Bankeigene Standorte - Erfüllung des Förderauftrags durch Präsenz und Vermögensschutz

Dr. Holger Blisse, Foto: H. Blisse

Genossenschaften sind ihren Grundansatz nach dauerhaft und nachhaltig angelegt, sie legen Wert auf die Mitgliederförderung sowie auf die Eigentums- und Kontrollrechte ihrer Mitglieder und setzen auf unternehmerische Solidarität im Verbund. Durch den Verzicht früherer Mitgliedergenerationen auf Ausschüttungen sind ihre gewachsenen Vermögen keiner Mitgliedergeneration mehr direkt zurechen bar und vor Zugriff geschützt. Durch den Wettbewerbsdruck des Marktes, umfangreiche Regulierungsvorschriften und die Digitalisierung sieht der Autor das traditionelle Gegengewicht der Kreditgenossenschaften mit vielen kleinen selbstständigen Einheiten am Markt gefährdet. Als Möglichkeit den damit verbundenen Trend zu Filialschließungen zu bremsen und gleichzeitig einen Beitrag zur Mitgliederförderung und Vermögenssicherung zu leisten, plädiert er dafür Zentrale und möglichst viele Filialen in ihrem Eigentum zu halten (Red.)

Die ältesten Kreditgenossenschaften im deutschsprachigen Raum sind vor über 150 Jahren gegründet worden, es sind zuerst gewerbliche Kreditgenossenschaften in den Städten gewesen. Die ländlichen Raiffeisenbanken sind etwas später entstanden. In Österreich erfolgte die Entwicklung mit zeitlich deutlichem Abstand, allerdings dann als richtige Bewegung mit staatlicher Förderung. Eine ähnlich rasante Entwicklung nehmen heute von der Zahl her die Energiegenossenschaften. Ob diese Gründungen "nachhaltig", im Sinne von dauerhaft, Generationen übergreifend, angelegt oder nur den steuerlichen Rahmenbedingungen geschuldet sind, das wird die Zeit zeigen.

Ein arbeitsteiliger Verbund als Stabilisator

Auf Ebene der Kreditgenossenschaft gilt wie auch auf Ebene des Verbundes, dass die Eigentums- und Kontrollrechte der Mitglieder mit zunehmender Größe ihrer Genossenschaft sich auf immer mehr Mitglieder verteilen und damit relativ kleiner werden. Man könnte beim Mitglied heute fast von einem fiktiven Eigentümer beziehungsweise einer fiktiven Eigentümerin sprechen. Doch es zeichnet gerade die Genossenschaft als Rechtsform aus, ihre Einheit zu bewahren und nicht über Nacht übernommen werden zu können. Dafür steht auch die Mitgliedschaft: als Bekenntnis zum dauerhaften Erhalt eines Geschäftsbetriebes zur wirtschaftlichen Förderung. Deshalb besteht - trotz kontinuierlicher Fusionen - die genossenschaftliche Orientierung bis heute fort.

Was selbstverständlich erscheint, ist nicht allein auf die Gründerväter wie Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen als den namhaftesten zurückzuführen, sondern jeder nachfolgenden Generation Management und Mitglieder zu danken. Genossenschaften, die das gewachsene System verlassen haben, sind in aller Regel übernommen worden oder untergegangen. Dies heißt nicht, dass Genossenschaften zwangsläufig Verbünde ausbilden oder ausbilden sollten, jedoch erweist sich ein arbeitsteiliger Verbund als Stabilisator, wenn darin unternehmerische Solidarität praktiziert wird und nicht der Größere sich das Recht herausnimmt oder seine eigene Risikotragfähigkeit im Hinblick darauf überschätzt, dass schon der Verbund, also die vielen kleinen, für Probleme aufkommen wird.

Verbleib in der genossenschaftlichen Rechtsform

Schon im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte sich, dass umgewandelte Kreditgenossenschaften sehr bald nach ihrer Umwandlung nicht allein lebensfähig waren. Deshalb sprach man sich gegen eine Umwandlung in Aktiengesellschaften (AG) aus. Einen Beleg aus der jüngeren Vergangenheit erbrachte die Volksbank Essen AG, die vom BVR zur Rettung wieder aufgenommen wurde, obwohl sie dessen Einlagensicherung verlassen hatte.

Raiffeisen hatte stärker noch als Schulze-Delitzsch die Darlehnskassen-Vereine auf Dauer angelegt. So überrascht es nicht, dass das Verhältnis der Reserven zu den Geschäftsguthaben bei Raiffeisenbanken deutlicher zugunsten der Reserven ausfiel. Denn die Volksbanken zahlten von Anfang an auch attraktive Dividenden. Im heutigen Rechtsverständnis verbleiben beim Ausscheiden eines Mitgliedes die Reserven grundsätzlich in der Genossenschaft, von der Ausnahme gemäß § 73 Abs. 3 GenG abgesehen. So kann "für die Nachkommenschaft aufs Beste gesorgt" werden, wie es Raiffeisen formulierte. Dies spricht für einen schon in den Gründungen angelegten Generationen übergreifenden Charakter.

