Wohnungspolitik 2011

Wozu noch Wohnraumförderung?

Die klassische Wohnungsbauförderung mit ihren auch qualitativen Ansprüchen hat dazu geführt, dass heute der Mietwohnungsbestand in Deutschland von einer hohen Qualität und Attraktivität ist und dass Deutschland eine hohe Mieterquote aufweist. Der gut ausbalancierte deutsche Wohnungsmarkt mit seiner Mischung von Eigentum, Miete und genossenschaftlichem Wohnen war auch eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Deutschland gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen ist. In anderen Ländern war der Wohnungsmarkt Auslöser der Krise, bei uns wirkte er stabilisierend.

Bisherige Praxis

Die Wohnungsbauförderung hat in Deutschland in der Nachkriegszeit das Wohnungsangebot maßgeblich geprägt. Mit dem Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz (beide aus den fünfziger Jahren) wurde Erstaunliches geleistet, um der kriegsbedingten Wohnungsnot entgegen zu wirken. Das im Zweiten Wohnungsbaugesetz formulierte Ziel der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum war die Idee, die viele Jahrzehnte die Wohnungsbauförderung geprägt hat. Das Erste und das Zweite Wohnungsbaugesetz setzten bei der Neubauförderung noch ganz klar auf die Objektförderung, das heißt die Förderung mit in der Regel niedrigverzinslichen oder unverzinslichen Darlehen und Aufwendungszuschüssen.

Mit dem Inkrafttreten des Wohnraumförderungsgesetzes (WoFG) zum 1. Januar 2002 erfolgte in der vom Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg geprägten wohnungspolitischen Gesetzgebung eine erste wohnungspolitische Zäsur. Das WoFG bietet den Ländern eine relativ große Gestaltungsfreiheit bei der Konzeption ihrer Wohnraumförderpolitik, die von den einzelnen Ländern jedoch durchaus unterschiedlich genutzt wird. Der Bund hatte damit bereits auf veränderte Entwicklungen und Bedingungen des Wohnungsmarktes und der Wohnungswirtschaft reagiert und den Ländern Anpassungen in einem bestimmten Rahmen ermöglicht.

Das Gesetz folgt allerdings nicht mehr dem Ziel der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung. Als Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung werden Haushalte definiert, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind (WoFG § 1 Abs. 2). Die Konzentration der Wohnraumförderung hat - im Zusammenwirken mit weiteren wirtschaftlichen und arbeitsmarktbezogenen Veränderungen wie Hartz IV - zu einer suboptimalen Belegung der Wohnquartiere geführt und begünstigt oder verfestigt sozial segregierte Wohnquartiere.

Mit der Föderalismusreform fiel das Recht der sozialen Wohnraumförderung ab 1. Januar 2007 in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder. Begründet wurde dieser Systemwechsel mit der Notwendigkeit einer stärkeren Teilmarktorientierung und der Notwendigkeit, die Förderinstrumente sozial treffsicherer und zugleich volkswirtschaftlich effizienter zu gestalten. Der Bund leistet zwar einen finanziellen Beitrag von zurzeit 518,2 Millionen Euro jährlich. Die konkrete Ausgestaltung und Mittelverwendung erfolgt jedoch durch die Länder und soll damit auch der weiter erforderlichen stärkeren Teilmarktorientierung Rechnung tragen.

Gleichzeitigkeit ungleicher Entwicklungen

Der demografische Wandel wird in Deutschland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einem deutlichen Rückgang der Bevölkerung führen, was nicht ohne Auswirkungen auf die Wohnungsnachfrage bleiben kann. Die demografische Entwicklung trifft jedoch nicht alle Landesteile in gleichem Maße, sondern wird regional in sehr unterschiedlichen Ausprägungen auftreten, die zum Teil sogar gegenläufig sind und zu einer Gleichzeitigkeit ungleicher Entwicklungen führen.

So werden sich durch das Wanderungsverhalten und die bereits alterslastigen Strukturen zahlreiche Gebiete in strukturschwachen Regionen immer weiter entleeren, gleichzeitig wird es eine Reihe wirtschaftlich starker Regionen mit großer Anziehungskraft geben, in denen in den nächsten Jahren Bevölkerungswachstum zu verzeichnen sein wird. Dies sind vor allem Regionen, in denen Arbeitskräfte gesucht werden. Vor dem

Hintergrund dieser Entwicklung wird sich die Struktur der Nachfrage auf den regionalen Wohnungsmärkten weiter ausdifferenzieren. Einerseits werden Wohnungen benötigt, die der alternden Bevölkerung das "Wohnen für ein langes Leben" in den Beständen ermöglichen. Andererseits sind aber auch Angebote für junges Wohnen, für Studenten und für Familien erforderlich. Das heißt: Es existiert ein hoher Bedarf an Neubau- und vor allem auch an Bestandsinvestitionen.

