Markt- und Objektbewertung

Wertermittlung im Kontext der Capital Requirements Regulation (CRR)

Annett Wünsche

Unter den bankregulatorischen Themen der vergangenen Jahre standen technische Aspekte wie die kreditwirtschaftliche Immobilienbewertung eher weniger im Fokus. Aktuell jedoch werden diese Fragen intensiv diskutiert. Die methodische Ausgestaltung der Beleihungswertermittlung und deren zentrale regulatorische Grundlage in Deutschland - die Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV) - stehen dabei im Fokus. Unterschiedliche Szenarien reichen von der Abschaffung der BelWertV zugunsten eines europäischen Standards bis hin zu einer Anwendungsverpflichtung der BelWertV über den Pfandbrief hinaus für die Zwecke der Eigenmittelunterlegung. Da es noch keine Antworten auf diese Fragen gibt, ist es derzeit umso wichtiger, diese Szenarien fundiert einschätzen zu können. Hilfreich ist dabei aus Sicht der Autorin die sorgfältige Analyse der regulatorischen Vorgaben auf europäischer und nationaler Ebene. Red.

Der Markt- und der Beleihungswert sind nach wie vor die maßgeblichen Wertbegriffe für die kreditwirtschaftliche Wertermittlung. Der Marktwert ist der geschätzte Betrag, zu dem eine Immobilie an einem konkreten Stichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach angemessener Vermarktung verkauft werden könnte.

Der Beleihungswert berücksichtigt hingegen die langfristigen, nachhaltigen Objektmerkmale. Er ist der Wert, der erfahrungsgemäß unabhängig von vorübergehenden, etwa konjunkturell bedingten Wertschwankungen am Grundstücksmarkt unter Ausschaltung spekulativer Elemente während der gesamten Dauer der Beleihung bei einer Veräußerung voraussichtlich erzielt werden kann.

Für die Bewertung der Sicherheit für eine langfristige Finanzierung ist somit das Konzept des Beleihungswertes aus Risikosicht eher geeignet als der stichtagsbezogene Marktwert.

Die umfassenden Regelungen der Capital Requirements Regulation (CRR, Verordnung (EU) Nr. 575/2013) mit über 500 Artikeln enthalten überschaubar viele Vorgaben zur Wertermittlung. Neben den allgemeinen Definitionen des Markt- und Beleihungswertes in Artikel 4 Absatz 1 Nummer 74 und Nummer 76 CRR definiert Artikel 229 CRR das Wahlrecht zwischen Marktund Beleihungswert ohne wertermittlungsmethodische Konkretisierungen vorzunehmen.

Europäische Regulierung

Des Weiteren ist im Kontext der Immobilienbewertung der Artikel 208 Absatz 3 CRR relevant. Zwar beinhaltet dieser Artikel in erster Linie die Überwachung und Überprüfung der Immobilienwerte, macht jedoch im CRR-Kontext die konkretesten Aussagen zur Unabhängigkeit und Qualifikation der Sachverständigen.

Vor diesem Hintergrund wird in der Bewertungsbranche großes Augenmerk auf den Artikel 124 Absatz 4 CRR gelegt, in dem die Europäische Bankaufsicht (EBA) verpflichtet wird, einen technischen Regulierungsstandard (Regulatory Technical Standard, RTS) zu den strengen Kriterien für die Bemessung des Beleihungswertes zu erarbeiten. Dieser Entwurf sollte der Europäischen Kommission bis zum Jahresende 2014 vorgelegt werden. Um auch dies vorwegzunehmen, dieser Standard existiert noch nicht.

Zweifelslos ist die Beleihungswertermittlung auf Basis der BelWertV wesentlich für die Sicherheit des Pfandbriefes.

Beleihungswertermittlung in Deutschland

Etwas komplexer verhält es sich mit der Anwendung des Beleihungswertes für die Zwecke der Eigenmittelunterlegung. Paragraf 22 der Solvabilitätsverordnung (SolvV) unterscheidet vier Möglichkeiten für die Bemessung des Beleihungswertes. Diese sind:

- der Beleihungswert nach Paragraf 16 Absatz 2 Satz 1 bis 3 PfandBG in Verbindung mit der BelWertV,

- der Beleihungswert nach Paragraf 7 Absatz 7 des Gesetzes über Bausparkassen,

- der Beleihungswert auf Grundlage von in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes gültigen strengen Vorgaben in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften,

- ein anders ermittelter nachhaltig erzielbarer Wert, der den Anforderungen des Paragraf 16 Absatz 2 Satz 1 bis 3 PfandBG genügt, das heißt die Bel-WertV muss nicht explizit angewandt werden.

