. Wie im Ökosystem-Kontext beschrieben, braucht es einen Gleichklang zwischen inhaltlicher und regulatorischer Verantwortung. Liefert ein Cloud-Anbieter etwa für die Finanzbranche lediglich die Infrastruktur, sollte die branchenübergreifende Regulierung für kritische Infrastruktur gelten. Es ergibt hier keinen Sinn, vom Cloud-Anbieter die Erfüllung der fachspezifischen Regulierung einzufordern. Wer allerdings fachliche Leistungen erbringt, muss logischerweise auch die fachspezifische Regulierung befolgen.

Gleiches gilt für branchenübergreifende Themen wie die Ausgestaltung der Datenökonomie. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die allen Marktteilnehmern gleiche Chancen ermöglichen. Für mich ist es beispielsweise nicht nachzuvollziehen, wenn für Finanzdaten andere Regeln gelten als für andere Daten. Praktisch heißt das - die Wahrung der Datensouveränität vorausgesetzt - dass ein Kunde nicht nur einem Bigtech auf Basis der PSD2 Zugang zu seinen Kontotransaktionen geben kann, sondern der gleiche Kunde andersherum beispielsweise auch der Bank Zugang zu seinen Mobilitätsdaten geben können sollte. Ziel muss es sein, dass Kunden souverän entscheiden, wem sie welche Daten zugänglich machen, um die besten Lösungen zu erhalten. Hier darf es keine regulatorisch bedingte Einbahnstraße geben.

Erwarten Sie, dass es für die neue Legislaturperiode wieder einen Fintech-Rat geben wird? Oder droht das Gremium als Kind der großen Koalition wieder in der Versenkung zu verschwinden?

Diese Entscheidung obliegt dem Ministerium. Aus meiner persönlichen Sicht hat sich der intensive Austausch in den letzten Jahren für alle Beteiligten bewährt. Im Koalitionsvertrag ist zudem klar ersichtlich, dass das Thema Finanztechnologie auch für die kommende Legislaturperiode und über diese hinaus eine wichtige Rolle spielen wird und daher ein intensiver Austausch weiter sinnvoll ist.

In seinem abschließenden Positionspapier hat der Fintech-Rat einige Impulse für die weitere Ausgestaltung beschrieben. Dazu gehört die Verstetigung des Rates inklusive dezidierter Ressourcen innerhalb des Bundesministeriums der Finanzen, um die Neutralität und die Handlungsfähigkeit des Fintech-Rats in der Beratung dauerhaft sicherzustellen. Inhaltlich sollte zudem der Fokus geschärft werden, mit konkret benannten Schwerpunktthemen im Sinne einer Fintech-Agenda der Regierung, an der sich auch die Auswahl der Mitglieder für die Legislatur ausrichten könnte.

Wo würden Sie für den Fintech-Rat der neuen Legislaturperiode besondere Aufgaben sehen? Was muss eine "Fintech-Agenda" beinhalten?

Da möchte ich dem BMF nicht vorgreifen. Der Fintech-Rat hat in den letzten Jahren eine Reihe von Impulsen geliefert, die weiterhin aktuell sind. Besondere Relevanz haben dabei der Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Tätigkeiten und die technologieneutralen, rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung end-to-end digitaler Prozesse inklusive digitaler Identitäten.

Ebenso wichtig sind die nationalen und europäischen Infrastrukturthemen wie Cloud und Blockchain und die zeitgemäße Regulierung, ausgerichtet an der Leistungserstellung im Ökosystem. Entscheidend bleibt aber der politische Wille - da bin ich Realist und Optimist.

Chris Bartz , CEO & Co-Founder , Elinvar GmbH
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