Leitartikel

Was sind schon 60 Jahre

In diesem Jahr 2010 erscheint "Immobilien & Finanzierung" respektive "Der Langfristige Kredit" im 61. Jahrgang. In humanen Verhältnissen jubilierend gesagt: Er feiert seinen sechzigsten Geburtstag. Und weil man nach gebührendem menschlichen Ermessen leider davon ausgehen muss, dass von den fachkundigen Lesern der ersten Ausgabe 1950 nicht mehr so sehr viele zum Gratulieren kommen können, muss der Jubilar in Anbetracht seiner aktuellen Existenz jedenfalls eine beachtliche Lebensleistung vollbracht haben - er hat seinen Markt behalten, obwohl alle Märkte 2010 ganz andere als vor 60 Jahren sind. Er hat immer wieder "seine" Leser gefunden.

Freilich darf man in diesem Zusammenhang bezweifeln, dass es der doch ziemlich speziellen Fachzeitschrift über immerhin mehr als zwei Generationen hinweg gelungen ist, so etwas Schönes und Feines zu verteidigen, wie es auf blumenumkränzten Firmenschildern noch gelegentlich zu lesen ist: "Bewährtes im Fortschritt bewahren." Dafür waren die Verläufe zwischen 1950 und 2010 eben doch zu hitzig, obwohl sie im etwas längerfristigen Zeitmaß - etwa im Vergleich zwischen 1870 und 1930 - höchstens mittlere Aufregungen darboten (wenigstens bis zur "Finanzkrise"). Nein, vieles von dem, was in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts so wichtig gewesen ist wie etwa die Wohnungswirtschaft im Wiederaufbau, so nachhaltig wie der Einfluss des erstrangigen Realkredits in den Sechzigern und Siebzigern, so grimmig wie der Gruppen- und Verdrängungswettbewerb der achtziger Zeit und so grausam hektisch wie die Securitisierung fast aller Refinanzierung schon um die Jahrtausendwende, vieles von diesen vermeintlichen Hauptsachen hat sich erstaunlich geschwind erledigt.

Die stark gehobene Eiligkeit der Immobilien-, Investitions- und Finanzierungsmärkte (deren Grenzen "untereinander" längst weitgehend verschwunden sind, weil die Derivatisierung alles verknüpft) hat es einer geübten Fachredaktion gewiss erleichtert, alle 14 Tage eine neue I&F-Ausgabe vorzulegen. Die Themen häufen sich fast von alleine. Auf sechzig Jahre, rund gezählt, sind inzwischen immerhin gut 1200 Hefte mit ungefähr 40000 Seiten erschienen. Dass ein ordentlicher Leser angesichts dieser gewissenhaften, kontinuierlichen Dokumentation des Geschehens irgendetwas nicht mitbekommen haben könnte, ist einfach ausgeschlossen.

Der "Langfristige Kredit" und dann "Immobilien & Finanzierung" sind nie Verbandsblätter gewesen. Glücklicherweise. Und die Redaktion ist allemal stolz darauf, dass besonders die themennahen Verbände, also zum Beispiel die der Hypothekenbanken und der Bausparkassen, des öffentlich-rechtlichen und privaten Bankwesens, der gemeinnützigen und privaten Wohnungswirtschaft, der Sachverständigen und Spezialfinanzierung eine unabhängige Fachzeitschrift ertragen und sogar respektieren. Dennoch ist etwas verloren gegangen. Denn der Gründungsauftrag vor allem bayerischer Emittenten für den preußischen Verleger Helmut Richardi war schon ein hervorragender: Die "Langfristkultur" sollte begleitet und unterstützt werden. Und was darunter zu verstehen war, passte ganz wunderbar in die große deutsche Aufbauzeit - zur sicheren Kalkulierbarkeit von Investition und Kredit, zur Verlässlichkeit von Sparen und Anlegen und gewiss auch zum Bedarf an Stetigkeit und Kontinuität in Geld- und Wirtschaftspolitik.

Die Maximen dieser "Langfristkultur" galten lange. Noch Bundesbankpräsidenten wie Hans Tietmeyer haben sie als "Stabilitätskultur" der Nation beigebracht. Und sogar die EZB des Jahres 2010, die arg Gebeutelte, will (! ) mit einer Währungspolitik der ruhigen Hand "endlich wieder Vertrauen in die Märkte bringen". Cui bono? Ob nämlich die Welt der Händler, der Hedger, der Assetisten, der Hasardeure "stetes Vertrauen" nicht längst als störend fürs echte Geschäft betrachtet und "stabile Verlässlichkeit" als chancenlose Langeweile bekämpft? Die Quartalsgewinne aus dem Kapitalmarktunwesen 2010 sind bislang beeindruckend. I&F muss, darf sich schon wieder als nötig auch für Kurzweiliges sehen.

Noch vor zehn Jahren zeigte der Herausgeberkreis des "Langfristigen Kredits" von Klaus G. Adam bis Rüdiger Wiechers die ganze Breite des Marktes für eine spezielle "Zeitschrift für Immobilienwesen, Finanzierung und Kapitalanlage" auf eine besondere Weise: Man konnte in diesem Gremium (Verzeihung: nur) Männer vereinen, die ihren Instituten und Institutionen mit Eigenart und ziemlicher Unabhängigkeit vorstanden. Letzteres scheint schwieriger geworden zu sein. Denn auch damals waren vor allem die speziellen Kreditinstitute zwar nur noch ausnahmsweise nicht Konzernglieder größerer Einheiten. Aber - die Art der Konzernsteuerung mag doch eine andere gewesen sein. Weniger straff eingebaut, dementsprechend mehr Raum für Eigeninitiativen, eigene Meinungen, eigene Erfolge und Misserfolge - einfach größere Spielräume wurden den Spezialisten zugestanden.

Eine Ursache dafür, dass in diesem einen Jahrzehnt so viele "klassische" Namen aus der Kredit- und auch Immobilienwirtschaft gestrichen worden sind, scheint in der Entwicklung der Spezialhäuser selbst zu liegen: Sie zeigten sich zunehmend weniger willig, sich in den ihnen auch vom Gesetzgeber zugestandenen Marktnischen zu bewegen. Stattdessen drängten sie sich in das universelle Geschäft, durchaus mit der Erklärung, dass ja die Universalinstitute ihrerseits zu Konkurrenten im Spezialsektor geworden seien. Und als dann die Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Betrieb wirklich kaum mehr möglich war, dementsprechend die schützenden Spezialgesetze fielen, reckten sich die Konzerne zufrieden. Das Ende der Hypothekenbanken als solchen war da, und wenn die Bausparwirtschaft nicht wieder bescheidener werkelt, wird auch das Bauspargesetz fallen. Hilft das I&F-Mahnen noch?

Mit Genuss werden "alte" Wohnungswirte das Ramsauer- Interview auf den nächsten Seiten lesen: "Es gibt (noch) viel zu tun, um die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass 80 Millionen Menschen in unserem Land auch in Zukunft gut wohnen können. VON ALLEINE GEHT DAS NICHT." Sic. K. O.

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