Schwerpunkt Stadtentwicklung

Fünf Jahre Leipzig Charta: Wie nachhaltig entwickeln sich die Städte?

Fünf Jahre Leipzig Charta1) waren ein Grund zur positiven Selbstvergewisserung - das Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung hat dies gemeinsam mit der Bauministerkonferenz und den kommunalen Spitzenverbänden im Oktober 2012 getan: Die Konferenz Urbane Energien/Urban Energies hat erneut ein Schlaglicht auf den Stand der Diskussion zur integrierten und nachhaltigen Entwicklung der Städte in Deutschland geworfen und diese in den Kontext der internationalen Entwicklung gestellt.

Das Memorandum "Städtische Energien - Zukunftsaufgaben der Städte" oder besser, wie in der englischen Fassung: "Herausforderungen für die Städte"2) hat den Stand der Diskussion zusammengefasst und als zentrales Mittel für die Umsetzung der Ziele eine integrierte Stadt- und Regionalentwicklung eingefordert. "Die nachhaltige Stadt ist klimagerecht und energieeffizient, anpassungsfähig und sozial gerecht, wirtschaftlich effizient und, nicht zuletzt, gestalterisch einzigartig und schön." Darauf ließ sich im Rahmen der Konferenz und im Memorandum leicht verständigen.

Kritische Bestandsaufnahme

Das Memorandum ist aber auch Anlass einer kritischen Bestandsaufnahme. Einerseits hat die Leipzig Charta mit der Nationalen Stadtentwicklungspolitik Themen gesetzt, die die kommunale Praxis durchdrungen haben. Ohne den Ansatz des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) wäre es auch für den Deutschen Städtetag trotz seines einschlägigen Papiers zur integrierten Stadtentwicklungsplanung3) ungleich schwieriger gewesen, Grundsätze der integrierten Stadtentwicklung so vergleichsweise schnell und wirksam zu kommunizieren.

So einfach es ist, sich auf einen gemeinsamen Nenner "integrierte Stadtentwicklung" und "Nachhaltigkeit" zu verständigen, so schwierig ist es, von der "Leipzig Charta" und dem Appell zur Mobilisierung der "städtischen Energien" zur Umsetzung zu gelangen. Hier haben Bund und Länder zwar in den vergangenen fünf Jahren durch Projekte im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, ergänzt durch den Paradigmenwechsel infolge der Klimawende und die im Rahmen einer neuen Mobilitätspolitik gesetzten Schwerpunkte auch für die Kommunen wirksame Beiträge geleistet.

Die Kommunen haben ihrerseits auf die geänderten Anforderungen mit einer Vielzahl integrierter Konzepte geantwortet, die alle Maßstabsebenen von der gesamtstatistischen bis zur Quartiersentwicklung und so gut wie alle Themen der integrierten Stadtentwicklung - soziale, wirtschaftliche, ökologische, verkehrliche Entwicklung - umfassen. Andererseits muss eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Bemühen auf kommunaler Ebene, integrierten Ansätzen durch ressortübergreifende Politiken und die Bündelung von Fördermitteln Leben einzuhauchen, und der nach wie vor deutlich ressortbezogenen Politik auf Bundes- und Landesebene konstatiert werden.

Diesem Mangel an Integration kann nur durch konzertierte und ressortübergreifende Anstrengungen auf allen Ebenen abgeholfen werden. Ohne Strategie, Finanzierungskonzepte und Mobilisierung der "städtischen Energien" durch Anreiz- und Förderinstrumente wird es kaum möglich sein, den durch die Leipzig Charta 2007 und das Memorandum "Städtische Energien- Städtische Herausforderungen" 2012 benannten Schlüsselaufgaben in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung von Städten und Regionen gerecht zu werden.

Dies erfordert zwangsläufig Priorisierungen im Bereich der Mobilitäts-, Klimaschutz-, Energie- und Stadtentwicklungsziele. Welches Ziel kann und soll mit begrenzten Mitteln wie erreicht werden? Wo ergeben sich Möglichkeiten, Ziele zu bündeln, und hieraus sektorübergreifende Programme und Projekte abzuleiten? Oder von der Durchführungsebene her gedacht: Welche Projekte orientieren auf sektorübergreifende Ziele und gestatten, Synergien zwischen den Maßnahmen zu entwickeln? Sich diesen Schlüsselfragen zu stellen, ist fraglos wichtiger, als weiterhin Projekte am oberen Ende des technolo -gisch Machbaren zu propagieren.

