Aufsätze

Erwartungen an eine einzige genossenschaftliche Zentralbank

Als 1872 als erste Zentralkasse die Rheinische Landwirtschaftliche Genossenschaftsbank in Neuwied zur Wahrnehmung von Aufgaben gegründet wurde, die die einzelne Kreditgenossenschaft nicht leisten konnte, regierte in Deutschland Otto von Bismarck, und die Kreditgenossenschaften konnten schon auf zehn Jahre Geschäftsbetrieb zurückblicken. 1874 wurden zwei weitere Zentralkassen in Worms und Iserlohn gegründet, 1884 die Ländliche Centralkasse in Münster. Die genossenschaftlichen Zentralbanken können also mit Stolz auf eine lange und große Tradition blicken. Allerdings gab es bereits mit Errichtung dieser "Ur"-Zentralbanken ein erstes Spannungsfeld: Während Friedrich Wilhelm Raiffeisen in den Zentralbanken ein wesentliches Element sah, das Halt- und Mittelpunkt seiner Kreditgenossenschaften sein sollte, sah Hermann Schulze-Delitzsch in ihnen eine Gefährdung der Eigenverantwortlichkeit.1)

Subsidiäre Strukturen umsetzen

Dieses Spannungsverhältnis zwischen Eigenständigkeit der Primärstufe einerseits und Bedeutung einer starken Zentralbank andererseits hat bis heute Gültigkeit. Aus einer konsequent subsidiären Konstruktion der Zusammenarbeit zwischen den beiden Gliedern entsteht die besondere Stärke und Basisnähe der Genossenschaftsbanken. Jetzt, da die Fusion der beiden verbliebenen Zentralbanken denkbar wird, gewinnt dieses Thema noch einmal an Aktualität. Denn es entsteht ein Zentral-bank-Monopol.

Es muss deshalb auch bei nur noch einer Zentralbank sichergestellt werden, dass subsidiäre Strukturen als Voraussetzung genossenschaftlichen Bankings stringent umgesetzt werden, so dass die genossenschaftliche Säule des deutschen Bankwesens mit allen ihren Stärken erhalten bleibt und nicht zu einem Konzern á la Kreditbanken mutiert. Die Voraussetzungen hierfür werden im Folgenden beleuchtet. Um die optimale Ausrichtung einer Zentralbank zu definieren, ist es zunächst erforderlich, die strukturellen Besonderheiten des genossenschaftlichen Verbundes als Voraussetzung für seine Stärke und herausragende ökonomische Relevanz aufzuzeigen.

Die konsolidierte Bilanzsumme des Finanzverbundes stieg per 31. Dezember 2005 um über sieben Prozent auf 909,2 Milliarden Euro - und liegt somit in Reichweite des weltweit operierenden größten deutschen Bankkonzerns. Der genossenschaftliche Sektor hat damit eine äußerst starke, stabile und kompakte Wirtschaftskraft, die nicht beim nächsten Windhauch des Wettbewerbs weg bricht und auch nicht ins Ausland verlagert wird, sondern als Partner zum Mittelstand sowie zur angestammten Privatkundschaft steht.

Erfreulicherweise konnte die Zahl der Mitglieder bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken in 2005 um 220 000 auf nunmehr 15,7 Millionen gesteigert werden. 30 Millionen Kunden beweisen die hohe Marktdurchdringung der Genossenschaftsbanken vor Ort. Dabei arbeiten die 1 290 Primärbanken mit 14 122 Bankstellen und Filialen in der Fläche. Neben der quantitativen Größe bescheinigt die Ratingagentur Fitch auch qualitative Stärke mit ihrem Langfrist A+ für den gesamten Verbund. Die Aufwands- und Ertragsrelation beträgt auf der Ebene Verbundgeschäft 55,2 Prozent, auf der Ebene Finanzverbund 65,6 Prozent. Der Steueraufwand der genossenschaftlichen Gruppe lag bei 2,1 Milliarden Euro - sie leistet damit einen im Branchenvergleich extrem hohen Beitrag zur Erfüllung staatlicher Aufgaben.

