Die Karotte vor der Nase

Swantje Benkelberg, Chefredakteurin, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Man stelle sich einmal vor, Banken, Sparkassen und all diejenigen, die in den letzten Jahren den Wettbewerb kräftig aufgemischt haben, säßen zusammen in einer Schulklasse. Dann wären die Kreditinstitute diejenigen, die furchtbar viel arbeiten, um immer gewissenhaft alle Aufgaben zu erledigen, und die damit auch ordentliche Leistungen erzielen - aber doch nur ganz selten zur Spitzengruppe gehören. Ob ihres Engagements genießen sie zwar durchaus das Wohlwollen der Lehrer - interessanter sind jedoch andere. Die Fintechs wären in dieser Klasse die Fixen und Kreativen, denen es manchmal an den Grundlagen fehlt, die dafür jedoch bei Gruppenarbeit ganz groß sind und sich sofort melden, wenn gefragt wird, wie man an eine neue Aufgabe herangehen könnte. Sie bringen das Unterrichtsgeschehen voran. Und die Bigtechs entsprechen jenen Überfliegern, die scheinbar immer alles schon können, bevor es im Unterricht überhaupt thematisiert wird, und bei denen die Lehrer es gerade deshalb oft gar nicht merken, wenn sie einmal ihre Hausaufgaben etwa im Fach Datenschutz oder Wettbewerbsrecht nicht sehr gründlich gemacht haben.

Die Braven, Fleißigen sehen all das mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid. Wo sie auf Mängel oder Versäumnisse ihrer Mitschüler hinweisen, finden sie oft erst spät Gehör, wenn Letztere gar zu offensichtlich werden. Und die wohlmeinende Empfehlung, sich von den anderen das eine oder andere abzuschauen, können sie irgendwann nicht mehr hören. Dass das nicht so leicht getan wie gesagt ist, weiß jeder Unsportliche, dem empfohlen wird, es "einfach" dem Vorturner am Reck gleichzutun, oder auch der Sprachbegabte, dem die Formeln in den naturwissenschaftlichen Fächern immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben werden und dem es deshalb gar nichts nutzt, wenn ihm der Mathe-Crack an der Tafel vorrechnet. Zum Glück endet damit die Vergleichbarkeit der Wettbewerbssituation, in der sich die Finanzbranche befindet, mit der Schulkasse. Denn anders als in der Schule, wo neben dem Arbeitseinsatz auch die Begabung eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt, lässt sich dem in der Welt der Unternehmen abhelfen. Fähigkeiten, die man nicht hat, kann man sich (zu einem gewissen Grad) einkaufen. Das hat die Finanzwirtschaft längst getan - durch Übernahmen von Fintechs oder Insurtechs, durch immer mehr Kooperationen und natürlich auch durch Neueinstellung von Mitarbeitern, die all diese Fähigkeiten mitbringen, die für mehr "Agilität" gebraucht werden.

So haben die etablierten Anbieter ihre Transformation schon ein gutes Stück weit vorangetrieben. Das Problem ist nur, dass natürlich auch ihre neuen Wettbewerber nicht stehen bleiben. Ein echter Aufholprozess wäre somit nur möglich, wenn die Transformation bei Kreditinstituten oder Versicherern schneller fortschreiten würde als bei Bigtechs und Fintechs. Und das ist - bei allem Respekt für die Anpassungsfähigkeit der Branche - schwer vorstellbar. Denn bei noch so viel Veränderungsdruck und auch -willen lässt sich doch nichts daran deuteln, dass sich nicht alle Strukturen und Prozesse in den Unternehmen "agil" werden umkrempeln lassen und dass die gewachsenen IT-Systeme, die in die neue Zeit gebracht werden müssen, das Reformtempo nicht unbedingt erhöhen. Und so mag sich mancher Banker ein wenig vorkommen wie der alte Esel, dem an einem Stecken eine Mohrrübe vor die Nase gehalten wird, damit er weiter vorwärts trabt, um diese Möhre endlich zu erreichen. Dieses Gefühl, den Vorsprung des Wettbewerbs kaum aufholen zu können, ist zweifellos unbefriedigend. Die Alternative hieße jedoch aufzugeben. Und so bleibt es weiterhin wichtig, zu prüfen, was man sich vielleicht doch von den "Neuen" abschauen und wie man ihnen vielleicht durch Eigeninitiative wenigstens gelegentlich ein Stück voraus sein kann.

Ein bisschen Unterstützung kommt mittlerweile auch vom "Lehrer": Seit Gesetzgeber, Aufsicht und Wettbewerbshüter bei Fintechs und zuletzt vor allem den Bigtechs genauer hinsehen, können auch diese nicht mehr gefühlt völlig frei agieren. Natürlich wird es lange dauern, bis Initiativen wie das vom Bundeskartellamt eingeleitete Verfahren gegen Apple zu Maßnahmen führen, die den Mitbewerbern das Leben erleichtern. Doch allein die Tatsache, dass es immer mehr solcher Initiativen gibt, auf europäischer Ebene wie in den jeweiligen Heimatmärkten, dürfte in den Konzernzentralen als Warnschuss verstanden werden. Wenn das dazu führt, dass das Tempo, mit denen die Bigtechs den Markt aufzurollen versuchen, etwas verlangsamt wird, ist ein Aufholprozess in Maßen vielleicht doch möglich.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
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