Geldpolitik

Nullzinspolitik - zwischen Sparerfrust und galoppierenden Immobilienpreisen

Reale Renditen Sparbrief/Sparbuch - Entwicklung im Zeitraum 1970 bis 2015 (Angaben in Prozent) Quelle: Deutsche Bundesbank, Berechungen des Ifo-Instituts

In der bayerischen Landesvertretung in Brüssel ging es hoch her, als es um die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ging. Dabei trafen laut Autor besonders Peter Praet, der Chefvolkswirt der EZB und Jacques de Larosière, Präsident des Observatoire de l'Epargne Européenne und ehemaliger geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds sowie Ex-Präsident der französischen Nationalbank argumentativ aufeinander. Während Praet eine stabilisierende Wirtschaftsleistung und eine reduzierte Arbeitslosenrate sowie eine Inflation sehe, die sich wieder auf das gewünschte Niveau hinbewege, sieht de Larosière diese Politik als kontraproduktiv an. Nur wenige Unternehmen machten ihre Investitionstätigkeit im Wesentlichen von den Kreditkosten abhängig. Von Bedeutung seien für sie vielmehr die zu erwartende Absatzmenge, das Wirtschaftswachstum und Vertrauen in die generelle wirtschaftliche Entwicklung. Gerade kleine und mittlere Kreditinstitute würden übermäßig belastet. Red.

Banken im Margendruck, galoppierende Immobilienpreise und eine Erosion der Sparkultur - die Nullzinspolitik der EZB birgt gewaltige Gefahren in sich. Dies wurde bei einem parlamentarischen Abend deutlich, den der Verband der Privaten Bausparkassen gemeinsam mit dem Observatoire de L'Epargne Européenne - einem französischen Verband, der Informationen zum Sparen in Europa sammelt und bereitstellt, um die Sparkultur zu fördern -, in der Bayerischen Landesvertretung in Brüssel durchführte. Das Thema lautete: "Herausforderungen für langfristiges Sparen im Kontext der Nullzinspolitik".

Einleitend wies der "Hausherr" Wolfgang Lazik, Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, darauf hin, dass die EZB zwar zu Beginn der Finanzkrise rasch und richtig gehandelt habe, indem sie Zinsen senkte und unkonventionelle Maßnahmen ergriff. Er kritisierte aber die zunehmenden negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen der fortgesetzten Nullzinspolitik. Sparer würden bestraft und soliden Banken und Versicherungen die Verdienstmöglichkeiten entzogen. Gewinner der Nullzinspolitik seien Schuldner, Anleger mit großem Vermögen sowie die Finanzminister, deren Ausgaben für Schuldzinsen stark schrumpften. Insbesondere die südeuropäischen Länder hätten diesen Spielraum genutzt, ihre Staatsverschuldung weiter aufzublähen, statt notwendige Strukturreformen durchzuführen.

Praet hält Negativzinsen für notwendig

Prof. Dr. Peter Praet betonte, dass Entscheidungen in der EZB durch Mehrheit erreicht würden. Negativzinsen und unkonventionelle Maßnahmen seien notwendig, da nicht nur die Transmission geldpolitischer Impulse durch die Krise gestört, sondern auch der "natürliche Zins" durch Megatrends wie ein abnehmendes Produktivitätswachstum oder die demografische Alterung gesunken sei. Eine traditionelle Geldpolitik hätte ihre Wirkung in diesem Umfeld verfehlt. Die unkonventionelle Geldpolitik habe hingegen die Wirtschaftsleistung stabilisiert und die Arbeitslosenrate reduziert. Die Inflation bewege sich wieder auf das gewünschte Niveau hin. Praet gestand aber auch ein, dass die Niedrigzinsen für Sparer eine schlechte Nachricht seien, unproduktive Zombie-Unternehmen und -Banken das Wachstum schwächen könnten und einer Inflation der Vermögenspreise Vorschub geleistet werde. Die verteilungspolitischen Effekte der derzeitigen Geldpolitik seien zwar nicht klar zu bemessen und könnten negativ sein, wären aber im Falle eines geldpolitischen Nichthandelns noch deutlich schlechter ausfallen. Er widersprach der Feststellung Laziks, dass Niedrigzinsen die Anreize für Regierungen vermindern, Strukturreformen durchzuführen. Vielmehr sei hierfür der Wähler verantwortlich. Die Margen im Zinsgeschäft seien sicher deutlich gesunken. Insgesamt würde sich die Politik der EZB aber positiv auf die Profitabilität der Banken auswirken, da das Kreditgeschäft insgesamt besser laufe und es weniger notleidende Kredite gebe. Praet appellierte an die Kreditinstitute, ihr Geschäftsmodelle zu überdenken und ihre Aufwand-Ertrags-Quote zu verringern. Hier gäbe es noch Spielraum.

Lockerere Geldpolitik schafft Unsicherheit

"Welche Auswirkungen hat die Geldpolitik der EZB auf das Spar- und Investi tionsverhalten?" fragte Jacques de Larosière. Im Normalfall sei bei fallenden Renditen für risikolose Anlagen mit einer Zunahme der Konsumneigung und einer gesteigerten Anlage von Geldern in Eigenkapitalinstrumente zu rechnen. Doch dies ist laut de Larosière in Europa nicht der Fall. Die europäische Sparquote bewege sich bereits seit Jahren um den Wert von 12,5 Prozent. Es gebe auch keine Anzeichen dafür, dass die Ersparnisse nun vermehrt in die Aktienmärkte flössen. Die Nullzinspolitik würde ihre Ziele hier klar verfehlen. Das tue sie auch im Hinblick auf die Investitionstätigkeit im Euroraum. Trotz enormer geldpolitischer Anstrengungen seien die Bruttoinvestitionen seit 2007 rückläufig. Nur wenige Unternehmen machten ihre Investitionstätigkeit im Wesentlichen von den Kreditkosten abhängig. Von Bedeutung seien für sie vielmehr die zu erwartende Absatzmenge, das Wirtschaftswachstum und Vertrauen in die generelle wirtschaftliche Entwicklung. Es könne sogar sein, dass gerade die lockere Geldpolitik ein Klima der Unsicherheit schaffe, was die Investitionsbereitschaft senke.

