"Wir brauchen eine europaweite ergebnisoffene Evaluierung der Bankenregulierung"

Dr. Thomas Schäfer, Finanzminister, Hessisches Ministerium der Finanzen, Wiesbaden

Mit der Ansiedlung der EZB und nicht zuletzt auch der Bankenaufsicht sieht der Autor den Finanzplatz Frankfurt gestärkt. Aber bei aller Einsicht für vernünftige Maßnahmen der Bankenregulierung will er für die Branche ein Level Playing Field gewährleistet und mögliche Regulierungsarbitrage vermieden sehen. Mit Blick auf die Vielzahl der regulatorischen Einzelregelungen plädiert er für eine ergebnisoffene Bestandsaufnahme und den Mut, unerwünschte Wechselwirkungen wieder zu revidieren. Diesen Maßstab legt er auch für die Suche nach einem neuen Gleichgewicht beim Verbraucherschutz an. (Red.)

Aus der politischen Sicht will ich Ihnen eine Einschätzung und einige Hinweise geben, wie sich die Kreditwirtschaft weiterentwickelt. Wenn Sie freilich die Erwartungshaltung haben, daraus ein umfassendes Gebäude erkennen oder ableiten zu können, wie sich Politik die künftige Kreditwirtschaft vorstellt, muss ich Sie leider enttäuschen. Denn ich hänge nach wie vor der These an, dass am Ende die Politik nur Rahmenbedingungen zu setzen hat und nicht glauben sollte, selbst die letzte Weisheit zu haben. Politik ist genauso fehlbar und irrtumsfähig wie jede andere gesellschaftliche Gruppierung. Das müssen wir uns bei so mancher Debatte über Perfektion von Regulierung auch immer wieder selbst vor Augen führen. Wenn ein Teil unserer Gesellschaft, die am Diskurs teilnimmt, für sich in Anspruch nimmt, sozusagen ein höheres Maß an inhaltlicher Wahrheit für sich gepachtet zu haben, dann wird die Debatte in der Summe schwierig.

Nach meiner Einschätzung befinden wir uns in einer nicht mehr ganz so schwierigen Situation wie noch vor einigen Jahren, und es hat, nachdem die große Finanzmarktkrise vor sieben Jahren ausbrach, in den letzten Jahre eine ganze Reihe von positiven Entwicklungen gegeben. Eine davon kann man beobachten, wenn man in diesen Tagen über die Straßen Frankfurts fährt und große Lkws sieht, die mit Umzugskisten beladen sind. Dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das den gerade laufenden Umzug der Europäischen Zentralbank in ihr neues Gebäude betrifft. Die Ansiedlung der EZB hier in Frankfurt war ein Meilenstein für die Stadt, für Deutschland, für die Mitte Europas. Und auch die Ansiedlung der Bankenaufsicht ist wahrscheinlich ein nicht hoch genug zu bewertender weiterer Meilenstein in Frankfurt.

EZB und Bankenaufsicht als Meilensteine für Frankfurt

Als die ersten Stresstests durchgeführt wurden und wir als Land, als Miteigentümer der Landesbank Hessen-Thüringen - wie wir glauben - ein bisschen zu Unrecht in den Fokus der Betrachtung der europäischen Bankenaufsichtsbehörde in London gekommen sind, da haben wir ein Gefühl mitgenommen, das in der Frage mündete: Was passiert, wenn die Beaufsichtigung der Banken dauerhaft aus London auf uns hereinprasselt? Insofern war und ist es wichtig, die EZB hier in Frankfurt zu haben, und zwar jenseits aller strukturellen Fragen, ob Geldpolitik und Aufsicht in einer Institution wirklich hinlänglich zu trennen sind. Nebenbei bemerkt bietet unsere Bundesbank an dieser Stelle jahrzehntelang ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Trennung beider Bereiche, ohne dass es ständig zu Diskussionen kam.