Selbstständiges Unternehmertum in einem leistungsfähigen Verbund

Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind die Erfinder des dezentralen Bankings. Der genossenschaftliche Verbund als Gegenentwurf zum Konzern ist nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Prinzipien so erfolgreich: zuallererst das selbstständige Unternehmertum vor Ort. Im genossenschaftlichen Finanzverbund werden (Kredit-)Entscheidungen nicht in einer menschlich und räumlich weit entfernten Zentrale getroffen. Durch eine hohe Identifikation mit den regionalen Besonderheiten wird Wertschöpfung in der Region für die Menschen und die Wirtschaft der Region generiert.

Die starke Konzentration auf die Mitglieder bedingt wiederum traditionell die starke Mittelstandsorientierung, denn "Genossenschaften" sind Teil des Mittelstandes und sie werden gleichzeitig vom Mittelstand getragen: Von Handwerkern und Einzelhändlern, von Landwirten und Freiberuflern aber auch von High-Tech-Unternehmen und Dienstleistern, die schon längst die Chancen der Globalisierung erkannt und ergriffen haben. Und: Der Mittelstand kann und darf sich einbringen. Er bestimmt in seiner ganzen Breite und mit all seinen Facetten in Aufsichtsräten und Beiräten die Geschäftspolitik der Volksbanken und Raiffeisenbanken mit.2)

Aber nicht nur die Autonomie, sondern auch die zentrale Kräfte- und Kompetenzbündelung macht den Verbund stark. Nur starke Partner im Verbund - die zum Teil Marktführer sind und durch hervorragende Leistungen überzeugen - gewährleisten, dass alle Finanzprodukte jeder einzelnen Bank und ihren Kunden zur Verfügung stehen. Die Arbeitsteilung im Verbund ist von Beginn an subsidiär organisiert. Die genossenschaftlichen Zentralbanken sind sowohl von ihrer Gründungsintention, als auch gesellschaftsrechtlich Tochterunternehmen der Primärstufe. Allerdings ist die praktische Umsetzung nicht immer friktionsfrei: "Die heutige Handhabung ... ähnelt der Führungsstruktur eines Konzerns. Der rechtlich nicht gegebene Durchgriff auf die Primärbanken wird ersetzt durch aufwendige Überzeugungsarbeit."3) Diese Aussage eines bayerischen Kollegen muss allerdings wachrütteln und soll Ausgangspunkt für die weiteren Optimierungsanstrengungen - auch im Verhältnis Zent-ralbank-Primärstufe - sein.

Die genossenschaftliche Zentralbank: Anforderung an die Geschäftspolitik

Wie sind nun die Erwartungen an eine einzige Zentralbank? Nähert man sich dieser Frage, sollte man sich noch einmal vor Augen führen, dass die Zentralbanken Gründungen der Kreditgenossenschaften sind. Sollte eine einzige genossenschaftliche Zentralbank entstehen, wäre sie nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Tochter der rund 1 300 genossenschaftlichen Primärbanken in Deutschland. Hierbei ist zu beachten, dass seit dem Jahr 2001 durch die Fusion der DG-Bank mit der GZ-Bank zur heutigen DZ-Bank ein mächtiger Verbund-Konzern mit direktem Durchgriff auf die Beteiligungsunternehmen (unter anderem: BSH, R+V-Versicherung und Union-Gruppe) entstanden ist, der - bisher sehr erfolgreich - von "oben nach unten" gesteuert wird. Um die Volksbanken und Raiffeisenbanken an der Meinungsbildung in einer vereinigten Zentralbank von "unten nach oben" weiterhin angemessen zu beteiligen, bedarf es besonderer Regeln; der genossenschaftliche Finanzverbund braucht sozusagen ein Unternehmen "sui generis".

Im Sinne der besonderen Leistungsfähigkeit der Genossenschaftsbanken muss der Grundsatz "Die Zentralbank ist und bleibt subsidiärer Wertschöpfungspartner" als erster kategorischer Imperativ gelten. Sie ist zuerst Dienstleister der Primärstufe. Hier gilt es natürlich, fein auszusteuern zwischen der effizienten Marktbearbeitung unter Führung der Primärbank und der gewünschten Innovationskraft der Zentralbank zur Entwicklung neuer Leistungen und zur Erschließung weiterer Zukunftsmärkte. Als Ergebnis der Bündelung der Kräfte ist von einer einzigen Zentralbank die unmittelbare Weitergabe der zu erwartenden Synergieeffekte an die Primärstufe zu erwarten.