Zudem schadeten Negativzinsen und eine immer schärfere Regulierung dem Banken- und Versicherungssektor. Dabei übernähmen Banken in der EU 70 Prozent der Wirtschaftsfinanzierung. Ein funktionsfähiger Bankensektor sei daher laut de Larosière von zentraler Bedeutung. Obwohl es offensichtlich sei, dass der "natürliche Zins" sinke, widerspräche es dem gesunden Menschenverstand, wenn der Zins - als Preis für aufgeschobene Konsumwünsche - negativ sei. Dies könne diverse Friktionen in der Marktökonomie und Vermögenspreisblasen verursachen.

Andreas Zehnder, Vorsitzender des Verbandes der Privaten Bausparkassen und Präsident der International Union for Housing Finance, formulierte in seiner Rede die Sorgen der Sparer und der Anbieter von langfristigen Sparprodukten. Auch Zehnder lobte das rasche und entschiedene Handeln der EZB zu Beginn der Finanzkrise. Er betonte aber, dass die Nullzinspolitik der derzeitigen, durchaus soliden wirtschaftlichen Lage nicht angemessen sei, zumal die geringe Verbraucherpreisinflation im Wesentlichen durch die gesunkenen Öl- und Rohstoffpreise erklärt werden könne. Je länger die unkonventionelle Geldpolitik anhalte, desto größer würden die Risiken, die sich aus den unbeabsichtigten Konsequenzen ergäben. Eine Exit-Strategie werde zugleich immer schwerer, die positiven Effekte hingegen immer geringer.

Nullzinspolitik in der aktuellen Situation unangebracht

Studien zeigten, dass Sparbriefe mit vierjähriger Laufzeit in den achtziger und neunziger Jahren nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in Frankreich und Italien reale Renditen von über drei Prozent abgeworfen hätten. Heute lägen die Renditen für vergleichbare Produkte deutlich unter einem Prozent, sodass der Zinseszinseffekt nicht mehr zum Tragen komme. Dabei sei aufgrund sinkender gesetzlicher Rentenniveaus sogar mehr private Vorsorge vonnöten. Ein Ausweichen in riskantere Anlagen hält Zehnder für keinen gangbaren Weg: Haushalte mit niedrigem oder mittlerem Einkommen hätten bei einer Anlage in Aktien viel zu verlieren, zumal die Wertpapiermärkte sich ebenfalls nicht der Zinsentwicklung entziehen können. Die Nullzinspolitik sei auch für Immobilienerwerber alles andere als positiv: Zum einen wachse die Gefahr, dass sich die Schuldner langfristig übernähmen. Zum anderen gehe die Entwicklung mit einem galoppierenden Anstieg bei den Vermögenspreisen einher, sodass jene, die vernünftigerweise ein Eigenkapitalpolster vor dem Immobilienerwerb aufbauen wollten, frustriert mit ansehen müssten, wie ihnen die Hauspreise davonliefen.

Zudem widersprach Zehnder Praet, dass die Politik der EZB positiv für die Profitabilität der Banken sei. Die Banken litten an breiter Front unter der gesunkenen Zinsmarge. Nur einige wenige Institute könnten die von Praet angeführten Vorteile heben. Es seien gerade die kleineren, einlagenbasierten, zinsabhängigen Institute, darunter auch die Bausparkassen mit ihren europaweit rund 40 Millionen Kunden, die unter der Zinspolitik der EZB litten. Dabei hätten gerade diese Institute über Jahrzehnte hinweg dem Finanzsystem Stabilität verliehen - auch in der Finanzkrise; und sie seien essenziell für die Versorgung der Realwirtschaft mit Fremdkapital. Es könne nicht sein, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik solide Geschäftsmodelle schädige und damit Bankenstrukturpolitik betreibe. Das übersteige ganz klar ihr Mandat. Die EZB müsse sobald wie möglich den Sonderzustand verlassen. Ansonsten wäre nicht nur die nächste Finanzkrise vorprogrammiert. Auch die Bürger würden dann die europäische Idee zunehmend infrage stellen.

Kleinere Kreditinstitute leiden

Burkhard Balz, Mitglied des Europäischen Parlaments und dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung tätig, forderte ein funktionierendes Ganzes bei den zahlreichen Regulierungsmaßnahmen. Das Zusammenspiel in der Regulierung und der Aufsicht müsse auf den Prüfstand gestellt werden. Es gehe um Effektivität und Effizienz, um Klarheit, Verständlichkeit, Anwendbarkeit und um Proportionalität - die immer noch viel zu kurz komme.

Proportionalität werde von vielen anderen als Sonderausnahme missverstanden. Dabei gehe es um risikogerechte Regulierung. Auch er unterstrich die Rolle der kleinen und mittleren Kreditinstitute für die Realwirtschaft. Eine akkommodierende Geldpolitik sei allenfalls eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für wirtschaftliche Prosperität. Hierfür seien auch Struktur- und Wirtschaftsreformen nötig sowie Fortschritte beim Schulden- und Bürokratieabbau. Auch müsse stärker darauf geachtet werden, dass die Finanzmarktakteure der Realwirtschaft dienten.

Der Autor

Mark Weinrich Generalsekretär, International Union of Housing Finance, Brüssel

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