Leitartikel

G20-Gipfel: drei Voraussetzungen für den Erfolg

Ob Europa die sich weiter verdüsternde Finanz- und Wirtschaftskrise möglichst rasch hinter sich bringen wird, hängt ganz maßgeblich von drei Dingen ab, die bisher in der öffentlichen Diskussion eher beiläufig behandelt werden: erstens einem entsprechenden Spiel der außerhalb europäischer Kontrolle liegenden globalen Kräfte, zweitens der Qualität der europäischen Führungspersönlichkeiten und drittens dem Spielraum und dem Vertrauen, das ihnen von ihrer jeweiligen nationalen Wählerschaft eingeräumt wird. Die Verlautbarungen der EU und der Bundesregierung möchten zwar einen souveränen Eindruck vermitteln - etwa in dem Sinne: Alle wesentlichen Probleme sind erkannt, die angemessenen Maßnahmen sind bereits ergriffen oder in Vorbereitung, und deren Erfolg ist absehbar und so gut wie sicher. Aber das erklärt sich aus den anstehenden Neuwahlen, nicht nur in Deutschland, sondern auch für das Europaparlament. Daher stellen die Beteiligten Aspekte der Machbarkeit in den Vordergrund und überzeichnen dabei.

Stärker beachtet werden sollte die Bedeutung internationaler Zahlungsbilanzungleichgewichte als eigentlicher Auslöser der gegenwärtigen Krise. Dieser außerhalb europäischer Kontrolle liegende Aspekt ist vielfach aus dem Blick geraten, seit sich Letzterer darauf verengt hat, Gier und Leichtsinn unverantwortlicher Banker als Ursache der Subprime-Mort-gage-Krise wahrzunehmen. Praktischen Ansporn zu Leichtsinn und Gier lieferte aber erst die seit fünf bis sechs Jahren entstandene Liquiditätsschwemme. Sie war Resultat einer gezielten chinesischen Politik, Wachstum primär durch Exporte vor allem nach den USA anzustreben und die Exporterlöse nicht in chinesische Währung zu konvertieren, sondern in US-Dollar zu halten. Auf diese Weise wurde nicht nur das stets größer werdende amerikanische Zahlungsbilanzdefizit finanziert, sondern eine Welle immer höherer Verschuldung auch der privaten US-Haushalte. Gleichzeitig trieb diese Flut kostengünstiger Liquidität den Anstieg der Wohnimmobilienpreise. Auf diese Weise konnten hohe Renditen erzielt werden und das Geschäft boomte - solange die Hauspreise weiter anstiegen.

Dass kaum jemand die Fragilität der Subprime-Konstruktion erkannte - ganz abgesehen von ihrem wucherischen, geradezu räuberischen Charakter -, erscheint ex post bizarr und kaum noch nachvollziehbar. Die Ratingagenturen billigten Bewertungen zum AAA Spitzenniveau Subprime-Mortgage-Verbriefungstransaktionen zu, obwohl die Schuldnerqualität erklärtermaßen Substandard war und die Bedienung überwiegend nur am seidenen Faden weiter steigender Immobilienpreise hing. Tatsächlich lagen hier schwere regulatorische Fehlentscheidungen und Versäumnisse der zuständigen US-Stellen vor, angefangen bei der Aufhebung gesetzlicher Zinswucherverbote und einer sozialpolitisch intendierten, aber ökonomisch absurden Incentivierung von Wohnimmobilienfinanzierungen seitens hierfür nicht qualifizierter Schuldner. Dies hat mit Recht heftige Kritik auf sich gezogen. Aber es ist wichtig, daran zu erinnern, welchen ungeheuren Optimismus die Dollarflut aus Asien weltweit verbreitete, welche Unbekümmertheit und Maßlosigkeit, denen sich kaum jemand entziehen konnte. Nobelpreisprämierte finanzmathematische Risikomodelle unterstützten diese Bedenkenlosigkeit und lieferten einem universalen Realitätsverlust Vorschub. Dem erlagen die Regulatoren, die Ratingagenturen und die Investoren gleichermaßen in irrationaler Rationalitätsgläubigkeit. Und das kommt nun die ganze Welt sehr teuer zu stehen.

