Positionen zur Stadtentwicklung von Politik und Immobilienwirtschaft

Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung und im Wohnungsbau - Chance oder Hindernis?

Dr. Thomas Kuder

Die Bürgerbeteiligung bei Wohnungsbauprojekten ist nicht immer frei von Kontroversen. Umso wichtiger erscheint deshalb die Erarbeitung tragfähiger Konzepte, die einen qualitativ hochwertigen Beteiligungsprozess der Bürger sicherstellen. Diesem Unterfangen haben sich der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) sowie das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) jüngst in ihrem Plädoyer für eine soziale und resiliente Wohnungspolitik gewidmet. Auch wird darin die Empfehlung für eine stärkere Einbindung der von Neubauten betroffenen Bürger ausgesprochen. Die zugrunde liegende Hoffnung: eine Verbesserung der Akzeptanz und Legitimation bei der Realisierung von Wohnungsbauprojekten. Der Autor ist nicht zuletzt aufgrund konkreter Beispiele aus der Praxis davon überzeugt, dass die Bürgerbeteiligung eine klare Chance für die Stadtentwicklung darstellt. Red.

Die Stadtentwicklungsbestrebungen der letzten Jahrzehnte standen vornehmlich im Zeichen der Innenentwicklung der Städte. Die Aufgaben, die in zunehmendem Maße die Agenden der Städte prägten, waren der Stadtumbau, die Nachverdichtung oder aber die Konversion ehemaliger Militär-, Infrastruktur- und Industrieflächen.

Nachkriegszeit: Schneller Wiederaufbau der Städte

Mit den immer deutlicher werdenden Engpässen auf dem Wohnungsmarkt trat dabei der Neubau von Wohnraum beziehungsweise von neuen Wohngebieten in den Vordergrund und brachte im Vergleich zu früheren Phasen der Stadtentwicklung auch in Sachen Bürgerbeteiligung neue Herausforderungen mit sich.

Die gewaltige Wohnungsnot nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs hatte in den fünfziger und sechziger Jahren vielerorts zu einem schnellen, schnörkellosen Wiederaufbau der Städte geführt, vor allem aber mit einsetzendem Wirtschaftswunder zu einem großflächigen Neubau von Wohnungen am Stadtrand beziehungsweise auf der "Grünen Wiese". Eine Mitwirkung von Bürgern war, den Umständen entsprechend und von denkbaren "amtlichen Eingaben" abgesehen, in beiden Fällen weitgehend unbekannt. Auch gab es kaum gesetzliche Grundlagen für eine Bürgerbeteiligung.

In den sechziger und siebziger Jahren war dann eine stärkere Hinwendung zur Stadterneuerung "im Bestand" erfolgt. Mithilfe intellektueller Wegbereiter und begleitet von Bürgerprotesten hatte sich der Erhalt der alten Gebäudesubstanz durchgesetzt und es galt nun vornehmlich, die großen städtebaulichen Missstände sowie Instandsetzungs- und Modernisierungsdefizite zu beseitigen. Dies ließ sich in den dicht bewohnten Altbauquartieren allerdings nur mit einer intensiven Form der Bürgerbeteiligung gewährleisten, die zu dieser Zeit auch im Zuge einer Politik des "Mehr Demokratie wagen" Eingang in die Gesetzgebung gefunden hatte.

Unterschiedliche Ansätze der Bürgerbeteiligung

Die heutigen Formen von Innenentwicklung und Wohnungsbau finden überwiegend nicht mehr auf der "grünen Wiese" statt, sondern ebenfalls "im Bestand", mitten in der bewohnten Stadt, auf wilden Spielplätzen und ungenutzten Freiflächen, umgewidmeten Stadtbrachen oder unbebauten Nachbargrundstücken. Es handelt sich dabei in der Regel um Flächen, auf denen nicht nur vielfältige Eigentümer- und nachbarschaftliche Einzelinteressen, sondern zudem noch eine Vielzahl von Gemeinwohlansprüchen der Kommunen lasten. Vor diesem Hintergrund stellt die Innenentwicklung eine Aufgabe mit ganz neuen Rahmenbedingungen dar und hat folglich in den Städten unterschiedlichste Beteiligungsstrategien hervorgerufen.