Bestandsgebäude können beispielsweise bereits bei einem deutlich niedrigeren Mitteleinsatz zufriedenstellend und mit überschaubarem Abschreibungszeitraum energetisch saniert werden, ohne mit entsprechend hohem Mitteleinsatz das "maximale Optimum" zu erreichen, das als abzuzinsende Last auf dem Gebäude liegt und Eigentümer wie Mieter belastet. Verkehrsprojekte müssen in ihren Ausbau- und Beschaffungsstandards nicht am oberen Ende der technischen Empfehlungen liegen, sondern können sich auch am Mindeststandard orientieren. Energieversorgungskonzepte sollten frei von Doktrinen ("Autarkie"), sondern unter dem Primat der Standorteignung, Ressourcenverfügbarkeit, Vernetzung und gegenseitigen Redundanz entwickelt werden.

Die Prioritäten müssen sich zukünftig an einem optimaleren Grenznutzen ausrichten, also Erreichen der besten Wirksamkeit unter Einsatz begrenzter Mittel und entsprechendes "Scaling up", also Vervielfachung statt "Leuchtturmprojekte".

Deutsche Städte stehen im internationalen Vergleich in puncto Nachhaltigkeit mit an der Spitze entsprechender Ratings, so zweifelhaft diese auch im Wettbewerb der Städte um die Gunst der Immobilienwirtschaft sein mögen. Dies ist umso höher zu werten, als Nachhaltigkeitsindikatoren in der Regel mit der finanziellen Situation von Städten korrelieren. So finden sich skandinavische Städte durchweg in der Spitzengruppe des einschlägigen "Green City Indicators" in Europa.4) Dies zeugt von der Wirksamkeit des städtischen Engagements zur nachhaltigen Entwicklung in den letzten Jahren.

Überforderung durch zu hohe Ziele

Nachhaltigkeit bildet sich aber nicht nur in der Planung und Umsetzung ressourcenschonender und dauerhafter Lösungen ab, sondern auch in der Fokussierung auf die "harten" stadtentwicklungspolitischen Themen, ihre Priorisierung untereinander und die gebündelte Bereitstellung der hierfür erforderlichen Mittel. Diese übersteigen mit Blick auf die klimaschutzpolitischen Ziele die Fähigkeiten der Städte jedoch deutlich:

- Der in den Kommunen erforderliche energetische Gebäudeumbau allein bezogen auf die kommunale und soziale Infrastruktur beläuft sich in den nächsten acht Jahren auf einen Investitionsbedarf von 75 Milliarden Euro, also über neun Milliarden Euro pro Jahr.5)

- Die Kosten für die Erneuerung der Wasser- und Abwassernetze belaufen sich auf etwa sechs Milliarden Euro jährlich. Damit ist noch kein Wärmetauscher im Abwassernetz finanziert.6)

- Die Kosten für die Entwicklung einer "neuen Mobilität" sind kaum kalkulierbar - wohl aber der Erhalt und punktuelle Ausbau der bestehenden Straßenund ÖPNV-Netze. Hierfür müssen in den Städten fast 30 Prozent des kommunalen Investitionsbedarfs aufgewendet werden. Der Bedarf beläuft sich im Zeitraum von 2006 bis 2020 auf 200 Milliarden Euro, also über zwölf Milliarden Euro im Jahr.7)

Was bedeutet das für die Immobilienwirtschaft? Die Städte werden noch deutlicher als in der Vergangenheit auf die Ko-Finanzierung von Maßnahmen durch die Entwicklungsträger und privaten Haushalte angewiesen sein. Die bewährten Instrumente zur "Abschöpfung" von Planungswertgewinnen, Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, müssen trotz ent gegenstehender politischer Richtungsentscheidungen, sie aus dem Förderkanon der Städtebauförderung zu streichen, weiter wo immer möglich und im maximal zulässigen Umfang angewendet werden. Die Finanzierung der Vorbereitung und Folgewirkungen von städtebaulichen Maßnahmen privater Träger über Durchführungs- und städtebauliche Verträge wird soweit wie möglich ausgeweitet werden müssen.

