WERTPAPIERGESCHÄFT

"S Broker und Bevestor ergänzen sich sinnvoll" Interview mit Marcus Brinker und Olaf Heinrich

Dr. Marcus Brinker, Foto: Ramona Laurisch

Als der S Broker vor 20 Jahren an den Start ging, gelang es nicht, die Bedeutung des Brokerage in der Gruppe ausreichend transparent zu machen, räumt Marcus Brinker ein. Noch heute lassen die Sparkassen deshalb hier viel Potenzial liegen. Das sieht bei Bevestor, dem Robo Advisor der Sparkassen, anders aus. Ihn stuft Olaf Heinrich geradezu als Sinnbild für Innovation in der Organisation ein. Unter dem Dach der Deka bilden beide zusammen ein komplementäres Angebot. Ob die S-Finanzgruppe auch ein spezielles Neobrokerage- Angebot braucht, wird derzeit geprüft. Red.

Herr Brinker, seit Oktober 2019 sind Sie Teil des Vorstands beim S Broker. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Marcus Brinker: Ich freue mich, dass ich diese Aufgabe wahrnehmen kann. Der S Broker ist in einer spannenden Zeit und in einem sehr spannenden Markt unterwegs. Wir sind gerade an vielen wichtigen Themen und Projekten dran und haben schon wichtige Schritte getan. Das macht dann natürlich auch Spaß.

Lässt sich der S Broker als Krisengewinner bezeichnen?

Marcus Brinker: Das Wort "Krisengewinner" finde ich angesichts der vielen tragischen menschlichen, aber auch unternehmerischen Einzelschicksale infolge der Corona-Pandemie unpassend. Aber natürlich haben wir davon profitiert, dass sich die Kunden mit ihrer Geldanlage auseinandergesetzt haben. Im vergangenen Jahr haben wir 40 000 neue Depots dazu gewonnen und die Transaktionszahl auf 3,5 Millionen gegenüber 2019 gut verdoppelt. Das Tempo bei den Depoteröffnungen ist inzwischen im Vergleich zu 2020 etwas zurückgegangen. Auch 2021 verzeichnen wir jedoch bereits zwei Millionen Transaktionen. Obwohl sich das Wachstumstempo also etwas normalisiert hat, liegt das Niveau dennoch signifikant höher als vor Corona. Und die Kunden, die während der Pandemie dazu gekommen sind, scheinen sich ernsthaft mit der Materie zu beschäftigen und am Ball zu bleiben.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf das Geschäft der Deka ausgewirkt, Herr Heinrich?

Olaf Heinrich: Das spürbar gestiegene Interesse am Wertpapiersparen hat sich bei uns in einem deutlich höheren Absatz niedergeschlagen. Die Zahl der Sparpläne hat sich beispielweise in den vergangenen fünf Jahren bis Ende 2020 auf rund 6 Millionen verdoppelt. Diese positive Entwicklung hält auch in diesem Jahr weiter an. Da mag Corona eine Ursache sein. Der maßgebliche Treiber der Entwicklung ist aber sicherlich das anhaltende Niedrigzinsumfeld, das eine neue Wertpapierkultur fördert. Aktuell löst das Wertpapiersparen das klassische Sparen ab.

Ist das eine echte Wertpapierkultur oder fußt diese Entwicklung lediglich auf einer gewissen Alternativlosigkeit, weil das klassische Sparen momentan keine Option zu sein scheint?

Olaf Heinrich: Das wird kein kurzfristiger Trend sein. Wir haben heute eine ausgeprägtere Wertpapierkultur. Das hat sich in der Anfangszeit der Corona-Pandemie gezeigt. Unsere Kunden sind investiert ge blieben - wir haben also in dieser Phase keine Kunden verloren, sondern weitere hinzugewonnen.

Marcus Brinker: Gerade die jüngere Zielgruppe, die den Markt neu betreten hat, hat sich mit dem Thema Börse und Wertpapiere intensiv beschäftigt. Dieses Knowhow wird mit dem Ende von Corona nicht verschwinden. Diese Gruppe spricht auch im privaten Kreis mehr über Geld, als das früher der Fall war. Mit Informationsmedien wie zum Beispiel Youtube oder Podcasts nutzen wir auch die Möglichkeiten, den Kunden zu helfen, ein gewisses Know-how aufzubauen und die Chance, diese Kunden von den vielen Vorteilen eines Investments in Wertpapieren - gerade in diesen Zeiten - zu überzeugen.

Das Klischee, welches den Deutschen als "Börsenmuffel" anhängt, wird also jetzt langsam abgelöst?

