Immobilien-Konjunktur 2016

Wohnungsbaukonjunktur - Einschätzungen einer Bausparkasse

Franz Wirnhier

Um den Bedarf an Wohnraum zu decken, müssen in den kommenden Jahren in Deutschland jährlich 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen gebaut werden. Für die Nachfrage sorgen Trends wie die weiter steigende Bevölkerungszahl, der Anstieg der Haushalte sowie der Bedarf an größerer Wohnfläche pro Haushalt. Daneben spielen auch die inländischen Wanderungsbewegungen eine spürbare Rolle. Von der steigenden Wohnungsnachfrage und der an Schwung gewinnenden Bautätigkeit erwartet der Autor, dass dadurch auch der Markt für Wohnungsfinanzierungen weiter wächst. Die Bausparkassen, von denen etwa jeder fünfte Euro stammt, der zur Wohnungsfinanzierung vergeben wird, verfügen hierzu durch die Änderungen am Bausparkassengesetz über die Möglichkeit zur Ausweitung ihres Finanzierungsgeschäfts. So sind künftig auch Darlehen ohne Bausparvertrag aus dem Kollektiv refinanzierbar. Red.

Der Wohnungsbau in Deutschland hat in den vergangenen Jahren an Dynamik gewonnen. Dennoch klafft im Wohnimmobilienmarkt eine große Lücke. Das Angebot wird der anhaltend starken Nachfrage nach Häusern und Wohnungen nicht gerecht. Deshalb ist eine weitere Steigerung der Bautätigkeit dringend erforderlich - auch um die Herausforderungen des Flüchtlingsstroms nach Deutschland zu bewältigen. Durch eine gesteigerte Bautätigkeit ergeben sich weitere Marktpotenziale bei der Wohnbaufinanzierung. Die Bausparkassen haben auch dank der Neuerungen des Bausparkassengesetzes gute Voraussetzungen, um daran teilzuhaben.

Es ist ein tiefes Tal, in das die Baukonjunktur gefallen war. 2009 und 2010 wurden jeweils weniger als 160 000 neue Wohnungen in Deutschland fertiggestellt. Damit hatte sich die Neubautätigkeit seit dem Jahrtausendwechsel halbiert. Von da an ist es aufwärts gegangen, aber nicht genug. Für 2014 wurden knapp 250 000 Baufertigstellungen gemeldet. Das entspricht zwar einer Steigerung von fast 60 Prozent in vier Jahren. Doch es ist immer noch weit weniger als der Bedarf. Dieser liegt nach Einschätzung von Experten für die kommenden Jahre im Durchschnitt zwischen 350 000 und 400 000 Wohneinheiten pro Jahr. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die für zusätzliche Nachfrage nach Häusern und Wohnungen sorgen werden.

Der allgemeinen demografischen Entwicklung zum Trotz wird die Bevölkerungszahl in Deutschland weiter steigen - abhängig vom Ausmaß der Zuwanderung noch etwa fünf bis sieben Jahre. Allein von den 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen werden wohl 300 000 bis 500 000 dauerhaft hier bleiben. Zusätzlich ist mit erheblichem Familiennachzug zu rechnen. So ergibt sich nach Einschätzung des Forschungsinstituts Empirica für die Flüchtlinge der Jahre 2014 bis 2016 eine Nachfrage nach rund 320 000 Wohnungen, was den Neubaubedarf in den nächsten beiden Jahren weit über den Durchschnitt treibt.

Starker Anstieg der Zahl der Haushalte

Noch stärker als die Bevölkerungszahl wird die Zahl der Haushalte steigen. Von 1991 bis 2013 sind in Deutschland 4,7 Millionen Haushalte dazugekommen. Insgesamt sind es inzwischen rund 40 Millionen Haushalte. Gleichzeitig leben immer weniger Menschen gemeinsam unter einem Dach. 1991 waren es pro Haushalt 2,27 Personen. Inzwischen sind es nur noch 2,02. Singlehaushalte haben inzwischen mit 16 Millionen den größten Anteil an der Gesamtheit der Haushalte. Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl der Haushalte nach der Wohnungsmarktprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung um gut 500 000 zunehmen. Die Wohnflächennachfrage wird demnach um rund sieben Prozent wachsen.

Dazu trägt ein weiterer Trend bei, der seit Jahrzehnten zu beobachten ist: Es leben nicht nur weniger Menschen pro Haushalt. Sie beanspruchen auch mehr Wohnfläche für sich. Vor allem die Eigentümerhaushalte leben auf größerem Raum. Laut Wohnungsmarktprognose wird der Anteil der Selbstnutzer gegenüber den Mietern in den kommenden Jahren zunehmen. Die größere Nachfrage wird sich auf die Mehrzahl der Regionen in Deutschland auswirken. 64 Prozent der Raumordnungsregionen werden nach Einschätzung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung einen spürbaren Wohnflächenbedarfszuwachs von über fünf Prozent verzeichnen.

Der Neubaubedarf bestimmt sich nicht nur durch die Zahl der Haushalte und ihren Wohnflächenbedarf. Er hängt auch davon ab, wie die künftig vorherrschenden Anforderungen an Wohngebäude erfüllt werden können. Dies bezieht sich auf die Qualität der Bausubstanz in Hinblick auf den Wohnkomfort ebenso wie auf die energetische und - insbesondere - die altersgerechte Ausstattung. Denn besonders stark wird die Zahl der älteren Haushalte zunehmen. Während derzeit jeder Fünfte der Altersgruppe 65 plus angehört, wird es 2060 jeder Dritte sein.

