Leitartikel

Wenn zwei sich streiten ...?

Anhaltende Streitigkeiten zwischen zwei Kontrahenten sollten in einer klassischen Dreierkonstellation eigentlich dem Dritten im Bunde zugute kommen. So gesehen müssten die vier Jahre zwischen den großen Verbandstagen 2002 und 2006 der Volksbanken und Raiffeisenbanken für die genossenschaftliche Bankengruppe eine sehr prosperierende Zeit gewesen sein. Denn im Clinch der privaten Banken und der Sparkassen haben sich in dieser Phase lediglich die Streitpunkte von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung auf neue Themenfelder wie die Rechte am Namen Sparkasse beziehungsweise den § 40 KWG verlagert - wirklich abgeebbt ist der Konflikt aber bis heute nicht. Als lachender Dritter und eindeutiger Gewinner im Bankenwettbewerb darf sich der genossenschaftliche Sektor gleichwohl nicht fühlen. Selbst in den klassischen Geschäftsfeldern der Kreditvergabe an Handwerker und den Mittelstand, beim Konsumentenkredit sowie im Einlagengeschäft mit Privatkunden taten sich die Kreditgenossen recht schwer, ihre Marktanteile überhaupt zu halten, geschweige denn auszubauen. Nutznießer müssen an dieser Stelle freilich nicht immer die Sparkassen oder privaten Banken gewesen sein, sondern natürlich mach(t)en sich weiterhin die Aktivitäten der Direktbanken oder diverser Spezialisten vom Konsumentenkredit bis hin zur Immobilienfinanzierung bemerkbar. Und nicht zuletzt haben auch die freien Vertriebe ihr Kundenpotenzial spürbar ausgeweitet und begünstigen dabei bekanntlich mit ihrer Produkt- und Dienstleistungsauswahl keineswegs die drei großen Bankengruppen.

Die Verantwortlichen des Genossenschaftssektors kennen natürlich all diese Marktentwicklungen. Sie bejammern und beklagen sie aber nicht allzu laut in der Öffentlichkeit, weil sie verständlicherweise keine unnötige Unruhe in die eigenen Reihen tragen wollen. Nur ab und an wird offen eingeräumt, dass die Marktanteilsberechnungen anhand der Bankenstatistik selbst in genossenschaftlichen Kernbereichen eine Verschlechterung zeigen. Der sanfte Hinweis von Werner Böhnke in diesem Heft stellt diesbezüglich keineswegs einen Einzelfall dar. Dass die vergangenen vier Jahre nutzlos verstrichen sind, kann man dem Genossenschaftssektor indes nicht vorwerfen. Denn tatsächlich sind zwischen Berlin 2002 und Neuss 2006 auf allen Ebenen der Organisation Maßnahmen zu vermelden, die im Hinblick auf die weiterhin geltende Strategie zur Bündelung der Kräfte eindeutige Fortschritte signalisieren. So ist auf Primärbankebene die Zahl der genossenschaftlichen Banken von 1 621 Ende des Jahres 2001 auf 1 290 zum Stichtag 2005 weiter gesunken (siehe Tabelle Seite 957). Zwar wird in diesem Zusammenhang längst nicht mehr die ehemals propagierte Zahl von 800 Primärbanken hochgehalten und schon gar nicht mehr mit einer Zeitvorgabe. Aber die Grundausrichtung der Fusionsbewegung nach der Devise "Ein Markt - eine Bank" bestimmt immer noch die Entwicklung. Größere Einheiten allein stärken freilich nicht automatisch die Zukunftsfähigkeit der Ortsbanken. Viel wichtiger ist ihre Ausrichtung an modernen betriebswirtschaftlichen Führungsinstrumenten, wie sie beispielsweise durch eine zeitgemäße Gesamtbanksteuerung umgesetzt werden. An dieser Stelle ist die genossenschaftliche Gemeinschaftslösung VR-Control inzwischen bei vielen Primärbanken im Praxiseinsatz.

Einheitlichen Lösungen ist man auch auf der Produktseite nähergekommen. Die Verbundunternehmen R+V, Schwäbisch Hall, Union Investment und VR-Leasing haben nach wie vor eine starke Verankerung bei Volks- und Raiffeisenbanken. Und sogar der zunächst auf der Primärbankstufe sehr kritisch aufgenommene Easy-Credit der inzwischen entkernt weiterverkauften DZ-Bank-Tochter Norisbank findet inzwischen bei vielen Ortsbanken ausdrückliches Lob.