Die Ansiedlung der europäischen Aufsicht hier in Frankfurt ist ein nicht zu überschätzender Vorteil für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Und auch so wandeln sich die Zeiten. Sie hätten vor der großen Finanzmarktkrise kaum einen Politiker gefunden, der den Mut gehabt hätte zu sagen, Regulierungshauptstadt Europas zu sein, ist ein Marktvorteil. Vor der großen Finanzmarktkrise wären wir alle gebeten worden, dieses Wort nie in den Mund zu nehmen, weil es eher als eine Wettbewerbsschädigung verstanden worden wäre. So ändern sich die Zeiten. Aber ich glaube, es ist für unsere Kreditwirtschaft von hohem Nutzen, Tür an Tür mit der zuständigen Aufsichtsbehörde zu sein. Und ich sehe und erlebe in vielen Gesprächen, wie Banken aus dem Ausland versuchen, ihre Präsenz in Deutschland für die Zukunft zu stärken, um den direkten Zugang zur Aufsichtsbehörde in Frankfurt zu haben. Das ist ohne Zweifel aus anderen Städten in Europa schwieriger zu verwirklichen. Insofern dürfen wir uns glücklich schätzen, die Europäische Bankenaufsicht in Frankfurt zu haben.

Kreditwesengesetz als Rahmen

Bevor ich nun auf die aktuellen Herausforderungen aus Sicht der hessischen Politik eingehe, noch zwei oder drei Vorbemerkungen. Bismarck ist hier schon zitiert worden: Ende des 19. Jahrhunderts hat die Kodifizierung der Gewerbefreiheit in Deutschland vielfältige ökonomische Möglichkeiten eröffnet. Das gilt natürlich auch für ein Gewerbe, das darin besteht, den Leuten, die im Moment ihr Geld nicht brauchen, anzubieten, dieses entgegenzunehmen und es in der nächsten Sekunde anderen zu geben, die gerade den Bedarf haben. So vereinfacht kann man die Funktion von Banken vielleicht beschreiben. Gleichwohl hat der Gesetzgeber sehr früh gemerkt, dass das ein für beide Seiten durchaus risikogeneigtes Geschäft ist und hat deshalb regulierend eingegriffen. Vor allem der langfristige Charakter des Verhältnisses von Anlegern und Investoren zu ihren Banken musste institutionell beaufsichtigend abgesichert werden, um das notwendige Maß an Vertrauen zu gewährleisten.

Das Ergebnis war das Kreditwesengesetz. Dieses KWG gibt es bis heute, auch wenn es geringfügig anders aussieht als bei seiner erstmaligen Kodifizierung. Am Ende ist aus der Gewerbefreiheit für die Banken ein exklusiver Club geworden. Bankgeschäfte durfte und darf nur derjenige betreiben, der genau diese Regeln erfüllt, die das Kreditwesengesetz vorgibt. Insofern war das sozusagen eine Spezifizierung bestimmter Geschäfte auf eine bestimmte, besonders beaufsichtigte Gruppe von Teilnehmern an unserem Wirtschaftsleben.

Deutsche Tradition ist es, darauf aufbauend, gerade in der Unternehmensfinanzierung stets gewesen, sich bei seinen Finanzfragen fast immer auf die eine, maximal zwei Hausbanken zu verlassen. Das gilt gerade auch im Mittelstand. Wenn man Geld brauchte, ging man zu seiner Bank, holte sich einen Kredit, tätigte seine Investition, zahlte seinen Kredit, wenn es klappte, brav wieder zurück und handelte bei der nächsten Investition wieder genauso. Das hat sich in Deutschland sehr bewährt, aber in den letzten 20 Jahren ist ein grundlegender Wandel eingetreten. Einerseits schauen die Unternehmen selbst auf andere Finanzierungswege, auf der anderen Seite haben die Banken, um ihr Gesamtrisiko ein Stück zu diversifizieren, ihre Einzelrisiken, die sie sich in Haus holen, durch Verbriefungen weiter verteilt. Bedauerlicherweise ist das Instrument der Verbriefung durch die große Finanzkrise in ihrem Ruf signifikant geschädigt worden. Daran leiden wir bis heute. Auf der anderen Seite ist es schlicht ausgesprochen vernünftig, Risiken nicht an einer Stelle als Klumpen erscheinen zu lassen, sondern auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Nur die Transparenz hat eben gefehlt und hat die Probleme ausgelöst, die wir alle kennen.