Olaf Heinrich: Man muss zwischen unterschiedlichen Kundenbedürfnissen differenzieren. Es gibt auf der einen Seite Anleger, die selbst traden wollen. Und auf der anderen Seite gibt es eine Kundengruppe, die bei der Geldanlage professionelle Unterstützung sucht. Diese sucht in der Regel den Kontakt zum Berater, was der Hauptabsatzkanal für Wertpapiere in unserer Organisation ist. Wichtig sind die Verzahnung und Durchlässigkeit der Kanäle.

Marcus Brinker: Selbst bei denjenigen Kunden, die selbst traden wollen, gibt es eine unglaubliche Spannbreite, sowohl was die Aktivität betrifft als auch mit Blick auf die Anforderungen an Produkte oder Serviceleistungen. Es gibt nicht den einen Brokerage- Kunden. Wir haben Sparplankunden, die lediglich einen ETF-Sparplan kostengünstig für die Altersvorsorge abschließen wollen, aber auch Trader, die 10 000 oder 20 000 Transaktionen im Jahr durchführen. In etwa ein Drittel der Kunden bespart neben einem aktiven Depot einen Sparplan.

Wie viele Sparkassen arbeiten denn inzwischen mit dem S Broker?

Marcus Brinker: Wir haben Kunden von allen Sparkassen in Deutschland. Bei der aktiven Zusammenarbeit gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: Für 54 Sparkassen übernehmen wir bei vollständiger Kundenhoheit aufseiten der Sparkasse als Dienstleister das komplette Wertpapiergeschäft mit allen Pflichten über das sogenannte S-Comfort-Depot. Darüber hinaus nutzen 84 Sparkassen aktiv unser tief mit der Sparkasse verzahntes Online- Brokerage, das sogenannte Depot- Plus. Es gibt wiederum andere, die die "klassische Lösung", also das sogenannte Direkt-Depot, nutzen.

Wie viele Sparkassen arbeiten noch immer nicht mit dem S Broker zusammen?

Marcus Brinker: Das ist schwierig zu beantworten, da die Bandbreite bei der Zusammenarbeit so groß ist. Aber natürlich gibt es Sparkassen, die das Thema weniger aktiv betreiben, und andere, die sich bisher noch nicht dazu entschieden haben, das Thema Brokerage auf ihrer Website aktiv zu vermarkten. Hier sind wir als Verbundpartner aufgerufen, dieses Potenzial gemeinsam zu heben.

Als die zentrale Lösung für das Wertpapiergeschäft hat sich der S Broker in der S-Finanzgruppe bis heute offenbar nicht durchgesetzt ...

Marcus Brinker: Auf über 50 Prozent der Sparkassen-Websites findet sich aktuell noch gar nichts zum Thema Brokerage-Depot. Das bedeutet: Wenn Kunden das Produkt suchen und nichts zum Thema Brokerage-Depot auf der Website ihrer Sparkasse finden, googeln sie und landen im Zweifelsfall bei einem Wettbewerber, der zum Beispiel bei den Stichworten "Depot und Aktie" im Suchmaschinen-Ranking weiter oben zu finden ist. Hier hat die S-Finanzgruppe noch einiges an Potenzial.

Olaf Heinrich: Für die Dekabank als Wertpapierhaus der S-Finanzgruppe ist der S Broker Teil ihres Angebots. Der Hauptabsatzkanal für das Wertpapiergeschäft ist nach wie vor das Multikanalangebot der Sparkassen. Das zeigen auch die Zahlen des vergangenen Jahres. Aber es gibt auch den Bedarf für zentrale Angebote. Dafür hat die Dekabank zwei Tochterfirmen, die sich sinnvoll ergänzen: den S Broker für das Kundensegment "digitalaffin und transaktionsstark" - also den klassischen Selbstentscheidermarkt - und Bevestor, der die digitale Vermögensverwaltung abdeckt.

Vor drei, vier Jahren gab es im Robo-Advisor-Markt viel Bewegung. Damals wurde schnell klar, dass die Sparkassen-Finanzgruppe ein entsprechendes Angebot braucht und dass dieses nur zentral gestellt werden kann, weil der Investitionsaufwand und der technische Aufwand immens sind. Wir haben das Thema sehr offen mit einander diskutiert. Deshalb war der notwendige Rückhalt von Anfang an vorhanden. Letztendlich haben wir überzeugt, weil wir bei Ranking-Listen mithalten können. Das Schöne an einer Plattformwelt mit einer agilen Projektkultur: Mit ein bisschen Autarkie können wir relativ schnell mit Innovationen in die Breite gehen. Das ist heute zwingend notwendig, um im Wettbewerb bestehen zu können. Deshalb ist für mich persönlich Bevestor ein Sinnbild für Innovationen in unserer Organisation.

