Leitartikel

Baustopp mit Folgeschäden

"Alleine schlafen fördert die Wohnungsnot" prangte auf dem T-Shirt eines jungen Mannes, der dem sonstigen Erscheinungsbild nach in die Kategorie "Student" einzuordnen ist. Gleichwohl die mitgeführte Literatur durchaus auf soziologische Interessen hindeutet, ist der textile Slogan weniger ein sozialkritisches Manifest als vielmehr ein anzüglicher Appell an die lesekundige Weiblichkeit, dem angehenden Akademiker Obdach und Wärme zu spendieren. Wie originell man diesen Aufdruck auch halten mag, in ihm steckt doch das sprichwörtliche Quentchen Wahrheit. Die Statistiker haben es längst registriert und vielfach kommuniziert: Die durchschnittliche Personenzahl pro Haushalt ist in den vergangenen 100 Jahren von 4,5 auf 2,1 zurückgegangen. Und der Trend hält an, denn die Zahl der Singlehaushalte steigt weiter. Schon heute stellen sie mit rund 37 Prozent die größte Nutzergruppe, wie das Wissenschaftszentrum Berlin ermittelte. Bis 2020 prognostizieren die Statistiker in den Bundesämtern einen Anstieg der Ein-Personen-Haushalte um 1,35 Millionen auf 40,76 Millionen - bei insgesamt stagnierender Gesamtbevölkerung. Und weil sich damit die Wohnbedürfnisse verändern, sagt das Marktforschungsinstitut Empirica einen Anstieg des Wohnflächenverbrauchs pro Kopf von derzeit knapp 48 auf 52 Quadratmeter im Westen und von 40 auf 48 Quadratmeter im Osten bis zum Jahr 2020 voraus. Die Folge: Der Wohnungsbedarf nimmt qualitativ und quantitativ zu.

Gleichwohl sonnen sich maßgebliche Wohnungspolitiker offensichtlich noch immer in dem Glauben, die Wohnraumversorgung sei ausgeglichen. Doch die Ausgewogenheit der Märkte ist nur noch eine mathematische Spielerei. Regional betrachtet klafft die Schere zwischen Angebot und Nachfrage immer weiter auseinander. Dass sich die Märkte dabei extrem heterogen entwickeln, ist ebenfalls längst bekannt. Allerdings richtet sich die Aufmerksamkeit bundesdeutscher Wohnungspolitik noch immer fast ausschließlich auf die - erst mit massiven Steuervorteilen aufgebauten - Angebotsüberhänge im Osten. Zwar loben die begünstigten Wohnungsgesellschaften heute den Erfolg des "Stadtumbaus Ost", der den Leerstand in ihren Beständen laut GdW-Jahresstatistik "Wohnwirtschaftliche Daten und Trends 2008/2009" auf knapp unter zehn Prozent verringert habe, doch wie nachhaltig ist dieser Erfolg? Die Unternehmen selbst erwarten ab 2010 eine neue Leerstandswelle, denn dann werde sich der anhaltende Bevölkerungsschwund in den östlichen Bundesländern auch in sinkenden Haushaltszahlen niederschlagen. Wie zuverlässig diese Prognose ist, muss sich erst noch zeigen, doch schon heute gibt sie den Unternehmen ein willkommenes Argument an die Hand, um eine fortgesetzte Abrissförderung zu begründen.

Derweil werden in den westdeutschen Ballungszentren Wohnungen knapp. Überraschend ist dies freilich nicht, warnen doch maßgeblich die Bausparkassen schon lange vor dem sich ausweitenden Angebotsdefizit. Deshalb sind die Gründe des Mangels ebenfalls längst bekannt, obgleich die offensichtlichen Kausalitäten von der Politik bislang wohlfeil ignoriert werden: Seit Jahren wird weniger Wohnraum geschaffen, als durch Abgänge verloren geht. Und auch für die Zukunft verheißt die sinkende Zahl an Baugenehmigungen keine Wende zum Besseren. Ende 2007 markierten 182 000 Einheiten den niedrigsten Stand seit 1949. Eine Besserung zeichnet sich nicht ab. Laut jüngster Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurde zwischen Januar und September der Bau von nur 133 000 Wohnungen genehmigt. Das waren nochmals 2,2 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Von den Genehmigungen entfielen 113 000 auf Neubauwohnungen, was sogar ein Minus von vier Prozent gegenüber der Vorjahresperiode ist. Dabei verzeichneten Einfamilienhäuser mit minus 5,6 Prozent den größten Rückgang. Wohnungen in Zwei- und Mehrfamilienhäusern blieben um 2,5 Prozent beziehungsweise 2,7 Prozent unter dem Vorjahreswert. Bezogen auf das Gesamtjahr 2008 wird von einem um 0,7 Prozent niedrigeren Wohnungsbauvolumen gegenüber 2007, als dieses 134,03 Milliarden Euro betragen hatte, ausgegangen.

Für 2008 hatten die amtlichen Statistiker ursprünglich noch rund 204 000 Wohnungsbaugenehmigungen erwartet. Aber selbst wenn diese noch erreicht werden sollten, so bleiben sie doch weit unter dem vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung prognostizierten Bedarf. Demnach müssten bis 2010 jährlich 278 000 Wohnungen neu gebaut werden. Nach Untersuchungen des Energie-Dienstleisters Techem und den Marktforschern von Empirica ist der Wohnungsleerstand in den westdeutschen Bundesländern auf aktuell 2,4 Prozent gesunken. Damit ist der Markt zwar funktionstüchtig, doch werden zwei bis drei Prozent Leerstand als gerade noch akzeptable Fluktuationsreserve für Umzüge und Sanierungsmaßnahmen gebraucht. In Erlangen, Karlsruhe, Darmstadt, Kempten, Mainz und Baden-Baden sind die Leerstandsquoten jedoch bereits unter ein Prozent gerutscht. Der IVD spricht deshalb zu Recht von Wohnungsmangel. Da ist es nur folgerichtig, dass die Mieten steigen. Für Nachkriegsbauten in Großstädten ermittelte der IVD Mietpreissteigerungen von einem Prozent, bei Altbauwohnungen sind es 2008 immerhin schon vier Prozent. Mancherorts beträgt der durchschnittliche Mietanstieg sogar mehr als zehn Prozent.

Der Logik eines funktionierenden Marktes folgend müssten steigende Mietpreise auch den Neubau anregen. Doch weder im Eigenheimsegment noch im Geschosswohnungsbau ist Investitionsfreude spürbar. Daran wird auch Wohn-Riester zumindest in den nächsten Jahren nichts ändern. Denn der wesentliche Grund für den Baustop ist die massive staatliche Einflussnahme, die es in dieser Breite und Tiefe in keinem anderen

Wirtschaftsbereich gibt. Hinzu kommt, dass die reglementierte "Bewirtschaftung" immer weniger verlässlich ist. Statt Kontinuität zu garantieren, werden Wohnungsanbieter mit immer schärferen energetischen Standards traktiert, die ökologisch zwar sinnvoll sein mögen, deren Umsetzung aber nicht immer wirtschaftlich ist und deren mietrechtliche Konsequenzen oft den Vermieter benachteiligen. Dass angesichts dieser "politischen Kosten" die Wohnungswirtschaft nach Kompensationen ruft, ist nur folgerichtig. Bei der Verwirklichung wohnungspolitischer Ziele und Standards allein auf den Wettbewerb zu vertrauen, hieße die Marktkräfte zu überschätzen. Gleichwohl gilt es, einen Ausgleich zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekten des Wohnens zu finden. L. H.

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