Vor dem Paradigmenwechsel

Swantje Benkelberg, Chefredakteurin, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Auch Vorschusslorbeeren müssen verdient werden. Das gilt auch für das Anfang 2018 verabschiedete Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG), das von allen Seiten mit viel Lob bedacht worden war. Bisher ist die erhoffte Wirkung, massenweise Arbeitnehmer in den Genuss einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Altersversorgung kommen zu lassen, ausgeblieben. Entsprechend ungeduldig scharrt die Politik mit den Hufen. Diese Ungeduld ist nachvollziehbar: Zum einen brauchen die Koalitionäre in Berlin angesichts schwacher Umfragewerte und Wahlergebnisse dringend Erfolge. Zum anderen werden sichtbare Ergebnisse bei der Altersvorsorge tatsächlich immer dringender, soll die Altersarmut in absehbarer Zeit nicht zum flächendeckenden Massenphänomen werden.

Dass das mit dem BRSG vorgesehene Sozialpartnermodell noch nicht in den Tarifverträgen angekommen ist, ist allerdings so überraschend nicht - bedeutet die "Zielrente" mit der Beitrags- anstelle der Leistungszusage doch nichts anderes als einen Paradigmenwechsel in der bAV. Garantierte Leistungen gibt es nicht mehr, dafür sollen die Leistungen im Ruhestand durch die Aktienanlage höher ausfallen als bisher. Natürlich wird damit in der betrieblichen Altersvorsorge nur nachvollzogen, was die Lebensversicherer mit der "neuen Klassik" in den Verträgen der privaten Altersvorsorge längst eingeleitet haben. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Verzicht auf Garantien den Arbeitnehmervertretern Bauchgrimmen verursacht. Dass es nun nach der privaten Altersvorsorge auch in der Betriebsrente, keine Garantien mehr geben soll, hat das Zeug dazu, für Verunsicherung zu sorgen, auch wenn es gute Gründe für diesen Wechsel gibt. Die dafür nötige Überzeugungsarbeit braucht aber ihre Zeit. Zudem muss geklärt werden, wie es mit bestehenden Versorgungswerken weitergehen soll.

So wichtig es auch ist, dass es bei der bAV voran geht: Die Schuld dafür, dass hier noch keine Erfolge zu verzeichnen sind, muss die Politik mindestens teilweise bei sich selbst suchen. Wenn man sich in Berlin jahrelang Zeit nimmt, um die Weichen in der Rentenpolitik neu zu stellen, dann darf man sich nicht wundern, dass Entscheidungen von so weitreichender Tragweite für alle Beteiligten auch auf der Ebene der Tarifparteien nicht übers Knie gebrochen werden. Im Interesse der Beschäftigten, um deren Altersvorsorge es geht, wäre das auch nicht zu wünschen. Tarifverträge haben überdies eine Laufzeit, die sich nicht an den Fahrplan der Bundesregierung hält. Schon von daher braucht der Durchbruch des Sozialpartnermodells Zeit, selbst wenn die Meinungsbildung bereits abgeschlossen wäre.

Die Politik tut also gut daran, sich auf den Vorschusslorbeeren für das BRSG nicht auszuruhen, sondern weitere Maßnahmen auf den Weg zu bringen - und zwar jenseits der doppelten Haltelinie, der Mütterrente und der Garantierente in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dass deren umlagebasiertes System auf reichlich tönernen Füßen steht, ist schließlich lange genug bekannt. Zunächst einmal braucht es Klarheit darüber, ob der Staat die kapitalgedeckte Vorsorge in die eigene Hand nehmen will oder nicht. Soll es bei dem etablierten Drei-Säulen-System aus gesetzlicher Rente, Betriebsrente und privater Vorsorge bleiben, dann müsse die zweite und die dritte Säule gefördert werden. Bei der privaten Vorsorge aber wartet die Finanzbranche seit Jahren vergebens auf Impulse, die die Menschen zur verstärkten Eigenvorsorge anregen. Die Nachbesserungen bei Riester und die anhaltenden Diskussionen um ein staatlich organisiertes Standardprodukt sind schön und gut. Doch ohne eine klare Zukunftsperspektive und eine staatliche Förderung, die mit der Einkommensentwicklung Schritt hält, wird es damit nichts werden. Auch deshalb "parken" die Deutschen ihr Erspartes immer noch massenhaft auf unverzinsten Konten.

Es geht aber nicht allein darum, die Eigenvorsorge mit höheren Zulagen und/oder Steueranreizen zu fördern. Sondern vielleicht müsste es auch bei der staatlichen Förderung einen Paradigmenwechsel geben. In dem Maße, wie die Lebensversicherung als Basis der privaten Altersvorsorge zum Auslaufmodell wird und sich vor allem Fintechs mit flexibleren Formen des Vorsorgesparens positionieren, sollte auch der Staat auf diesen Wandel reagieren. Menschen, die fürs Alter ansparen, von der Förderung auszuschließen, weil sie es auf die "falsche" Art und Weise tun, ist sicher kein erfolgversprechender Ansatz. Auch für Vorsorgemodelle, die ohne feste Vertragsbindung über Jahre hinweg auskommen, würden sich sicher Fördermodelle finden lassen.

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