Aufsätze

Der genossenschaftliche Bankenverbund: Konstanten im Weiterentwicklungsprozess

Trotz aller Veränderungen, die in 125 Jahren stattfanden und prägend waren, ist der genossenschaftliche Bankenverbund1) 2) das geblieben, was er von Anfang sein sollte: eine auf Freiwilligkeit beruhende Wirtschaftsorganisation, die stark "personalistisch" gefärbt in Erscheinung tritt. Angesichts seiner heutigen Bedeutung stellt der Verbund zudem eines der wirkungsvollsten Kooperationsmodelle dar, in dem es keinen Konzernaufbau gibt und folglich auch keine Konzernspitze. Die auf der Grundlage von Freiwilligkeit gelebte "personalistische", genossenschaftliche Bankenkooperation schöpft nicht zuletzt aus dieser Struktur ihre Kraft.

Unerwarteter Werdegang

Natürlich sind manche Entscheidungswege im Verbund lang und steinig. Die Diskussionen um die "richtigen" Beschlüsse nehmen im Einzelfall viel Zeit in Anspruch. Dies aber ist ein Markenzeichen aller nach demokratischen Prinzipien geordneter Organisationen. Das Ringen um Entscheidungen entspricht im Verbund also durchaus den Gepflogenheiten und gehört zum Stil. Vielleicht auch deshalb wurden die Genossenschaften in den Gründerjahren als "Liquidationsform veralteter Wirtschaftsweisen"3) qualifiziert. Der Werdegang der genossenschaftlichen Bankenorganisation nahm demgegenüber einen völlig anderen Verlauf als von manchem Kritiker erwartet.

In jüngster Zeit geriet das in Deutschland praktizierte Modell der drei Banksäulen unter Druck. Vor dem Hintergrund eher bescheidener Eigenkapitalrenditen der Genossenschaftsbanken, kamen Überlegungen auf, ob es nicht notwendig sei, das Modell auf weniger als drei Banksäulen zu konzentrieren - angesichts proklamierter Eigenkapitalrenditen von 25 Prozent und mehr ein durchaus populärer Gedankengang. Allerdings zeugten solche Überlegungen von weitgehender Unkenntnis oder bewusster Negierung genossenschaftlicher Grundeinstellungen. Klassische Werte wie Mitgliederbezogenheit, am Bedarf des Kunden orientierte Beratung, Zurückhaltung, Langfristdenken, oder Berechenbarkeit, lassen derartige Renditeziele nicht zu.

Auch bemerken die Empfänger von Finanzdienstleistungen inzwischen zunehmend und teilweise sehr schmerzlich, dass schiere Größe allein nicht gleichbedeutend mit höherer Leistungsfähigkeit ist. Sie wenden sich verstärkt ihrer Genossenschaft vor Ort zu. So bleibt es wohl weiterhin beim Drei-Säulen-Modell in Deutschland.

Dem Verbund bietet sich damit die große Chance, gestärkt aus der gegenwärtigen Krise der Finanzmärkte hervorzugehen. Die in 125 Jahren von allen Verbundpartnern vorangetriebenen Entwicklungswege zeigen, dass dies umso besser gelingt, je stärker das im Verbund verankerte Kooperationspotenzial mit Nachdruck weitergenutzt wird.

Veränderungstendenzen

Die Kooperationsgemeinschaft "Verbund" ist strukturell nicht stehengeblieben. Auf der Ebene der Primärbanken hat das Projekt "Bündelung der Kräfte"4) von 1999 zu einer fusionsgetriebenen Reduzierung der Zahl der Volks- und Raiffeisenbanken auf gegenwärtig etwas über 1 200 Institute geführt. Außerdem befinden sich die genossenschaftlichen Prüfungsverbände in einem beachtlichen Konzentrationsprozess. Und auch die beiden verbundeigenen Rechenzentralen werden zusammenfinden.