Die Grundsätze sozialgerechter Bodennutzung müssen in allen Städten, in denen die Baulandentwicklung ein hinreichendes Delta zwischen Anfangsund Endwert aufweist, einen Beitrag der privaten Entwickler zur Wohnraumversorgung und Flächenbereitstellung für öffentliche Nutzungen sicherstellen. Es wird sich kaum noch eine Stadt leisten können, die Erschließung von Baugebieten ohne 90-prozentige Deckung durch Erschließungsbeiträge oder 100-prozentige Refinanzierung durch Erschließungsverträge zu bewerkstelligen. Gleiches gilt für den Ausbau von Straßen; das Ausbaubeitragsrecht kann nicht, wie unlängst in Berlin suspendiert werden, sondern muss in vollem Umfang zur Anwendung gelangen. Und die Immobilienwirtschaft muss davon ausgehen, dass ihre Kalkulationen von den Städten noch intensiver gegengerechnet werden, als dies bislang schon der Fall ist.

Planungs- und Baukultur gestärkt

Das Erreichte verdeutlicht: An einer Nachhaltigkeitspolitik mangelt es weder auf nationaler, Länder- noch auf kommunaler Ebene. Es kommt darauf an, die Politikfelder miteinander zu verweben, was angesichts ungebrochener Dominanz von Ressortpolitiken auf Bundes- und Länderebene ein eher vermessenes Ziel ist. Zumindest aber sind Verknüpfungen zwischen der Klimaschutz-, Mobilitäts- und Stadtentwicklungspolitik zu identifizieren und die zur Verfügung stehenden Ressourcen auf die Themen in diesen Verknüpfungsbereichen zu konzentrieren. Hieraus lässt sich eine ressourcenbasierte und wirkungsorientierte Nachhaltigkeitspolitik entwickeln, die über einen "Aktionsplan Nachhaltige Städte" umgesetzt werden könnte. Das erfordert ein durchwirkendes Prinzip der Integration von Maßnahmen und ihre deutliche Bevorzugung gegenüber solitären, monodisziplinären Vorhaben.

Leipzig Charta und Nationale Stadtentwicklungspolitik haben einen kaum zu überschätzenden Dienst geleistet, das Erfordernis integrierter Stadtentwicklungsplanung zu kommunizieren und anhand ausgewählter Projekte zu exemplifizieren. Planungs- und Baukultur in Deutschland sind in ganz entscheidendem Maß befördert worden. Der Schritt zur Nachhaltigkeit bedeutet aber, dass auch auf Bundes- und Landesebene integrierte Politiken und die Bereitstellung von Fördermitteln ineinandergreifen. Dies erst würde den entscheidenden Schritt zur Nachhaltigkeit ausmachen.

Fußnoten

1) BMVBS (2007) - Leipzig Charta, Berlin.

2) BMVBS (2012) - Memorandum "Städtische Energien - Zukunftsaufgaben der Städte", Berlin.

3) Deutscher Städtetag (2011) - Positionspapier Integrierte Stadtentwicklungsplanung und Stadtentwicklungsmanagement - Strategien und Instrumente nachhaltiger Stadtentwicklung, gebilligt vom Präsidium des Deutschen Städtetages in seiner 383. Sitzung am 22. März 2011 in Hannover, Berlin und Köln.

4) Siemens (2009) - Green City Indicators Europe.

5) KfW Bankengruppe (2012) - Der energetische Sanierungsbedarf und der Neubaubedarf von Gebäuden der kommunalen und sozialen Infrastruktur, Berlin.

6) Deutsches Institut für Urbanistik (2008) - Investitionsrückstand und Investitionsbedarf der Kommunen, Ausmaß, Ursachen, Folgen, Strategien, Berlin 2008, S. 19 ff.

7) ebenda.

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