Private Wohnungsbaufinanzierung

Mit neuen Modellen zur Risikodarstellung in der Kreditberatung Transparenz und Sicherheit schaffen

Wichtigste Einflussfaktoren bei der Simulation von Wohnimmobilienkrediten in der Kundenberatung Quelle: Confinpro AG

Insgesamt herrsche aktuell große Unsicherheit bei der Vergabe von Immobilienkrediten. Davon sind die Autorinnen des Beitrags überzeugt. Schuld daran sei die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie für Wohnimmobilienkredite (WIKR). Bei den Sparkassen in Baden-Württemberg sei seit März ein Einbruch von 20 Prozent bei der Kreditvergabe zu verzeichnen. Denn aus einer Angst vor Irrtümern dauern die Prüfungsprozesse nun länger, denn viele Banken agierten übervorsichtig. Als Folge gelte es nun, bessere Beratungsmodelle zu entwickeln, welche die Daten in die Zukunft fortschreiben und verschiedene Szenarien simulieren. Im weiteren Verlauf zeigen die Verfasserinnen aber auch Chancen auf, die durch die neue Situation entstehen könnten. Die risikosensitive Immobilienkreditberatung helfe dabei, vorsichtige Kunden zu gewinnen, sich doch für Eigentum zu entscheiden. Hinzu komme das Cross-Selling-Potenzial, das sich aus einer prozessual stärkeren Verzahnung mit der Beratung ergebe. Denn schließlich dauere die Beratung nun auch deutlich länger. Red.

Deutschlands Kreditinstitute gehen bei der Immobilienfinanzierung derzeit unterschiedliche Wege: Während viele Banken Kredite unter der neuen Wohnimmobilienkreditrichtlinie (WIKR) deutlich restriktiver vergeben, wollen andere das Volumen noch ausweiten, wie eigene Analysen von Cofinpro zeigen. Insgesamt herrscht jedoch große Unsicherheit bei der Vergabe von Immobilienkrediten. Neue Modelle zur Berechnung und Visualisierung von Rückzahlungsszenarien im Beratungsgespräch könnten treffsichere Aussagen zur künftigen Tilgungsfähigkeit ermöglichen und Transparenz schaffen - für Banken und ihre Kunden.

Der Aufschrei war laut: Seit ihrem Inkrafttreten am 21. März kritisieren Banken, Baugewerbe und andere Experten die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie für Wohnimmobilienkredite (WIKR). Der Gesetzgeber sei über das Ziel hinausgeschossen und die neuen Regeln hätten zu einer deutlichen Veränderung der Kreditvergabe geführt, bei der vor allem ältere Menschen sowie Familien benachteiligt würden, so heißt es.

Nach Aussage des baden-württembergischen Sparkassenverbandes ist die Kreditvergabe an Bauherren oder Käufer von Immobilien im zweiten Quartal in diesem Bundesland um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 2,58 Milliarden Euro eingebrochen. Überdies soll es dem Genossenschaftsverband Bayern zufolge Volks- und Raiffeisenbanken geben, die jeden vierten Kreditantrag ablehnen müssen. Dabei gehe es meist um Darlehen für den Kauf von Wohnimmobilien zur Altersvorsorge und für altersgerechte Umbauten.

Obergrenzen für den Beleihungswert geplant

Noch ist der sprichwörtliche Aufschrei am Markt nicht verhallt, schon empfiehlt der Ausschuss für Finanzstabilität des Bundesfinanzministeriums weitere, über die WIKR hinausgehende Maßnahmen und Instrumente zur Steuerung der Vergabe von Wohnimmobiliendarlehen. Diskutiert werden Obergrenzen für den Beleihungswert der Immobilie sowie Limitierungen der Kreditraten im Verhältnis zum Einkommen, zur Tilgungszeit und Eigenkapitalquote. Diese zusätzliche, auch von der Bundesbank geforderte Regulierung, dürfte zu einem weiteren Einbruch der Kreditentscheidungen führen. So hat das Institut der deutschen Wirtschaft hochgerechnet, dass zwischen 22 und 40 Prozent der Immobilienkreditnehmer wegen zu hohem Beleihungsauslauf oder Verschuldung mit Schwierigkeiten beim Darlehensantrag rechnen müssten.

Statt eine Vielzahl von Einzelregulierungen zu schaffen, wäre es sinnvoller, den Rahmen der vorhandenen Richtlinie besser auszunutzen mit flexiblen und in die Zukunft gerichteten Modellen für die Risikobetrachtung in der Kreditberatung. Während vor der Richtlinie der Verkehrs- und Beleihungswert des Objektes bei der Analyse der Kreditwürdigkeit im Vordergrund standen, orientieren Banken sich nun an der Kapitaldienstfähigkeit des Kreditnehmers während der Darlehenslaufzeit. Dies hat bereits spürbare Folgen insbesondere für ältere Kreditnehmer oder Familien, die vor dem Frühjahr problemlos eine Finanzierung für ihre Wohnimmobilie erhalten hätten.

