Überflüssige Zertifikate

Immobilien machen 40 Prozent der CO2-Emissionen einer Volkswirtschaft aus. Je nach Land mag dieser Wert variieren und sogar noch höher ausfallen. Fakt ist in jedem Fall: Immobilien sind ein wesentlicher Hebel für mehr Nachhaltigkeit. Insbesondere Einzelhandelsimmobilien sind beispielsweise durch Kühlung und Beleuchtung große Energieverbraucher. Das ist längst kein Geheimnis mehr, und entsprechend steigt das Umweltbewusstsein der Verbraucher und Unternehmen, Stichwort Corporate Social Responsibility. Vor diesem Hintergrund müsste es eigentlich auf der Hand liegen, das Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz von Einzelhandelsimmobilien über entsprechende Zertifizierungen nachzuweisen.

Und doch sind weniger als zehn Prozent aller deutschen Einkaufszentren, die zwischen 2008 und 2011 eröffnet wurden, als nachhaltig zertifiziert. Auch in der jüngsten Vergangenheit, in der es bei anderen Nutzungsarten einen regelrechten Boom an Nachhaltigkeitszertifikaten gab, hat sich die Quote nicht nennenswert geändert: 2012 und 2013 wurden 18 Shoppingcenter in Deutschland eröffnet, nur zwei davon sind aber, soweit bekannt ist, zertifiziert. Bei Fachmarktzentren oder Geschäftshäusern sieht es nicht viel besser aus. Im Bestand dürfte die Zahl der Zertifizierungen sogar noch einmal deutlich darunter liegen. Auf den ersten Blick haben Einzelhandelsimmobilien beim Thema Nachhaltigkeit also offensichtlich einiges aufzuholen. Im Vergleich zu den hohen Zertifizierungsraten bei Büroimmobilien scheint die Einzelhandelsimmobilie Nachhaltigkeitskriterien noch zu sehr zu vernachlässigen.

Auf den zweiten Blick jedoch wird deutlich: Die geringe Zahl ist eher auf die Zertifikate selbst zurückzuführen als auf die Immobilien. Von den drei wichtigsten Zertifikaten BREAM, LEED und DGNB - weltweit gibt es über 50 - erfüllt nur das deutsche DGNB alle Kriterien der Nachhaltigkeit, also ökonomische, ökologische und soziokulturelle Aspekte. Aber allen ist gemein, dass Spezifizierungen für die Besonderheiten der Einzelhandelsimmobilie unzureichend sind und diese in erster Linie auf Neubauten ausgerichtet sind. Zwar ist seit Längerem eine Entwicklung hin zu Qualitätssiegeln zu beobachten, die zwischen Bestands- und Neubauten sowie Nutzungsarten unterscheiden. Jedoch ist die Marktdurchdringung dieser Sub-Labels noch eher überschaubar. Und: Auch unabhängig von Nachhaltigkeitssiegeln ist der nachhaltige Betrieb von Einzelhandelsimmobilien möglich.

Zwei wesentliche Teilaspekte von Nachhaltigkeit sind die ökologische und ökonomische Komponente. Bereits kleine Maßnahmen können hier große Effekte haben und helfen, Energie- und damit Energiekosten einzusparen. Die größten Einsparmaßnahmen ergeben sich laut EHI Retail Institute bei der Beleuchtung: Bewegungssensoren an den Leuchten können bereits zu einem erheblich verminderten Stromverbrauch beitragen. Im Bereich der Kühlung, etwa von Lebensmitteln, kann der Energieverbrauch mittels intelligenter Haustechnik um bis zu 20 Prozent gesenkt werden. Sogar rund 30 Prozent Reduzierungen sind im Handel möglich, wenn beispielsweise das Tageslicht über eine entsprechende transparente Architektur effizient genutzt wird. Dies hat den zusätzlichen Vorteil, dass laut Studien der Umsatz auf vergleichbaren Flächen mit Tageslicht höher ist.

Wichtig ist aber auch, den Mitarbeitern das Thema Nachhaltigkeit näher zu bringen: Was für sie zuhause meist selbstverständlich ist, sollten sie auch an ihrem Arbeitsplatz bedenken. Durch Schulungen oder gemeinsame Workshops lassen sich die Mitarbeiter entsprechend sensibilisieren. Dem EHI zufolge sind allein durch bewussteres Handeln der Mitarbeiter Energieeinsparungen von 10 bis 15 Prozent möglich. Natürlich gilt, dass jede Immobilie individuell ist. Auch die Einsparmöglichkeiten hängen vom Einzelfall ab. Eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung und Reduzierung der für einen Einzelhändler signifikanten Kosten können Green Leases (auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Mietverträge) spielen, die allerdings in Deutschland noch wenig verbreitet sind.

Daher mein Appell: Unabhängig davon, ob Zertifizierungen vorliegen, sollten Sie Ihre individuellen Schlüsselindikatoren identifizieren und dafür sorgen, dass Ihre Einzelhandelsimmobilie nachhaltigen Kriterien entspricht. Der gesellschaftliche und regulatorische Druck wird zunehmen. Und spätestens beim Verkauf der Immobilie wird es sich zeigen, dass die Anstrengungen sinnvoll waren - im Zweifel bedarf es dafür keines Zertifikats.

Thomas Gütle, Geschäftsführer, Cordea Savills, München

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