Leitartikel

Fest verwurzelt in eine offene Zukunft

Es wird sicher niemand ernsthaft behaupten wollen, der Ablauf des Bankenjahres 2008 sei inszeniert. Dafür waren die weltweiten Verwerfungen der Branche einfach zu groß und speziell die drei vergangenen Monate zu unkalkulierbar. Aber irgendwie ist die Szenerie gerade in Deutschland derzeit wie geschaffen für die Positionierung der genossenschaftlichen Bankengruppe als starke, Vertrauen erweckende Kraft im Wettbewerb. Denn von der Grundströmung her ist dieser Tage im internationalen Bankgewerbe eindeutig wieder mehr Bodenhaftung angesagt, sprich die Rückkehr zu nachvollziehbaren Produkten und Dienstleistungen in überschaubaren Strukturen. Der gemeine (Privat- oder Geschäfts-) Kunde, wird allen ernst zu nehmenden Erwartungen nach auf absehbare Zeit erst einmal das nachfragen, was er versteht, also im Prinzip genau die Produkte, die Genossenschaftsbanken und auch Sparkassen ihm bieten können.

In den vergangenen Jahren waren die (Markt-)Verhältnisse in Deutschland nicht immer so. In der öffentlichen Wahrnehmung lief gerade die Genossenschaftsorganisation als eine der drei Säulen oft nur so nebenher. Mit Blick auf die vermeintlich großen Entwicklungsschritte des globalen Bankgeschäftes wurde sie nicht recht ernst genommen.

Allenfalls wegen eines allzu offensichtlichen Auslebens ihres gruppenimmanenten Verständnisses von Basisdemokratie geriet ihr Ringen um die Umsetzung zukunftsträchtiger Lösungen zuweilen ins Blickfeld. Und trotz ihres Marktanteils von rund einem Fünftel in wichtigen Produktbereichen des hiesigen Privat- und Firmenkundengeschäftes konnte sie laut Bundesbankstatistik selbst in erklärten Kerngeschäftsfeldern ihr Marktgewicht bestenfalls halten. Nun plötzlich könnte alles besser werden. Während in diesem weltweiten Krisenjahr wesentliche Teile der internationalen und hiesigen Bankenbranche unter immer wieder neuen und überraschenden Belastungen stöhnen, blickt der genossenschaftliche Sektor auf seine Wurzeln zurück. Und er feiert gleich zweimal innerhalb weniger Monate - nicht marktschreierisch, aber mit sichtbarem Stolz, spürbarer Genugtuung und viel Gelassenheit. Zunächst galt es Ende August des 200. Geburtstags des Sozialreformers und Bankengründers Hermann Schulze-Delitzsch zu gedenken. Und Anfang Dezember schließt sich nun das 125-jährige Jubiläum der DZ Bank an. Im Jahre 1883 - übrigens dem Todesjahr von Hermann Schulze-Delitzsch gründete Wilhelm Haas in Darmstadt die Landwirtschaftliche Genossenschaftsbank AG als ältestes der vielen Vorgängerinstitute der heutigen DZ Bank.

Höchst bemerkenswert sind beide Ereignisse angesichts ihres überaus aktuellen Bezugs zur Gegenwart. Denn von Schultze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen wurden bekanntlich Prinzipien zur Grundlage des Bankgeschäftes erhoben, denen zuletzt eher ein Hauch von Nostalgie anhaftete. In der krisengeschüttelten Bankenwelt von heute darf man sich der stets gepflegten Traditionen aber mit Stolz und Selbstbewusstsein erinnern. Durch die Gründung erster Volks- und Raiffeisenbanken ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beziehungsweise den ersten Zentralinstituten vor 125 Jahren wurden im Genossenschaftssektor nämlich Strukturen gelegt, die alle historischen Widrigkeiten durchstanden haben und heute hoch aktuell klingen. Mit Blick auf die geschichtlichen Wurzeln, wie sie beispielsweise auf der Homepage des Spitzenverbandes BVR festgehalten werden, könnte man fast meinen, die frühen Leitlinien für verantwortungsvolle Bankgeschäfte seien für die Zustände nach der Pleite der Lehman Brothers im Herbst 2008 entwickelt. "Anstatt die Folgen des wirtschaftlichen Umbruchs durch Staatshilfe abzufedern, forderte Schulze-Delitzsch Eigenverantwortung durch die Prinzipien Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung", heißt es dort.