Noch niemals in Deutschland gab es diese Gleichzeitigkeit: In bestimmten prosperierenden Regionen einen Wohnraummangel und in anderen Regionen ein Wohnungsüberangebot, das mit staatlichen Förderungsmaßnahmen im Rahmen von Stadtentwicklungskonzepten beseitigt werden muss.

Die wirtschaftliche Situation der privaten Haushalte in Deutschland entwickelt sich dabei sehr unterschiedlich. Gegenwärtig zählen rund 20Prozent der Haushalte zu den Niedrigeinkommensbeziehern. Diese Gruppe wird künftig eher steigen. Die Versorgung einkommensschwacher Haushalte wird daher eine zentrale Aufgabe der Wohnungswirtschaft und eine große Herausforderung für die Wohnungspolitik bleiben. Vor allem die zukünftigen Seniorenhaushalte werden ein deutlich geringeres Einkommen haben als die heutigen Rentnerhaushalte. Die Folge wird eine zunehmende Altersarmut sein. Andererseits wird der Vermögensaufbau weiter zunehmen. Diese Entwicklung wird vor allem von den oberen sozialen Schichten getragen. Die Mittelschicht in Deutschland wird dabei tendenziell eher abnehmen. Eine weitere wichtige Rolle wird in der Zukunft die Integration von Haushalten mit Migrationshintergrund spielen.

Dadurch, dass die objektgeförderten Bestände der Nachkriegszeit im Rahmen von planmäßigen und außerplanmäßigen Tilgungen der Förderdarlehen nach rund 40 bis 50 Jahren aus den Bindungen herauslaufen, wird der gebundene Mietwohnungsbestand in Deutschland immer geringer. Der soziale Wohnungsbestand, der vor allem die alten Länder betrifft, baut sich sukzessive weiter ab. Nur noch wenige Länder fördern heute den sozialen Wohnungsneubau mit Objektfördermitteln. Die Zahl der Bedürftigen wird also steigen, der Bestand an günstigen Sozialwohnungen sinken, was zwangsläufig zu Problemen führen wird.

Bezogen auf den Geschosswohnungsbau wurden 2009 deutschlandweit nur noch rund 51 000 Wohnungen errichtet, davon waren rund 25000 Mietwohnungen. Das aktuelle Baugeschehen liegt mit insgesamt 159000 fertiggestellten Wohneinheiten gegenwärtig deutlich unter dem auf lange Sicht prognostizierten Bedarf. Langfristige Prognosen - wie die vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) vorgelegte Raumordnungsprognose - gehen bis 2025 von einem jährlichen Neubaubedarf zwischen 183000 und 256000 Wohnungen aus.

Allerdings konzentriert sich der Bedarf an neuen Wohnungen eben nur auf wenige Wachstumsregionen. Nach einer aktuellen Studie der Empirica AG Forschung und Beratung kann derzeit nur für elf Städte in deutschen Ballungsräumen sicher von einem Wohnungsmangel gesprochen werden, darunter unter anderem München, Stuttgart und Hamburg. Für weitere 15 Ballungszentren und Universitätsstädte hält Empirica aktuell eine Wohnungsknappheit für wahrscheinlich. Unter den genannten Städten finden sich etwa Köln, Darmstadt, Nürnberg, Jena und Potsdam. Eine Anregung des Neubaus ist in solchen wachsenden Ballungsräumen angesichts des äußerst niedrigen Fertigstellungsniveaus dringend geboten.

Wiederbelebung der sozialen Wohnraumförderung

Betrachtet man die Bedarfe im Bereich des Wohnungsbestandes, die weitere Differenzierung der Haushaltseinkommen und die Zunahme des Anteils der Transfereinkommensbezieher sowie die gleichzeitige Abnahme des Bestandes an Sozialwohnungen und das anhaltend niedrige Neubauniveau, wird deutlich, dass eine soziale Wohnraumförderung zumindest in den Ballungsgebieten, in denen heute schon Wohnungsmangel auftritt, und in den Wachstumsregionen dringend erforderlich ist. Dort werden die Niedrigeinkommensbezieher heute häufig in den Beständen der siebziger und achtziger Jahre oder in unsanierten Altbauten in unattraktiver Lage untergebracht, da diese Bestände den preiswerten Wohnraum darstellen.

