Raus aus der Teerpfütze

Swantje Benkelberg, Chefredakteurin Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

"Welche Themen werden in Ihrem Unternehmen 2020 voraussichtlich im Fokus stehen?" Das hat Cofinpro für eine im Januar dieses Jahres veröffentlichte Studie 111 Bankenvertreter gefragt. Die sechs am häufigsten genannten Aufgaben lauteten: Umsetzung regulatorischer Auflagen, Effizienzsteigerungen, Prozessverbesserungen, agile/digitale Transformation nach innen, IT Security, Digitalisierung auf B2B Seite - alles Themen, bei denen die IT zumindest eine entscheidende Rolle spielt. 71 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass technische Innovationen ihre Unternehmen in den nächsten zwei Jahren sehr stark oder stark verändern werden, in der Fünf Jahres Perspektive stimmten dem sogar 93 Prozent zu. Das zeigt: Natürlich hat die IT im Bankgeschäft immer noch eine "dienende" Funktion. Weil aber das Wohl und Wehe der Anbieter immer mehr an der Technik hängt, bestimmt doch das Tempo der technischen Entwicklung immer mehr die Richtung, in die sich die Branche bewegen muss, und auch das Tempo dieser Veränderungen. Ein bisschen geht es den Banken wie Goethes Zauberlehrling - nur, dass gewiss kein Meister kommen wird, der dem Zauber ein Ende macht. Sondern wer nicht untergehen will, der muss nolens volens mithalten.

Das tut die Branche allen Unkenrufen zum Trotz bisher durchaus mit Erfolg und verdient dafür allen Respekt - trotz der veralteten und viel zu komplexen IT Systeme, die immer wieder ins Gespräch gebracht werden. Sie sind in der Tat ein Problem und stammen aus einer Zeit, als das rasante Innovationstempo, das derzeit das Geschehen bestimmt, ohne Kristallkugel kaum vorauszusehen war. Denn auch, wenn sich heutige Teenager das kaum noch vorstellen können: Es gab eine Zeit vor dem Internet - und die ist erst rund 30 Jahre her. In dieser internetfreien Zeit haben die meisten Banken ihre Wurzeln. Das gilt selbst für etablierte Direktbanken, die damals ausschließlich per Brief und Telefon, vielleicht noch per BTX, mit ihren Kunden kommunizierten. Auf diese Zeit gehen die IT Systeme der Banken und viele ihrer Strukturen und Prozesse zurück. Im Lauf der Zeit wurden sie weiter entwickelt und an die neuen Standards angepasst. Dabei wurden sie immer komplexer - auch deshalb, weil überkommene Prozesse und Services nur allmählich eingestellt wurden, genau, wie es heute immer noch praktiziert wird, aus Rücksicht auf die weniger innovationsfreudigen Kunden. Selbst die Direktbanken sehen sich deshalb heute im Vergleich zu Start ups quasi als Dinosaurier, die sich permanent weiterentwickeln müssen, um nicht von der Evolution überrollt zu werden.

Hätte man Anfang der neunziger Jahre voraussehen können, in welchem Maß das Internet zum Katalysator für die rasante Entwicklung neuer Möglichkeiten, Veränderung von Kundenerwartungen und damit auch Prozessen im Bankgeschäft werden könnte, dann wären IT Strukturen, die ohne das Andocken immer neuer Systeme an die bestehenden aus kommen, sicher die bessere Wahl gewesen. Hinterher ist man jedoch immer klüger. Auch die steigenden Anforderungen der Regulatorik, die ohne IT Unterstützung gar nicht umsetzbar sind und zugleich eine Menge Ressourcen in den IT Abteilungen binden, hätte vermutlich so niemand vorausgesagt. Auch dort, wo Kernbanksysteme erneuert wurden, hat es - rückblickend betrachtet - die eine oder andere Fehlinvestition durchaus größeren Umfangs gegeben. Das alles mag ärgerlich sein. Es ist aber zugleich verständlich. Um beim Dinosaurier Bild zu bleiben: Ein Stück weit steht die Finanzbranche sicher in der Teerpfütze, in der so manches urzeitliche Tier verendet ist. Ihre Überlebens und Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit ist allerdings immens - auch deshalb, weil Banken und Sparkassen sich mehr als manch andere Branche um die Ausbildung von Nachwuchs und gleichermaßen die Weiterbildung älterer Beschäftigter bemühen und so ein hohes Maß an Kontinuität bei gleichzeitigem steten Wandel gewährleisten, bei der IT wie auch der Unternehmenskultur, die die neuen Prozesse mittragen muss. Das gelingt vielleicht nicht überall gleichermaßen gut. Doch die Konsolidierung im Bereich der neuen Wettbewerber beweist, dass auch modernste Technologie und Agilität nicht alles ist. Der Mix aus Erfahrung und Mut zur Veränderung macht einiges wett. So mancher Eingriff am offenen Herzen, den eine Neuorientierung in der IT immer darstellt, wird trotzdem erforderlich sein.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
Noch keine Bewertungen vorhanden


X