Leitartikel

Ungeliebter Realkredit

Stillstand ist Rückschritt, lehrt die Ökonomie. Folglich ist es nur rechtens, die Strategie eines Unternehmens beständig zu überprüfen und gegebenenfalls nachzujustieren oder komplett neu auszurichten. Auch Banken tun dies oft und gern. Da wird das Privatkundengeschäft mal separiert, dann wieder integriert, das Investmentbanking auf- und wieder abgebaut, eine Fusion angestrebt und wieder abgesagt, ein neuer Markt erschlossen und wieder aufgegeben et cetera, et cetera. So atmet die Kreditwirtschaft. Dabei fallen dem geneigten Beobachter gewisse, ständig wiederkehrende Verhaltensmuster auf. Augenscheinlich gibt es Geschäftsfelder, denen sich das moderne Bankwesen mehr hingezogen fühlt, während andere eher als leidige Pflicht eine Zeitlang erduldet werden.

Ein solches Produkte, das zwar den Bauchladen zuweilen höchst sinnvoll komplettieren kann, aber trotzdem nicht sonderlich gemocht wird, ist die gewerbliche Immobilienfinanzierung. Dieses Geschäft scheint so speziell, dass sich die Gruppe der Eingeweihten schon immer - und aus der Geschichte des Pfandbriefwesens wohl sogar zu Recht - selbstbewusst als etwas Besonderes verstanden hat. Derartiger Stolz und Eigensinn treffen freilich bei Außenstehenden auf wenig Akzeptanz. Folglich findet der Chronist gleich mehrere Beispiele, in denen dieses Geschäft in breitaufgestellten Bankkonzernen nur leidlich ertragen und bei sich bietender Gelegenheit mit Wonne abgestoßen wurde.

Unvergessen ist die Entschlossenheit Gerhard Bruckermanns, der seine "staatstragende" Depfa eilig und konsequent von der lästigen Bürde des als zu risikoreich und miserabel rentierlichen Hypothekarkreditgeschäfts befreite und als Aareal Bank abspaltete. In bester Erinnerung bleibt auch die Bayerische Hypo- und Vereinsbank, die ihre gewerbliche Immobilienfinanzierung und dazu noch den ganzen selbst verzapften Baufinanzierungsschrott in der Hypo Real Estate ablud, die sie anschließend absprengte. Und hat nicht auch die Postbank das BHW mit Freude genommen, die Allgemeine Hypothekenbank Rheinboden (heute Corealcredit) jedoch verschmäht? Auch die Deutsche, die Dresdner und die Commerzbank haben 2002 keinen strategischen Nutzen darin gesehen, den gewerblichen Realkredit mittels eigener Hypothekenbank weiter zu betreiben.

Dass die kurzerhand in der neuen Eurohypo zusammengeworfenen Hypothekenbanken schließlich doch nicht an die Börse, sondern für 4,6 Milliarden Euro von der Commerzbank geschluckt wurde, war jedoch kein Liebesbeweis, sondern eine bittere Pille der Angst. Der Angst, selbst übernommen zu werden. Als Kerngeschäft hat die Commerzbank die gewerbliche Immobilienfinanzierung nie ernsthaft gesehen. Schon kurz nach der Einverleibung der Eurohypo im Jahr 2005 war klar, dass die Eschborner Hypothekarier stets Hilfstruppen bleiben werden. Gewöhnlich werden diese als erste ins Feuer geschickt.

So wurde auch hier der in der Basel-II- und IFRS-Welt nicht mehr lebensfähige Zinsspekulant Essen Hyp hastig in der Eurohypo entsorgt. Dass sich der heutige Eurohypo-Vorstand Schuldzuweisungen in Richtung des einstigen Essener Widersachers enthält, ist ehrenvoll und ehrlich. Denn auch die Eschborner haben in ihrem menschlich verständlichen, aber ökonomisch nicht immer maßvollen Streben nach Erstklassigkeit, zu oft die Erstrangigkeit vernachlässigt.

Angesichts der alten und neuen Eschborner Probleme dürfte in der Frankfurter Commerzbank-Zentrale kaum Wehmut über die Vorgabe der EU-Kommission, die gewerbliche Immobilien- und die Staatsfinanzierung als Kompensation für umfangreiche Staatsgarantien und -beteiligungen aufzugeben, aufkommen. Vielleicht herrscht sogar Erleichterung, sich der mitunter renitenten Hypothekarier in den nächsten fünf Jahren entledigen zu können. Doch so einfach wie in früheren Tagen ist es heute nicht mehr, einen Immobilien- und Staatsfinanzierer loszuwerden. Erholt sich der Markt in dieser Zeit, ist der Verkauf an einen Investor ebenso denkbar wie eine Realteilung oder doch noch der Börsengang. Ob die Commerzbank im Jahr 2014 ohne Eurohypo glücklicher ist?

Die Vergangenheit zeigt: Die Entsorgung des gewerblichen Immobilienfinanzierers bringt für den Abstoßenden kaum Vorteile, während die Immobilienfinanzierer nach einer mehr oder minder ausgedehnten Durststrecke mitunter beachtliche - wenn auch zuweilen nicht nachhaltige - Erfolge erreichen konnten. Das Geschäftsmodell der Depfa ging nicht auf, während die Aareal nach harter Restrukturierung heute besser dazustehen scheint als mancher Wettbewerber. Die Hypovereinsbank kam unter Mailänder Kuratel, als die Hypo Real Estate den Aufstieg in den Dax feierte. Gewiss: Die HRE-Story war nicht von Dauer. Andere Realkreditinstitute - wie Corealcredit, Berlin Hyp oder die Westdeutsche Immobilienbank haben ihre Krise besser gemeistert. Sie zeigen, dass gewerbliche Immobilienfinanzierung als fokussiertes Geschäft nachhaltig, erfolgreich und mit konservativem Risikoprofil darstellbar ist.

Wie sieht sie also aus, die Zukunft der Immobilienbanken, die Strategie aus der Finanzmarktkrise? Sie ist vor allem durch die Konzentration auf das eigentliche Kerngeschäft - den gewerblichen Realkredit in wenigen, ausgewählten Märkten und die maßgebliche Refinanzierung über den Pfandbrief - geprägt. Ob die Staatsfinanzierung und das virtuose Spielen mit der Zinsstrukturkurve noch dazu gehören sollten, ist zumindest in der Dimension, wie sie in der Vergangenheit betrieben wurde, fraglich. Einige Institute haben sich schon mit Erfolg davon verabschiedet, andere wollen dieses Geschäftsfeld (noch) nicht verlassen.

Mahnen sollten sie jedoch die jüngsten Erfahrungen. Nach wie vor sind die Margen bei der Finanzierung der öffentlichen Hand extrem niedrig, während die Risikopotenziale angesichts der wachsenden Staatsverschuldungen steigen. Was passiert, wenn Risiko nicht mehr angemessen bepreist wird, haben die Institute gerade erst erfahren müssen. Fortsetzung folgt?

Bitte, nicht! L. H.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X