Entfalten eines gemeinnützigen Beitrages?

Diese Ausrichtung kann sogar in dem Maße einen gemeinnützigen Beitrag entfalten, wie das in einer Genossenschaft durch den Verzicht früherer Mitgliedergenerationen auf Ausschüttungen gewachsene Vermögen als keiner Mitgliedergeneration mehr direkt zurechenbar anzusehen und vor jedem individualisierenden Zugriff geschützt ist. Ja, in gewisser Weise auch verfassungsrechtlich als abgesichert gelten sollte.

Diese Perspektive ist, wie Theresia Theurl (2018, Seite 29) hervorhebt, zwar nicht Gründungszweck der Genossenschaften gewesen, ergibt sich aber im Heute daraus, dass jede Generation die individuellen Vorteile des gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes (Genossenschaftsunternehmens) oder, in einer anderen Perspektive, des sozialen und den ausgleichenden Beitrag von Genossenschaften im Markt und Wettbewerb erkannt, erhalten und weitergeführt hat. In der Gegenwart sind diese gewachsenen Reserven natürlich attraktiv für Umwandlungen und passen damit in die Pläne auf europäischer Ebene von immer weniger und dafür größeren Kreditinstituten in der Rechtsform der AG.

Doch mit einer anderen Perspektive erweisen sich Finanzmarktkrise, Digitalisierung und auch Regulierung als keineswegs alternativlose Begründungen, auch Kreditgenossenschaften und Sparkassen zu regionalen Aktienbanken werden zu lassen. Denn die Frage: Wem gehört das (gewachsene) Genossenschaftsvermögen? ist ähnlich schwer in der Gegenwart zu beantworten wie die Frage, wer für die Staatsschulden aufkommt. Doch sollte im Genossenschaftsvermögen nicht die "Gegenbuchung" für die Staatsschulden gesehen werden.

Möglichst viele selbstständige Einheiten erhalten

Daher braucht es Mechanismen, wie man sie auch für die Verschuldung eines Staates eingefordert hat, um dessen echte Handlungsfähigkeit zu garantieren, die eine auf Dauer angelegte, gern auch digitale Funktionstüchtigkeit von (Kredit-) Genossenschaften sicherstellen. Es gelingt in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft, wenn sich deren Management, wie zum Beispiel ein früherer Verantwortungsträger einer österreichischen Raiffeisenbank sein Selbstverständnis in der Genossenschaft formuliert hat, als "Treuhänder der Genossenschaft und ihres Vermögens" versteht, wie es die Verbände begleiten und auch für das Verbundvermögen tun sollten.

Die Verbundspitze sollte sich nicht von der Basis entkoppeln und sich auch nicht für große Zugeständnisse auf europäischer Ebene empfänglich zeigen. Denn so lange, wie Basis und Spitze idente Vorstellungen aufweisen, verlagert sich auch in Genossenschaft(sstruktur)en mit weniger informierten oder dominanten institutionellen Mitgliedern der Einfluss nicht einseitig zur Spitze, auch wenn dies in ein Konzept von wenigen - möglicherweise nationalen - Genossenschafts(aktien)banken und einer europäischen Genossenschafts-Zentralbank (AG) passen würde.

Denn in dem, was sich in den Kreditinstituten über die Losgrößentransformation an Verfügungsmacht sammelt, liegt sehr viel gestalterische Kraft, je nachdem, wer darüber und wofür verfügen darf. Deshalb ist es, um einseitiges Fehlverhalten zu minimieren, nützlich, möglichst viele selbstständige Einheiten zu erhalten. Dann relativiert sich auch die in den sechziger Jahren geführte Diskussion über die Macht der Banken infolge von deren Industriebeteiligungen. Diese haben, verstanden als eben ein treuhänderisch gehaltenes Vermögen für die Einleger, auch zum Begriff der Deutschland AG geführt. Nicht anders ist es bei den heutigen, zum Teil global agierenden Kapitalanlagegesellschaften, doch erschließt sich diese funktionale Nähe erst auf den zweiten Blick. So befindet sich die börsennotierte Blackrock Inc. auf dem Weg zur Welt AG.

Interessenausgleich durch Identität von Kunden- und Eigentümerkreis

So wie ein regionales börsennotiertes Kreditinstitut sich gegen seine Kunden zu wenden beginnt, wenn diese nicht zugleich den Eigentümerkreis bilden, so ist es ähnlich bei einer Kapitalbeteiligungsgesellschaft in Bezug auf Fondssparer.

