Im Blickfeld

Wenn die Praxis das Recht überholt

Beim Thema Nutzungsmischung kann kaum noch von einem Trend gesprochen werden. Vielmehr ist das Thema längst Standard in der Immobilienwirtschaft. Entwickler setzen seit Jahren auf nutzungsgemischte Konzepte, vorwiegend in innerstädtischen Lagen: Wohnen und Arbeiten werden räumlich miteinander vernetzt, sodass Verkehrsflüsse im Vergleich zu monostrukturierten Quartieren in Randlagen reduziert und Pendlerströme vermieden werden. Dass dies den deutschen Städten zugutekommt, dürfte unstrittig sein. Der positiven Effekte zum Trotz ist der Gedanke der Nutzungsmischung jedoch noch längst nicht ausreichend im deutschen Planungsrecht verankert. Im Gegenteil: Vielmehr zeigt sich sogar, dass die gesetzlichen Grundlagen den modernen nutzungsgemischten Städtebau teilweise sogar behindern. Beim Prinzip der Nutzungsmischung hinken also die gesetzlichen Grundlagen der Praxis hinterher.

Zwar gibt es seit mittlerweile rund fünf Jahren die Charta von Leipzig. Sie empfiehlt, Wohnen und Arbeiten sowie Freizeit in den Städten wieder stärker zu mischen. Das Planungsrecht fußt allerdings nicht auf diesem, sondern auf einem anderen Leitbild - der Charta von Athen aus den 1930er Jahren. Die Charta von Athen setzt bewusst auf eine Trennung der Nutzungen, sodass der größte Teil der vorgegebenen Gebietstypen im Planungsrecht auf eine einzige, meist deutlich überwiegende Nutzung abzielt: Allgemeine Wohngebiete, Gewerbegebiete oder Industriegebiete sind hier Beispiele. In der Bebauungsplanung der öffentlichen Hand stellen diese Gebietstypen den Rahmen dar, innerhalb dessen Investoren und Entwickler agieren dürfen.

Zwar lassen die genannten Gebietstypen durchaus auch abweichende Nutzungen als jene zu, die sie im Namen tragen. Zudem gibt es weitere Typen wie das sogenannte Besondere Wohngebiet und das Mischgebiet, die der Idee nach unterschiedliche Nutzungsarten innerhalb einer Gebietskategorie aufweisen können. In der Praxis bestehen jedoch Hürden. Das Besondere Wohngebiet, das bei einem hohen Wohnanteil gleichzeitig eine Durchmischung mit Dienstleistungsbetrieben und kleineren Gewerbetreibenden aufweisen soll, darf nur im Bestand, nicht aber bei Neuentwicklungen angewendet werden. Und das Mischgebiet, das auf eine Verzahnung von Wohnen und nicht störender gewerblicher Nutzung zielt, ist in der Praxis bei den genehmigenden Behörden und auch den planenden Ingenieuren nicht immer gern gesehen - vor allem bei neuen Quartieren oder bei der Entwicklung bislang unbebauter Brachflächen.

Das Mischgebiet ist bei der Entwicklung neuer Quartiere zu statisch und zu wenig flexibel für innovative Konzepte. Ein Beispiel: Gibt es vier Grundstücke in einem Mischgebiet mit vier unterschiedlichen Eigentümern, können die ersten beiden Eigentümer noch vergleichsweise flexibel wählen, dass sie beispielsweise Bürogebäude errichten, gegebenenfalls mit einem geringen Wohnanteil in den oberen Geschossen. Die übrigen beiden Eigentümer hingegen haben diese Wahlmöglichkeit nicht mehr: Sie müssen Wohnimmobilien entwickeln. Denn weitere Büroimmobilien - selbst wenn diese erneut einen Wohnanteil enthielten wären bauplanungsrechtlich nicht zulässig, da dies sonst dem vorgegebenen Gebietscharakter widerspräche. Dieses Beispiel ist bewusst etwas überspitzt. Die Realität zeigt durchaus auch, dass Nutzungsmischung auf Basis des gegenwärtigen Rechtsrahmens funktionieren kann. Das Beispiel führt aber dennoch vor Augen: Für individuelle Konzepte und moderne nutzungsgemischte Quartiere brauchen wir dringend mehr Flexibilität in den gesetzlichen Grundlagen.

Mit der anstehenden Novelle des Baugesetzbuchs und der Baunutzungsverordnung böte sich aktuell die Chance, das Versäumte nachzuholen. Nun ist das Planungsrecht in den vergangenen Jahren aber durchaus bereits mehrfach novelliert worden. Dabei wurden wichtige Schritte in die richtige Richtung gemacht. Die Verfahrensdauer wurde verkürzt, die Stadt der kurzen Wege spricht die Innenentwicklung - wurde gestärkt, und auch ökologische und Nachhaltigkeitsüberlegungen sind vermehrt berücksichtigt worden. Beim Thema Nutzungsmischung allerdings hat es bei allen Fortschritten durch die zurückliegenden Novellen keinen Kurswechsel gegeben.

So hat es beispielsweise seit Mitte vergangenen Jahres eine Reihe von Expertengesprächen beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gegeben, die zur Vorbereitung der Neuregelung dienten. Hier wurde empfohlen, eine mögliche Weiterentwicklung der Gebietstypologie auf einer "grundlegenden und ohne Zeitdruck angelegten fachlichen Diskussion" darzustellen - oder anders gesagt: zu verschieben. Dabei müsse es auch um die Überprüfung der maßgeblichen Leitbilder und den Schritt von der Charta von Athen zur Charta von Leipzig gehen. Ich würde sagen: Nicht nur überprüfen, sondern den Schritt auch vollziehen. Es bleibt zu hoffen, dass das Leitbild der Nutzungsmischung bis dahin nicht selbst inzwischen bereits mehrere Dekaden alt und gegebenenfalls überholt ist.

Torsten Haubold, Partner, Ernst & Young Real Estate GmbH, Berlin

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