Für die Genossenschaftsorganisation ist das auch in den heutigen Zeiten staatlicher Rettungspakete Erinnerung und Richtschnur zugleich. Längst sind es weltweit die großen Investmentbanken, die kein Geschäftsmodell mehr haben, sowie die großen, zum Teil noch um Investmentbanking-Einheiten gewachsenen Universalbanken, die heftig über die grundsätzliche Tragfähigkeit oder zumindest eine Neujustierung ihrer strategischen Ausrichtung nachdenken müssen. Die Genossenschaftsbanken in Deutschland wie in den anderen Ländern hingegen haben prinzipiell eine solide Grundlage, auch wenn sie weiterhin selbst befinden müssen, was sie daraus machen. Negative Schlagzeilen liefern seit Monaten meist die anderen. Weder bei der Diskussion über die Managergehälter noch bei der öffentlichen Schelte aus Politik und Wirtschaft steht der deutsche Genossenschaftssektor in vorderster Front. Im Gegenteil, er kann seit Sommer vergleichsweise unbehelligt an seinem erneuten Anlauf zur Zusammenführung der beiden Zentralinstitute arbeiten, konnte im Herbst in aller Ruhe den neuen BVR-Präsidenten küren und darf sich in dem Zuspruch sonnen, der von Kunden und Öffentlichkeit seinem gerade verbreiteten Wertekanon entgegenschlägt. Ganz nebenbei fließen den Primären allgemein (also auch Sparkassen) seit einigen Wochen kräftig Einlagen zu. Die Genossenschaftsverbände Frankfurt und Bayern etwa melden allein im Oktober dieses Jahres 3,4 Milliarden Euro beziehungsweise 3,1 Milliarden Euro.

So nett diese Situationsanalyse klingen mag, es besteht für die Verantwortlichen der Genossenschaftsorganisation kein Grund zur Selbstbeweihräucherung. Denn an vielen Stellen gibt es Bedarf nach einer bodenständigen Bestandsaufnahme. So ist und wird von den Widrigkeiten der Finanzmarktkrise und der sich immer mehr abzeichnenden Wirtschaftsflaute des kommenden Jahres auch ihr Sektor betroffen. DZ Bank und WGZ Bank leiden wie schon im vergangenen so auch im laufenden Jahr unter spürbaren Bewertungsabschlägen in verschiedenen Kapitalmarktsegmenten. Doch gewisses Risikopotenzial - etwa als Kompetenzzentren für den gruppenweiten Liquiditätsausgleich, als Makler von Risikoprodukten und auch als Produzent von Zertifikaten wie DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch es im Redaktionsgespräch offensiv anspricht - hat die Organisation ihren Zentralbanken bisher als notwendig zugebilligt. Die Union Investment, um ein anderes aktuelles Beispiel zu geben, dürfte von den Mittelabflüssen der Fondsbranche mindestens ebenso stark betroffen sein wie ihre Wettbewerber (die neuen Zahlen werden dieser Tage veröffentlicht). Und wenn die Politik und die Öffentlichkeit im kommenden Jahr von der Kreditwirtschaft mehr als das bisher notwendig war einfordern wird, die Unternehmen mit Krediten zu versorgen, laufen die Volks- und Raiffeisenbanken wie die Sparkassen erhebliche Gefahr, sich das eine oder andere Kreditrisiko einzufangen, das ihre Mitwettbewerber ablehnen. Das entspricht schon dem erklärten Selbstverständnis ihrer Verantwortung für die Region.