Eigenkapitalquote des deutschen Mittelstandes gestiegen

Vor diesem Hintergrund hat sich in den letzten Jahren die Eigenkapitalstruktur der deutschen Wirtschaft sehr zum Vorteil der Unternehmen verändert. An dieser Stelle waren wir immer sehr, sehr schwach. Wir haben Jahrzehnte des Wachstums fremdfinanziert, nicht über Eigenkapital. Aber selbst in den Jahren der großen Krise ist die Eigenkapitalquote des deutschen Mittelstandes gestiegen und mittlerweile in der Größenordnung von 20 Prozent angekommen. Da hat sich viel bewegt, hat aber auch dazu geführt, dass es bei der Finanzierung der Unternehmen Konkurrenz gegeben hat. Der Bankkredit ist zwar immer noch die dominierende Form der Finanzierung der Unternehmen, das ist sicherlich richtig. Aber die Entwicklung hat in jüngster Zeit dazu geführt, dass sich umgekehrt die Banken, die Unternehmensfinanzierungen anbieten, um eine bestimmte Gruppe von Mittelständlern scharen, sie liebevoll mit Heerscharen von Beratern in konzentrischen Kreisen umgeben und um diese Kundschaft buhlen.

Aber ein Teil der potenziellen Kundschaft, die diesen leichten Zugang zu den Kundenberatern, die ihnen die Türen einrennen nicht hat, hat es bei ihrer Refinanzierung durchaus nicht immer ganz leicht. Deshalb habe ich mich immer dafür eingesetzt, bei der Frage von Basel III und CRD IV die Risikogewichtung von Klein- und Kleinstdarlehen, zum Beispiel für Handwerker, soweit nach unten zu nehmen, dass auch diese eine Chance haben, sich ordentlich zu refinanzieren, weil die Handwerker um die Ecke eben nicht die Refinanzierungsmöglichkeiten auf dem großen Kapitalmarkt haben.

Wechselwirkungen zwischen Regulierungsmaßnahmen analysieren

Das führte auf der anderen Seite dazu, dass uns jüngst die EU-Kommission ins Stammbuch geschrieben hat, die Diversifizierung der Unternehmensfinanzierung sehr viel stärker voranzutreiben. Auf den ersten Blick ist das kein schlechter Gedanke - ich will auch nicht missverstanden werden als jemand, der diesen Hinweis in besonderer Weise kritisieren will - nur müssen wir an einer Stelle aufpassen. Wir dürfen bei der Vielfalt der möglichen Finanzierungsinstrumente nicht zu einer Schieflage in der Frage der Risikobetrachtung kommen. Was meine ich damit? Schaffen wir es, auch wenn die Bedeutung von Finanzierungswegen außerhalb des klassischen Bankensektors aufrechterhalten bleibt oder gar verstärkt wird, dass der Grundsatz "gleiches Geschäft, gleiche Risiken, gleiche Aufsichtsintensität" gewahrt werden kann? Darin liegt eine der zentralen Sorgen. Auf der einen Seite bedenken wir den Bankenteil, also die Gewerbetreibenden, die wir einst im KWG zusammengefasst haben, mit einem enormen Maß an Regulierungen an den unterschiedlichsten Ecken und Enden. Aber nebenbei entstehen Finanzierungsinstitutionen, Schattenbanken oder wie auch immer wir sie nennen wollen, deren Regulierungsstandards so viel niedriger sind, dass sie am Ende allein deshalb günstigere Konditionen anbieten können, weil sie an der Regulierungsarbitrage verdienen.

