Stadtentwicklung

Nutzungsverträglichkeit: Konflikte managen

Michael Daniel Dada

Städte und Gemeinden stehen mitunter vor einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen sie attraktive Standorte für das Wohnen ausweisen, auf der anderen sind sie in großem Maße von Industrie und produzierendem Gewerbe abhängig und wollen auch diesen Nutzern Raum bieten. Daher stellt sich immer wieder die Frage, wie gut sich die gewerbliche Nutzung mit anderen Nutzungen verträgt. Für Konflikte sorgen vor allem Lärm, Schadstoff- und/oder Geruchsbelästigung. Durch frühzeitige Kommunikation, sorgfältige Prüfungen im Vorfeld und planerische Festlegungen, die auf einer angemessenen Abwägung aller Interessen beruhen, können die Konflikte aber abgemildert werden. Red.

Deutschland ist immer noch eine Industrienation: Das produzierende Gewerbe spielt je nach Region und regionalökonomischer Ausrichtung nach wie vor eine tragende Rolle für die deutsche Volkswirtschaft, wenngleich natürlich der Dienstleistungssektor in den vergangenen Dekaden deutlich an Gewicht gewonnen hat.

Für die Städte und Gemeinden, die nach wie vor Industrie und Gewerbe in nennenswertem Umfang beherbergen, stellt sich immer wieder eine stadtentwicklungspolitische Herausforderung: Wie gut verträgt sich eine industrielle Nutzung mit anderen Nutzungen? Konfliktpotenzial gibt es vor allem dann, wenn Wohn- und gewerbliche Nutzungen aufeinandertreffen.

Hier gibt es verschiedenste Fälle: Ein bestehender Industriebetrieb erweitert sich und rückt an eine bestehende Wohnbebauung heran. Oder es soll eine ganz neue Anlage in der Nähe zu vorhandenen Wohngebieten errichtet werden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der Neubau eines der größten europäischen Steinkohlekraftwerke im westfälischen Datteln in einem Abstand von nur wenigen hundert Metern zu einer Wohnsiedlung und einer Kinderklinik.

Umgekehrt ist ebenso denkbar, dass neue Wohngebiete entstehen oder bestehende Wohngebiete erweitert werden, sodass sie näher an eine benachbarte gewerbliche Nutzung heranrücken. Ein besonderer Brennpunkt hierfür ist die boomende Metropole Köln mit einer starken Nachfrage nach Wohnraum und einem Mix von industriellen Brachflächen und bestehenden Industrie- und Gewerbebetrieben. Denkbar sind auch Gemengelagen - wenn Betriebe und Wohnnutzung derart miteinander verwoben sind, dass man nur schwerlich einen Wohn- und gewerblichen Charakter für abgrenzbare Teilgebiete ausmachen kann.

Großes Konfliktpotenzial

Allen Fällen ist die Tatsache gemeinsam: Es gibt besagtes Konfliktpotenzial. Vom Extremfall einer Havarie über Schadstoff- bis hin zur Geruchs- oder Lärmbelastung - Gewerbebetriebe sind nicht unbedingt als Nachbarn für Wohngebiete prädestiniert. Häufig bestehen auch beachtliche rechtliche Hürden. Grundsätzlich gilt: Der Gesetzgeber hat für Industriebereiche und Wohnbebauung einen Trennungsgrundsatz festgelegt. Durch einen aus reichenden räumlichen Abstand sollen schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, wozu auch besagte Lärmbeeinträchtigungen der Anwohner gehören. Und doch ist die Nachbarschaft oder gar eine Verzahnung möglich und in der Praxis auch vielerorts zu beobachten.

Ein Beispiel aus Frankfurt am Main: Dort findet sich im Stadtteil Praunheim ein Gebiet, das in der Vergangenheit bereits gewerblich genutzt wurde. Nach Abzug des Mieters lag das Areal lange brach, bis sich neue Nutzer fanden, die den Neubau einer Werkstatt unter anderem für Holzarbeiten inklusive Lackierbereich planen. Ebenfalls soll auf dem Planungsgebiet ein Rewe-Center gebaut werden. Südlich grenzt Wohnbebauung an, die noch nach Norden in das Gebiet hinein erweitert wurde. Die Wohnbebauung rückte somit an die künftige gewerbliche Nutzung heran.

Gutachten können helfen

Wie verhindert wird, dass potenzielle Nutzungsunstimmigkeiten zu tatsachlichen Konflikten werden, hängt von den zugrunde liegenden bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen ab. Im oben dargestellten Fall gab es einen Bebauungsplan. Für dessen Aufstellung musste eine sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen. Dies impliziert Gutachten, die die kritischen Felder wie Lärm und Schadstoffe beleuchten. Sie müssen nachweisen, dass gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben.

Im dargestellten Fall hat es unter anderem eine schalltechnische Untersuchung gegeben, die den Gewerbe- und Verkehrslärm (einschließlich der Stellplätze) analysiert und entsprechende Schallschutzmaßnahmen wie Lärmschutzanlagen und passiven Schallschutz aufgezeigt hat. Im Ergebnis zeigt sich laut Begründung zum Bebauungsplan, dass "eine verträgliche Nachbarschaft dauerhaft gesichert ist."