Mit der Novelle der SolvV zum 1. Januar 2014 wurde eine Übergangsregelung aufgenommen, womit der letztgenannte "andere nachhaltige Wert" ab dem Tag nicht mehr anzuwenden ist, wenn der oben angegebene technische Regulierungsstandard (RTS) gilt.

Aktuelle Praxis in Deutschland

Derzeit wird das Wahlrecht in Artikel 229 CRR als Institutswahlrecht interpretiert. Einige Institute nutzen für die Zwecke der CRR den Markt-, andere den Beleihungswert. Für diejenigen Pfandbriefbanken, die für die CRR-Zwecke den Beleihungswert anwenden, liegt es auf der Hand, hier auch den für Deckungszwecke ermittelten Beleihungswert nach BelWertV zu nutzen. Kreditinstitute (Ausnahme Bausparkassen), die keine Pfandbriefe emittieren jedoch für die Eigenmittelunterlegung auf den Beleihungswert abstellen, können den Beleihungswert nach BelWertV oder den "anderen nachhaltigen Wert" anwenden. Die Kreditwirtschaft hat eine umfassende Diskussion über die methodische Ausgestaltung dieses "anderen nachhaltigen Wertes" geführt.

Eine einheitliche Methodik wurde nie implementiert. Gemäß der grundsätzlichen Positionierung der Bankaufsicht, soll dieser Wert jedoch ebenso konservativ ermittelt werden, wie der Beleihungswert nach BelWertV. Daher stellen viele Kreditinstitute für die Zwecke der CRR methodisch vollumfänglich auf die BelWertV ab.

Zusammenspiel der europäischen und nationalen Regelungen

Eine isolierte Betrachtung der Regelungen der SolvV lässt den Schluss zu, mit dem Inkrafttreten des technischen Regulierungsstandards der EBA müsse der "andere nachhaltige Wert" entfallen und eine Bewertung auf Basis der BelWertV erfolgen (ausgenommen Bausparkassen). Es ist wichtig, in diesem Zusammenhang auch die EU-Regulierung zu würdigen. Denn zum jetzigen Zeitpunkt ist offen, ob ein technischer Regulierungsstandard für die Beleihungswertermittlung auf eine Maxi-mal- oder Minimalharmonisierung der Beleihungswertmethodik zielen wird. Eine "Maximalharmonisierung" würde bedeuten, für CRR-Zwecke ausschließlich einen europäischen Standard für die Beleihungswertermittlung 1:1 anzuwenden und nicht mehr die BelWertV.

Werden auf EU-Ebene lediglich prinzipielle Anforderungen an die Beleihungswertermittlung reguliert ("Minimalharmonisierung"), könnten diese gegebenenfalls national präzisiert werden. Je nach nationalem Gestaltungsspielraum ist anzunehmen, dass dann zahlreiche Elemente der BelWertV, wenn nicht sogar die gesamte Verordnung, deutsche Auslegung dieses europäischen Standards werden könnten.

Es ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht erkennbar, wie die grundsätzliche Entscheidung zwischen Maximal- und Minimalharmonisierung ausgehen wird. Bis dahin stehen die aufgeführten Szenarien im Raum. Aus fachlicher Sicht ist der Minimalharmonisierung in Form eines prinzipienoriertieren Standards den Vortritt zu geben.

Standard auch für den Pfandbrief anzuwenden?

Die Funktionsweise der europäischen Immobilienmärkte und damit im Zusammenhang auch die Bewertungsmethoden und die Verfügbarkeit von Bewertungsdaten variiert in den einzelnen Mitgliedsstaaten erheblich. Eine detailliert vorgegebene einheitliche Bewertungsmethodik würde sich somit gesamteuropäisch kaum umsetzen lassen.