So waren auf der einen Seite viele Städte bestrebt, nur den Wohnungsbau in den Vordergrund zu rücken und eine weitreichende Bürgerbeteiligung jenseits von "informieren und mitnehmen" abzulehnen. Begründet wurde dies vor allem damit, dass es beim Wohnungsneubau keine direkten "Betroffenen" wie bei der Stadterneuerung gibt, sondern nur den noch unbekannten späteren Nutzer. Gerne, zuletzt zum Beispiel am Rande der Koalitionsverhandlungen im Land Berlin 2016, wurde dabei auch der politischen Sorge Ausdruck verliehen, dass der Wohnungsneubau durch Proteste und Klagen womöglich zum Erliegen käme, würde man die Bürger intensiv beteiligen und die nachbarschaftlichen Interessen einbeziehen (Berliner Zeitung, 2.11.2016).

Beratschlagung "auf Augenhöhe"

Auf der anderen Seite gab es aber auch viele Städte, die im Zuge einer kontinuierlichen Bürgerbeteiligung zunächst die Entwicklung des Stadtteils in den Vordergrund gestellt und die Bürger vorab in eine integrierte Rahmenplanung eingebunden haben. Erst nachdem auf der Ebene des Stadtteils eine Klärung der Gemeinwohlinteressen und Rahmenbedingungen erfolgt ist, wenden sie sich, in der Regel ebenfalls zusammen mit den Bürgern, der weiteren Konkretisierung und der rechtlichen Fixierung der Neubauvorhaben zu.

In einem jüngst veröffentlichten Plädoyer für eine soziale und resiliente Wohnungspolitik vom Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) und vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) sprechen sich die Verfasser eindeutig für eine stärkere Einbindung der Bewohner, Nachbarn und Bedürfnisse in die Planungen zu Neubau und Nachverdichtung von Wohnquartieren aus (Difu/vhw 2016). Sie fordern eine intensive und kontinuierliche Beteiligung aller relevanten Akteure in deliberativen Verfahren, das heißt in fairen Verfahren der Beratschlagung "auf Augenhöhe", die folgenden Qualitätsansprüchen gerecht werden:

- Einbeziehung aller Teile der Stadtgesellschaft (Inklusion), auch der eher stummen und schwer erreichbaren,

- bestmögliche Information aller Bürgerinnen und Bürger,

- umfassende Transparenz und

- sichergestellte Fairness im Verfahren.

Damit verbunden ist die Erwartung, dass sich bei den Bürgerinnen und Bürgern durch qualitativ hochwertige Beteiligungsprozesse die allgemeine Akzeptanz und die Legitimation bei der politischen Entscheidung und bei der Realisierung von Wohnungsbauprojekten trotz möglicher Interessensgegensätze deutlich erhöhen lassen. Dies gilt, wie die Erfahrungen zeigen, selbst für eher unliebsame Entscheidungen, die es mitunter auch zu treffen gilt.

Stärkung des sozialen Zusammenhalts

Darüber hinaus wird erwartet, dass sich eine solche Beteiligungskultur auf lokaler Ebene ebenfalls sehr positiv auf den sozialen Zusammenhalt in den Städten und auf die lokale Demokratie auswirkt. Auch die Erfahrungen, die der vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung in den vergangenen Jahren in konkreten Kooperationsprojekten mit zahlreichen bundesdeutschen Städten gesammelt hat, verdeutlichen die grundsätzliche Richtigkeit dieser Position, was nachfolgend anhand eines aktuellen Beispiels der Freien und Hansestadt Hamburg beziehungsweise der dortigen Elbinseln veranschaulicht werden soll.