Die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gelebte "Dreistufigkeit"5) des Verbunds ist faktisch der Zweistufigkeit gewichen. Sowohl DZ Bank AG als auch Westdeutsche Genossenschaftszentralbank AG sehen sich als zentrale Spitzeninstitute der ihnen jeweils verbundenen Primärbanken. Die Entwicklungslinien hin zur deutschlandweiten Zweistufigkeit in 2009 zu vollenden, ist wünschenswert. Für den genossenschaftlichen Bankenverbund wäre damit ein Optimum erreicht. Angesichts der Zukunftsaussichten des Finanzdienstleistungssektors benötigen die Primärbanken eine einheitliche Zentralbank.

Der "Verbund" bedeutet für die Zentralbanken6) und deren Tochterunternehmen eine unverzichtbare geschäftliche Basis. Versuche von Versicherungsgesellschaften, das Privatkundengeschäft durch den Hinzuerwerb von Bankbeteiligungen oder von Strukturvertrieben nach Allfinanzprinzipien zu forcieren, sind gescheitert. Damit war der Nachweis erbracht, dass die bloße konzernmäßige Addition von Vertriebspotenzialen für sich nicht genügt, die gewünschten Vertriebszahlen zu erreichen.

Das vom Verbund gelebte Kooperationsmodell bringt demgegenüber seit Jahren Vertriebsergebnisse, die ihresgleichen suchen. Darin liegt zugleich eine Gefahr für das Selbstverständnis im Verbund. Wachsende Unternehmen neigen fast zwangsläufig dazu, ihre mit steigendem Eigengewicht zunehmende Bedeutung eher egozentrisch zu verstehen.

Hin und wieder mag infolgedessen die richtige Einschätzung der Kreditgenossenschaften als Verbundbestandteile oder der fundamentale Unterschied zwischen partnerschaftlichen Verbundmitgliedern einerseits und außenstehenden Dritten andererseits aus dem Blickfeld geraten. Jene Grenzen allerdings, die den Verbund in seinem Kern ausmachen, dürfen nicht überschritten werden.

Freiwilligkeit des genossenschaftlichen Kooperationsmodells "Verbund"

Eine der wesentlichsten Grenzziehungen ist unverändert die Freiwilligkeit der genossenschaftlichen Bankenkooperation. Sie folgt aus der Eigenschaft jeder Primärbank, als Genossenschaft, juristische Person eigener Art zu sein. Das einzelne Genossenschaftsinstitut ist nach Maßgabe von Gesetz und Satzung zuallererst seinen Mitgliedern verpflichtet.7) Die Vorstände haben die ihnen anvertraute Kreditgenossenschaft auf dieser Grundlage zu führen. Die gesetzlich und satzungsmäßig verankerte Autonomie der Primärinstitute schließt von vornherein aus, dass sie rechtlich verbindlich einer Strategieführerschaft beziehungsweise etwaigen Produkt- und Vertriebsvorgaben der Zentralbank unterliegen.

Der Versuch, den genossenschaftlichen Ortsbanken die Rolle von rechtlich verselbstständigten Vertriebsstellen eines übergeordneten Ganzen zuzuweisen, wäre nicht nur juristisch problematisch. Der Verbund würde sich damit strukturell den in Konzernen vorherrschenden Organisationsprinzipien nähern und seine Qualität als sehr erfolgreiche Wirtschaftsorganisation auf kooperativer Basis mehr als infrage stellen.

Die Zentralbank sollte deshalb das nirgendwo in einer Charta schriftlich verfasste Selbstverständnis des Verbundes bei passenden Gelegenheiten verbal erneuern und durch ihr Handeln untermauern.

Subsidiarität

Das bereits erwähnte Projekt "Bündelung der Kräfte"8) geht vom Grundsatz "Ein Markt, eine Bank" aus. Die Studie weist den örtlichen Genossenschaften bewusst die "Vertriebshoheit" zu. Damit korrespondiert das Prinzip der Subsidiarität, das für die eigenen geschäftlichen Aktivitäten der Zentralbank und ihrer Töchter im regionalen Markt der Ortsbanken bestimmend ist. Auch die Erkenntnis, dass eine einzelne Genossenschaftsbank in ihrem Markt unterdurchschnittlich in Erscheinung tritt, kann eigene Vertriebsaktivitäten, zum Beispiel von Verbundpartnern am Primärinstitut vorbei, nicht rechtfertigen. In einem solchen Fall stehen andere Möglichkeiten zur Verfügung, um eine bessere Marktdurchdringung zu erzielen.

