Aufsätze

Die Kapitalbedürfnisse und die Finanzierung im genossenschaftlichen Finanzverbund

Der genossenschaftliche Finanzverbund grenzt sich durch seine Governancestrukturen von den anderen Bankengruppen des deutschen Bankensystems ab. Dies spiegelt sich konsequenterweise auch in seinen Finanzierungsbedingungen, die sich durch Besonderheiten auszeichnen und die einer speziellen Eigentümerkonstellation sowie der Zielsetzung der Member-Value-Orientierung entsprechen. Nicht die bankengruppenneutralen Refinanzierungsmodalitäten über Fremdkapital, sondern die Beschaffungsmöglichkeiten von Eigenkapital stehen im Fokus einer seit langem anhaltenden Diskussion, die im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die Kapitalanforderungen gemäß der Eigenmittelrichtlinie nach Basel II, im Vorfeld des Verbundratings und in den Erörterungen über die Einordnung von Genossenschaftsanteilen im Rahmen von IAS 32 Nahrung erhielten.

Kapitalbedürfnisse in Finanzverbünden

In Finanzverbünden ist grundsätzlich zwischen den Kapitalbedürfnissen der einzelnen Unternehmen (Primärbanken und Verbundunternehmen) und des Verbundes insgesamt zu unterscheiden. Entsprechend sind die Möglichkeiten der Eigenkapitalbeschaffung zu differenzieren und die Aktivitätsspielräume zu interpretieren, die nach der Erfüllung der regulativen Vorgaben zur Verfügung stehen. Dies gilt auch für den genossenschaftlichen Finanzverbund, der sich durch eine komplexe Arbeitsteilung und eine spezielle Eigentümerstruktur auszeichnet.

Zukünftige Kapitalbedürfnisse folgen primär den strategischen Weichenstellungen und können nicht losgelöst von diesen isoliert werden. Eine solche Strategie existiert einerseits für jede Primärbank, andererseits jedoch auch für das gesamte genossenschaftliche Finanznetzwerk. Verbundunternehmen treten bei ihrer Umsetzung als Agenten der Eigentümer auf. Dieses gilt grundsätzlich genauso für die Finanzierung im Verbund.

Kapitalbedürfnisse können zwei Ursachen haben. Erstens sind dieses strategische Entscheidungen eines Unternehmens, wie zum Beispiel eine Ausweitung der Geschäftsfelder, für die zusätzliches Eigenkapital erforderlich wird, so dass dieses als Akquisitionswährung eingesetzt wird. Konkret können so gelagerte Kapitalbedürfnisse im Zuge einer zunehmenden Internationalisierung sowie im Zusammenhang mit einer Konsolidierung im deutschen Bankwesen auftreten. Europäische Aktivitäten, die gegebenenfalls mit Partnern aus ausländischen Finanzverbünden durchgeführt werden, sowie der Erwerb von verbundexternen Finanzinstituten im Inland sind mögliche Szenarien. Zweitens können Kapitalbedürfnisse jedoch auch aus der Geschäftsentwicklung heraus erwachsen, das heißt für eine Ausweitung des (Kredit-)Geschäfts also eine Ausweitung der Marktanteile wird eine entsprechende Eigenkapitalunterlegung erforderlich. Es sind jedoch auch zwei Entwicklungen zu nennen, die unmittelbar zu einer Reduzierung der Kapitalbedürfnisse im Verbund führen könnten. So weisen Berechnungen darauf hin, dass mit dem Inkrafttreten der Eigenmittelrichtlinie nach Basel II sich im Vergleich zum Status quo der Gesamtbetrag verringert, der vorzuhalten ist. Zusätzlich kann eine Optimierung der internen Organisations- und Leistungsstrukturen im Verbund den Kapitalbedarf reduzieren.

Ausreichende Ausstattung mit Kern- und Eigenkapital?