Hinsichtlich der Entscheidungsfindung einer einzigen Zentralbank ist daher als zweiter kategorischer Imperativ zu erwarten, dass Strukturen geschaffen werden, die garantieren, dass sich die Zentralbank nicht als Monopolist verhält. Hierzu liefert das von der WGZ-Bank vorgeschlagene Holding-Modell sinnvolle und konkrete Ansätze. Es sind Prozesse erforderlich, die garantieren, dass die Primärbanken in den entsprechenden Organen einer Zentralbank eindeutige Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen haben. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die wirtschaftliche Bedeutung der Kreditgenossenschaften aus dem Bereich des RWGV, die je nach Betrachtungsweise zwischen 20 Prozent und 25 Prozent des Finanzverbundes liegt, in den Beteiligungsverhältnissen und der Teilhabe an den Entscheidungsstrukturen wieder findet.

Die Leistungen der Zentralbank sollen modern, schnell, effizient, kostengünstig, permanent verfügbar und innovativ sein. Die Monopolstellung darf nicht dazu führen, dass Qualität und Preise die Leistungsfähigkeit der Primärstufe einschränken; im Gegenteil, sie müssen einen Wettbewerbsvorteil für die Gruppe generieren. Signifikante Beispiele im Verbund sind derzeit "easy-credit" und "Uni-Profi-Rente". Sie ermöglichen es, den Primärgenossenschaften vor Ort profitable Marktanteile zu gewinnen. Maßstab für Verbundprodukte darf nicht der Marktdurchschnitt, sondern es müssen die Besten, die Qualitätsführer sein. Allerdings müssen dann die Primärbanken auch die Kraft finden, die so entwickelten Konzepte/Produkte gemeinsam zu tragen und geschlossen umzusetzen, wobei "Markterfolg" vor "Einheitlichkeit" geht. Es bedarf individueller Lösungen für das Premiumgeschäft und einer weitgehenden Standardisierung im Mengengeschäft bei niedrigen Kosten.

Pars pro toto: "Provisionen versus Ausschüttung"

Diese Gedanken lassen sich an einem Fallbeispiel konkretisieren: Für die Primärgenossenschaften wird das Spannungsverhältnis von Selbstständigkeit und Verbundzugehörigkeit sowohl in der Bilanz als auch in der Gewinn- und Verlustrechnung spürbar. Aktuell gewinnt wegen einer flachen Zinskurve und sinkender Margen das Provisionsergebnis - sprich die Verbundkomponente in der Gewinn- und Verlustrechnung - für ein positives Ergebnis an Bedeutung, während der Zinsüberschuss - quasi die verbundunabhängige Komponente in der Gewinn- und Verlustrechnung - nachhaltig erodiert. Beide Komponenten sind abhängig vom unternehmerischen Engagement und den Marktbedingungen vor Ort, unterliegen mithin jeweils der unternehmerischen Autonomie einer Genossenschaftsbank. Schon heute ist abzusehen, dass das Provisionsergebnis langfristig für das Betriebsergebnis einer Kreditgenossenschaft gegenüber dem Zinsüberschuss an Bedeutung gewinnen wird. Daher muss der Finanzverbund den Vertriebserfolg der Genossenschaftsbanken mit unternehmensadäquaten Provisionen belohnen.

Die Gewinn- und Verlustrechnung der Märkischen Bank eG wird in diesem Jahr voraussichtlich einen Zinsüberschuss von rund 24 Millionen Euro, einen Provisionsüberschuss von rund zehn Millionen Euro und einer Million Euro sonstige Erträge aufweisen. Da 60 Prozent des Provisionsüberschusses aus dem Verbundgeschäft stammen, wird deutlich, wie wichtig das Verbundgeschäft für die Primärstufe schon heute ist. Andererseits dokumentiert die wachsende Bedeutung des Verbundgeschäfts die zunehmende Abhängigkeit einer Primärbank von der Leistungsfähigkeit der Verbundunternehmen respektive der Zentralbank.

Darüber hinaus wird zurzeit diskutiert, inwieweit die Primärstufe angemessen am Gewinn der Unternehmen des genossenschaftlichen Finanzverbundes beteiligt werden kann. Bislang profitieren überwiegend die Zentralbanken von Ausschüttungen, die die Primärstufe gegebenenfalls nur mittelbar erreichen. Hier brauchen wir klare und transparente Durchleitungsregeln.