Doch jede Lösung beginnt im Kleinen und hat in den Genossenschaften über die vielen kleinen Beiträge und die lange Zeit eine große Dimension angenommen. Es wäre höchst bedauerlich, wenn das (kredit-) genossenschaftliche Geschäftsmodell, das natürlich zu seinem Fortbestand auch des wirtschaftlichen Erfolges bedarf, sich einem dominant erwerbswirtschaftlichen Verständnis der Kreditwirtschaft unterwerfen müsste.

Natürlich ist es plausibel, die Prinzipien und Werte an die äußeren Rahmenbedingungen, die das Verhalten der Genossenschaften im Markt verändern, anzupassen. Damit führt man sie aber einer Beliebigkeit entgegen und nimmt ihnen die Kraft, gerade Veränderungen, die auch nicht frei von Interessen gesetzt werden, zu kompensieren, und schwächt den alternativen und ausgleichenden Beitrag, den Genossenschaften leisten könnten, allein dadurch, dass sie da sind und anders wirtschaften (dürfen).

Erhalt von Standort(immobilien)en

Dieses andere Wirtschaften könnte auch den Trend zu Filialschließungen bremsen. Wenn man heute vom Rückzug aus der Fläche oder vom Filialsterben spricht, dann heißt es immer, Bankfilialen seien zu teuer. Die Gehälter für die Beschäftigten sind zu kalkulieren und auch die Miete. Doch wie verhält es sich, wenn die Filiale in den eigenen Räumen der Bank eingerichtet ist? Kleinere Institute rechnen es zu ihrer Geschäfts- und Standortpolitik, Zentrale und Filiale(n) in ihrem Eigentum zu halten, um nicht nur von Mietzahlungen unabhängig zu sein, sondern auch ihre Reserven als Sachvermögen abzusichern.

Beitrag zum Erhalt von Standorten im städtischen Raum

Die heute gebildeten Standorte, oftmals aus dem Zusammenschluss mehrerer Filialen in einem Einzugsbereich hervorgegangen, sind deutlich größer, bieten Beratungs-, Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen. Sie sind aber eben auch teurer, wenn sie nicht im Eigentum der Bank oder Sparkasse stehen. Als einen Beitrag, Standorte im städtischen Raum zu erhalten, könnte von den lokalen und regionalen Banken und Sparkassen im ländlichen Raum gelernt werden. Denn die Standortimmobilie befindet sich dort zumeist in deren Eigentum. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken könnten so einen weiteren Beitrag zur Mitgliederförderung und Vermögenssicherung leisten, wenn die Bank diesen eigenen Standort nur mit einer kalkulatorischen Miete anzusetzen hätte.

Der Ansatz einer nicht ortsüblichen, sondern günstigeren Miete wäre als Teil der genossenschaftlichen Förderung zulässig. Dies könnte einen weiteren Beteiligungsanreiz darstellen, zum Beispiel, wenn die Genossenschaft Mitgliedern zu einem ermäßigten Satz die Nutzung von Räumlichkeiten eröffnet oder für die Mitglieder und Kunden in den Räumlichkeiten Informationsveranstaltungen durchführt.

Eine Bank in der Rechtsform einer eingetragenen Genossenschaft ist wirklich ein Gewinn für alle, zum Beispiel durch Dividendenzahlungen, Förderleistungen, Gehälter, Spenden, Steuern und andere Zuwendungen - für die einen mehr, für die anderen weniger. Aber ihr Verlust ist ein Verlust für alle - für die einen mehr, für die anderen weniger, aber am Ende doch für alle.

Literaturhinweise

Beuthien, Volker; Klappstein, Verena (2018): Sind genossenschaftliche Rücklagen ein unteilbarer Fonds? - Zur Kapitalerhaltung und Überschussverwendung im Genossenschaftsrecht. Schriften zum Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Bd. 47. Tübingen: Mohr Siebeck.

Brazda, Johann; Kramer, Jost W.; Laurinkari, Juhani; Schediwy, Robert (2006): Anders als die Anderen - Eine unbefangene Annäherung an Genossenschaften, Sozialwirtschaft und Dritten Sektor. Bremen: Salzwasser-Verlag.

Husen, Rainer van (1998): Wem gehört das Genossenschaftsvermögen? - Ein Beitrag zur Reform des Genossenschaftsrechts. Studien zum Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, Band 7, Wien.

Theurl, Theresia (2018): Genossenschaften 2018: Begründet durch eine Innovation von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. In: Theurl, Theresia (Hrsg.): Raiffeisen 2018: Ökonomische Innovation - Gesellschaftliche Orientierung. Wiesbaden: DG Verlag, Seiten 7 bis 42.

Diesen Beitrag widme ich meinem Potsdamer Doktorvater, Prof. Dr. Detlev Hummel, im Jahr seines 65. Geburtstages.

Dr. Holger Blisse Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, außerordentliches Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Genossenschaftswissenschaftlicher Institute e. V. (AGI), Wien
Dr. Holger Blisse , Wirtschafts- und Sozialanalytiker, Wien
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