Für Pfandbriefbanken stellt sich die Frage, ob der technische Regulierungsstandard zukünftig auch für die Pfandbriefdeckung anzuwenden sein wird. Diese Frage ergibt sich aus Artikel 129 Absatz 3 CRR, wonach bei der Besicherung gedeckter Schuldverschreibungen mit Immobilien die Anforderungen der Artikel 208 und 229 Absatz 1 CRR, also die Vorgaben zur Bewertung zu erfüllen sind.

In dem Positionspapier der EBA vom 5. Oktober 2015 (Opinion of the European Banking Authority on Mort gage Lending Value (MLV)) legt sie sich dahingehend fest, dass sich der Anwendungsbereich des technischen Regulierungsstandards auch auf die Bewertung von Immobilien erstreckt, die Covered Bonds besichern.

Der RTS müsste somit auch angewendet werden, damit Covered Bonds die Kriterien für deren privilegierte Risikogewichtung erfüllen. Da jedoch nach Einschätzung der EBA die Nachteile dieser Anwendungsverpflichtung ihren Nutzen überwiegen, schlägt sie vor, Covered Bonds aus dem Anwendungsbereich des RTS auszuschließen und bittet die Europäische Kommission, die dafür notwendigen rechtlichen Schritte zu initiieren.

Markt- oder Beleihungswert: Wer entscheidet?

In ihrem Positionspapier diskutiert EBA auch das Wahlrecht zwischen Markt- und Beleihungswert gemäß Artikel 124 Absatz 1 und 229 Absatz 1 CRR. Anders als in Deutschland bislang praktiziert, befürwortet EBA ein Mitgliedstaatenwahlrecht, das heißt auf nationaler Ebene und nicht auf Institutsebene soll entschieden werden, ob für CRR-Zwecke ein Markt- oder ein Beleihungswert anzuwenden ist. Hierzu bittet EBA die Kommission ebenfalls um Klärung.

Die EBA hat erklärt, nicht weiter an dem Entwurf des RTS zu arbeiten, bis die grundsätzlichen Fragen, insbesondere zum Anwendungsbereich geklärt sind. Die Ankündigung der EBA vom Frühjahr, den Entwurf bis Ende des Jahres 2015 zu finalisieren, ist damit obsolet und die inhaltliche Ausgestaltung des RTS verzögert sich auf zunächst unbestimmte Zeit.

Überlegungen zu nachhaltiger Wertermittlung

Seit der Krise an den Immobilien- und Finanzmärkten sind selbst in Ländern, die bislang in der kreditwirtschaftlichen Wertermittlung ausschließlich marktwertbasiert arbeiten wie Großbritannien, Initiativen erkennbar, die sich mit nachhaltiger Wertermittlung auseinandersetzen.

Es finden erste zaghafte Überlegungen statt, ob es für eine zumeist längerfristig ausgerichtete Immobilienfinanzierung sinnvoll ist, ausschließlich auf einen stichtagsbezogenen Marktwert abzustellen. Oder ob nicht ein Wertansatz, der die langfristigen, nachhaltigen Merkmale des Objektes und des Marktes unter Ausschaltung spekulativer Elemente für diese Zwecke ein lohnender Wertansatz wäre.

Die Pfandbriefbanken sind mit ihrer langfristorientierten Wertermittlung hierfür ein hervorragendes Beispiel. Sie stellen bereits seit Jahrzehnten konsequent auf den Beleihungswert ab. Dass sich Pfandbriefe in der Finanzkrise am Finanzmarkt bewährt haben, ist auch auf diesen konservativen Wertansatz zurückzuführen.

Ein einheitlicher europäischer Standard zur Methodik der Beleihungswertermittlung ist zu begrüßen, solange er ausschließlich prinzipienorientiert ist und Raum lässt für die nationalen Besonderheiten der europäischen Immobilienmärkte und ihrer Bewertungsverfahren. In einem solchen Standard bestünde die einzigartige Chance, einen europäischen Beleihungswert zu definieren und in seiner Akzeptanz zu stärken.

Die Autorin

Annett Wünsche Senior Manager Bewertung, vdp Verband deutscher Pfandbriefbanken e.V., Berlin

Annett Wünsche , Bereichsleiterin Bewertung , Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp), Berlin
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