Im Gespräch

"Das Wettbewerbsrecht ermöglicht auch Kooperationen" / Interview mit Andreas Mundt

Andreas Mundt, Präsident, Bundeskartellamt, Bonn Quelle: Bundeskartellamt

Kooperationen zwischen Unternehmen können erheblichen Nutzen bringen. Sie können aber auch den Wettbewerb zulasten offener Märkte beschränken, so Andreas Mundt. Als Beispiele für Nutzen bringende Kooperationen nennt er "Kwitt" und das genossenschaftliche Pendant "Geld senden und empfangen". Die kartellrechtliche Vorprüfung der Kooperation der beiden Verbünde wurde ohne abschließende Bewertung beendet, kann also jederzeit wieder aufgegriffen werden. Kritisch unter die Lupe nehmen wird das Bundeskartellamt auch die Umsetzung der PSD2. Denn die technischen Regulierungsstandards RTS, so Mundt, bergen Missbrauchspotenzial. Red.

In welchem Spannungsfeld stehen Innovation und Wettbewerb?

Innovationen und Wettbewerb hängen oft eng miteinander zusammen. Unternehmen, die in Konkurrenz zueinander stehen, müssen sich etwas einfallen lassen, um Kunden zu gewinnen. Der Innovationswettbewerb und die langfristige Sicherung von Produktvielfalt beziehungsweise Wahlmöglichkeiten der Abnehmer sind in vielen Fällen mindestens genauso bedeutend wie der Schutz kurzfristigen Preiswettbewerbs.

Für uns spielt das in unserer täglichen Arbeit eine große Rolle, beispielsweise in der Fusionskontrolle. So war zum Beispiel bei der Prüfung einer Fusion zweier Dating-Plattformen der Innovationsdruck durch innovative mobile Wettbewerber wie Tinder oder Lovoo ein wichtiger Wettbewerbsimpuls, der gegen eine Vermachtung des Marktes durch die Fusion sprach. Ebenso anerkannt ist, dass zumindest in bereits konzentrierten Bereichen ein Wegfall von Wettbewerbsdruck durch Zusammenschlüsse eher negative Effekte auf Innovationen hat.

Auch bei Kooperationen zwischen Unternehmen müssen wir genau hinsehen: Diese können einerseits erheblichen Nutzen bringen, zum Beispiel wenn sie komplementäre Forschungsansätze zusammenbringen. Auch bei Projekten zum Aufbau von neuen Plattformmodellen für eine verbesserte digitale Vernetzung von Marktteilnehmern - Stichwort: Internet of Things - sind viele effizienzsteigernde Kooperationen mit dem Ziel verbesserter und kostengünstiger Produkte und Produktionsabläufe denkbar.

Andererseits sehen wir Kooperationen kritisch, die mit überschießenden Vereinbarungen und Verhaltensabstimmungen einhergehen und den Wettbewerb zulasten offener Märkte und der Verbraucher nachhaltig beschränken. Es kommt immer auf den genauen Einzelfall an.

Kann zu viel Wettbewerb auch manchmal Innovationen beziehungsweise deren Erfolg verhindern?

Ich denke, der Druck des Wettbewerbs ist grundsätzlich erforderlich, um die Unternehmen zur Entwicklung neuer oder verbesserter Produkte und Technologien anzuspornen. Allerdings muss für innovative Unternehmen in der Tat auch die Aussicht darauf bestehen, durch ihre Innovationen temporär eine erhöhte Marktmacht zu erhalten und durch entsprechend höhere Gewinne für die Anstrengungen und Investitionen belohnt zu werden.

Wie beurteilen Sie die Wettbewerbssituation im Markt für Finanzdienstleistungen, vor allem mit Blick auf Privatkunden in Deutschland?

Den Privatkunden stehen in Deutschland grundsätzlich eine große Anzahl von Banken aus den drei verschiedenen Säulen Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen zur Verfügung. Die Dichte an Filialen oder zum Beispiel auch Geldautomaten ist im europäischen Vergleich nach wie vor hoch. Wie gut allerdings die konkreten Auswahlmöglichkeiten der Kunden vor Ort sind, kann ganz unterschiedlich sein.

Das Bundeskartellamt untersucht daher beispielsweise bei Fusionen auch die Marktsituation in lokalen beziehungsweise regionalen Märkten. Hier kann es durchaus zu Konzentrationen kommen, die die Auswahlmöglichkeiten, gerade auch für Privatkunden, einschränken und bei denen wir dann eine Fusion kritisch sehen würden.

Sind mit der Interchange-Regulierung bei Debit- und Kreditkartenzahlungen, dem Verhandlungsmodell bei den Girocard- und Paydirekt-Konditionen oder dem individuellen Kundenentgelt am Geldautomaten mit Blick auf die Kreditwirtschaft die wichtigsten Baustellen aus Sicht des Kartellamts abgearbeitet?

