Bausparen 2010

"Bausparen ist, wenn es richtig gemacht wird, hochprofitabel"

Auch im Bausparen ist der Vertrieb der zentrale Erfolgsfaktor. Dabei geht es nicht nur um die Höhe des Abschlussvolumens, sondern vor allem um die nachhaltige Qualität des Neugeschäfts. Diese Lektion hat die zum W&W-Konzern gehörende Wüstenrot Bausparkasse aus ihrer Vergangenheit gelernt, denn sie wächst gegen den Branchentrend und rangiert wieder auf Platz zwei unter den privaten Bausparkassen. Um neue Vertriebswege zu erschließen, übernehmen die Ludwigsburger auch andere Bausparkassen, wie Jürgen Steffan im Gespräch erklärt. Der damit verbundene Aufwand ist jedoch erheblich. (Red.)

Entgegen dem Markttrend wuchs das eingelöste Neugeschäft bei Wüstenrot um 5,6 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro Bausparsumme. Was braucht eine Bausparkasse, um im aktuellen Marktumfeld Erfolg zu haben?

Eine Bausparkasse profitiert vor allem von einem starken Vertrieb, denn das Bausparkollektiv "lebt" von einem beständigen Neugeschäftszufluss. Dieser sollte nicht nur stabil, sondern nach Möglichkeit steigend sein. Um das zu erreichen, braucht eine Bausparkasse vor allem Tarife, die den Bedürfnissen der Kunden entsprechen.

Und was genau will der Kunde und was kann eine Bausparkasse tatsächlich leisten?

Der Kunde möchte und erhält ein optimales Angebot für seine Bedürfnisse, je nachdem, ob der Finanzierungswunsch, der Anlagewunsch oder, für den noch Unentschlossenen, eine hohe Flexibilität im Vordergrund steht.

Wie hat Wüstenrot seine Tarife angepasst?

In den achtziger Jahren hatten viele Bausparkassen ihren Fokus auf das Einlagengeschäft gelegt, um die zunehmenden Inanspruchnahmen der Bauspardarlehen bedienen zu können, ohne die Zuteilungsbedingungen zu verschärfen. Deshalb erhielten Bausparer, die ihre Darlehen nicht abriefen, einen Bonus. Der Bausparer hatte also alle Optionen, während die Bausparkasse abwarten musste. In der unerwartet langen Niedrigzinsphase haben es einige Bausparkassen versäumt, ihre Tarife anzupassen, sodass aus den Optionsansprüchen der Bausparer sehr schnell Optionsrisiken wurden. Diese führten auch bei Wüstenrot zu erheblichen Abschreibungen in den Jahren 2005 und 2006.

Heute bieten wir Tarife an, bei denen sich der Bausparer bei Vertragsabschluss entscheidet, welches Sparziel er verfolgt. Für die Finanzierung des Eigenheimerwerbs oder die Modernisierung gibt es einen Tarif mit niedrigem Darlehenszins, aber eben auch geringer Guthabenverzinsung, während Kunden, die im Bausparen eher ein Renditeprodukt sehen, einen Tarif mit marktüblicher Geldanlageverzinsung bekommen. Die Option auf ein Bauspardarlehen kostet dann natürlich auch etwas mehr. Und wer sich heute noch nicht sicher ist, ob er den Bausparvertrag in eine Finanzierung einbringen wird, erhält einen akzeptablen Guthabenzins mit einem Darlehenszins, der etwas höher als im Finanzierertarif, aber niedriger als im Renditetarif ist. So ist dem Kunden und der Bausparkasse geholfen.

Sind die Freundsparer von einst also heute Feindsparer?

Kunden sind nie Feinde. Die renditeorientierten Bausparer der vergangenen Jahre sind eher teure Freunde. Bausparkassen, die Bonusvarianten in ihren Tarifen hatten, müssen sich heute um bis zu einem halben Prozentpunkt teurer refinanzieren als Bausparkassen, die darauf verzichtet haben.

Wie weit ist organisches Wachstum in einem reifen Bausparmarkt noch möglich? Was kann und muss dafür getan werden?

Im Durchschnitt der letzten Jahre hatte der deutsche Bausparmarkt ein Neugeschäftsvolumen von rund 100 Milliarden Euro. Davon entfällt etwa ein Drittel auf die öffentlich-rechtlichen Bausparkassen, gut ein Viertel auf Schwäbisch Hall und den Rest teilen sich 14 private Bausparkassen, inzwischen mit Wüstenrot an der Spitze.