Im Nachhinein erscheint es widersinnig, dass das arme China das reiche Amerika mit Dollars vollstopfte. Die disziplinierten Chinesen wollten sich aber durch gigantische Dollarüberschüsse gegen die Eventualität einer Wirtschaftskrise absichern. In Wirtschaftskrisen von Entwicklungsländern resultieren Folgeprobleme nämlich meist aus einer hohen Devisenverschuldung, die nicht mehr bedient werden kann. Dass aber eine Krise in den USA ausbrechen würde, hatten die Chinesen vermutlich kaum erwartet. Das Scheitern der chinesischen Wachstumsstrategie durch Handelsüberschüsse in die inzwischen klammen USA löste unmittelbar enorme Beschäftigungsprobleme in China aus. Immerhin können nun aber die Dollarreserven von rund 2 000 Milliarden US-Dollar mobilisiert werden, um den bislang auf niedrigstem Niveau gehaltenen Konsum und dadurch auch die eingebrochene Beschäftigung in China wieder anzuregen. Wenn das funktioniert, können sich hieraus auch attraktive Exportchancen für Europa ergeben.

Entscheidend ist aber, dass den Chinesen eine stärker binnenwirtschaftliche Neuausrichtung ihrer Wachstumspolitik mit Augenmaß und Geschick gelingt. Eine plötzliche oder zu starke Abwendung vom Dollar könnte desaströse Folgen nicht nur für die USA, sondern auch für Europa und damit am Ende auch wieder für Asien haben. Die Chinesen sind klug und werden es daher hoffentlich richtig machen. Aber weder die EU noch die Bundesregierung noch die Obama-Administration haben hierauf einen direkten Einfluss.

Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man die vollmundigen Ankündigungen zum G20-Gipfel auf ihre Substanz und ihren Realismus hin abschätzt. Mehr Regulation etwa ist ja gut und recht, aber bitte nicht zu viel und nicht an der falschen Stelle. In Europa herrscht noch immer die Fehleinschätzung vor, die Subprime-Krise resultiere aus einem Versagen des Marktes. In Wahrheit war sie Konsequenz einer fehlkonzipierten, nicht durchdachten US-Sozialpolitik. Schon vorab scheint unsicher, ob sich Europa und die USA in Umfang und Dringlichkeit auf einen für beide Seiten akzeptablen Mix von Fiskalstimulus und Re-Regulation der Finanzmärkte werden einigen können. Falls sich aber auch noch China querlegt, zum Beispiel um sich größeren Einfluss im IWF zu sichern oder weil es sich an europäischem oder amerikanischem Protektionismus stört, kann mit binnennachfrageorientierter Neuverschuldung im Westen hiergegen nichts ausgerichtet werden, außer einer Lastenverschiebung in die Zukunft.

Globalisierung war also nicht nur in vergangenen Gutwettertagen relevant, als Deutschlands Exporte noch boomten. Globalisierung ist auch zu berücksichtigen, wenn es um den Schutz von durch die Rezession gefährdeten deutschen Unternehmen geht. Die in den USA ausgelöste Subprime-Krise hat nämlich über mehrere Stufen von Folgewirkungen inzwischen einen globalen Restrukturierungsprozess angestoßen, der nicht mehr nur die Finanzmärkte betrifft. Das ausschlaggebende Überlebenskriterium ist Zukunftsfähigkeit am Ende dieses Restrukturierungsprozesses. Genau das muss daher auch der maßgebliche Aspekt für staatliche Hilfsaktionen in der augenblicklichen Krise sein. Alles andere ist wieder nur Kapitalvernichtung zulasten zukünftiger Generationen. Die für Deutschland und Europa existenziell notwendige globale Abstimmung bezieht sich also nicht nur auf die Verhütung zukünftiger Finanzkrisen, sondern auch auf das triftige Erkennen der sich anbahnenden globalen Restrukturierungsprozesse in Produktion und Handel. Im Wahlkampf wird das nicht thematisiert, aber in Wirklichkeit liegen entscheidende Trümpfe für den weltweiten Neuaufschwung der Konjunktur nicht in amerikanischer und auch nicht in europäischer, sondern in asiatischer Hand.

