Schwerpunkt Wohnungs- und Städtebaupolitik

Gestaltung des urbanen Wandels - eine Gemeinschaftsaufgabe

Städtischer Wandel ist ein Dauerbrenner und gehört auf der politischen Agenda bis heute nach oben. Zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 war der Deutsche Städtetag zu seiner Hauptversammlung in Augsburg unter dem Motto "Erneuerung unserer Städte" zusammengetreten. Und auch wenn damit fraglos noch eine andere als die "behutsame Stadterneuerung" gemeint war, wurde ein Trend gesetzt für die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Stadt.

"Städte sind steingewordene Gesellschaftspolitik"

Diese setzte der Deutsche Städtetag 1971 zeitgleich mit dem Auflegen der ersten Städtebauförderungsprogramme fort: Unter dem Motto "Rettet unsere Städte jetzt!" unterstrich der damalige Präsident des Deutschen Städtetages, Dr. Hans-Jochen Vogel, die unverändert gültigen Essentials integrierter Entwicklung: Als Voraussetzung für einen Wandel in den Städten benannte er "interdisziplinäres Handeln in der Stadtentwicklung". Er stellte fest, dass "Städte steingewordene Gesellschaftspolitik" seien und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern deutlich weiter greifen müsse, damit die Menschen sich als Beteiligte des Planungsprozesses und nicht nur als Betroffene verstehen können.

Schließlich belehrte er alle jene bereits vor über vierzig Jahren eines Besseren, die der Auffassung sind, Städte seien "fertig gebaut" und die hierfür erforderlichen Anstrengungen von Politik und Verwaltung einschließlich der dafür eingesetzten Mittel, wie die der Städtebauförderung, könnten sinnvolleren Zwecken zugeführt werden: "Wir könnten das Wesen der Stadt [...] als eine Institution bewahren, in der sich die Mannigfaltigkeit menschlicher Strebungen reich entfaltet und zu einer neuen Harmonie verbindet [...], wenn wir erkennen, dass auch diese Institution [...] immer wieder neu durchdacht und neu konzipiert werden muss, wenn wir die Möglichkeiten, die uns zu Gebote stehen, entschieden nutzen und wenn wir vor allem dafür sorgen, daß unser Thema, das Thema 'Stadt' auf der Tagesordnung der Politik endlich an eine zentrale Stelle rückt." [...]

Städtebauförderung als essenziell anerkennen

Zeitgleich haben seit den siebziger Jahren Bund und Länder die Städtebauförderung aufgelegt. Eine Quintessenz der Rückschau auf vier Jahrzehnte des Umgangs mit Bauplanungsrecht und Städtebauförderung darf sein: Ohne Förderung, die sich in mehr als 40 Jahren auf über 16 Milliarden Euro für über 10 000 Maßnahmen in 6 600 Städten und Gemeinden summiert hat, ging es in Vergangenheit nicht und wird es auch in Zukunft nicht gehen. Das liegt nicht an fehlenden Kenntnissen und Kapazitäten der Städte, sondern an den erforderlichen programmatischen und finanziellen Initialzündungen, die von den Bundes- und Landesprogrammen in der Vergangenheit ausgegangen sind. Dass sich das inhaltliche Design der Förderung in der Regel an den Bedürfnissen und Erkenntnissen der Städte orientiert, ist ein günstiger Umstand des deutschen "Gegenstromprinzips": "Unten" wird in Deutschland "oben" durchaus gehört. Dafür darf man ob der vielen gegenteiligen Beispiele weltweit dankbar sein.

Die Herausforderungen für die deutschen Kommunen sind nicht weniger geworden, trotz der jahrzehntelangen Anstrengungen, die Städte zu erneuern und dem wirtschaftlichen Wandel anzupassen. Das Vogel'sche Kontinuum bleibt gültig: Die Städte müssen stets neu gedacht, umgeplant und umgebaut werden, um sie weiter für gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel zu optimieren.

