Wer innovativ ist, gewinnt. Das ist nicht neu. Das galt einst schon für Amazon & Co., als sie sich im Internet breitmachten. Geschimpft wurde erst, als die Internetriesen den stationären Einzelhandel niederwalzten. Jetzt setzt der Online-Handel alles auf Wiedergutmachung und ist fortan auf dem Weg, der beste Freund - vielmehr: Retter - des stationären Handels zu werden. Wiederbelebung ist die Devise, und so haucht der Online-Handel nun mit neuartigen stationären Modellen den Städten frisches Leben ein.
Es gilt, zwei Shoppingwelten zu kombinieren, um ein innovatives Neues zu kreieren. Für den Flächenbedarf im Einzelhandel bedeutet das, dass die Zeichen auf Wachstum stehen, prophezeit Dirk Hünerbein, Head of Retail bei Drees & Sommer, der zudem eine gewisse Sättigung der Verbraucher in puncto Online-Handel sieht. In zwei Jahren wird, so Hünerbein, der Einkauf vor Ort den Online-Handel wieder überholt haben.
Bestätigt wird er durch das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH), das erwartet, dass Online-Händler in den nächsten fünf Jahren in Deutschland rund 2 500 Ladengeschäfte eröffnen werden. Laut Hünerbein ruft das auch Investoren und Fondshalter auf den Plan. Anstelle des reinen An- und Verkaufs von Immobilien steht nun die Initiation von Umstrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen, wurde doch der Großteil der Einzelhandelsflächen in den letzten Jahren stark vernachlässigt.
Konkret heißt das zunächst: Trend ist der stationäre Shop als Beratungsstelle. "Im Geschäft beraten lassen, online kaufen" - was früher der Killer des stationären Handels war, stellt dieser dem Ganzen derweil selbst als Motto voran, denn parallel zu der Herz-Rhythmus-Massage durch die Online-Welt hängt sich der lokale Händler ins Netz.
Er versteht es mittlerweile, das einst verhasste "Showrooming" für sich zu nutzen. Quasi als eine Zusatzleistung, um die Attraktivität seines Angebots zu erhöhen und um die Verbindung der Verkaufskanäle offen zu demonstrieren. Das Ganze nennt sich Ropo-Effekt: Research offline, Purchase online, wobei on- und offline beliebig austauschbar sind, denn dieses Phänomen gibt es durchaus auch andersherum: Der Kunde informiert sich im Internet über ein Produkt, vergleicht Preise, liest Kundenrezensionen - dann kauft er offline. In der Theorie klingt das gut. Inwiefern das für den kleinen unabhängigen Einzelhändler praktisch tatsächlich umsetzbar ist, mit anderen Worten, ob der Ropo-Effekt eine Mindestgröße voraussetzt, steht in den Sternen - und damit auch, ob die Wiederbelebungsmaßnahmen nicht nur einer ausgewählten Elite zugutekommen.
Jedenfalls scheint der Schlüssel für das Tor der Einzelhandelszukunft irgendwie in der Verbindung von Online- und Offline-Handel zu liegen. Die Perspektive der Verbraucher wurde dahingehend verändert, dass er nicht mehr gezielt zwischen den Kanälen differenziert, sondern je nach aktuellen Gegebenheiten und persönlichen Launen verschiedene Zugangswege zu seinem Händler nutzt und auf verschie denen Wegen mit ihm verbunden (hyper-connected) ist. Der Kunde möchte mittlerweile dort abgeholt werden, wo er gerade ist, ob City oder Couch; über den PC, das Tablet, per Smartphone ohnehin überall.
Bedeutende Stichworte der Synergieeffekte zweier so unterschiedlicher Welten sind der nicht zu unterschätzende Soforteffekt, die Rückgabe- und Umtauschpolitik, die Überprüfung von Verfügbarkeiten vor Ort sowie die ebenfalls nicht zu unterschätzende Bequemlichkeit des Endkunden. Die On-Off-Beziehung als Möglichkeit, Vorteile zu bündeln und individuell auf jeden Kunden abzustimmen, um für ihn ein ganz neues Verkaufserlebnis zu schaffen und es an seinen Lebensstil anzupassen.
Und ihn dabei auch noch mit einem guten Gewissen auszustatten - mag es aus Sicht des reinen Online-Handels doch sicher auch eine Rolle spielen, dass die sich mit seinem Wachstum potenzierenden Probleme außer Kontrolle geraten. Retouren- und daraus resultierende erhebliche Umweltproblematiken haben einen festen Platz in den Köpfen der Agitatoren reserviert, dem wachsenden ökologischen Bewusstsein sei Dank. mb