Das ist eine der großen Herausforderungen, der wir uns stellen müssen, wo Politik sich mühen muss, dies zu verhindern. Schwer genug ist das, weil diese Institutionen eben nicht innerhalb klassischer Grenzen, geschweige denn Deutschlands oder aber innerhalb Europas in den Griff zu kriegen sind. Und die Bewegung auf der Ebene der G20 - die Probleme sind ja erkannt - schreiten nicht so schnell voran, wie wir uns das allgemein gewünscht haben und auf jeden Fall nicht so schnell wie die Regulierung unseres klassischen Bankensektors. Darin liegt aus meiner Sicht eine der zentralen Herausforderungen für die nächsten Jahre. Dem kann man mit zweierlei begegnen. Man kann die Regulierung - ich bleibe bei dem Begriff Schattenbanken oder Parallelbanksektor - forcieren. Und auf der anderen Seite brauchen wir eine europaweite ergebnisoffene Evaluierung dessen, was wir in der Bankenregulierung in den letzten Jahren vorangetrieben und schon umgesetzt haben. Wenn man sich die unterschiedlichsten Regulierungsinstrumente seit der Finanzkrise anschaut, füllt das in jedem Institut Stapel - oder besser gesagt, Regale von Datenträgern. Jede einzelne Maßnahme hatte sicherlich wieder ihren eigenen durchaus berechtigten Regulierungszweck. Aber es ist vor allem dem Tempo der Operation geschuldet, dass in den aller seltensten Fällen überprüft worden ist, ob die jeweilige Neuregulierung konsistent zu dem passt, was man vorher gemacht hat.

Und noch viel weniger intensiv sind die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Regulierungsmaßnahmen analysiert worden. Man hat immer draufgepackt, draufgepackt, draufgepackt - jeweils mit individuell durchaus zu rechtfertigenden Argumenten - das will ich überhaupt nicht infrage stellen. Deshalb wäre es klug, einmal innezuhalten und sehr gründlich alle Regelungen in ihrem Zusammenwirken zu prüfen. Manche fordern in diesem Zusammenhang eine Regulierungspause. Diese These teile ich nicht, dafür ändern sich die Märkte zu schnell, für eine Pause haben wir keine Zeit. Aber wir müssen uns fragen, ob wir nicht Entscheidungen getroffen haben, die über unerwünschte Nebenwirkungen ihrerseits Probleme auslösen, die so nicht gewollt sind und am Ende vielleicht zu Kollateralschäden führen.

Wichtigster Punkt ist - und deshalb bin ich froh, dass der hessische Antrag im Bundesrat parteiübergreifend, was aus meiner Sicht nicht ganz selbstverständlich war, eine Mehrheit gefunden hat -, uns auf europäischer Ebene für eine umfassende Evaluierung der Bankenregulierung einzusetzen.

Dienstleistungsfunktion der Banken

Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der Dienstleistungsfunktion der Banken machen - eine Rolle, die sich ebenfalls dramatisch wandelt. Der Weltspartag ist gerade wieder vorbei. Seine Bedeutung in der Dienstleistungsfunktion der Kreditwirtschaft hat sich gegenüber früheren Jahrzehnten, etwa der achtziger Jahre, als ich als junger Auszubildender noch hinter den Schaltern stand, signifikant verändert. Diejenigen, die man dort mit kleinen Plüschtieren erfreuen konnte, sind jedenfalls quantitativ auf dem Rückzug begriffen. Die Funktion der Bank ändert sich schnell und grundlegend, denn die jüngere Generation erlebt das Bankgeschäft völlig anders. Haben wir demnächst noch Kreditkarten oder machen wir alles mit dem Handy? Welche Rolle spielt künftig die Beratung? Wo und in welcher Form läuft sie ab? All diese Fragen müssen die Banken gemeinschaftlich beantworten und sich im Wettbewerb untereinander und mit anderen Dienstleistern messen.