Für die Ortsbanken ergibt sich auf der Basis der von ihnen gewählten Strategie, die vor allem die Entscheidung über den von ihnen bearbeiteten Anteil der Wertschöpfungskette enthält, ein Kapitalbedarf aus zwei Gründen. Dies ist erstens eine beabsichtigte Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit und zweitens die Notwendigkeit, für die Verbundunternehmen zusätzliches Kapital bereitzustellen. Letzteres ergibt sich aus den genossenschaftsspezifischen Finanzierungsstrukturen und kann durch die oben aufgezeigten Entwicklungen ausgelöst werden.

Zwar kann auf der Grundlage der aktuellen Regulierungsvorgaben heute von einer ausreichenden Ausstattung mit Kern- und Eigenkapital ausgegangen werden. Doch ist zu prüfen, ob damit auch die aufgezeigten Kapitalbedürfnisse in Zukunft gedeckt werden können, die der Tendenz nach eher ansteigend sein werden. Zusätzlich kommt der Eigenkapitalausstattung

zunehmend eine Schlüsselrolle für die Wettbewerbsfähigkeit auf den einzelnen Märkten zu. Vor diesem Hintergrund ist sorgfältig auszuloten, ob im Rahmen der bisherigen Finanzierungsstrukturen ausreichend Mittel erschlossen werden können oder ob zusätzliche Quellen, die bisher nicht im Zentrum des genossenschaftlichen Finanzierungsmodells standen, ins Auge zu fassen sind. In Abbildung 1 werden die Eigenmittel- und Kernkapitalquote des deutschen Finanzverbundes mit den entsprechenden Quoten einiger genossenschaftlicher Finanzverbünde des Auslands verglichen.

Verbundinternes Finanzierungssystem

Es ist eines der konstituierenden Merkmale des genossenschaftlichen Finanznetzwerkes, dass ausschließlich die Mitglieder als Eigentümer der Genossenschaftsbanken, dieses Kapital zur Verfügung stellen. In einem Bottom-up-Modell versorgen diese die Zentralbanken und indirekt die anderen Verbundunternehmen mit Eigenkapital. Im Gegensatz zu anderen Bankengruppen bleibt dem Finanzverbund der Kapitalmarkt verschlossen. Zusätzliche Kapitalbedürfnisse der Verbundunternehmen sind daher entweder durch Kapitalaufstockungen durch die Ortsbanken zu decken oder durch deren Verzicht auf einen Teil der Erträge durch Bildung von Rücklagen.

Dieses Finanzierungsmodell ist konsistent mit den Eigentums-, Entscheidungs- und Kontrollstrukturen eines genossenschaftlichen Netzwerkes. Aus Abbildung 2 gehen die verbundinternen Eigentumsverhältnisse hervor. Zusätzlich ist für die Entscheidungsfindung zu beachten, dass die Ortsbanken ihre Anteile an den Zentralbanken überwiegend in Beteiligungsgesellschaften gebündelt haben.

Verbundexterne Beschaffung von Eigenkapital

Mit dem Auftreten zusätzlicher Kapitalbedürfnisse des Finanzverbundes stellen sich daher sofort die Fragen, ob die Volksbanken und Raiffeisenbanken auf der Basis ihres eigenen Eigenkapitalbestandes ihre Beteiligungen entsprechend aufstocken und ob sie selbst von ihren Mitgliedern zusätzliches Kapital erlangen können. Beide Fragen können nicht losgelöst davon gesehen werden, zu welchen komparativen Kosten dieses Eigenkapital für den Verbund zu erlangen ist. Wenn davon ausgegangen werden muss, dass sich für die Zukunft eine Kapitallücke abzeichnet, ist eine Klärung notwendig, erstens zu welchen zusätzlichen Eigenkapitalquellen ein Zugang gefunden werden kann und zweitens wie sich deren Kosten im Vergleich zur verbundinternen Finanzierung darstellen. Konkret geht es um die Prüfung des Zugangs zu externen Kapitalmärkten und seiner Vereinbarkeit mit dem genossenschaftlichen Geschäftsmodell. Ein Blick in das Ausland liefert interessante Einblicke.