Die Freie und Hansestadt Hamburg ist und versteht sich als eine wachsende Stadt. Sie hat allein im letzten Jahr rund 20000 Einwohner hinzugewonnen. Zentraler Baustein der Wohnungspolitik ist das von Stadt, Wohnungsunternehmen und Intermediären geschlossene "Bündnis für Wohnen", mit dem jüngst für den Wohnungsbau ein Ziel von 10000 genehmigten Wohneinheiten im Jahr formuliert wurde. Die Hamburger Elbinseln, bestehend aus Wilhelmsburg, der Veddel und weiteren Stadtteilen sowie großen, naturbelassenen Freiräumen, weisen über viele Jahrzehnte hinweg eine von vielschichtigen Protesten begleitete Planungsgeschichte auf. Diese nahm ihren Anfang mit der Flutkatastrophe von 1962, bei der auf den Elbinseln mehrere hundert Opfer zu beklagen waren.

Widerstand auf den Elbinseln trägt Früchte

Infolgedessen sollten, vom wachsenden Widerstand gegen den drohenden Heimatverlust begleitet, die Elbinseln zu einem Industriegebiet umgewandelt und wenig später dort auch noch eine gewaltige Müllverbrennungsanlage angesiedelt werden. Erst Ende der siebziger Jahre wurden die Elbinseln auch aufgrund anhaltender bürgerschaftlicher Proteste wieder als ein städtischer Wohnort anerkannt. Der Widerstand, unter anderem gegen eine geplante Autobahn und für lebenswerte Stadtteile, ging aber auch in der Folgezeit weiter.

Im Zuge eines ungebändigten Stadtwachstums rückten die Elbinseln als geografische Mitte sowie großartige Flächenreserve immer mehr in den Fokus, bis dann die Stadt im Jahr 2003 den "Sprung über die Elbe" wagte und mit der Internationalen Bauausstellung 2013 ein Signal für den Aufbruch in der Stadtentwicklung auf den Elbinseln setzte. Gleichzeitig wurde mit dem städtebaulichen "Zukunftsbild Elbinseln 2013+" in mehreren Planungswerkstätten, die auch einige Informations- und Beteiligungselemente aufwiesen, ein weitreichender Rahmen für die zukünftige Stadtentwicklung und für das geplante intensive Wohnungsbauprogramm skizziert.

Gesteigerte Akzeptanz dank Mitwirkung

Die Resultate und Beteiligungsqualitäten der Werkstätten erfuhren jedoch in der Öffentlichkeit eine heftige Kritik. Lokale Intermediäre und Anwohner forderten nachdrücklich, die rein städtebauliche Planung durch einen selbstgesteuerten, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt rückenden Beteiligungsprozess "von unten" zu ergänzen. Dabei sollten aber nicht nur die "üblichen Verdächtigen" sondern alle Teile der Stadtgesellschaft, vor allem die "schweigende Mehrheit" einbezogen werden.

Daraufhin wurde das Bürgerhaus Wilhelmsburg als lokaler Intermediär mit der "co-kreativen Entwicklungsplanung" beauftragt. An dem methodisch vielfältigen Prozess der Mitwirkung haben sich in vielen kleinteiligen Gesprächen mit Stadtteil- und Fokusgruppen sowie in größeren Bürgerkonferenzen letztlich Hunderte von Bürgern aller gesellschaftlichen Kreise der Elbinseln beteiligt, was sich auch für die Akzeptanz nachfolgender Planungsprozesse zum Wohnungsbau als förderlich erwies. Das in einjähriger Arbeit fertiggestellte Gutachten der Bürger umfasste 13 Themen auf 140 Seiten und skizzierte erstmals eine integrierte Entwicklungsagenda, die in das Zukunftsbild Elbinseln 2013+ eingearbeitet werden konnte.