Paypal beispielsweise kommt aus einer völlig anderen Richtung und ist mittlerweile trotzdem ein riesiger und sehr ernst zu nehmender Bankkonkurrent geworden. Auch dort stellt sich sofort wieder die Frage der Regulierungsarbitrage: Da kommen Leute aus einer völlig anderen Ecke und wollten eigentlich nur ein System schaffen, mit dem man bei Ebay leichter einkaufen kann. Und zum Schluss entsteht möglicherweise ein Finanzdienstleistungsunternehmen, das die traditionelle Kreditwirtschaft bedrängt. Wichtige Fragen: Ist der Wettbewerb auf dem Bankensektor, der diese Leistungen ebenfalls anbietet, gegenüber Wettbewerbern, die sozusagen von der Seite ins Bankengeschäft hineingrätschen, überhaupt konkurrenzfähig? Und inwieweit wird seine Wettbewerbsfähigkeit allein durch die Regulierung geschmälert?

Staatsfinanzierung

Nun noch ein paar Bemerkungen zur Rolle der Banken als Staatsfinanzierer: Diese Fragestellung ist lange vernachlässigt worden. Es gibt auch viele Politiker, die bis heute gerne die Augen davor verschließen - aus dem schlichten Eigeninteresse, die Refinanzierungskonditionen der eigenen Haushalte nicht zu verschlechtern. Wir Hessen haben uns frühzeitig im deutschen Bundesrat für eine Hinterfragung der Nullgewichtung von Staatsanleihen in den Risikostrukturen der Banken eingesetzt. Damit bin ich im Finanzausschuss des Bundesrats angesichts gewaltiger Widerstände untergegangen. Das war ein sehr erhellendes Erlebnis. Mittlerweile gibt es den einen oder anderen, der auf die Idee kommt, vielleicht haben die Hessen ja doch recht gehabt - das ist dann allenfalls eine späte Genugtuung.

Trotzdem ist es ein Punkt, den wir weiter auf der Agenda behalten müssen. Denn natürlich bleibt die Frage, ob es genug Kapital gibt, das die Banken für die Realwirtschaft zur Verfügung stellen? Die Antwort ist immer auch ein Reflex auf die Frage: Haben die Banken andere Chancen, durch sehr günstige Refinanzierung ihr Geld anzulegen, sozusagen mit einfachem Aufwand billiger Geld zu verdienen? Und würde nicht eine Höhergewichtung an der Stelle dafür sorgen, dass man sich auf der anderen Seite bei Kreditentscheidungen sorgfältiger überlegt, ob es dort nicht rentierlicher ist, entsprechende Kreditentscheidungen zu treffen? Hier müssen wir uns in den nächsten Jahren auf der anderen Seite bewegen und gegebenenfalls behutsam entsprechend nachsteuern, damit wir unsere Staatsfinanzierung nicht kaputt machen.

Lassen Sie mich als letztes noch das Stichwort Verbraucherschutz aufgreifen. Banken sind traditionell - ich habe den Weltspartag erwähnt - der Erstkontakt der Bürger mit der Finanzwelt. Dieser Erstkontakt prägt aller Erfahrung nach sehr häufig die Einschätzung und Einstellung zur Finanzwelt für die Dauer eines Lebens. Wer sich als Jugendlicher mit dem Schaltermitarbeiter nicht versteht, nimmt das für den Rest seines Lebens mit. Wer als erstes sein Auto mit der Bank finanziert hat und sich gut beraten vorkommt, hat eine andere Vertrauensbasis zu seiner Bank, eine andere Einstellung, als wenn er sich schlecht behandelt vorkommt. Aber das war uns ja nicht genug. Wir haben in den vergangenen Jahren intensiv Verbraucherschutzpolitik betrieben und versucht, die Menschen vor falscher Beratung zu schützen. Das Ergebnis sind bekanntlich Berge von Papier, die man unterschreiben muss, bevor man einen Mitarbeiter überhaupt jenseits der Tasse Kaffee zu einer Aussage bewegen kann.