Die Beschaffung von Eigenkapital von Dritten, die nicht Teil des genossenschaftlichen Netzwerks sind, findet bereits heute Vorbilder im europäischen Ausland. Die französischen Netzwerke von Crédit Agricole und Banque Populaire kennen die Kapitalbeschaffung über die Börse genau so, wie das finnische OP-Bank-Netzwerk oder die österreichische Raiffeisen Bankengruppe.

So wurde im Dezember 2001 die Zentralbank der Crédit Agricole an die Börse gebracht. Mittlerweile befinden sich 46 Prozent der Anteile an der Zentralbank in Streubesitz und nur noch 54 Prozent gehören den regionalen Crédit Agricole Instituten via der Holding Gesellschaft SAS Rue La Boétie. Die Zentralbank selbst hält wiederum 25 Prozent der Anteile der 42 regionalen Crédit-Agricole-Institute, so dass sich eine gegenseitige Kapitalverflechtung von Regional- und Zentralinstituten ergibt. Von den regionalen Cré- dit-Agricole-Banken nutzen 17 die Möglichkeit der Eigenkapitalbeschaffung über den Kapitalmarkt, indem sie börsennotierte, stimmrechtslose so genannte Certificats coopératifs d'investissement (CCI) emittieren.

Auch innerhalb der Gruppe Banque Populaire existiert ein börsennotiertes Institut. Im Jahr 1998 gab die Zentralbank der Gruppe (Banque Fédérale des Banques Populaires) ein Angebot für die Natexis ab. Nach der Übernahme dieser Bank wurden im Jahr 1999 sämtliche operativen Tätigkeiten von der Zentralbank an die neu benannte Natexis Banque Populaire überführt, so dass die eigentliche Zentralbank nur noch eine geringe Bilanzsumme von 16 Milliarden Euro aufweist und faktisch als Holding agiert. Als solche hält sie 75 Prozent der Aktien von Natexis Banque Populaire, die restlichen 25 Prozent befinden sich im Streubesitz.

Beispiele Finnland und Österreich

Die OKO-Bank als Zentralbank der OP-Bank-Gruppe wurde bereits im Jahr 1989 erstmalig an der Börse notiert, um für die Zentralbank neues Eigenkapital zu beschaffen. Heute befinden sich 30,2 Prozent der Aktien der OKO-Bank im Besitz der OP-Bank-Zentralgenossenschaft. Weitere 11,7 Prozent der Anteile entfallen auf die Primärbanken. Die Aktien werden unterschieden in A- und K-Aktien.

Während die K-Aktien nur von den Primärbanken und Mitgliedern der OP-Bank-Gruppe gehalten werden dürfen, zielen die A-Aktien auf die breite Öffentlichkeit, werden jedoch auch von Mitgliedern der Gruppe gehalten. K-Aktien gewähren einen Anspruch auf eine Dividende, die mindestens ein Prozent über jener der K-Aktien liegt. Dafür gewährt die Aktie nur eine Stimme, während die K-Aktien einen Anspruch auf fünf Stimmen auf der Hauptversammlung beinhalten.

Diese komplizierte Konstruktion hat zur Folge, dass einerseits auch Stimmen an Kapitalgeber außerhalb der Gruppe vergeben werden, dass andererseits aber auch eine feine Steuerung der Kapitalbedürfnisse möglich ist. Die OP-Bank-Gruppe wurde damit in die Lage versetzt, im Jahr 2005 die Pohjola-Versicherungsgruppe zu übernehmen und damit ihre Geschäftstätigkeit auszuweiten.