Innovative Beteiligungsprozesse

Die nachfolgende Qualifizierung und Entwicklung der Wohnungsbauflächen erfolgte nach dem Ende der Internationalen Bauausstellung durch die von der Stadt beauftragte IBA GmbH. Diese hat bislang in Wilhelmsburg in enger Zusammenarbeit mit der Stadt und den lokalen Intermediären zwei städtebaulich-landschaftsplanerische Wettbewerbe durchgeführt, um den Neubau von rund 3 500 Wohnungen planerisch vorzubereiten. Alle beteiligten Akteure verständigten sich trotz enger zeitlicher Vorgaben und schwieriger Koordinationsaufgaben auf kooperative Wettbewerbsverfahren gemäß RPW 2013 und, angesichts des regulierten und wenig beteiligungsaffinen Instruments der städtebaulichen Wettbewerbe, auf innovative Beteiligungsprozesse, die sich wie folgt auszeichneten:

1. Die Bürgerbeteiligung erfolgte kontinuierlich: vor dem Wettbewerb bei der Erarbeitung der Auslobungsunterlagen und im Wettbewerb selbst, in gläsernen Werkstätten, bei der Diskussion von Zwischenergebnissen sowie der kritischen Sichtung und Beschreibung der finalen Entwürfe.

2. Die Bürgerbeteiligung, mit Teilnahmen im vierstelligen Bereich, war soziokulturell breit aufgestellt und milieusensibel. Es nahmen nicht nur die "üblichen Verdächtigen" teil, sondern Menschen aus allen Teilen der Stadtgesellschaft: Senioren, religiös verwurzelte Migrantinnen und Migranten, junge Familien, Studierende, Schüler und selbstverständlich auch interessierte Quartiersbewohner.

3. Die Anforderungen an die Planung wurden mit den Bürgern zusammen entwickelt und in den Auslobungsunterlagen festgeschrieben. Somit konnten die genannten Anforderungen kontinuierlich, zum Beispiel auch bei der Vorprüfung durch die Sachverständigen, herangezogen, über alle Wettbewerbsphasen und wechselnde Teilnehmende hinweg festgeschrieben und auch durch Dritte vertreten werden. Und sie hatten, was man nicht vergessen sollte, im Sinne einer Vertrauensbildung eine gegenseitige Verbindlichkeit für alle am Prozess Teilnehmenden gleichermaßen.

4. Die von den Bürgerinnen und Bürgern erarbeitete Beschreibung der Stärken und Schwächen der Wettbewerbsbeiträge sowie die Diskussion der finalen Entwürfe erwies sich auch für das Preisgericht als sehr wertvoll und konnte in deren Arbeit der Bewertung und abschließenden Beurteilung der Entwürfe einfließen.

Einbindung als Mittel gegen Anwohnerproteste

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unter Einhaltung der engen Zeitvorgaben mehrschichtige Planungs- und Beteiligungsverfahren durchgeführt und erfolgreich zum Abschluss gebracht werden konnten. Die eingangs gestellte Frage, ob die Bürgerbeteiligung eher eine Chance oder ein Hindernis für die Stadtentwicklung darstellt, ist angesichts dessen eindeutig positiv zu beantworten.

Sinnbildlich für eine solche Bürgerbeteiligung als Chance für Stadtentwicklung und Wohnungsbau steht eine kleine Notiz, die auf der Internetseite des Norddeutschen Rundfunks über die Wettbewerbe berichtete und mit der alles gesagt sein dürfte, was in zahlreichen Statements und Pressestimmen zum Ausdruck gebracht wurde: "Anwohnerproteste sind ... nicht zu erwarten. Denn die Wilhelmsburger sind seit Monaten ganz eng in die Planung eingebunden."

Quellenangabe

Deutsches Institut für Urbanistik/vhw Bundesverband für Stadtentwicklung und Wohnen (Herausgeber), (2016): Wohnungspolitik neu positionieren! Plädoyer von vhw und Difu für eine soziale und resiliente Wohnungspolitik. Internet-Download: http://www.vhw.de/fileadmin/user_upload/07_presse/PDFs/PDF_15_16/Plaedoyer_Wohnungspolitik_ August_2016.pdf.

Der Autor Dr. Thomas Kuder Seniorwissenschaftler und Projektleiter, vhw - Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V., Berlin
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