Neben der durch Berater wahrgenommenen direkten und persönlichen Marktbearbeitung, gewinnt das Internet eine immer stärkere Bedeutung als effiziente Vertriebsplattform. Der Anreiz, auf diese Weise den Subsidiaritätsgrundsatz zu unterlaufen, ist groß. Erste Versuche gibt es. Gerade in diesem Zusammenhang sollte die Zentralbank im Einvernehmen mit den Primärbanken Regelungen erarbeiten, die im Einklang stehen mit den im Projekt "Bündelung der Kräfte" verabschiedeten Grundlagen.

Intensivierung der Zusammenarbeit durch die Zentralbank

Die Kernprinzipien der Freiwilligkeit und der Subsidiarität, als Konstanten innerhalb des Weiterentwicklungsprozesses des Verbundes zu begreifen, hindern die einzelne Primärgenossenschaft selbstverständlich nicht daran, mit der Zentralbank und/oder deren Tochterunternehmen zum Beispiel individuelle vertriebliche Zielvereinbarungen zu treffen, Hilfen im Eigengeschäft anzufordern, den Zahlungsverkehr zu verlagern, Rationalisierungspotenziale im Kooperationsprozess zu nutzen und vieles mehr, untereinander einzelvertraglich abzusprechen.

Der Sinn des Verbundes besteht an dieser Stelle gerade darin, dass die Zentralbank ihre Möglichkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, den im Verhältnis zu ihr kleinen Kreditgenossenschaften zur Verfügung stellt.

Auch wenn die Primärinstitute vor Ort gegenwärtig einen verstärkten Kundenzulauf feststellen, die Märkte tun sich trotz Finanzkrise schwer, anzuerkennen, dass auch kleine, aber solide geführte Einheiten vollwertige Leistungen erbringen.

Vieles ist in der Zusammenarbeit Zentralbank/Primärinstitute in den letzten Jahren gut vorangekommen. Dennoch muss die Zentralbank die in 125 Jahren historisch gewachsene Aufgabe, mit ihrem Leistungspotenzial die örtlichen Kreditgenossenschaften zu unterstützen, weiter ausbauen.

Anforderungen an die Primärbanken

"Verbundintensivierung"9): Das genossenschaftliche Kooperationsmodell ist seiner Natur nach ein Leistungsverbund. Die darin enthaltenen Angebote der Zentralbank an die örtlichen Kreditgenossenschaften sind zunächst ein Reflex des Geschäftsmodells der Primärbanken. Je nach Bedarf im regionalen Markt und strategischer Ausrichtung enthält das Leistungsangebot Erweiterungen. Dieses Leistungspaket vorzuhalten, bindet beachtliche Mittel des Zentralinstituts und seiner Tochterunternehmen. Die Zentralbank benötigt somit die kooperative Haltung ihrer "Mitgliedsbanken".

Unabhängig von den Themen "Preise" und "Erlösströme", denen hier nicht nachgegangen werden soll, verlangt das Kooperationsmodell "Verbund" den Kreditgenossenschaften einen geschäftlich engen Schulterschluss mit der Zentralbank und ihren Beteiligungsgesellschaften ab. Unter dem Merkmal "Freiwilligkeit" besteht dazu zwar keine rechtliche Verpflichtung. Der geforderte enge Schulterschluss liegt dennoch im starken Eigeninteresse jeder Genossenschaftsbank.

Primärinstitute müssen ihrem Charakter nach Universalbanken sein. Sie haben den Auftrag, in ihrer Region den Bedarf von Mitgliedern und Kunden zu decken. Viele Bedarfssituationen können nur gemeinsam mit der Zentralbank oder deren Tochterunternehmen befriedigt werden. Die intensivere Hinwendung zu verbundfremden Anbietern taugt demgegenüber auf Dauer nicht als sinnvolle Alternative. Die einzelne Kreditgenossenschaft würde sich allmählich ausliefern. Der vielleicht vereinbarte Kundenschutz ließe sich unbemerkt unterlaufen. Die Schwierigkeiten der Primärbank vor Ort würden zunehmen. Ein richtiger Weg ist also auch in Zukunft die enge Zusammenarbeit im Verbund; konkret: zum Beispiel die gemeinsame Marktbearbeitung mit der Zentralbank und deren vertriebsstarken Töchtern.