Dass die zunächst ebenfalls recht skeptisch beäugte Zusammenführung der Verbundunternehmen unter dem Dach des Mehrheitsgesellschafters DZ Bank die aufsichtsrechtliche Verantwortung für die Steuerung der gesamten Gruppe gebündelt hat, mögen zwar viele Puristen in der dezentralen, sehr stark von Selbstständigkeit und Basisdemokratie geprägten Organisation als permanente Gefährdung genossenschaftlicher Grundprinzipien ansehen. Aber diese Maßnahme eröffnet zweifellos die Möglichkeit, die geschäftsfeldübergreifende Zusammenarbeit des Verbundes zu optimieren und gemeinsame strategische Weichenstellungen zu definieren (siehe Beitrag Kirsch). Wie gut man diese Chance einer strategischen und aufsichtsrechtlichen Steuerung des Einsatzes von Eigenkapital künftig in konkrete Markterfolge wird ummünzen können, hängt freilich nicht zuletzt von der weiteren Verfeinerung der Instrumente ab. Die Chance zur einheitlichen Steuerung in diesen Dimensionen und in dieser Breite - also bis hinein in den Versicherungssektor - haben derzeit nur wenige Finanzdienstleister in Deutschland. Vielleicht wird man es in diesem Zusammenhang im Rückblick einmal als glückliche Fügung ansehen, dass gerade in den Zeiten eines besonders harten Gruppenwettbewerbs bei gleichzeitiger Bedrohung durch ausländische Wettbewerber mit Ulrich Brixner ein Mann an der Spitze des genossenschaftlichen Spitzeninstitutes gestanden hat, der seiner Führungsauffassung nach durchaus auch in einem Konzernunternehmen seinen Weg hätte gehen können.

Das konzernähnliche Koordinationssystem der DZ Bank mit den Grundprinzipien des genossenschaftlichen Verbunds zu vereinbaren, wird auch künftig die Kunst der neuen Führungsmannschaft sein, egal wie schnell und auf welchem Wege die Bank mit der WGZ Bank zusammengeführt wird.

Dass dies nicht zuletzt mit dem Ende 2004 satzungsmäßig verankerten Instrumentarium des Fachrätekonzeptes gelingen kann, ist nicht nur die feste Überzeugung des Verbandspräsidenten Christopher Pleister, sondern auch die Basis will sich durchaus auf diese Fortentwicklung des genossenschaftlichen Verbundes einlassen. Gerhard Reibert artikuliert allerdings klare Anforderungen der Primärstufe an eine gemeinsame Zentralbank. Es geht ihm wie Rolf Hildner maßgeblich um so grundsätzliche Prinzipien wie den Erhalt der Einflussmöglichkeiten der Primärstufe, um die Sicherstellung einer führenden Qualität der Produkte und Dienstleistungen sowie um die gerechte Verteilung der Erlösströme zwischen Primärstufe und Verbundunternehmen - vielleicht mit (den) Verbänden als ehrlichen Maklern (Beitrag Weinkauf).

Dem neutralen Beobachter mag es bei solchen Projekten ein wenig bemüht klingen, wie penetrant die verantwortliche Führungsriege der Basis ihr Mitspracherecht an den Entscheidungsprozessen bescheinigt. Er mag zuweilen schmunzeln, mit welchen verbalen Verrenkungen der Ortsbankebene vermittelt wird, dass sie genau das von oben Vorgeschlagene auch wirklich will. Aber man darf bei allen eingespielten Ritualen nicht übersehen, wie stark die Führungszirkel auf allen Ebenen mit Menschen besetzt sind, die die genossenschaftlichen Entscheidungsprozesse nicht nur nüchtern durchschaut haben, sondern sie aus Überzeugung und ohne romantische Verklärung leben wollen. Die Zukunftsfähigkeit der Genossenschaftsidee generell anzuzweifeln, ist deshalb vielleicht etwas verfrüht, auch wenn das Ringen um Entscheidungen zuweilen zäh und ein wenig dilettantisch wirken mag.

