Leitartikel

Aufwachen, Amerika

Amerika träumt. Yes, we can ... Ja, wenn sie es denn endlich mal täten. Leider lässt die größte Volkswirtschaft der Welt den nötigen Tatendrang derzeit schmerzlich vermissen. Statt progressiv und kreativ die Probleme seiner Kredit- und Wohnungswirtschaft anzupacken, auf die unglücklicherweise auch ein Gutteil der Probleme anderer Volkswirtschaften zurückgeht, gibt sich Amerika einer besorgniseregenden Selbsttäuschung hin. Was die USA einst stark und für viele attraktiv machte, ist mittlerweile ihre größte Schwäche: Optimismus als patriotische Bürgerpflicht. Das Land klebt an dem Trugbild, mit Optimismus sei jedes Problem erstens nur noch halb so groß und zweitens schon halb gelöst. Kurz: Wo ist überhaupt das Problem? Dies mag zeitweilig eine nützliche Stimulanz sein, um ein Volk zu motivieren, doch wer die "rosarote Brille" zu lange aufsetzt, leidet bald unter Wahrnehmungsstörungen. Dieses Handlungsmuster ist nicht neu und die Folgen sind ebenfalls bekannt. Hing nicht auch der "real existierende" Sozialismus dieser fatalen Idee an und forderte sie propagandistisch immer nachdrücklicher, je weiter sich die Realität vom Wunschbild entfernte? Statt Fehlentwicklungen zu analysieren und zu beheben, wurden sie ignoriert. Am Ende muss zwangsläufig ein Scheitern stehen.

Die amerikanische Traumwelt ist an ihrer ökonomisch verwundbarsten Stelle - den Subprime-Krediten - geplatzt. Die Heftigkeit und die Geschwindigkeit, mit der daraus eine globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise entstand, hätte das Land und seine Politiker aufrütteln müssen. Doch statt mit Innovationen und dem Mut zu längst überfälligen Entscheidungen glänzt Amerika mit erschreckender Konzeptionslosigkeit. Schlimme Folge ist, dass die USA derzeit nur einen äußerst mageren Beitrag zur Weltkonjunktur leisten. Während von Europa, Asien und Lateinamerika nach teils harten Einschnitten wieder erste Wachstumssignale ausgehen, verweigert sich Amerika den dringend nötigen Anpassungen. Weil die Arbeitslosenquote bei zehn Prozent verharrt, schwächelt der private Konsum und auch drei Jahre nach Ausbruch der Subprime-Krise bleiben die Immobilienmärkte, vor allem das Eigenheimsegment, unter Druck, sodass Amerika der Rückfall in die Rezession droht. Dass der Dollar derzeit gegenüber dem Euro wieder verliert, ist ein Zeichen dafür, dass die Märkte genau dieses Szenario antizipieren. Da von der Binnennachfrage auf längere Zeit keine Impulse ausgehen dürften, sucht die US-Regierung händeringend nach Wachstumsquellen. Das erklärt auch die hartnäckigen, vor allem an Deutschland gerichteten Forderungen nach weiteren Konjunkturprogrammen.

Diesem Drängen sollte widerstanden werden. Denn zunächst ist es an den USA, ihre Hausaufgaben zu machen. Wie schnell das gelingt, wird auch über die politische Glaubwürdigkeit Amerikas entscheiden. So trieben zwar die USA die Neuregelung der Baseler Eigenkapitalvereinbarung mit voran, doch umsetzen mussten die amerikanischen Banken die Beschlüsse bislang nicht. In Europa ist Basel II längst Standard und mittlerweile Basel III in Arbeit. Wo bleibt Amerika? Die gleiche Frage ist beim Thema Bankenabgabe erlaubt, die zuerst aus den Reihen der amerikanischen Politik ins Gespräch gebracht und schließlich international gefordert wurde. Während sich die Europäer schon einig und zur Umsetzung bereit waren, machte Amerika kurz vor dem Toronto-Gipfel einen totalen Rückzieher. Wie kann man seine Wirtschaftspartner besser brüskieren und seine Reputation nachhaltiger schädigen?

Zudem hat es Amerika bis jetzt versäumt, sein Hypothekenwesen - die Ursache der aktuellen Krise - auf eine neue Basis zu stellen. Statt den Umbau zügig und konsequent anzugehen, wurden erst einmal die falschen Anreize gegeben und der Eigenheimmarkt mit Subventionen und Steuervorteilen künstlich beatmet. Als im Mai dieser milliardenschwere Tropf abgeklemmt wurde, brach die Häusernachfrage drastisch ein und die Neubautätigkeit ist so niedrig wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Vor allem die Zentralgestirne Fannie Mae und Freddie Mac, die allein im letzten Jahr drei Viertel aller von den Kreditinstituten neu ausgereichten privaten Wohnungsbaufinanzierungen ankauften und durch Verbriefungen am globalen Kapitalmarkt refinanzierten, haben sich als krasse Fehlkonstruktion erwiesen. Weil bei beiden Instituten der Staat in der Haftung steht, sind sie ein beliebtes Instrument für wahltaktische Interessenpolitik. Ein straffes Risikomanagement stört da nur. Die Quittung: Der amerikanische Steuerzahler musste die Institute zu 80 Prozent übernehmen und bislang 145 Milliarden US-Dollar Liquidität bereitstellen. Das Vertrauen der privaten Investoren haben die beiden Institutionen derweil schon verloren. Nachdem ihr Aktienkurs die 1-Dollar-Marke unterschritt, mussten sie zwangsweise von der Börse genommen werden (siehe Immobilien & Finanzierung, Heft 13 - 2010, Seite 430).

Weil Washington endlich (an)erkannt hat, dass die lange belächelten Covered Bonds europäischen Banken auch in der Krise - ohne staatliche Garantien - eine weitaus komfortablere Refinanzierung ermöglichten als die Asset Backed Securities den US-Banken, wird zwar an einem eigenen Covered-Bond-Gesetz gestrickt und eifrig aus europäischen Gesetzen abgeschrieben, doch scheint man den Kern des Produktes nicht verstanden zu haben. Denn gerade bei den zugrunde liegenden Vermögenswerten soll für US-Emittenten fast alles - einschließlich Student Loans und Kreditkartendarlehen - deckungsstockfähig sein. Mit einem Covered Bond europäischer Provenienz hat das dann jedoch wenig zu tun. Deshalb fürchtet vdp-Hauptgeschäftsführer Jens Tolckmitt zu Recht, dass das amerikanische Gesetz Amerikas Banken kaum etwas nützen, aber den Cov-ered-Bond-Markt insgesamt schädigen wird. Amerika lernt gerade die bittere Lektion, dass sich Immobilienkrisen nicht in einigen Monaten bewältigen lassen, sondern eine Volkswirtschaft über Jahre, wenn nicht sogar über Jahrzehnte belasten. Deutschland musste dies nach der Wiedervereinigung erfahren, in Japan sind die Folgen der dortigen Immobilienkrise noch nach 20 Jahren spürbar. Amerika muss aufwachen. Dass Deutschland besser als viele andere entwickelte Volkswirtschaften durch die aktuelle Finanzmarktkrise kam, verdankt es auch wesentlich seiner Langfristkultur in der Immobilienfinanzierung, deren Kernelemente der Pfandbrief und das Bausparen sind. L. H.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X