Damit gewinnt das Spannungsfeld "Provisionserhöhung versus höherer Ausschüttungen" für den Subsidiaritätsgrad an Bedeutung. Provision und Ausschüttung verhalten sich gegenläufig: Bei steigenden Provisionen sinkt die Ausschüttung und umgekehrt. Das heißt, die Ausgestaltung dieses Verhältnisses definiert den Grad an selbstständigem Einfluss der Primärstufe auf ihr Ergebnis.

Mitbestimmung der Primärstufe

Mit anderen Worten: Es entspräche dem genossenschaftlichen Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe im Verbund und würde das selbstständige Unternehmertum stärken, möglichst hohe Provisionen für erfolgreiche Vermittlungstätigkeit zu zahlen, die Ausschüttungen aber relativ niedrig zu halten. Voraussetzung dafür aber, dass dieses Modell bei nur noch einer Zentralbank auch geschäftspolitisch umgesetzt wird, ist, dass die Primärstufe die geschäftspolitischen Leitlinien der Zentralbank mitbestimmt. Und dies gilt umso mehr, sollte später einmal daran gedacht werden, sich Eigenkapital über die Kapitalmärkte zu beschaffen.

Sicherlich ist es richtig, sich zur Prüfung der Angemessenheit der Provisionen an den Kriterien Marktadäquanz, Bankadäquanz und Transparenz zu orientieren. Sie stellen aber lediglich Mindestanforderungen für Provisions- und Ausschüttungsmodelle dar. Grundsätzlich sollte eine Diskussion über die Struktur der Zahlungen der Verbundunternehmen an die Primärbanken jedoch mit folgenden Fragestellungen geführt werden:

- Ist der Gesamtauszahlungsstrom an die Primärbanken unter dem Spannungsfeld (direkte oder indirekte) Eigentümerrentabilität versus Provisionszahlung neu zu gewichten und zu erhöhen?

- Ist der Gesamtauszahlungsstrom unter dem Gesichtspunkt der Effizienz zu vergrößern - sind die Synergien aus dem Verbund nach Analyse der internen Prozesse in den Verbundunternehmen zugunsten der Primärbanken zu vergrößern?

- Ist die Systematik, denen die vorgestellten Preis- und Provisionsmodelle unterliegen, heute noch richtig?

- Wie kann man im Sinne des genossenschaftlichen Prinzips bei den Auszahlungsströmen die Leistungskraft und die Marktbedingungen gerade der kleinen Kreditgenossenschaften angemessen berücksichtigen?

- Wie kann die "Verbundtreue" prämiert werden? Ein ganz besonderer Wunsch an die neue Zentralbank ist eine möglichst hohe gelebte "Bankennähe". Darunter ist zum einen die Erreichbarkeit zu verstehen - persönlich wie technisch -, zum anderen aber auch das Know-how und die reale Umsetzung durch die jeweiligen Ansprechpartner in der Zentralbank. Maßstäbe setzt hier die WGZ mit ihrer gelebten Nähe zur Primärstufe in ihrem Wirkungsbereich.

Ausgestaltung der Zusammenarbeit vor Ort

Abschließend - diesmal eher als Herausforderung, denn als Erwartung - formuliert: Es muss dem gesamten genossenschaftlichen Verbund auch weiterhin gelingen, gegenseitiges Vertrauen zu produzieren. So können auf einfache Art Kosten gesenkt und Friktionen minimiert werden - die Voraussetzungen dafür bestehen durch 130 Jahre gemeinsame Arbeit von Primär- und Zentralbanken - von den Anfängen einer Ländlichen Centralkasse bis heute. Eine Rückbesinnung zu den Wurzeln, zu den Ursachen der Stärke wäre dabei hilfreich. Die genossenschaftliche Familie verträgt keine Konzernstrukturen von oben nach unten. Sie braucht ein effizientes Miteinander von Müttern (Primärgenossenschaften), Töchtern (Zentralbanken) und Enkelinnen (Verbundunternehmen). Dass dabei die Mütter, als unmittelbare Besitzer der Töchter und mittelbare Besitzer der Enkelinnen ein maßgebliches Wort mitreden wollen, ist normal und nicht genossenschaftliche Nostalgie. Jetzt besteht die Chance für moderne Strukturen, in denen die Erfolgsfaktoren der Vergangenheit eingebunden werden müssen. In diesem Sinne ist die eine genossenschaftliche Zentralbank erwünscht.

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