Wenn Bevestor von der Bewegung im Markt der Robo Advisor profitiert hat - lässt sich dann um gekehrt sagen: Der S Broker kam für viele Sparkassen einfach zu früh?

Marcus Brinker: Das würde ich etwas relativieren. Was stimmt: Den S Broker gibt es nun schon seit 20 Jahren und er hatte einen eher schwierigen Start, denken Sie nur an die kurz zuvor geplatzte Dotcom-Blase oder die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. Und es ist uns damals nicht ausreichend gelungen, die Relevanz des Digitalgeschäftes beziehungsweise von Online-Brokerage in der Gruppe transparent zu machen. Heute sieht es mit Hinweis auf die zuvor genannten Zahlen deutlich besser aus.

Auf Sparkasse.de sind das Dekabank-Depot und Bevestor präsent platziert, der S Broker nicht ...

Marcus Brinker: Der S Broker ist auf Sparkasse.de platziert, vielleicht waren wir in der Suche und der Chat-Funktion nicht gleich gut zu finden. Insgesamt stärker und einheitlich in der Gruppe präsent zu sein, ist aber definitiv noch ein wichtiges Thema für den gemeinsamen Vertriebserfolg mit den Sparkassen.

Seit April vergangenen Jahres hat der S Broker rund 120 ETF-Sparpläne ohne Orderentgelt im Angebot. Im Vergleich zum Wettbewerb ist das recht überschaubar. Woran liegt das?

Marcus Brinker: Wir orientieren uns am tatsächlichen Kundennutzen. Es ist aus unserer Sicht nicht zielführend, wenn der Kunde zwar gemäß der Anzahl ein sehr breites Angebot bekommt, aber viele Produkte einander sehr ähnlich sind. Entsprechend bieten wir mit diesen rund 120 ETF-Sparplänen ein überschaubares Kernportfolio an. Darüber hinaus werden wir den Kunden demnächst einen optimierten Sparplanfinder zur Verfügung stellen.

Sparplanfinder haben andere Anbieter schon seit ein paar Jahren im Angebot. Weshalb kommen Sie damit erst jetzt?

Marcus Brinker: Wir kommen aus einer Phase, in der Investitionen maßgeblich in die Infrastruktur gelenkt wurden. Es wurde in den vergangenen Jahren viel Augenmerk darauf gelegt, gemeinsam mit der Finanz Informatik die Kanalverzahnung für Kunden und Sparkassen und auch das Online-Angebot zu verbessern. Darauf aufbauend gilt es nun, die für den Kunden sichtbaren Funktionen zu verbessern.

Dabei gilt es immer zu prüfen, welche aktuellen Entwicklungen für uns adaptierbar sind. Das Thema Usability beispielsweise haben Neobroker auf ein anderes Niveau gehoben, indem sie viel Komplexität reduziert haben. Allerdings geht bei einer 1:1-Umsetzung auch viel von dem verloren, was Kunden bei uns schätzen: von Handelsmöglichkeiten, Orderfunktionen, Zugangswegen, Depotarten, bis hin zu Funktionen der Postbox, Auswertungsmöglichkeiten oder dem Steuerrückerstattungsservice. Dadurch eignet sich unsere App aktuell noch nicht im gleichen Maße für Kunden, die in der U-Bahn stehen und einen schnellen Trade brauchen. Solche Dinge werden wir uns anschauen.

Wären für Sie auch 1-Euro-Sparpläne denkbar, wie es sie beim Wettbewerb gibt?

Olaf Heinrich: Ja, das ist denkbar. Allerdings lässt sich mit dieser Anlagesumme ein Portfolio nur schwer streuen. Deshalb kann so etwas auf Dauer nur ein Einstieg sein. Wir werden aber demnächst bei Bevestor das sogenannte Aufrundungssparen anbieten, bei dem Kleinstbeträge einmal in der Woche vom Kundenkonto in das ETF-Portfolio umgebucht werden, Stichwort: Centsparen. So wollen wir die Hemmschwelle, in Wertpapiere zu investieren, weiter reduzieren.

Marcus Brinker: Hinzu kommt: Im Grunde ist der 1-Euro-Sparplan unserer Einschätzung nach mehr Marketing als tatsächliches Geschäft. Die meisten Kunden fangen eher mit Sparraten ab 25 oder 50 Euro an. Selbst das Segment mit 50 Euro Sparrate ist nicht das Topbesparte. Im Durchschnitt legen unsere Kunden mehr als 100 Euro pro Fonds- oder ETF-Sparplan an.

Misst sich der S Broker eher an den Neobrokern oder doch eher an den einstigen Discount-Brokern?

