Bankenregulierung

Zum Wettbewerb der Systeme

Als sich die Europäer vor mehr als zwanzig Jahren dazu entschlossen, die jahrzehntelang eher sanft vor sich hin träumende Idee einer gemeinsamen Wirtschaft, endlich mit konkreten Inhalten zum Leben zu erwecken, brach eine Grundsatzdebatte aus. Auf der einen Seite standen Überlegungen, zunächst alles zu harmonisieren und zu regeln, was sich die Mitgliedsstaaten so an Wirtschafts-, Sozial- und Steuergesetzen ausgedacht hatten. Auf der anderen Seite standen die Pragmatiker, die sich den Beginn einer Wirtschaft- und Währungsunion nicht schwerer als unbedingt nötig machen wollten. Ihre Idee: Könnte sich die Gemeinschaft zunächst nur auf so etwas wie Mindeststandards für die wichtigsten Institutionen, Projekte und Ziele verständigen - um dann "den Markt" entscheiden zu lassen, ob er beispielsweise die Sicherheit deutscher Bankeinlagen höher als die französischer bewerten würde?

Europa hat sich damals bekanntermaßen und glücklicherweise gegen die totale Harmonisierung und für den Wettbewerb der Systeme entschieden. Das gilt bis heute. Auch wenn natürlich jeder neuen Richtlinie der Brüsseler Institutionen eine unübersehbare Tendenz zu zunehmender Vereinheitlichung innewohnt, die Jahr für Jahr dazu führt, dass sich die nationalen Branchenverfassungen immer ähnlicher werden, weil jede Novelle eines nationalen Gesetzes vor allem der Umsetzung von Brüsseler Recht zu dienen hat. Die Bankenrichtlinie CRD, die Eigenmittelverordnung CRR, die Verordnung über den einheitlichen Aufsichtsmechanismus SSMR, die Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus SRMR, die Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten BRRD, die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme DGSD (nicht zu verwechseln mit EDIS), die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente MiFID, die Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen EMIR, die zweite Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 - all das sind jüngste Beispiele der Brüsseler Aktivitäten. Hinzu kommen technische Standards der EBA in dreistelliger Zahl.

Was noch fehlt ist die Umsetzung der zwei wichtigsten Projekte mit Blick auf ein nahezu endgültiges Zusammenwachsen Europas im Finanzdienstleistungsbereich, sozusagen das Sahnehäubchen: die Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion. Während die Kapitalmarktunion gefühlt ohne größere Widerstände ihren Weg voranschreitet, bleiben die Widerstände gegen die Bankenunion trotz so prominenter Fürsprecher wie Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing hoch. Zwar sind die beiden wesentlichen Standbeine, der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) und der einheitliche Abwicklungsmechanismus (SRM) längst gelebte Realität, doch scheiterten bislang alle Einigungsversuche mit Blick auf die Vergemeinschaftung der nationalen Einlagensicherungssysteme unter dem European Deposit Insurance Scheme EDIS, unter anderem am Widerstand Deutschlands.

Und das zu Recht. Auch wenn Sewing vor Kurzem betonte, wie wichtig eine Einigung mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der großen europäischen Banken sei. "Grenzüberschreitende Zusammenschlüsse werden erst dann wirklich attraktiv, wenn wir die Bankenunion vollendet haben", so der Vorstandsvorsitzende der größten deutschen Bank. Mit Blick auf die großen Herausforderungen, die sich unter anderem aus der Corona-Pandemie ergeben, forderte er zudem: "Nun sollten sich auch andere Akteure bewegen, die das Projekt bisher eher bremsen - gerade auch innerhalb der Finanzbranche." Doch mit welchem Grund sollten die Sparkassen und Kreditgenossenschaften, die mit ihren Systemen der Institutssicherung über alle europäischen Einlagensicherungsvorschriften hinausgehen, dem zustimmen. Weder profitieren sie direkt von grenzüberschreitenden Fusionen. Noch können sie ihren Mitgliedern glaubhaft machen, warum es besser sei, die angesparten Mittel nun für die Rettung beispielsweise südeuropäischer Baken zu verwenden, anstatt für Probleme innerhalb der eigenen Gruppe aufzusparen. Europa wäre gut beraten, weiterhin am System des Wettbewerbs der Systeme festzuhalten. Ziel muss es sein, die Schwächeren auf das Niveau des Starken zu heben und nicht den Starken zu verzwergen. Erst dann kann Harmonisierung mit Blick auf ein starkes und wettbewerbsfähiges europäisches Finanzwesen funktionieren.

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