Ein solcher Vermerk ist allerdings noch keine Garantie dafür, dass tatsächlich keine Konflikte zu erwarten sind. In der Praxis kommt es gelegentlich zum Streit darüber, ob die im Planungsverfahren erstellten Gutachten richtig sind und die Konfliktlagen richtig erfassen. Ist das nicht der Fall, kann ein Bebauungsplan gerichtlich für ungültig erklärt werden. Im worst case droht dann der Abriss einer soeben erst neu errichten Fabrik. Noch einmal das Beispiel Datteln: Eon hatte in Datteln bereits über eine Milliarde Euro in das Steinkohlekraftwerk investiert, das Kraftwerk war fast fertiggestellt. Plötzlich musste neues Planungsrecht geschaffen werden: Ein benachbarter Landwirt hatte den Energieriesen auch mit dem Argument zu geringer Abstände in die Knie gezwungen.

Grundsätzlich lassen sich in einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland solche Konflikte nicht ausschließen. Durch sorgfältige Prüfungen im Vorfeld und planerische Festlegungen, die auf einer angemessenen Abwägung aller Interessen beruhen, kann aber ein hohes Maß an Verträglichkeit und damit auch Rechtssicherheit geschaffen werden.

Welche Maßnahmen und Festlegungen getroffen werden, hängt vom Einzelfall ab. Dennoch gibt es Maßnahmen, die sich - ähnlich wie Schallschutzfenster - häufiger in der Praxis finden: Zum Beispiel werden gewerbliche Nutzungen in ihrer zulässigen Lärmemission zoniert. Das heißt, dass es unterschiedliche Bereiche gibt, von denen unterschiedlich große Lärmbelastungen ausgehen dürfen. Die gewerblich genutzten Bereiche, die der Wohnbebauung am nächsten liegen, dürfen weniger Lärm emittieren als weiter entfernt gelegene Bereiche. Wie groß die Abstände von unterschiedlich intensiven Lärmquellen sein sollten, ist in den entsprechenden Regelwerken dargelegt.

Das Thema Lärm ist in der Praxis sicherlich am häufigsten als Konfliktfeld anzutreffen. Allerdings können durchaus auch Themen wie Schadstoffe oder Geruchsbelästigung auftreten. Daher ist es in jedem Fall ratsam, sich die vorhandenen oder voraussichtlichen Betriebe im Detail anzusehen: Wie sind sie mit Blick auf ein mögliches Gefahrenpotenzial einzustufen? Zählen sie zum sogenannten störenden oder nicht störenden Gewerbe? Wie gestaltet sich die Freiflächennutzung (gibt es dort Verkehre und somit zusätzliche Emissionen)? Welche Hintergrundbelastung (beispielsweise aus weiter entfernt liegenden Nutzungen) muss berücksichtigt werden? Welche produktionsbedingten Schadstoffe sind zu erwarten? Ändert sich die Situation, wenn ein Betrieb seine Produktion künftig intensivieren sollte?

Lärm

In vielen Fällen lassen sich mögliche Konflikte eindämmen, indem beide Nutzungen anders als in oben genanntem Fall nicht miteinander verzahnt werden, sondern eine Abstandsfläche beibehalten wird. Und auch ohne Abstand lässt sich - teilweise durch vermeintlich kleine Maßnahmen - Abhilfe schaffen können. So kann es vorkommen, dass eine zu hohe Lärmbelastung von einem einzigen Bauteil ausgeht, beispielsweise einem Lüfter auf dem Dach des Betriebs.

In der Praxis ist es hier durchaus üblich, dass derjenige, der mit einem Wohngebiet an die gewerbliche Nutzung heranrückt, dem gewerblichen Nutzer ökonomisch unter die Arme greift, um den Lärm am Entstehungsort zu mindern (beispielsweise durch Einbau eines neuen, lärmärmeren Lüfters). Dies wird abseits des Bauplanungsrechts in gesonderten Verträgen vereinbart.

Frühzeitiger Dialog

Insgesamt gilt natürlich: Das Schaffen der bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen ist Sache der jeweiligen Gemeinde. Dennoch können private Entwickler oder deren Berater durchaus Vorarbeit leisten, um die Chance auf ein konfliktfreies Miteinander von Gewerbe und Wohnen zu erhöhen. Sie können, wie dar gestellt, den frühen Dialog suchen, um Lärm am Entstehungsort zu mindern.

Oder: Sie können im Vorfeld mit der Kommune in den Dialog treten und die konkreten Inhalte von Schallschutzgutachten oder Luftgütemessungen abstimmen - sie werden in der Regel zwar erst im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens erforderlich, je nach Fall können sie aber auch im Vorfeld sinnvoll sein. Haben Entwickler und Kommune hier unterschiedliche Vorstellungen über Methodik und Untersuchungsumfang (und sprechen sie im Vorfeld nicht miteinander), kann eine ärgerliche Nachbeauftragung erforderlich werden.

Last but not least: Nicht in jedem Fall sind Bebauungspläne erforderlich (ein Beispiel ist der § 34 Baugesetzbuch - er betrifft in der Regel kleinere Vorhaben in bebauten Gebieten). Auch hier empfiehlt sich der frühe Dialog des Entwicklers mit der Kommune. Greifen besagte Regelungen nach § 34 Baugesetzbuch, kann ein Betrieb unter Umständen Abwehransprüche geltend machen gegen gebietsfremde Nutzungen. In diesem Fall gilt mehr denn je, das frühzeitige Gespräch mit dem gewerblichen Nutzer und der Gemeinde zu suchen.

Die Autoren

Michael Daniel Dada Consultant im Bereich GCS Transaction Advisory, CBRE GmbH, DüsseldorfDr. Stefan Altenschmidt Experte für planungsrechtliche Fragen, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf

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