Druck im Kessel

Swantje Benkelberg

Aus Sicht von Kommunikatoren war es schon einmal ein riesen Erfolg: Die Ankündigung von Facebook, eine eigene "Währung" samt zugehöriger digitaler Brieftasche einzuführen, hat eingeschlagen wie eine Bombe. Und seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht der eine oder andere Experte mit seinen Einschätzungen dazu zu Wort meldet. Dass diese Positionen keineswegs nur aus der Payment- oder Bankenbranche sowie der Aufsicht kommen, sondern häufig auch aus der Marketingecke, ist bezeichnend - ist doch Libra weit mehr als nur ein Zahlungsmittel. Eine "Währung" im eigentlichen Sinn ist Libra jedenfalls nicht - schließlich wird sie, um die Stabilität zu gewährleisten, mit realen Zentralbankwährungen hinterlegt. Schließlich soll die Facebook-Währung kein Spekulationsinstrument, sondern ein brauchbares Zahlungsmittel werden, über das beispielsweise auch die Bezahlung von Werbung auf der Plattform laufen soll. Und das funktioniert bei Kursschwankungen, wie man sie etwa von Bitcoin kennt, nicht. Eine Kryptowährung wie Bitcoin - die bekannteste der bisherigen Digitalwährungen - ist Libra insofern auch nicht, sondern soll als "Stable Coin" positioniert werden. Der Begriff "E-Geld" trifft es deshalb möglicherweise besser. Facebook selbst spricht von einem neuen "Ökosystem für verantwortungsbewusste Innovationen im Finanzdienstleistungsbereich".

Nun ist "verantwortungsbewusst" nicht unbedingt das Adjektiv, das Daten- und Verbraucherschützern sowie vielen Nutzern selbst im Zusammenhang mit Facebook als erstes einfallen würde. Das ist wohl auch Facebook selber bewusst. Deshalb wurde Calibra als Tochterunternehmen gegründet, um die Trennung zwischen sozialen und finanziellen Daten zu gewährleisten. Wie weit es tatsächlich mit dieser Trennung her sein wird, muss sich erst noch zeigen. Auch bei Whatsapp war ja ursprünglich eine strikte Trennung versprochen worden. Vorläufig überwiegt noch die Skepsis: Erste Umfragen aus Deutschland und den USA zeigen jedenfalls eine sehr geringe Bereitschaft der Verbraucher, Libra zu nutzen. Diese Zahlen haben jedoch wenig zu sagen. Zum einen sind die Aussagen bisher rein theoretisch, weil noch kein konkreter Dienst vorliegt, der überhaupt genutzt werden könnte. Es kann also gut sein, dass die gleichen Facebook-Nutzer, die eine Verwendung von Libra heute weit von sich weisen, später ganz anders agieren. Zum anderen ist es ganz gewiss nicht der deutsche und nicht einmal in erster Linie der US-Markt, den Facebook im Blick hat. Sondern es geht um Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern, die bisher keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen haben. Hier ist das Potenzial enorm.

Genau das ist es jedoch, was mancherlei Bedenken hervorruft. Denn angesichts der enormen Verbreitung von Facebook könnte Libra sich so rasant entwickeln, dass sich daraus Unwägbarkeiten ergeben. Gerade die Tatsache, dass Libra als "Stable Coin" mit einer Währungsreserve in Euro, US-Dollar und Yen konzipiert ist, könnte sich bei großem Erfolg als kritisch erweisen, würde doch die Facebook-Tochter Calibra so zu einem wichtigen Akteur auf den Finanzmärkten und möglicherweise sogar systemrelevant - "too big to fail." Dieser Gedanke lässt sich sogar noch weiter spinnen: Wenn nämlich sehr viele Menschen auch in Europa, Japan und den USA ihre Liquidität nicht mehr in Euro, Yen oder Dollar vorhalten würden, sondern in Libra - im Nullzinsumfeld durchaus vorstellbar - dann könnten der Kreditwirtschaft möglicherweise irgendwann die Einlagen fehlen, um das Kreditgeschäft zu refinanzieren. Die Auswirkungen auf das gesamte Finanzwesen wären enorm. Verständlich also, dass Zentralbanken, Regulatoren und Aufsichtsbehörden Calibra und seine "Währung" genau im Auge behalten wollen und sich über eine mögliche Regulierung und deren Umsetzbarkeit bei einem "genehmigungsfreien Netzwerk" Gedanken machen, das laut Whitepaper die Vision der Libra Association ist.

So oder so wird Libra den Zahlungsverkehr verändern - zum Beispiel mit der angestrebten Entwicklung eines offenen Identitätsstandards. Vor allem aber dürfte die Initiative von Facebook ein Katalysator sein, der die Entwicklung hin zu einem europäischen Zahlungssystem beschleunigt, indem er den Druck im Kessel erhöht. Wenn ringsum riesige Plattformen aus China, den USA oder vielleicht bald auch Indien ihre Netzwerke immer weiter aufspannen, dann dämmert es auch den Europäern, dass das Beharren auf nationaler Governance und nationalen Standards obsolet ist. Manches geht offenbar nur unter Druck.

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