Die Städte sehen sich gleichzeitigen aber gegenläufigen Entwicklungen gegenüber: Bevölkerungsschrumpfung und Bevölkerungsüberalterung versus Bevölkerungswachstum und hoher Nachfrage nach Kita-Plätzen, Wohnungs- und Gewerbeleerstand versus heißlaufenden Nachfragemärkten, wirtschaftsstruktureller Umbau versus sich entleerender Standorte, umfassende Ansprüche an die Energiewende versus fehlender Ressourcen zur technologischen Anpassung von Wärmetechnik, demografischer Wandel in Form der zunehmenden Entleerung von vielen Städten und ländlichen Räumen versus boomenden Metropolregionen und Universitätsstädten, steigendes Mobilitätsbedürfnis und exponentiell zunehmende Logistikmobilität versus grundlegender Infrastrukturdefizite und anhaltender Unsicherheit über die zukünftigen Systeme zur Infrastrukturfinanzierung. Anders aber als in der Vergangenheit muss städtischer Wandel mit Blick auf die unweigerlich knapper werdenden finanziellen Ressourcen auf allen Ebenen integriert organisiert werden: Viele Städte sind mittlerweile dem Ruf nach integrierter Stadt- und Quartiersentwicklung konzeptionell und auch organisatorisch gefolgt. Allerdings muss diese Form der planerischen Integration noch in Bund und Ländern Widerhall finden. Integriert Planen und Umsetzen bedeutet auch integriert Fördern.

Kooperationen und Synergien nutzen

Städte können Personalressourcen sparen und den Aufwand für die Anträge und die Abwicklung von Fördermaßnahmen verringern, wenn sie nicht mehrere Förderanträge für eine Einzelmaßnahme stellen müssen, sondern, einen integrierten Förderantrag für mehrere Einzelprojekte auf den Weg bringen können - oder eingängig politisch formuliert: Ein Antrag für fünf Projekte statt fünf Anträge für ein Projekt! Hier sind Bund und Länder gefordert, auch ihrerseits Fördermaßnahmen zwischen den Ressorts integ riert zu konzipieren und abzuwickeln.

Die Städte haben es als erste gemerkt - Zusammenarbeit schafft Synergieeffekte und sorgt bei allen Beteiligten für einen Motivationsschub. Ressortegoismen sind von gestern. Dies ist umso dringlicher, als energetische Sanierung, nachhaltige Mobilität und Städtebauförderung vor Ort ohnehin nur zusammen gedacht und realisiert werden können. Bei den politischen und finanziellen Setzungen auf Bundes- und Landesebene sollte dies nicht anders sein. Nordrhein-Westfalen hat hierzu mit seinem integrierten Ansatz zur Stärkung von über 80 Stadtquartieren landesweit einen ersten Aufschlag gewagt, der aus der Not der Mittelknappheit die Tugend des integrierten und sogar ressortübergreifenden Vorgehens macht.

Das Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung hat zusammen mit der Bauministerkonferenz und dem Deutschen Städtetag seit 2007 die "Nationale Stadtentwicklungspolitik" auf den Weg gebracht. Auch die kann hierfür den Weg weisen: Es geht dabei nicht nur um die Ausrichtung der Förderpolitik, das Auflegen von Förderprogrammen und die Diffusion guter Ideen von der nationalen Ebene in die Kommunen und vice versa. Es geht auch darum, die Synergien durch Kooperation aller Akteure, also auch von Stadt und städtischer Wirtschaft zu erkennen und zu nutzen. Zusammenarbeit bringt Vorteile für alle Beteiligten; es handelt sich um ein selbstverstärkendes System. Wenn sich die Wirtschaft für "ihren" Standort engagiert, wird dieser attraktiver für die Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch für hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und andere Unternehmen. Die Identifikation aller Stadtakteure mit ihren lokalen Standorten wird angesichts knapperer öffentlicher Ressourcen in den nächsten Jahren noch an Bedeutung zunehmen. Ein Gegeneinander wäre ressourcenschädlich. Nur aus einem Miteinander kann in Me tropolregionen, Wirtschaftsräumen, Regiopolregionen, zwischen Stadt und Land und innerhalb von Städten ein Mehrwert an Lebensqualität, Wirtschaftskraft und Innovation entstehen.

