Im Blickfeld

Rezept gegen zerbrochene Fenster

Es fängt klein an: mit Müll auf der Straße oder mit einem Graffiti an der Hauswand. Doch mit der Zeit werden die Missstände schlimmer. Die anständigen Bürger ziehen sich immer weiter aus dem öffentlichen Raum zurück und resignieren vor dem zunehmenden Vandalismus. Am Ende der Spirale steht der Niedergang eines ganzen Stadtviertels. Bekannt ist dieser Teufelskreis als Broken-Windows-Theorie. Nicht nur für die Bewohner ist die Verwahrlosung eines Stadtteils ein Horrorszenario, sondern auch für Stadtplaner und Immobilieninvestoren. Sie alle wollen eine solche Entwicklung in jedem Fall vermeiden.

Die Immobilienbranche kann mit zwei Maßnahmen ihren Teil zum Erhalt eines Viertels beitragen. Zum einen muss sie den öffentlichen Raum hochwertig gestalten und damit eine Art Respekt erzeugen. Zum anderen gilt es, Leerstände zu vermeiden, die sich negativ auf eine Gegend auswirken können.

Die 1982 entwickelte Theorie besagt, dass ein zerbrochenes Fenster bei ausbleibender Reparatur schnell weitere Zerstörungen nach sich zieht. Denn ein dauerhaft kaputtes Fenster ist ein Zeichen dafür, dass an diesem Ort niemand daran Anstoß nimmt. Dieses Phänomen tritt nicht nur in heruntergekommenen Gegenden auf, sondern auch in gehobenen. Am Ende einer Kette von Verschlechterungen steht der Einzug von Schwerkriminalität.

Neuere Forschungen zeigen, dass nicht erst kaputte Fenster, sondern bereits Unordnung ansteckend sein kann. An der niederländischen Universität Groningen wurde folgendes Experiment durchgeführt: In zwei Fällen wurden Werbezettel an Fahrräder gesteckt - am gleichen Ort, einem Fahrradparkplatz vor einer Fassade in einer Einkaufsstraße.

In einem Fall war die Fassade sauber, in dem anderen übersäten die Forscher die Wand mit Graffiti. Das erstaunliche Ergebnis: Vor der sauberen Wand warf nur ein Drittel der Fahrradfahrer den Werbezettel auf den Boden. Vor der besprühten Wand hingegen ließen ihn 69 Prozent achtlos fallen. Bereits bloße Unansehnlichkeiten können die Menschen also dazu verleiten, soziale Normen zu überschreiten.

Die Erkenntnisse der Broken-Windows-Theorie zeigen, wie wichtig es ist, schöne öffentliche Räume zu entwickeln und zu erhalten. So wie nicht behobene Zerstörungen zu Verwahrlosung führen, erzeugen gepflegte Gegenden Respekt. Sie halten - und sei es auch nur unbewusst - die Menschen zu einem achtsamen Verhalten an. Architekten und Stadtplaner geben sich zwar Mühe, attraktive öffentliche Räume zu schaffen.

Doch nicht immer gelingt ihnen das. Manchmal schießen sie mit ihrem Wunsch nach Ordnung über das Ziel hinaus und entwerfen Stadtteile oder Quartiere ohne Seele. Gepflegt darf nicht steril bedeuten. Wichtig ist, dass sich die Menschen in einer Gegend wohlfühlen - und dazu tragen bereits einzelne schöne, hochwertige Immobilien bei.

Deutschland braucht mehr derartige Gebäude. Es zahlt sich für ein ganzes Viertel aus, wenn dort erstklassige Objekte vorhanden sind.

Ein weiteres probates Mittel gegen eine Verwahrlosung eines Stadtteils ist die Vermeidung von Leerstand. Um das zu gewährleisten, sollten die Eigentümer von Immobilien flexibel sein. Meist halten sie zu lange an einer bestimmten Nutzung fest, vor allem bei vermeintlich hochrentierlichen Objekten wie zum Beispiel Einzelhandel. Anstatt die Umnutzung eines Gebäudes in Erwägung zu ziehen, nehmen sie oft einen vermeintlich kurzzeitigen Leerstand in Kauf. Der kann jedoch leicht zu einem dauerhaftem Leerstand werden: Warenhäuser beispielsweise stehen einer Untersuchung der Hafen-City Universität Hamburg zufolge in einem Drittel der Fälle mehr als fünf Jahre leer.

Aus Sicht des öffentlichen Raums wäre eine rasche Umnutzung oder ein Abriss und Neubau mit neuem Nutzungskonzept wünschenswert. Denn leer stehende Flächen sind nicht nur schädlich für das Image und den Wert der Immobilie selbst, sondern auch für das Umfeld. Immer wieder ist zu beobachten, dass Gutachter benachbarte Grundstücke abwerten, obwohl diese noch genutzt werden. Damit gilt die Broken-Windows-Theorie in gewisser Weise auch in finanzieller Hinsicht.

Felix von Saucken, Engel & Völkers Commercial, Frankfurt am Main

Noch keine Bewertungen vorhanden


X