Der Vorteil von Wüstenrot & Württembergische ist der starke eigenständige Vertrieb mit einem großen Kundenbestand. Allein im Geschäftsfeld Bauspar-Bank haben wir drei Millionen Kunden. Aus dem Bereich Versicherung kommen nochmals drei Millionen Kunden hinzu, die wir heute deutlich intensiver als in der Vergangenheit auch zum Thema Bausparen ansprechen. Darüber hinaus haben wir Kooperationspartner wie beispielsweise die Bank Santander, den AWD und den Deutschen Beamtenbund, die ebenfalls über eine breite Kundenbasis verfügen. Mit diesem breit aufgestellten, gut strukturierten Vertrieb haben wir die Möglichkeit, mehr von dem verfügbaren Neugeschäftskuchen im Bausparen abzubekommen. Dass uns das gelingt, zeigen die Wachstumsraten, die höher sind als die des Marktes. Die Verstärkung und Verbreiterung der Vertriebsstrukturen ist für uns so wichtig, dass wir dafür auch Bausparkassen kaufen. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr die Vereinsbank Victoria Bauspar AG (VVB) von der HVB und der Ergo erworben. Mit dieser Übernahme ist eine zehnjährige Vertriebskooperation mit der HVB und der Ergo verbunden, die uns ein zusätzliches Potenzial von 15 bis 20 Millionen Kunden eröffnet, das es in Zukunft zu erschließen gilt.

Welche Bausparkassen wären eine interessante Ergänzung für Wüstenrot?

Wir sind mit unserem organischen Wachstum auf einem guten Weg und haben durch den Zukauf der VVB mit der HVB und der Ergo weitere attraktive Vertriebskanäle hinzugewonnen. Damit setzen wir den kontinuierlichen Wachstumspfad fort. Wir suchen nicht nach Zukäufen. Aber wann immer damit ein interessanter Vertriebskanal für Wüstenrot erschlossen werden kann, werden wir das prüfen. Wir kaufen, wenn drei Bedingungen erfüllt sind. Erstens, es muss zu unserem Geschäftsmodell passen, muss möglichst unser Geschäftsmodell ergänzen - insbesondere unsere Vertriebswege. Zweitens, unsere Corporate Governance muss erhalten bleiben. Wir wollen nicht unsere Führungsstruktur umkrempeln müssen. Und drittens, die ganze Sache muss wirtschaftlich höchst vorteilhaft sein.

Was macht Sie so sicher, dass sowohl die HVB als auch die Ergo tatsächlich Produkte eines Wettbewerbers verkaufen?

Diese Sorge habe ich nicht. Denn erstens treten wir nur als Wüstenrot mit dem Produkt Bausparen auf und nicht als Bank oder Versicherer. Der Kundenschutz muss selbstverständlich vereinbarungsgemäß gewährleistet sein. Zweitens ist Wüstenrot ein Markenname, den sowohl der HVB- und der Ergo-Vertrieb als auch deren Kunden schätzen. Das bestätigen auch die jüngsten Abschlusszahlen. Seit dem 4. Quartal 2009 vermittelt die HVB und seit 1. Januar 2010 die Ergo Wüsten-rot-Bausparverträge.

Die VVB schaffte über die Vertriebswege der HVB und der Ergo etwa eine Milliarde Euro Neugeschäft im Jahr. Ist für Wüstenrot mehr drin?

Ja, wir sehen mehr Potenzial. Um es besser zu machen, müssen wir jedoch auch einiges weiterentwickeln. Als große Bausparkasse, die Erfahrungen mit Bankpartnern und Versicherungsaußendiensten hat, können wir die Vertriebe und die Kunden sicherlich noch besser betreuen. Dazu erarbeiten wir gerade entsprechende Vertriebsstrategien.

Erfüllen die Verträge, die über die Vertriebspartner kommen, Ihrer Erwartungen?

Wir wollen wertorientiert wachsen. Dazu passt das Bauspar-Neugeschäft, das über die Vertriebspartner zu uns kommt. Für die Stabilität des Kollektivs ist es wichtig, dass Bausparverträge regelmäßig und über mehrere Jahre bespart werden. Deshalb ist die Provision für diese Verträge auch höher als für Verträge, die nach einem Jahr gekündigt werden.

Was erwarten die Vertriebspartner von der Bausparkasse?

Grundsätzlich erwarten die Vertriebspartner ein für ihre Kunden attraktives Produktangebot, eine attraktive Provision, eine optimale Unterstützung für den Vertrieb und schnelle Prozesse. Um das alles auch sicherzustellen, werden Service Levels vereinbart, deren Erfüllung regelmäßig überprüft wird.

Im Vertrieb über Kooperationspartner hat Wüstenrot jedoch keine Möglichkeiten des Mehrproduktabsatzes. Wie passt das zur Konzernstrategie, das Überkreuzgeschäft auszubauen?

Hier muss unterschieden werden. Mit den konzernexternen Vertriebswegen möchten wir das Neugeschäft auf eine breitere Basis stellen und im Volumen steigern. Bausparen ist, wenn es richtig gemacht wird, ein hochprofitables Geschäft. Gleichzeitig wollen wir im originären Kundenstamm von Wüstenrot und der Württembergischen mehr von den konzerneigenen Produkten absetzen. Das heißt, Bausparen im Kundenstamm des Versicherers und umgekehrt Versicherungen im Kundenstamm der Bausparkasse intensiver anbieten.