Marcus Brinker: Ob wir einen guten Job machen, bemisst sich vor allem am Feedback unserer Kooperationssparkassen, für die wir ein leistungsfähiges Online-Brokerage bereitstellen möchten, und dem Feedback unserer Kunden. Aber natürlich: Consors, ING oder Comdirect sind unverändert relevante Mitbewerber.

Unter den Neobrokern ist Trade Republic am stärksten gewachsen. Allerdings ist das Modell Neobroker gar nicht so einfach trennscharf zu definieren, weil jeder dieser Anbieter leicht unterschiedliche Ausrichtungen gewählt hat und der Kunde unabhängig von dieser Kategorisierung aus Sicht unserer Branche ein für sich passendes Angebot sucht. Trotzdem ist es wichtig, diese Entwicklungen zu beobachten und immer zu überlegen, ob es eine Konvergenz der Angebote geben könnte, die zu unseren Kunden und deren Bedürfnissen sowie zu unserer Positionierung passt.

Das Geschäftsmodell der Neobroker setzt auch auf Gamification. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu bewerten?

Marcus Brinker: Niemand sollte dazu verleitet werden, mehr zu tun, als er ursprünglich wollte. Die S-Finanzgruppe steht für solide und langfristige Geldanlagen und nicht für das Thema Zocken, bei dem nach dem Trade auf dem Bildschirm ein kleines Feuerwerk startet. Es sollte jederzeit erkennbar sein, dass mit echtem Geld gehandelt wird. Nichtsdestotrotz muss die Usability so einfach wie möglich für den Kunden gemacht werden. Das ist in gewisser Weise ein Spagat. Wir nehmen das Thema auf jeden Fall ernst und werden uns aktiv damit auseinandersetzen.

Braucht die S-Finanzgruppe ein Neo-Brokerage-Angebot?

Olaf Heinrich: Das werden wir gemeinsam mit dem DSGV und unseren Eigentümern prüfen. Einige der möglichen Inhalte haben wir bereits bei uns im Baukasten.

Wie viel Zeit können Sie sich mit diesen Prüfprozessen lassen?

Olaf Heinrich: Wir sind bereits im Prüfprozess und beschäftigen uns mit den verschiedenen Angeboten. Wichtig ist aber in erster Linie, ein gutes und mit den Sparkassen abgestimmtes Angebot zu stellen, das sich problemlos verlängern lässt.

Ein anderes Thema: Bevestor ist mittlerweile nicht der einzige digitale Vermögensverwalter in der Sparkassenorganisation. Die Sparkasse Bremen hat mit Smavesto ihren eigenen Robo Advisor entwickelt. Läuft die Sparkassen-Finanzgruppe Gefahr, sich im Wertpapiergeschäft zu verzetteln?

Olaf Heinrich: Derzeit arbeiten 326 von insgesamt 376 Sparkassen mit Bevestor zusammen und wir haben rund 120 Millionen Euro Assets under Management. In den letzten Monaten wurden sehr viele Aktivitäten angestoßen, um das Produkt der digitalen Vermögensverwaltung in den Häusern noch aktiver zu positionieren. Die Anzahl der Kunden, die überhaupt einen Robo Advisor nutzen, ist in Deutschland noch sehr überschaubar. Auch bei Bevestor würde ich mir noch mehr wünschen. Potenzial ist jedoch vorhanden, selbst wenn es auch Smavesto zur Auswahl gibt. Interessant könnte eher werden, ob es nicht zu einer generellen Konsolidierung am Markt kommt.

Muss digitale Vermögensverwaltung stärker vermarktet werden?

Olaf Heinrich: Die Bekanntheit der Marke Bevestor ist in den vergangen Jahren stetig gestiegen. Gemeinsam mit den Sparkassen müssen wir die digitale Vermögensverwaltung als weiteren Touchpoint sehen, um Kunden zu halten oder neue zu gewinnen. Gerade in der Altersgruppe der 35- bis 55-Jährigen nutzen Kunden Bevestor aktiv - oft als zusätzliches Investment im Rahmen der Diversifizierungsstrategie. Hier sehen wir aktuell die Hauptklientel.

Und wie sieht es mit der Markenbekanntheit des S Broker aus?

Marcus Brinker: Die Markenbekanntheit ist unbestritten noch ausbaubar, auch wenn das rote "S" der Marke natürlich hilft. Vor allem bei der Zusammenarbeit mit Sparkassen im Vertrieb haben wir definitiv noch Potenzial. Hier geht aus meiner Sicht leider noch zu viel Geschäft an den Sparkassen vorbei.

Marcus Brinker, Mitglied des Vorstands, S Broker AG & Co. KG, Wiesbaden
Dr. Olaf Heinrich, Leiter Digitales Multikanalmanagement, DekaBank Deutsche Girozentrale, Frankfurt am Main

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X