Damit zum Punkt 2 der vom Schweinwerferlicht üblicherweise weniger beleuchteten G20-Erfolgsvoraussetzungen, nämlich der Qualität der europäischen Führungspersönlichkeiten: Wenn es im Kern um das fortgesetzte Gelingen des Globalisierungsprojektes geht und damit in jedem Fall schmerzhafte Anpassungsprozesse verbunden sein werden, muss das von der politischen Führung auch vermittelt werden. Die Chinesen müssen das auch. Dort haben nämlich schon mindestens 20 Millionen Wanderarbeiter aus ländlichen Gegenden ihren Job verloren. Aber was weiß denn der Arbeiter bei Opel schon von Zahlungsbilanzungleichgewichten? Es besteht also die politische Versuchung, ins Blaue hinein Versprechungen in Bezug auf den Schutz von Beschäftigungssituationen zu machen.

Vor zwanzig Jahren erlebte Deutschland in einem Bundestagswahljahr mit der Wiedervereinigung eine in mancher Beziehung vergleichbare Problematik. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl entschied sich seinerzeit für unhaltbare Versprechungen. Die erstmals zu einer freien Wahl aufgerufenen Bürger der neuen Bundesländer hätten ihn aber vermutlich auch dann gewählt, wenn er ihnen statt der Westmark zum 1 : 1-Umtauschkurs und blühender Landschaften Blut, Schweiß und Tränen auf dem Weg zur Erreichung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West in Aussicht gestellt hätte. Auf jeden Fall wäre Deutschland damit heute weiter. Illustrieren lässt sich diese Behauptung durch die Beispiele von Tschechien und Polen, Slowakei und Slowenien. Diesen Ländern wurde in den Jahren nach 1989 nichts geschenkt. Deswegen haben sie zu ordnungspolitischen Fragen der sozialen Marktwirtschaft auch noch nicht das Besitzstandsdenken der Deutschen entwickelt. Zu den unvermeidlichen Härten der bevorstehenden Anpassungsprozesse kommen von diesen östlichen Nachbarn jedenfalls aufmunterndere Geräusche als man sie von deutschen Politikern vernehmen kann. Vom Schuldenmachen zulasten zukünftiger Generationen hält man dort auch nichts. Es ist daher ein glücklicher Zufall, dass gerade die Tschechen die EU-Ratspräsidentschaft noch bis zur Jahresmitte 2009 innehaben. Auf diese Weise können sie nämlich - hoffentlich auch trotz der Regierungskrise im eigenen Land - noch auf einen angemessenen Interessenausgleich mit anderen EU-Mitgliedsländern im Baltikum und Südeuropa hinwirken, die weniger diszipliniert gehaushaltet und auf diese Weise zu bedrohlichen Zahlungsbilanzungleichgewichten innerhalb der EU beigetragen haben.

Im krisengeschüttelten Lettland erreicht zurzeit keine der etablierten Parteien in der Wählergunst auch nur noch fünf Prozent Zustimmung. Von einer derartigen Erosion des Wählervertrauens ist Deutschland weit entfernt. Das Krisenbewusstsein ist noch nicht so stark ausgeprägt. Doch nach einer von Allensbach Ende Februar 2009 durchgeführten Umfrage zeigt sich deutlich zunehmendes Unbehagen darüber, dass sich der deutsche Staat mit den in Diskussion befindlichen Rettungsaktionen übernimmt.

Dafür, dass Inflation unsozial ist, hat der deutsche Wähler eine gesunde Empfindlichkeit. Anstatt ausufernden Staatsinterventionismus und eine damit verbundene immer höhere Verschuldung als alternativlos hinzunehmen, ist also durchaus eine Bereitschaft erkennbar, die notwendigen Härten einer marktmäßigen Anpassung mitzutragen. Vielleicht führt ja sogar noch der neue, kecke Bundeswirtschaftsminister die Bundeskanzlerin zurück auf den Weg der sozialen Marktwirtschaft. Die Spontanreflexe von Angela Merkel angesichts der Krise zeigten bislang eine irritierende Nähe zu dem kaum gebremsten Etatismus ihres Finanzministers. Gewiss braucht der Finanzmarkt angesichts der aus dem Ruder gelaufenen Innovationsschübe durch Derivate und Verbriefung einen transparenten, verbindlichen, neuen Ordnungsrahmen, der ganz sicher auch nur staatlich gesetzt werden kann. Aber die Denkfigur einer staatlichen Gestaltung des Marktes ist der - auch der sozialen - Marktwirtschaft fremd. Michael Altenburg, Luzern

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