Wenn aber in 20 oder 25 Jahren der preiswerte Wohnraum fehlt, weil heute zu wenig neue Wohnungen entstehen, werden wir erhebliche soziale Probleme bekommen bis hin zu einer sozialen Segregation. Unterstützt werden diese negativen Entwicklungen durch weitere politische Maßnahmen wie die für das Jahr 2011 beschlossene Kürzung der Städtebauförderungsmittel, die die

Stadtentwicklung und den Stadtumbau mitfinanzieren, und die Quasi-Einstellung des Programms Soziale Stadt. Auch durch die zunehmende energetische Sanierung der Bestandsgebäude steigen in den Beständen die Mieten, was sich vor allem in einer steigenden Mietbelastungsquote der einkommensschwachen Bevölkerungsteile niederschlägt. Hier liegt die Mietbelastungsquote zum Teil schon bei oder über 50Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens.

Anforderungen an die künftige Wohnraumförderung

Wohnungspolitik ist daher stärker mit der Stadtentwicklung und Quartiersentwicklung zu verzahnen. Vitale Städte brauchen vitale Stadtteile, in denen die Menschen gern und mit Überzeugung wohnen und leben. Das Ziel einer zukunftssicheren Wohnraumpolitik besteht darin, in Kooperation mit allen Akteuren in den Stadtteilen im Sinne einer Prophylaxe von Fluktuation und Leerstand für - ein lebendiges Miteinander - Sorge zu tragen. Dies setzt voraus, dass die Menschen neben hochwertigen Wohnungsangeboten lebens- und liebenswerte Wohnumfelder und sozial stabile Bewohnerstrukturen in den Quartieren vorfinden.

Vor diesem Hintergrund gewinnt eine integrierte Stadtteilentwicklung auf der Basis strategischer Allianzen zwischen Wohnungsunternehmen, Kommunen und der Bewohnerschaft mehr und mehr an Bedeutung. Sämtliche wohnungswirtschaftliche Maßnahmen - ob Rückbau, Bestandsmodernisierungen oder Neubauaktivitäten - sind (objekt- und) standortbezogen. Sie müssen aus diesem Grund immer im Kontext mit allen anderen Strategien und Instrumenten, ob öffentlicher oder privater Akteure, geplant und umgesetzt werden.

Die demografischen Veränderungen sowie die sozio-ökonomischen Herausforderungen gerade in den Städten erfordern von Seiten der Länder eine verlässliche, konsequente Wohnungspolitik im Sinne einer integrierten Zukunftspolitik, die

- öffentliche und private Akteure und Bürger gemeinsam gestalten und dabei Sorge tragen für die Lebensgrundlagen künftiger Generationen,

- regional, stadt- und stadtteilbezogen ausgerichtet wird,

- Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik wie die Entwicklung der Infrastruktur mit der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik verzahnt,

- Chancen zur Teilhabe an gleichwertigen Lebenslagen ermöglicht,

- angesichts der notwendigen Begrenzung öffentlicher Ausgaben die bestehenden Fördersystematiken umbaut zugunsten einer Konzentration von Mittelplanung und Mitteleinsatz in vernetzten Strukturen,

- marktwirtschaftlichem Handeln genügend Raum gibt und mit sozialem Anliegen verbindet.

Auch muss sich die Politik fragen lassen, ob das Konzept, nahezu ausschließlich auf eine Subjektförderung und den Ankauf von Belegungsrechten zu setzen, gerade in Ballungsgebieten aufgeht. Man wird in diesen Regionen auch darüber nachdenken müssen, die klassische Objektförderung wieder zu beleben.

In diesem Zusammenhang bietet sich die Wohnungswirtschaft der Politik als Partner an mit dem Ziel, im gegenseitigen Interesse möglichst Förderinhalte zu definieren und Regelungen zu treffen, die auf größtmögliche Akzeptanz stoßen und überdies einen effizienten Einsatz der begrenzten finanziellen Ressourcen sicherstellen.

Besondere Brisanz hat die Thematik, weil die Bundesregierung im Lauf der 17. Legislaturperiode entscheiden will, ob sich der Bund auch nach dem Jahr 2013 weiter in gleichem Umfang an der sozialen Wohnraumförderung beteiligt. Dies ist aus gesamtgesellschaftlicher Sicht dringend geboten. Im Gegenteil: Die erforderlichen Mittel müssen wahrscheinlich sogar aufgestockt werden.

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