Wie wirksam diese Zusammenarbeit sein kann, zeigt sich in der gegenwärtigen Finanzkrise. Die "Bündelung der Kräfte" im genossenschaftlichen Bankenverbund hat zum Beispiel bewirkt, dass DZ Bank, WGZ Bank und Kreditgenossenschaften über ausreichende Liquidität verfügen. Eine bessere Begründung für mehr "Verbundintensivierung" gibt es gegenwärtig nicht.

Kreditgenossenschaften als Träger der Zentralbank

Historisch betrachtet sind die Zentralbanken entstanden, um den Kreditgenossenschaften Ergänzungsleistungen zu liefern. Dabei mussten die Kreditgenossenschaften zugleich Mitglieder und somit auch Träger der Zentralbank sein, um deren Leistungen in Anspruch nehmen zu können.

Neben dem für den Verbund charakteristischen "Nehmen und Geben" ist den Kreditgenossenschaften die Rolle von Trägern der Zentralbank, inzwischen als Aktionäre, geblieben. Zwar hat die Aktionärsstellung heute lediglich mittelbaren Charakter, da die Aktien überwiegend in verschiedenen Holdings gepoolt sind. Daran, dass die Zentralbank von den Kreditgenossenschaften getragen wird, ändert das nichts. Die Trägerschaft besitzt faktisch eine Art Klammerwirkung, die den Verbund zusammenhält.

Deshalb sollte sich an der so verstandenen Trägerrolle der Kreditgenossenschaften auch in Zukunft nichts ändern. Entscheidend wird allerdings sein, ob es dem Verbund gelingt, den Eigenkapitalbedarf der Zentralbank zu decken. Das hängt nicht allein mit der Ausweitung der Geschäfte zusammen. Infolge der gegenwärtigen Finanzmarktkrise könnten Regelungen Wirkungen erlangen, welche die Anforderungen an Größenordnung und Struktur des Eigenkapitals deutlich verschärfen. Allein vor diesem Hintergrund werden die Kreditgenossenschaften via Holdings gefordert sein, wollen sie die hier beschriebene Trägerrolle nicht verlieren. Die Weiterentwicklung des genossenschaftlichen Finanzverbundes verlangt also auch an diesem Punkt, dass sich die Kreditgenossenschaften in die erforderlichen Kapitalbeschaffungsmaßnahmen aktiv einbringen.

Der genossenschaftliche Bankenverbund wird als eine von drei Bankensäulen in Deutschland auch in Zukunft Bestand haben. Die strukturellen Veränderungen im genossenschaftlichen Kooperationsmodell setzen sich fort. Freiwilligkeit des genossenschaftlichen Bankenverbunds und Subsidiarität der Zentralbank im Verhältnis zu den Kreditgenossenschaften bleiben Kernelemente beziehungsweise Konstanten, die eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Verbundes als Wirtschaftsorganisation ermöglichen.

Kapitalbeschaffung sicherstellen

Die inhaltliche Intensivierung der Leistungsangebote der Zentralbank an die Primärbanken sollte forciert werden, damit diese die vorhandenen Marktchancen noch besser nutzen können. Umgekehrt sollten die regionalen Kreditgenossenschaften die Leistungspakete der Zentralbank verstärkt abnehmen. Das ist nicht nur eine Preis-, sondern auch eine Qualitätsfrage. Nur so wird die einzelne Primärbank ihrem gesetzlichen Auftrag als Universalbank, ihre Mitglieder zu fördern, nachkommen können.

Die Kreditgenossenschaften müssen die Träger der Zentralbank bleiben. Faktisch besitzt die Trägerschaft Klammerwirkung, welche den Verbund zusammenhält. Eine Einschränkung dieser Klammerwirkung durch Beteiligung außenstehender Dritter würde den Charakter des Verbundes beeinträchtigen. Um das zu verhindern, werden sich die Primärinstitute über die Holdings in die Kapitalbeschaffungsmaßnahmen zugunsten der Zentralbank einbringen müssen.

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