Fühlen Sie sich dadurch besser geschützt, wenn Sie ihre finanziellen Angelegenheiten selbst regeln? Das Informationsmaterial kann niemand ernsthaft vollständig durchlesen und zu einem Ergebnis und einer abgewogenen Entscheidung führen.

Am Ende ist es heute viel mehr zu einer Vertrauensfrage geworden, zu wem man geht, wem man traut, bevor man seine Verträge am Ende mehr oder weniger Blanko unterschreibt. Das Ganze ist noch mehr zu einer Vertrauensfrage geworden als es das in den früheren Jahren je war.

Neues Gleichgewicht gesucht

Die Erklärung ist naheliegend. Der Verbraucherschutz kommt eben nicht originär aus den politikvorbereitenden Ministerien mit Zuständigkeiten für die Kreditwirtschaft, sondern er hat seine Ursprünge in Gesundheitswirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung. In seinen Anfängen hat der Verbraucherschutz vorgeschrieben, was auf der Milchtüte zu stehen hat und welche Informationen die Beipackzettel für die Medikamente enthalten müssen. Deshalb hat man bei den Begleitunterlagen von Bankprodukten bis heute oft den Eindruck einer Mischung aus einem Beipackzettel für Medikamente und der Milchtütenaufschrift. Derzeit gilt das Motto: Je mehr man darauf schreibt, desto höher ist die Transparenz und der Informationsgrad der Betroffenen. De facto ist das eine Gewissensverlagerung von der Politik auf Papier, um sagen zu können, wir haben doch alles unternommen, die Verbraucher zu schützen. Dabei wird nicht oder kaum darauf Rücksicht genommen, dass die Verbraucher in ihrer Fähigkeit die Dinge zu erfassen möglicherweise nicht so uneingeschränkt, fähig, willens und in der Lage sind, diese ganzen Texte überhaupt zu lesen, geschweige denn sie auch noch zu verstehen.

An dieser Stelle müssen wir zu einem neuen Gleichgewicht kommen. Wir haben mittlerweile eine Dimension von Regulierungsnotwendigkeiten erreicht, die keiner Seite gut tut. Der Kunde hat ein komisches Gefühl: was habe ich da alles unterschrieben? Der Berater wähnt sich immer mit halbem Fuß in der Schadenersatzfragestellung, sieht sich gleichwohl dem Vertriebsdruck seines Instituts ausgesetzt - quasi als Punching Ball in der Mitte. All das ist keine gute Entwicklung. Hier müssen wir ebenfalls eine saubere Analyse dessen machen, was Beratung bringt und was sie leistet und auch nicht leisten kann. Auf dieser Basis muss es dann in den nächsten Jahren zu einer Revision der heutigen Gesetzgebung kommen.

Ich denke, es ist deutlich geworden, dass das Bankgeschäft aufgrund der veränderten Bedingungen der Realwirtschaft neuen Anforderungen unterliegt. Die Veränderungen sind allerdings nicht abgeschlossen.

Die Politik sollte bei allen anstehenden Maßnahmen auf eine sachgerechte und ausgewogene Vorgehensweise achten. Es kann nur im Interesse aller Beteiligten sein, dass die Banken ihre Finanzierungsfunktion für die Realwirtschaft und die Dienstleistungsfunktion für den Bürger in vollem Umfang weiter wahrnehmen können.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 60. Kreditpolitischen Tagung "Die Zukunft der Kreditwirtschaft" der ZfgK am 7. November 2014.

Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion eingefügt.

Dr. Thomas Schäfer , Hessischer Minister der Finanzen, Wiesbaden
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