Bei einem Doppelverdiener-Ehepaar mit bevorstehender Familienplanung und durchschnittlichem Haushaltseinkommen beispielsweise würde die Bank nun den Wegfall eines kompletten Einkommens bei zeitgleich steigender Nettobelastung des Haushalts durch Ausgaben für den Nachwuchs kalkulieren und damit in vielen Fällen den Kreditantrag ablehnen müssen.

Beispiel Nummer 2: Ein 55-Jähriger möchte eine Immobilie finanzieren, doch die Bank wird nicht riskieren wollen, dass er seinen Kredit auch noch im Rentenalter bei geringeren Einkünften tilgt. Deshalb wird sie die Laufzeit auf das Berufsleben begrenzen, was die Raten in die Höhe treiben wird - und damit einer Kreditzusage unter aktuellen Bedingungen eher unwahrscheinlich macht.

Schwierig ist die faktische "Entwertung" des eigentlich vorhandenen Immobilienvermögens im Rahmen der Kreditwürdigkeitsbetrachtung insbesondere auch für die Anschlussfinanzierung von Krediten, die aufgrund der abgelaufenen Zinsbindung unter die neue Richtlinie fallen.

Da es hier keinen Bestandsschutz für Altverträge gibt, gestaltet sich die Verlängerung bereits lang laufender Darlehen - etwa von der betroffenen Kundengruppe der Rentner - künftig sehr schwierig, wenn sich weitere Vertragsbestandteile neben dem Zinssatz ändern. Denn langjährige Bankkunden müssen nun ihre Kreditwürdigkeit aufs Neue analysieren lassen, zu anderen Maßstäben und mit anderen Ergebnissen, als dies bislang der Fall war.

Auch Vertragsverlängerungen künftig schwierig

Tatsache ist: Aus einer Angst vor Irrtümern bei Kreditentscheidungen heraus dauern die Prüfungsprozesse nun länger, denn viele Banken agieren übervorsichtig. Schließlich ist nicht geregelt, welche Lebenssituationen das Institut "vorhersagen" muss. Vermeintliche Fehler - die bereits bei Abschluss des Kreditvertrags als eine Verschlechterung der Kreditwürdigkeit absehbar gewesen wären - könnten dazu führen, dass die Bank bei einem späteren Ausfall des Kredits ihre Forderung verliert.

Zusätzliche Unsicherheit schafft die Formulierung, es werde geprüft, ob ein Kreditausfall "wahrscheinlich" sei, was jedoch kein feststehender juristischer Begriff ist und somit eine Einschätzung der Banken erst nach tatsächlichem Eintreten solcher Negativszenarien und ersten Referenzurteilen möglich sein wird.

Für die Branche gilt es daher, bessere Beratungsmodelle zu entwickeln, welche die Daten in die Zukunft fortschreiben und verschiedene Szenarien simulieren. Auf dieser Grundlage ist es noch präziser möglich, die richtigen Kredite zu vergeben und diejenigen abzulehnen, mit denen sich der Verbraucher tatsächlich übernimmt. Eine solch dynamische Modellierung und Visualisierung ist beispielsweise in der Wertpapierberatung bereits besser etabliert.

Verzahnen die Banken den Vertrieb überdies stärker mit der prozessual nachgelagerten, unabhängigen Kreditentscheidung, können sie weitere Cross-Selling-Potenziale heben und beispielsweise Produkte zur Absicherung des Kunden ebenfalls in die Betrachtung einbeziehen.

Das ist nicht alles: Für den Kunden ist es wichtig, dass das Institut seine Entscheidung in einer individuellen Beratung transparent und verständlich kommuniziert - anhand dynamischer Szenarien zur Einkommensbetrachtung oder der Simulation von Absicherungsmechanismen bei Berufsunfähigkeit. Für Kunden ist aktuell nicht nachvollziehbar, warum der Faktor "Sicherheiten" nicht mehr den gleichen Stellenwert in der Bewertung hat wie vor der Richtlinie.

Dynamische Szenarien zur Einkommensbetrachtung

Macht die Bank aber in so einem Fall deutlich, dass die gewünschte Kredithöhe im Zeitablauf möglicherweise für beide Seiten ein Risiko darstellt, kann sie den Kunden dabei unterstützen, sich mit einer kleineren Immobilie, einer passenderen Darlehensgestaltung oder einer ergänzenden Absicherung den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.

Was bedeutet das in der Praxis? Die Banken sollten den Fokus auf eine flexible Gestaltung von Finanzierungsszenarien legen. Die neuen Modelle müssen verschiedene Parameter abbilden, die sich im Zeitablauf ändern. Dazu zählen das aktuelle Einkommen und seine Entwicklung, die Schulden des Immobilieneigentümers, seine sonstigen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse, die momentane und künftige Ausgabensituation sowie die prognostizierte Entwicklung seiner Lebensumstände, des Zinsumfelds oder auch der Immobilienpreise. Es geht darum, darzustellen, wie hoch die maximale Darlehenssumme bei einer tragbaren Belastung aus Zins und Tilgung sein könnte beziehungsweise welche Folgen ein verringerter Kapitaldienst auf das Kreditvolumen hätte.