Dies führt erstens zu höheren Anforderungen an die altersgerechte Ausstattung von Häusern und Wohnungen. Denn die meisten Menschen wollen im Alter möglichst lange zu Hause leben - auch wenn sie dabei Hilfe benötigen. Von den 2,63 Millionen pflegebedürftigen Menschen im Jahr 2013 wurden 71 Prozent zu Hause versorgt. Wenn dieser Bedarf in Zukunft mehr Menschen trifft, müssen dafür geeignete Wohngebäude zur Verfügung stehen.

Teilweise wird das durch Modernisierungen ermöglicht werden können. Darüber hinaus wird aber entsprechender Neubaubedarf entstehen. Zweitens zeigt die deutliche Zunahme von Menschen im Rentenalter ein grundlegendes Problem der Altersvorsorge für Deutschland auf, weil unser Land bei der Wohneigentumsquote Schlusslicht in der Europäischen Union ist. Es muss gelingen, mittels Wohnriester diese Quote deutlich zu steigern, damit eine größere Zahl dieser Menschen im Alter mietfrei leben können.

Regionale Unterschiede

Neben der steigenden Zahl der Haushalte und der Zuwanderung aus dem Ausland wirken sich inländische Wanderungsbewegungen auf die Wohnimmobilienmärkte aus. Während zwischen 1990 und 2012 noch in 254 Kreisen die Bevölkerung wuchs und in 157 Kreisen schrumpfte, wird sich diese Entwicklung bis 2035 umkehren, erwartet das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.

Vor allem Gemeinden im ländlichen Raum dürften die Folgen von Bevölkerungsrückgang spüren. Demgegenüber werden städtische Regionen noch stärker wachsen. Während die Bevölkerung in den Großstädten von 2008 bis 2013 um 2,8 Prozent gewachsen ist, ging die Bevölkerungszahl in Städten mittlerer Größe und in Kleinstädten zurück.

Allerdings sind die Chancen auf einen Arbeitsplatz in ländlichen Regionen meist besser als in wachsenden Metropolregionen. Bei der Zahl der gemeldeten offenen Stellen im Verhältnis zur Zahl der Erwerbstätigen schneiden Mittelstädte wie Memmingen, Coburg oder Schwerin besonders gut ab, ebenso wie ländliche Landkreise wie Main-Tauber-Kreis, Tuttlingen oder Sonneberg.

Steigende Wohnungnachfrage

Insgesamt ist in den kommenden Jahren eine steigende Wohnraumnachfrage in Deutschland zu erwarten. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Bautätigkeit noch mehr Schwung gewinnt und der Markt für Wohnbaufinanzierungen weiter wächst. Schon jetzt stammt etwa jeder fünfte Euro, der in Deutschland zur Wohnbaufinanzierung vergeben wird, von einer Bausparkasse.

Die Branche bietet im derzeitigen Niedrigzinsumfeld mit dem Bausparvertrag ein Produkt, das über einen besonders gefragten Kernnutzen verfügt: langfristige Zinssicherung. Diese spielt eine immer größere Rolle. Darlehen mit Laufzeiten von mehr als zehn Jahren hatten im Jahr 2012 einen Anteil von 38 Prozent an allen Finanzierungen. 2015 waren es rund 45 Prozent, wie eine Erhebung des Verbands deutscher Pfandbriefbanken gezeigt hat.

Dieser Trend spricht für ein anhaltend hohes Interesse an möglichst langfristiger Zinssicherung. Der Bausparvertrag und die mit einem Bausparvertrag unterlegte Kombinationsfinanzierung sind die originären Produkte, um diesen Wunsch zu erfüllen.

Darüber hinaus können die Bausparkassen auch Annuitätendarlehen darstellen. Dies wird in Zukunft eine größere Rolle spielen. Denn dank der Änderungen am Bausparkassengesetz können auch Darlehen ohne Bausparvertrag künftig aus dem Kollektiv refinanziert werden, was den Spielraum hierfür deutlich erweitert.

Unterstützung des Wohnungsneubaus

Ein wachsender Markt für Baufinanzierungen ermöglicht den Bausparkassen eine Ausweitung ihres Finanzierungsgeschäfts. Dieses ist angesichts niedriger Anlagezinsen am Kapitalmarkt und hoher Einlagenbestände bei vielen Bausparkassen von erheblicher strategischer Bedeutung.

Die Bausparkassen haben die richtigen Produkte, um die Intensivierung des Wohnungsneubaus, die in Deutschland angesichts der massiven Nachfrage nach Häusern und Wohnungen in den kommenden Jahren dringend benötigt wird, effektiv zu unterstützen.

Vor allem aber ist der Staat gefordert. Steuerliche Anreize für private Investitionen in preisgünstige Wohnungen sind ebenso nötig wie ein verstärktes Engagement der Länder im sozialen Wohnungsbau und eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren.

Der Autor

Dr. Franz Wirnhier Vorsitzender des Vorstands, LBS Bayerische Landesbausparkasse, München

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