Mit diesen Verfahren und Entscheidungen wurden tatsächlich wichtige Weichenstellungen getroffen. Der Bereich der Finanzdienstleistun gen ist allerdings ein sehr innovativer Markt, bei dem es immer wieder neue Fragestellungen gibt, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Denken Sie etwa an die mobilen Bezahlsysteme. Wie Sie wissen, hat das Bundeskartellamt zum Beispiel keine kartellrechtlichen Einwände gegen die geplante Einführung einer neuen Zahlungsfunktion beim Internet-Bezahlverfahren Paydirekt erhoben. Denn die Kooperation dürfte die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt für Internet-Bezahlverfahren insgesamt verbessern, da Paydirekt sein Internet-Bezahlverfahren nun um eine mobile Funktion ergänzen kann, die der Marktführer Paypal schon seit geraumer Zeit anbietet.

Bei all diesen Prüfungen stellen sich oft sehr grundsätzliche Fragen: Wie weit können Kooperationen zwischen Wettbewerbern zugelassen werden, die auf die Etablierung eines neuen und innovativen Angebots für die Kunden abzielen? Wie gehen wir mit neuen Anbietern auf dem Markt um, gegenüber denen etablierte Banken Vorbehalte geltend machen, nicht selten auch Sicherheitsbedenken? Wie schützen wir aufkommenden Wettbewerb durch kleine Fintechs?

Der gesamte Finanzdienstleistungssektor befindet sich in einem Wandel, den wir im Hinblick auf kartellrechtliche Fragestellungen - im Austausch mit den anderen Wettbewerbsbehörden in Europa - kontinuierlich begleiten.

Sind Vergleichsportale für den Wettbewerb eher gut oder hinderlich?

Den Vergleichsportalen kommt aus wettbewerblicher Sicht zunächst einmal eine sehr positive Rolle zu. Denn sie können Märkte beleben. Nehmen Sie beispielsweise den Strommarkt: Hier haben die Vergleichsportale einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Liberalisierung des Marktes geleistet.

Damit Verbraucher von der Transparenz durch Vergleichsportale wirklich profitieren und Geld sparen können, ist es aber entscheidend, dass sie im Hinblick auf die Objektivität, die Transparenz und die Zuverlässigkeit der Portale keiner Irreführung unterliegen. Andernfalls werden sie gegebenenfalls zu Entscheidungen veranlasst, die sie bei Vorliegen der fehlenden Informationen so nicht getroffen hätten. Dies kann wiederum den Wettbewerb beeinträchtigen, sodass Wettbewerbs- und Verbraucherschutz hier Hand in Hand gehen. Daher geht das Bundeskartellamt diesen Fragen derzeit mit einer Sektoruntersuchung zu Vergleichsportalen im Internet nach. Wir schauen uns neben den Be reichen Reise, Telekommunikation und Energie auch die Bereiche Versicherungen und Finanzdienstleistungen an.

Wie ist die PSD2 mit dem Kontozugang für Drittanbieter aus kartellrechtlicher Sicht zu bewerten?

Es ist gut, dass im Hinblick auf den Kontozugang für Drittanbieter nun Rechtssicherheit herrscht. Diese Rechtssicherheit wurde zum einen durch die Verabschiedung der PSD2 und ihrer Umsetzung in nationales Recht im Januar 2018 erreicht. Zum anderen konkretisieren die technischen Regulierungsstandards (RTS), die ab dem Herbst 2019 angewendet werden, die Ausgestaltung des Kontozugangs.

Die Regulierungsstandards sehen als eine Möglichkeit für den Kontozugang vor, dass die kontoführenden Institute den anderen Zahlungsdienstleistern eine dedizierte Schnittstelle bereitstellen. Aus kartellrechtlicher Sicht besteht hier ein Missbrauchspotenzial zur Behinderung von Wettbewerbern durch die Banken. Denn diese haben kein eigenes Interesse daran, dem Drittanbieter eine funktionsfähige Schnittstelle zur Verfügung zu stellen.

Die RTS sehen allerdings verschiedene Regelungen und auch sogenannte Notfallmaßnahmen vor, die eine einwandfreie Funktion der dedizierten Schnittstelle sicherstellen sollen. Es wird nun Aufgabe der Aufsichts- und Kartellbehörden sein, diese Normen konsequent anzuwenden und einen diskriminierungsfreien Kontozugang für Drittanbieter auch über die dedizierte Schnittstelle durchzusetzen.

Braucht der Erfolg von Innovationen nicht auch manchmal eine ordentliche Marktmacht, damit sie sich durchsetzen können?

Das glaube ich nicht unbedingt. Eher umgekehrt wird ein Schuh draus: Innovationen tragen häufig dazu bei, im Wettbewerb Boden gut zu machen, vielleicht auch einen gewissen Zuwachs an Marktmacht zu generieren.

Solange diese Stärkung der Marktposition Teil des Leistungswettbewerbs ist, sollte sie in der Regel auch wettbewerbsrechtlich keinen Anlass zur Sorge geben. Gerade diese verbesserte Marktpositionierung ist ja ein wichtiger Anreiz zu Innovationen.