Wie gut ist das bisher gelungen?

Die Württembergische hat im vergangenen Jahr so viel Bauspargeschäft vermittelt wie noch nie. Umgekehrt hat Wüstenrot noch nie zuvor so viele Versicherungsprodukte der Württembergischen abgesetzt. Dazu beigetragen hat, dass die Vertriebssteuerung von Wüstenrot und Württembergischer gemeinsam erfolgt. Darüber hinaus bündelt das sogenannte Group Board Vertrieb regelmäßig alle wesentlichen Vertriebsthemen und trägt dazu bei, den Konzern im Vertrieb einheitlich auszurichten. Dadurch wurde die Überschneidungsquote deutlich gesteigert. Besaßen vor wenigen Jahren nur drei Prozent der Konzernkunden sowohl Wüstenrot- als auch Würt-tembergische-Produkte, so sind es heute sieben Prozent. Damit sind wir noch nicht am Ziel, vorgenommen haben wir uns bis 2012 zehn Prozent.

Wie gut fügt sich die VVB in die neue W&W-Kultur ein?

In der Regel identifizieren sich die Mitarbeiter einer Bausparkasse sehr stark mit ihrem Unternehmen, und das ist gut so. Das liegt wahrscheinlich an dem langfristigen Geschäft und der relativ hohen Stabilität des Arbeitgebers. So trifft man auch in unserem Hause noch eingefleischte Leonberger und Wüstenroter. Das ist aber kein Problem, denn alle Mitarbeiter eint die hohe Loyalität zum Unternehmen und der Stolz, zu den Besten zu gehören. Wir sind sicher, dass die Kulturen von Wüstenrot und VVB sehr schnell zusammenwachsen werden. Ich spüre da viel Unterstützung auch an unserem Standort München.

Wie weit ist die VVB bereits in Wüstenrot integriert?

Zum 30. September 2009 wurde die VVB rechtlich auf Wüstenrot verschmolzen. Die wesentlichen Stabsfunktionen wurden sehr schnell in unserer Wüstenrot-Zentrale in Ludwigsburg zentralisiert. Die betroffenen Mitarbeiter sind entweder zu W&W, zur HVB beziehungsweise zur Ergo gewechselt oder es wurden andere Lösungen gefunden, etwa eine Übernahme durch IBM oder Aufhebungsverträge, die mit ganz wenigen Mitarbeitern geschlossen wurden. Aber allen Mitarbeitern konnten wir ein Weiterbeschäftigungsangebot machen. Dies alles haben wir innerhalb von drei Monaten geschafft. Die Migration der Bestände werden wir spätestens bis Ende dieses Jahres abgeschlossen haben. Damit liegen wir im Plan und entsprechende Effizienzgewinne sind auch schon spürbar. Alle Mitarbeiter in Vertrieb und Processing konnten wir sehr schnell für unseren Wachstumskurs gewinnen.

Allerdings hat W&W gerade große Anstrengungen unternommen, um das Processing zu zentralisieren. Jetzt wird mit München doch wieder ein zweiter Standort geschaffen. Warum?

Das sind zwei unterschiedliche Vorgänge. Vor 2006 waren wir in Deutschland mit mehreren verstreuten kleinen Standorten präsent, das war wenig effizient. Wir können uns heute sehr gut ein Processingkonzept mit zwei bis vier hochprofessionellen größeren Standorten vorstellen. Mit der Übernahme der VVB haben wir ein solches in München gefunden.

Ist das Processing der VVB effizienter?

Wir sollten nicht so anmaßend sein, dass wir von anderen Bausparkassen - egal ob groß oder klein - nicht noch etwas lernen könnten. So haben wir auch in München einiges vorgefunden, das W&W weiterhilft. Aber sicherlich: Die führenden Systeme sind in Ludwigsburg und dort wird sich auch die VVB wiederfinden.

Wie steuern Sie das "neue" Kollektiv?

Genau an dieser Frage scheitert im Moment die weitere Konsolidierung der Bausparbranche. Denn die aufsichtsrechtliche Hürde, um Tarife zu integrieren, ist derzeit noch enorm hoch. Seit Jahresbeginn werden keine VVB-Tarife mehr vertrieben. Aber alle Tarife müssen in die Kollektivsimulation und -steuerung von Wüstenrot übernommen und dort nachgebildet werden. Die 70-jährige Historie der VVB mit ihren zahlreichen Fusionen hinterlässt natürlich auch im Kollektiv Spuren und macht die Tarifintegration zu einem hochkomplexen Thema.

Dieses Problem hat auch die Aufsicht erkannt. Aber aufgrund der formalen Vorgaben des Regelwerks, an das sich die BaFin halten muss, sind die Möglichkeiten doch sehr begrenzt. Hier müssen die Bausparkassen und die Aufsicht sicherlich noch weiter gemeinsam nach Lösungen suchen.

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