Der Genossenschaftssektor hat seit rund 150 Jahren immer wieder seine Anpassungsfähigkeit gezeigt. In diesem Sinne findet man in diesem Heft wie auch in der öffentlichen Diskussion der letzten Monate eine Reihe von Gedanken, Anstößen und Vorgaben, die genossenschaftliche Idee bis zum nächsten Verbandstag 2010 erfolgreich weiterzuentwickeln. Wieso sollte es etwa mit den genossenschaftlichen Grundprinzipien nicht vereinbar sein, wenn sich Verbundunternehmen Kapital über die Börse hereinholen? Theresia Theurl verweist in diesem Szenario auf mögliche Vorbilder im Ausland. Die Beschaffung von Eigenkapital von Dritten, die nicht Teil des genossenschaftlichen Netzwerks sind, wird heute bereits durch die französischen Netzwerke von Crédit Agricole und Banque Populaire, über das finnische OP-Bank-Netzwerk oder die österreichische Raiffeisen-Bankengruppe praktiziert. Bei Kapitalbedarf bescheinigt die Autorin dem verbundinternen Finanzierungsmodell eine Konsistenz mit den genossenschaftlichen Governancestrukturen, die unter strikter Berücksichtigung der genossenschaftlichen Restriktionen auch eine Kapitalbeschaffung an der Börse möglich erscheinen lässt.

Willibald Folz weitet seinen Blick in die Zukunft übrigens auf sechs Jahre und damit deutlich über den nächsten Verbandstag aus. Das wie auch immer geknüpfte Bündnis zwischen DZ und WGZ Bank sieht er dann wesentlich mehr im Auslandsgeschäft tätig und die genossenschaftliche Gruppe insgesamt viel stärker mit den europäischen Schwesterinstituten verbunden, angefangen von Investmentfonds bis hin zum Investmentbanking. Die Führungsriege dieser Unternehmen, so befürchtet er freilich, könnte weniger vom genossenschaftlichen Geist durchwirkt sein als bisher. Und so will er nicht ausschließen, dass hiesige Primärbanken ihre Zentralbankleistungen bei der Rabobank, der Crédit Agricole oder den Österreichischen Raiffeisenzentralbanken abrufen. Das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten zu konstruktivem Wandel muss bei solchen Szenarien schon groß sein. Denn bevor das alles so kommen kann, stehen ab sofort erst einmal niedere Aufgaben an. Es gilt, noch im Herbst die Richtung einer Zusammenführung der Zentralbanken abzustecken. Und auch das gemeinsame Rechenzentrum bleibt erst mal eine Aufgabe mühsamer Gremienentscheidungen - auch wenn Michael Krings dieses Thema elegant ausgespart hat.

Mit einem an der Basis als noch wichtiger empfundenen Vorschlag hat kürzlich der pünktlich zur IWF-Tagung ausgeschiedene DZ-Bank-Chef Ulrich Brixner überrascht. Er hat die Preis- und Provisionspolitik im Verbund als eine der entscheidenden strategischen Herausforderungen erklärt. Sein Ansatz: Könnte man im Sinne einer weiteren Förderung der Verbundtreue nicht ein übergreifendes "Bonusprogramm" zugunsten der Primärbanken prüfen? Ortsbanken, die besonders stark das Angebot der Verbundunternehmen vertreiben, sollen demnach für diese Treue mit Bonuspunkten belohnt werden, die ihrerseits wieder gegen Aktien der Verbundunternehmen eingetauscht werden könnten. Die Basis wird aufmerksam registrieren, wie dieses dringliche Anliegen mit Wolfgang Kirsch an der Spitze aufgegriffen wird. Allein dieses Thema hält die Gruppe schon reichlich unter Dampf.

Unter Federführung des BVR - auch das dokumentiert den Fortschritt seit dem letzten Verbandstag - hat der deutsche Genossenschaftssektor ein Rating von Fitch erhalten. Untermauert wird diese Marschrichtung durch eine konsolidierte Gruppenbilanz, die kürzlich zum dritten Mal vorgelegt wurde. Draußen als mächtige Einheit wahrgenommen zu werden, macht in der dezentralen Organisation sichtbar stolz. Ob es nun eine abgesprochene Kommunikationsform oder Zufall ist: Gleich mehrfach vergleichen sich führende Genossenschaftsbanker der konsolidierten Bilanzsumme wegen mit der Deutschen Bank. Den eigenen Ansprüchen an die Marktanteile in Kerngeschäftsfeldern nach ist das freilich vornehmes Understatement. Aber die heutigen Ertragskennziffern halten dem Vergleich nicht annähernd stand. Und zudem schreibt die Bundesbank den Ortsbanken im Sparkassen- und Genossenschaftslager im nächsten Monatsbericht auf die Fahnen, die Ertragsseite künftig durch pfiffige Produkte und Dienstleistungen zu stärken. Unschwere Prognose also: Auch der Verbandstag 2010 wird noch reichlich Gelegenheiten für eine erneute Bestandsaufnahme bieten. Mo.

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