Wie ist das bei den Handy-zu-Handy-Bezahlsystemen? Das ursprünglich geplante gemeinsame Konzept wurde ja mit Blick auf mögliche wettbewerbsrechtliche Bedenken aufgegeben. Jetzt haben sich die Genossenschaftsbanken doch dafür entschieden, Kwitt zu vermarkten? Hat sich hier an der Beurteilung etwas geändert?

Nein. Das Bundeskartellamt hat eine solche Kooperation der beiden Bankengruppen bei den sogenannten P2P-Bezahlverfahren nicht verboten, sondern zunächst nur Rückfragen gestellt. Die Bankengruppen hatten sich dann im Interesse einer schnellen Platzierung ihrer P2P-Verfahren im Markt entschieden, auf ein gemeinsames Produkt zunächst zu verzichten.

Gegen "Kwitt" beziehungsweise "Geld senden und empfangen" hatten wir ohnehin keine Bedenken, da diese Kooperationen auf die jeweilige Bankengruppe beschränkt waren.

Im vergangenen Jahr sind die beiden Institutsgruppen erneut mit einem gemeinsamen Modell an das Bundeskartellamt herangetreten, das auch die potenzielle Interoperabilität mit allen anderen, also auch Bankengruppenunabhängigen Anbietern vergleichbarer P2P-Apps in Deutschland vorsieht. Damit können die Nutzer der Apps eine größere Zahl von Kontakten aus dem Adressbuch ihrer Smartphones heraus erreichen, unabhängig davon, ob diese dieselbe App nutzen oder nicht.

Grundsätzlich unterliegen Unternehmen in Deutschland der kartellrechtlichen Selbsteinschätzung und müssen die kartellrechtliche Zulässigkeit ihres Handelns, zum Beispiel bei Kooperationen, selbst einschätzen. Um die kartellrechtlichen Risiken zu minimieren, können sie jedoch das Bundeskartellamt um eine Einschätzung bitten. Das hatten die Institute hier noch einmal getan.

Wir haben daraufhin unter anderem einen Markttest durchgeführt. Dieser sollte klären, ob die von den Institutsgruppen aufgestellten Bedingungen für die Interoperabilität tatsächlich diskriminierungsfrei ausgestaltet sind, sodass interessierte Dritte - auch aus dem Bereich der sogenannten. Fintechs - der Kooperation beitreten können.

Die Beteiligten haben die Kooperation dann aber bereits umgesetzt, bevor wir die Auswertung des Markttests endgültig ab geschlossen hatten. Hierzu sind sie im Rahmen der kartellrechtlichen Selbsteinschätzung befugt.

Vor diesem Hintergrund haben wir die kartellrechtliche Vorprüfung ohne abschließendes Ergebnis beendet. Wir könnten den Sachverhalt aber erneut aufzugreifen, sollte hierzu Anlass bestehen, zum Beispiel, wenn die Interoperabilität mit dritten Anbietern nicht diskriminierungsfrei erfolgt.

Gerade im Zahlungsverkehrsmarkt wird der Wettbewerb ganz stark von internationalen Playern beziehungsweise den Internetkonzernen dominiert. Inwieweit spielt diese internationale Perspektive bei den Erwägungen des Bundeskartellamts eine Rolle?

Tatsächlich sind gerade bei Bezahlverfahren im Internet amerikanische Anbieter sehr stark. Für die Bewertungen, die im Rahmen von Verfahren des Bundeskartellamtes vorgenommen werden, spielt der Sitz eines Unternehmens allerdings keine besondere Rolle. Uns geht es darum, wie mächtig Unternehmen sind und wie sich das Verhalten von Unternehmen auf den Wettbewerb in Deutschland auswirkt - egal, ob das Unternehmen deutsch, europäisch oder amerikanisch ist.

In anderen europäischen Märkten ist die Marktkonzentration im Retailbanking deutlich höher als in Deutschland. Werden deutsche Anbieter da nicht im Wettbewerb benachteiligt, wenn sektorenübergreifende Kooperationen bei kreditwirtschaftlichen Innovationen aufgrund wettbewerbsrechtlicher Bedenken untersagt oder gar nicht erst angegangen werden? Innovation braucht ja auch Ressourcen.

In anderen europäischen Märkten gibt es in der Tat andere historisch gewachsene Marktstrukturen, bei denen sich eine oder nur wenige starke Banken als einzige Anbieter etabliert haben. Daher ist die Auswahlmöglichkeit für die Verbraucher in diesen Ländern auch recht eingeschränkt. Das ist in Deutschland anders, der Verbraucher kann hier aus einer Vielzahl von Angeboten verschiedener Banken wählen.

Es gibt aber auch in Deutschland zahlreiche Banken, die sehr ressourcenstark sind und diese Ressourcen auch für Innovationen einsetzten können. Kleine Anbieter, denen ausreichende Ressourcen für eigene Innovationen fehlen, haben wiederum durchaus die Möglichkeit, auch Kooperationen einzugehen.

Das Wettbewerbsrecht ermöglicht dies unter bestimmten Voraussetzungen etwa dann, wenn ein Unternehmen ansonsten ein Produkt oder eine Produktverbesserung gar nicht auf den Markt bringen könnte und der Verbraucher hiervon profitiert.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X