Im Blickfeld

Höchste Wolkenkratzer - ein Warnsignal?

Nach einem Börsen-Bonmot bricht immer in dem Land, das den höchsten Wolkenkratzer baut, eine Wirtschaftskrise aus. Und ein US-Wissenschaftler formulierte in den neunziger Jahren den Skyscraper-Index, der den Zusammenhang zwischen gebauten Wolkenkratzern und Wirtschaftskrisen herstellt - beginnend mit den ersten Wolkenkratzern, die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA erbaut wurden. Ein Wertpapieranalyst, der sich vor Jahren mit der Thematik befasste, weitete den Untersuchungsrahmen und -zeitraum aus. Er formulierte die These, dass sich bereits in der Antike und im Mittelalter Städte und Stadtstaaten mit dem Bau von Gotteshäusern übernahmen. Sie wetteiferten untereinander durch die Errichtung immer größer und höherer Gebäude. Bekanntlich wurde der Kölner Dom erst im 19. Jahrhundert fertiggestellt, nachdem der Bau mehrere Jahrhunderte aufgrund von Finanzierungsengpässen ruhte.

Diese Haltung ist auch heute vorzufinden. Politik und Bauherren wollen zeigen, "dass man oben angekommen ist" - zum Beispiel in der Hierarchie der bedeutenden Staaten und Wirtschaftsstandorte. 1996 konnte man in den asiatischen Tigerstaaten die Einschätzung vernehmen: "Das 21. Jahrhundert ist ein asiatisches Jahrhundert." Damals rollte die Asienkrise bereits an. Heute liest man die Prognose: "Das 3. Jahrtausend ist ein chinesisches Jahrtausend." An die Stelle der Tempel und Dome sind jedoch im 20. und 21. Jahrhundert Bankpaläste und Bürohochhäuser getreten.

Der Bau von Wolkenkratzern, insbesondere das Bestreben, frühere Wolkenkratzer in der Höhe zu übertreffen, lässt sich zurückführen auf Euphorie, weit verbreiteten Optimismus hinsichtlich der Zukunft, auf Irrationalität und auf Sorglosigkeit. Mit Risiken scheint man sich nicht mehr befassen zu müssen, weshalb die Investoren nicht vor der Aufnahme hoher Kredite zurückschrecken. Sie fühlen sich als Gewinner. Nach der Theorie des homo oeconomicus, der vermutlich nur in Modellen der Volkswirtschaftslehre auftritt, dürften solche Blasenbildungen eigentlich nicht auftreten. Tatsächlich sind aber Effekte des "herding" zu unterstellen.

Aus dem eingeschlafenen Risikobewusstsein und der exzessiven Sorglosigkeit, vor allem in einer Ära scheinbar ewigen Wachstums, resultiert die Neigung zu Fehlinvestitionen, zu Fehlallokationen und zur Gigantomanie. 1990 konnte man in Wirtschaftszeitschriften die weitverbreitete Meinung des unaufhaltsamen wirtschaftlichen Aufstiegs von Japan lesen. Das Titelblatt einer Ausgabe der Wirtschaftswoche zeigte damals die japanische Flagge mit der aufgehenden roten Sonne - das Motto: Das Wachstum von Japan sei grenzenlos. Etwa ein Jahr später zeigte das Cover des Magazins wieder die japanische Flagge - allerdings mit Rissen in der Sonne.

Die japanische Krise ist bis heute noch nicht bewältigt. Zwar fehlt Japan in der Aufstellung der Wolkenkratzer-Rekorde. Die Angst vor Erdbeben verhinderte deren Bau. Pläne zur Errichtung hoher Wolkenkratzer aber gab es. Dennoch war auch in Japan um 1988 die Entstehung einer vor allem durch Bankkredite auf der Basis niedriger Leitzinsen der japanischen Notenbank finanzierten Immobilienblase zu beobachten. Nach deren Platzen degenerierten die japanischen Kreditinstitute zu "Zombiebanken".

Der Wolkenkratzer-Indikator lässt sich auch auf Spanien übertragen. Immer -hin befinden sich vier der 15 höchsten Gebäude Europas in Spanien. Als die spanische Immobilienblase 2009 platzte, litten darunter die örtlichen Sparkassen aufgrund ihrer leichtfertigen Kreditvergabe wie auch die spanische Volkswirtschaft als Ganzes. Das Aufblähen der Immobilienwirtschaft (Baugewerbe, Baunebengewerbe, Baustoffindustrie, Projektentwickler und so weiter) stellt sich heute als gigantische Fehlallokation von Kapital und als Fehlsteuerung der spanischen Nationalökonomie heraus.

Der Bau eines Wolkenkratzers, der die bisherigen an Höhe, Kosten oder Extravaganz übertreffen soll, wird häufig erst am Ende eines lang andauernden Konjunkturaufschwungs initiiert. Nach der Aussage von Warren Buffet "Neben jeder Blase befindet sich eine Nadel. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich die beiden begegnen" ist das Platzen einer solchen Immobilienblase zu diesem Zeitpunkt häufig schon vorgezeichnet.

Prof. Dr. Jürgen Singer, Professur für Bankwesen, Universität Leipzig

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