Innerhalb der österreichischen Raiffeisen-Bankengruppe ist die Raiffeisen International an der Wiener Börse notiert. Im Jahr 2005 beschloss die Hauptversammlung der Raiffeisen International (damals eine 86prozentige, vollkonsolidierte Tochter der RZB) eine Kapitalerhöhung um 17,6 Prozent, was knapp 67 Millionen Euro entsprach, im Wege eines Börsengangs, um die Geschäftstätigkeit der Raiffeisen International in Osteuropa weiter ausbauen zu können. Das tatsächliche Emissionsvolumen lag bei 1,11 Milliarden Euro. Heute liegen 70 Prozent der Aktien bei der RZB, 20 Prozent werden von institutionellen Investoren - unter ihnen die EBRD und die IFC - gehalten und zehn Prozent befinden sich in privatem Streubesitz.

Konsistenz von Finanzierungs- und Governancestrukturen

Diese Beispiele zeigen, dass genossenschaftliche Finanzverbünde durchaus Erfahrungen mit einer Finanzierung über die Börse haben. Sie zeigen aber auch, dass die Genossenschaftsspezifika besondere Ausgestaltungen erfordern, die sicherstellen, dass die Finanzierungsmodalitäten nicht die genossenschaftlichen Governancestrukturen aushebeln. In der aktuellen Diskussion werden vor allem die Befürchtungen eines Einflusses verbundfremder Kapitalgeber sowie einer zunehmenden Shareholder-Value-Orientierung geäußert, unter denen die dezentrale Organisation und die Kontrolle durch die "originären Eigentümer" leiden würden.

Für eine verbundexterne Eigenkapitalbeschaffung müssen also spezielle Restriktionen beachtet werden. Sie muss erstens die Leistungsbeziehungen mit den Genossenschaftsbanken und den genossenschaftlichen Eigentümern stützen oder dies zu überlegenen Kosten ermöglichen. Zweitens hat sie einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der längerfristigen Funktionsfähigkeit des Finanznetzwerkes zu leisten. Beide Funktionen sind für verbundexterne Kapitalgeber unwichtig oder nachrangig, so dass sie hierfür mit einem entsprechenden Dividendenzuschlag kompensiert werden wollen. Dies ist auch konsistent, setzt sich doch der Member Value der genossenschaftlichen Eigentümer aus dem Wert der direkten Leistungsbeziehungen und einer längerfristigen Förderung sowie der Abgeltung der Eigentümerfunktion durch die Dividende zusammen. Generell wird es einen Trade-off zwischen Verzinsung und Einfluss geben, der zu beachten ist.

Gegebenenfalls Kapitalbeschaffung an der Börse prüfen

Dieser Trade-off lässt sich durch eine Differenzierung in der Ausgestaltung der Anteile und im adressierten Personenkreis erreichen, wie die ausländischen Beispiele zeigen. Es ist die konkrete Organisation der Stimmrechte zu entscheiden. Zusätzlich ist festzulegen, welcher Anteil des erforderlichen Kapitals auf diese Weise aufgebracht wird und ob der Kreis der Kapitalgeber eingeschränkt wird, etwa auf Genossenschaftsmitglieder. Auch hier existiert ein Trade-off: Je weniger die Gruppe der akzeptierten Kapitalgeber begrenzt wird und je unspezifischer die Anteile ausgestaltet werden, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Inkonsistenz in den Governancestrukturen kommt.

Für das genossenschaftliche Finanznetzwerk zeichnen sich in einem herausfordernden Umfeld auch steigende Kapitalbedürfnisse ab. Zwar hat sich das verbundinterne Finanzierungsmodell seit jeher bewährt. Zusätzlich weist es den Vorzug der Konsistenz mit den genossenschaftlichen Governancestrukturen auf. Sollten sich jedoch Grenzen abzeichnen, gilt es unter Nutzung der ausländischen Erfahrungen und unter strikter Berücksichtigung der genossenschaftlichen Restriktionen, auch eine Kapitalbeschaffung an der Börse zu prüfen.

Prof. Dr. Theresia Theurl , Institut für Genossenschaftswesen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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