Wird ein Altersvorsorgevertrag fällig?

Beispiel: Ein 55-Jähriger will ein Immobiliendarlehen mit 15-jähriger Laufzeit abschließen, Zinsen und Tilgungen fielen also auch in die Rentenphase. Unter dem neuen Modell stellt sich die Frage, wie stark sein Gehalt nach dem Ausscheiden aus dem Job sinkt und welche anderen Vermögens- oder Einkommenskomponenten er hinzuziehen könnte. Wird etwa ein Altersvorsorgevertrag fällig?

Wichtig ist zudem, wie sich die Lebenshaltungskosten ab dem Renteneintritt verändern. Während ein flexibles Modell den Wandel der Parameter über den Zeitablauf des Kredits simuliert, schauen die Banken derzeit nur, ob der Kreditinteressent Altersvorsorgeverträge hat und welche Rente er bezieht.

Als zweites Beispiel dient das oben beschriebene Ehepaar mit Kinderwunsch. Nach der Geburt des Kindes fällt zwar voraussichtlich ein Einkommen vorerst weg, das neue Modell aber berücksichtigt Alternativeinkünfte wie etwa das Elterngeld. Zudem kompensiert das Kindergeld einen Teil der gestiegenen Haushaltsausgaben. Nach dem erneuten Berufseintritt des Elternteils steigt das verfügbare Haushaltseinkommen wieder. Dieses Szenario könnte sich beim zweiten Kind wiederholen. Die Ausgaben für Erziehung, Bildung oder Freizeit werden über einen längeren Zeitraum zunehmen. Sobald die Kinder erwachsen sind, ändert sich die Einkommenssituation des Paares erneut, da ein Teil der Ausgaben wegfällt.

Cross-Selling-Potenzial durch stärkere Verzahnung

Diese Szenario-Betrachtungen sollte die Bank ihrem Kunden im Beratungsgespräch unter anderem mit grafischen Darstellungen veranschaulichen und durch Schieberegler oder ähnliche Elemente anpassbar machen. Die Vorteile für Banken: Sie können sich über ihre Beratungsqualität vom Wettbewerb abgrenzen und die Kundenzufriedenheit erhöhen sowie im restriktiven Umfeld weiterhin Neugeschäft bei Wohnimmobilienfinanzierungen generieren.

Zudem hilft die risikosensitive Immobilienkreditberatung, vorsichtige Kunden zu gewinnen, sich doch für Eigentum zu entscheiden. Hinzu kommt das Cross-Selling-Potenzial, das sich aus einer prozessual stärkeren Verzahnung mit der Beratung ergibt. So ist es beispielsweise möglich, mit dem Kunden über Anlageoder private Rentenprodukte für Ruhestand und zusätzliche Sicherheit, weitere Darlehensverträge sowie Versicherungsprodukte zu sprechen.

Die WIKR hat die Immobilienfinanzierung erschwert. Die Beratungsgespräche dauern nun etwa eine bis eineinhalb Stunden länger, und auch die Bearbeitungsdauer der Backoffice-Prozesse bis zur Genehmigung des Kredits ist gestiegen. Die faktische "Entwertung" des Immobilienvermögens bei der Kreditwürdigkeitsprüfung führt dazu, dass strengere bankinterne Richtlinien greifen. Und in Zukunft sind weitere, über die WIKR hinausgehende Regulierungsvorhaben für die Darlehensvergabe möglich. Deshalb ist es jetzt wichtig, den Rahmen der bestehenden Richtlinie auszuschöpfen. Die Banken müssen sich umstellen in Richtung einer risikosensitiven Immobilienkreditberatung mit flexiblen Parametern und transparenten Darstellungsformen gegenüber dem Kunden. Darüber hinaus sind die Institute gefordert, die Kriterien für die Kreditvergabe prozessual deutlich stärker mit der Beratung zu verzahnen.

Die Simulation der Kreditszenarien, beispielsweise für die oben beschriebenen beiden Kundengruppen, könnte zunächst durch schrittweise Berücksichtigung von zusätzlichen Parametern erweitert werden. Hierzu zählen insbesondere individuelle Kundenangaben wie die voraussichtliche Höhe des Elterngeldes, Bezugsdauer, geplanter Wiedereinstieg eines Elternteiles in das Berufsleben und damit ein erneuter Anstieg des Haushaltseinkommens bei Betrachtung von Familien. All diese Faktoren können bereits relativ genau abgeschätzt werden und die Rückzahlungsszenarien erheblich beeinflussen. Für Rentner sollte genauer auf die Ruhestandsplanungen, Rentenansprüche, Alternativeinkünfte et cetera eingegangen werden. Berücksichtigen die Institute diese Empfehlungen, ergibt sich eine Win-Win-Situation für Banken und Kunden gleichermaßen.

Die Autoren

Melanie Purgar Senior Expert Consultant Mareike Renner Senior Expert Consultant, beide Cofinpro AG, Frankfurt am Main

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