Gewerbemietrecht: Problemverlagerung statt Lösung

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Einzelhandel, Hotellerie und Gastronomie haben sich im Laufe der vergangenen zwölf Monate wahrlich an Kummer gewöhnt. Doch die Beschlüsse der jüngsten Bund-Länder-Runde vom 10. Februar waren selbst für diese Gruppe Hartgesottener nur schwer zu verdauen. Erneut blieb die Politik jegliche Perspektiven für ein Wiederhochfahren des öffentlichen Lebens schuldig, ganz zu schweigen von dem willkürlich anmutenden neuen Inzidenzwert 35. "Das ist keine Öffnungsstrategie, sondern eine Schließungsstrategie", stellte der HDE-Geschäftsführer Stefan Genth resigniert fest. Mehr als 50 000 Einzelhandelsgeschäfte sieht der HDE deshalb nun in akuter Insolvenzgefahr, mehr als 250 000 Arbeitsplätze seien bedroht.

Einer der ganz wenigen Lichtblicke in dieser überaus bedrohlichen Situation für die vom Lockdown betroffenen Gewerbetreibenden ist die Ende Dezember unter Hochdruck auf Initiative von Justizministerin Christine Lambrecht veranlasste Neuregelung im Gewerbemietrecht. So wurde im Rahmen der "Störung der Geschäftsgrundlage" (§ 313 BGB) eine gesetzliche Vermutung verankert, wonach Corona-bedingte Schließungsverordnungen zu einer schwerwiegenden Veränderung der vertraglichen Grundlage zwischen den Mietparteien führen und damit den Anwendungsbereich für Vertragsanpassungen, wie zum Beispiel Mietreduzierungen, eröffnen. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass Gewerbemieter automatisch oder pauschal zu Mietkürzungen berechtigt sind, wie Sigrid Guardia, Rechtsanwältin bei Bottermann Khorrami, kürzlich im Rahmen eines Online-Panels klarmachte: "Es kommt nach wie vor auf sämtliche Umstände des Einzelfalls und vor allem darauf an, ob das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist." Nichtsdestotrotz werden betroffenen Unternehmen dadurch grundsätzlich deutlich bessere Chancen auf Mietkürzungen eingeräumt als während des ersten Lockdowns. Wohl auch deshalb haben erste (Groß-)Mieter wie die Drogeriekette Müller kurz nach Inkrafttreten der Änderung angekündigt, ihre Miete nur noch unter Vorbehalt zahlen zu wollen - und das obwohl die Müller-Filialen kurioserweise weiter geöffnet sind.

Fälle wie dieser lassen somit erahnen, dass das Hauen und Stechen zwischen Vermietern und Mietern in den kommenden Monaten erst so richtig losgehen könnte. Mehr als fraglich erscheint in diesem Kontext auch, ob die Gerichte angesichts ihrer bereits hohen Auslastung solche Streitfälle tatsächlich wie vom Gesetzgeber gewünscht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift entscheiden können ("Vorrang- und Beschleunigungsgebot"). Wieder einmal droht sich hier also zu bewahrheiten, dass "gut gemeint" längst nicht "gut gemacht" ist. Zwar kann sich die SPD auf die Schultern klopfen, die Position der Gewerbemieter gestärkt zu haben, doch damit wird das Problem de facto lediglich verlagert auf die vermeintlich bösen Vermieter. Nur haben die leider eben auch Verpflichtungen zu erfüllen, insbesondere mit Blick auf die Immobilienfinanzierung könnte es da schnell zu unschönen Kettenreaktionen kommen. Denn natürlich muss der Vermieter auch bei ausbleibenden Mietzahlungen weiter Zins und Tilgung des Bankkredits leisten.

Das einzig Konsequente wäre gewesen, wenn der Staat ein Gewerbemieten-Hilfsprogramm aufgelegt hätte, das die Lasten klar und fair zwischen allen Beteiligten verteilt. In Anbetracht der vielen Corona-Füllhörner wäre es auf die damit verbundenen Kosten nun wirklich auch nicht mehr angekommen. Doch stattdessen überlässt man die ohnehin bereits arg strapazierte Schicksalsgemeinschaft aus Mietern und Vermietern sich selbst beziehungsweise den Gerichten. Das grenzt schon an Unverfrorenheit. ph

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