Die deutschen Städte können sich im globalen Vergleich glücklich schätzen, noch weitgehend mit den physischen Parametern des Leitbilds der "Europäischen Stadt" in Einklang zu stehen, wie es von den EU-Stadtentwicklungsministern 2007 in der Leipzig Charta niedergelegt wurde: Die Städte zeichnen sich durch eine angemessene Dichte mit Potenzial zur Nachverdichtung aus. Sie sind in ihren Nutzungen halbwegs gut durchmischt. Und bei gutem Willen kann man ihnen auch noch das Prinzip kurzer Wege zubilligen, könnten doch die überwiegende Mehrzahl aller städtischen Distanzen problemlos zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.

Wichtiger aber als den physischen Parametern zu entsprechen wird es in Zukunft sein, die soziale Durchmischung unserer Städte zu bewahren. Die Gerechtigkeitsdiskussion hat ihre Berechtigung, wenn Mietpreisentwicklung in Wachstumsregionen und das Wohnungsangebot für wenig verdienende Menschen dazu führen, dass immer stärkere Segregationsbewegungen in den Städten deutlich werden und statt einer Inklusion aller gesellschaftlicher Gruppen in die Stadt Phänomene der Exklusion zutage treten. Hier müssen Stadt-, Landes- und Bundespolitik ansetzen.

Die Städte sehen sich gehalten, dies durch eine gezielte Aktivierung von Nachverdichtungspotenzialen und Bauland zu tun, durch die zügige Schaffung von Planungs- und Baurecht und durch das Zusammenführen der Akteure am Wohnungsmarkt, wie es einige der Mitgliedsstädte des Deutschen Städtetages exemplarisch vorgemacht haben. Zudem sollte über eine Umkehrung des Veräußerungsverfahrens von öffentlichen Grundstücken nachgedacht werden: Die bedingungsfreie Vergabe von Grundstücken zu Höchstpreisen sollte nicht mehr den Regelfall sondern eher den Ausnahmefall darstellen. Dies sollte für städtische Grundstücke genauso gelten wie für Landes- und Bundesgrundstücke.

Länder und Bund sind gehalten, das Missverhältnis zwischen 15,5 Milliarden Euro jährlicher (Miet-)Subvention des Wohnens für Menschen mit geringen Einkommen - davon 10,5 Milliarden Euro kommunale Mittel - und kaum zwei Milliarden Euro sozialer Wohnraumförderung aufzulösen. Ohne Förderung wird es in Deutschland weder gelingen, in den wachstumsstarken Regionen das Wohnungsangebot so auszuweiten, dass Wohngerechtigkeit hergestellt werden kann, noch in den wachstumsschwachen Regionen angesichts der vielfältigen Anforderungen an energetische Sanierung und barrierefreien Umbau von Wohnungen funktionierende Märkte aufrecht zu erhalten. Das Wohnen bleibt der Schlüssel zu einem gedeihlichen Zusammenleben in den Städten, auch nachdem es eine Dekade so aussah, als sei "die Wohnungsfrage" (zulasten der öffentlichen Subventionskassen) endgültig gelöst.

Soziale Wohnraumförderung deutlich verstärken

Das gedeihliche Zusammenleben in den Städten wiederum bleibt die Garantie für wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Frieden, Bildung und Innovation. Die zentrale Aufgabe einer neuen Bundesregierung wird sein, die sich öffnende Schere zwischen benachteiligten und bevorteilten Quartieren und Städten durch gezielte Förderung sich nicht weiter öffnen zu lassen. Die Städte müssen auch in Zukunft kontinuierlich und gezielt gefördert werden. Und die Förderung muss dort ansetzen, wo sie den größten Nutzen erzielt. Dies hat auch Hans-Jochen Vogel vor über 40 Jahren bereits so gesehen: "Auch in der Stadtentwicklung gibt es den 'point of no return'. Wenn wir ihn überschreiten, wird das nicht die Katas trophe der Bürgermeister oder der Stadträte, es wird eine Katastrophe der Menschheit sein. Denn die Zukunft der Menschheit [...] liegt in den Städten von morgen und es wird nur in lebendigen Städten eine hoffnungsvolle Zukunft sein." Hieran muss sich gute Stadtentwicklungspolitik für die Städte in Deutschland messen lassen.

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