Doch alles in allem ist die Ausgangslage des Genossenschaftssektors zur Stärkung seiner Wettbewerbsposition am deutschen Markt so gut wie lange nicht mehr. Dass sich die Organisation, angefangen von Uwe Fröhlich für den BVR, über Erwin Kuhn für die Regionalverbände, Wolfgang Kirsch und Werner Böhnke für die Zentralbanken und nicht zuletzt Rainer Kunadt für die Ortsbankebene, in diesem Heft ganz besonders glaubwürdig als geschlossene Einheit bekennender Genossenschaftsbanker geben kann, liegt zu einem großen Teil an dem Umfeld. Die Wettbewerber aus dem In- und Ausland haben in absehbarer Zeit mindestens ebenbürtige, wahrscheinlich sogar stärkere Herausforderungen zu meistern. Man darf sich fragen, ob und wie eine Deutsche Bank ihr Geschäftsmodell neu justieren muss. Wie ist beispielsweise das über die vergangenen Jahre so ertragreiche Investmentbanking künftig zu führen? Welches Gewicht werden die anderen Geschäftsfelder haben? Wie wird die Integration der Postbank enden? Gleiches gilt für die Commerzbank. Wird sie im Zuge der Zusammenführung mit der Dresdner Bank und der geordneten Eindampfung der Eurohypo am Markt mit Kampfkonditionen angreifen können? Dann die öffentlich-rechtlichen Banken: Gibt es unter dem (sanften?) Einfluss von Bundespolitik und SoFFin nicht doch noch die vieldiskutierte Vertikalisierung? Anders als bei den genossenschaftlichen Zentralbanken ist die Notwendigkeit der Redimensionierung des Kapitalmarktgeschäftes im Landesbankensektor viel größer, wie auch Siegfried Jaschinski (Seite 1216) freimütig einräumt. Und schließlich die preisaggressiven ausländischen Wettbewerber vom Schlage einer Kaupthing Bank: Wie lange werden sie brauchen, um den Vertrauensverlust bei den Kunden wettzumachen und mögliche Preisvorteile wieder in Vertriebserfolge umzumünzen? Genau dieses Wettbewerbsumfeld lässt dem Genossenschaftssektor derzeit ein gewisses Zeitfenster für die weitere Bereinigung der Strukturen und die Behebung selbst erkannter Schwächen. Dass auf der Zentralbankebene mit der Fusion von DZ Bank und WGZ Bank noch etwas schief laufen könnte, denkt derzeit niemand mehr ernsthaft. Aber auf dem Weg zur angepeilten Effizienzsteigerung der Gruppe dürfte irgendwann wieder die Zusammenführung der Rechenzentren und der Hypothekenbanken auf der Agenda stehen. Natürlich wird man auch erneut die Frage stellen müssen, wie viele genossenschaftliche Ortsbanken auf Dauer in Deutschland überlebensfähig sind und ob man unter Effizienzkriterien nicht von den Abläufen und Instrumenten der Schwesterorganisationen im Ausland lernen kann (siehe etwa den Beitrag Vincenz). Zudem werden sich mit dem Entstehen der größeren Regionalverbände in Baden-Württemberg und Frankfurt/Hannover auf dieser Ebene neue Machtverhältnisse einstellen, die leicht zu einem Gerangel um Einfluss mit dem BVR führen könnten. Spannende Frage hier: Wer ist der wahre Anwalt der Primärbanken? Virulent bleibt schließlich auch der altbekannte Streit um die richtige Erlösverteilung zwischen den Verbundunternehmen und der Primärbankseite. Dass sie in diesem Heft sowohl von Wolfgang Kirsch aus der Warte der Verbundunternehmen als auch von Rainer Kunadt als Vertreter einer Platzbank offensiv angesprochen wird, lässt immerhin auf eine einvernehmliche Auffassung vom hohen Stellenwert dieser Ertragskomponente schließen. Aber wirklich knifflige Interessenunterschiede treten bekanntlich erst bei ernster wirtschaftlicher Lage auf.

Außerordentlich schwer zu beurteilen sind schließlich die regulatorischen Rahmenbedingungen. Wie wird der Genossenschaftssektor und seine Risikotragfähigkeit künftig durch die (internationalen) Aufsichtsinstanzen eingestuft? Und wie werden mögliche aufsichtsrechtliche Hürden auch die Primärinstitute betreffen? Zumindest für die Verbundunternehmen könnte an dieser Stelle - sei es freiwillig oder auf Anordnung - schon bald eine bessere Kapitalausstattung gebraucht werden, erst recht wenn sie eine Europäisierung anstreben, wie Wolfgang Kirsch das ins Spiel bringt. Mit welchen Instrumenten das gehen könnte, schildern nicht nur Hans Hofinger und Holger Blisse am Beispiel Österreichs, sondern auch Rainer Kunadt verbreitet für die hiesigen Primären grundsätzliche Einsicht in die Problemlage. Uneingeschränkte Trägerschaft der Platzbanken gegen deren Mithilfe bei der Kapitalausstattung lautet sein Petitum. Selbst an dieser Stelle gibt es also Harmoniebekundungen.

Einen Marktanteil von einem Drittel oder gar mehr zu beanspruchen, hatte für den deutschen Genossenschaftssektor lange den Anklang von Träumerei. Dass es zumindest in diese Richtung gehen könnte, ist heute keinesfalls abwegig. Trotz offener Zukunft ist die Gruppe für die herausfordernden Marktbedingungen in 2009 fortfolgende vergleichsweise gut gerüstet. Mo.

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