Redaktionsgespräch mit Michael Kemmer

"Harmonisierung darf nicht allein auf Europa oder gar die Eurozone beschränkt werden"

Dr. Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsmitglied des Bundesverbands deutscher Banken e.V., Berlin, als Federführer der Deutschen Kreditwirtschaft

Aus der Makroperspektive sieht die Deutsche Kreditwirtschaft mit den geschaffenen Elementen der Bankenunion durchaus ein Level Playing Field gewährleistet. Michael Kemmer will die Harmonisierung aber nicht nur auf Europa beschränkt, sondern die anderen großen Wirtschaftsräume mit einbezogen wissen. Aber auch in Europa registriert er in der praktischen Umsetzung noch viel Gesprächsbedarf. Als Beispiel nennt er Fragen rund um eine wirklich vergleichbare Anwendung der qualitativen Bankenaufsicht. Die betont kritische deutsche Haltung zu dem Ende November 2015 veröffentlichten Entwurf der EU-Kommission zur Einlagensicherung will er im Namen der hiesigen Kreditwirtschaft keineswegs als Blockadehaltung gewertet wissen, sondern mahnt erst einmal die Umsetzung der geltenden europäischen Richtlinie in allen EU-Ländern an. Die extrem lockere Geldpolitik der EZB wertet er als eine tendenzielle Begünstigung der etwas schwächeren Bankbilanzen und verweist auf die Gefahr bedenklicher Nebenwirkungen für die Ertragslage der gesunden Banken. (Red.)

Würden Sie als Vertreter der Deutschen Kreditwirtschaft derzeit schon sagen, dass es ein Level Playing Field in Europa gibt? Inwieweit hat die Bankenunion dazu beigetragen?

Im Bereich der Bankenaufsicht nähern wir uns dem Level Playing Field in Europa zumindest an. Mit Blick auf die Bankenunion haben wir eine einheitliche Aufsicht mit einheitlichen Kriterien zur Beaufsichtigung der signifikanten Institute durch den Single Supervisory Mechanism. Mit dem Abwicklungsmechanimus und dem Abwicklungsfonds wird zudem sichergestellt, dass die Abwicklung eines bestandsgefährdeten Kreditinstituts ebenfalls nach einheitlichen Regeln erfolgt. Aus einer Makroperspektive heraus lautet die Antwort also: Ja, wir haben in Bezug auf die Bankenunion ein Level Playing Field.

Schwieriger wird es, diese Frage auf Ebene der operativen Aufsicht zu beantworten, das heißt vor Ort bei den Banken. Hier liegen uns noch zu wenige praktische Erfahrungen vor. Wir können jedoch beobachten, dass die Aufsicht bestrebt ist, alle technischen, sprich quantitativen Fragestellungen einheitlich anzuwenden. Aber natürlich ist dies nur die Hälfte der aufsichtlichen Praxis. Die andere Hälfte besteht aus der qualitativen Aufsicht. Diese vollzieht sich unter anderem durch Gespräche vor Ort mit den Banken. Hier müssen sich die Aufseher sicher noch stärker untereinander austauschen und ihre Erfahrungen teilen.

Kurzum: Es ist wichtig, nicht nur zu einer stärkeren Harmonisierung der Regulierung, sondern auch ihrer konkreten Anwendung zu kommen. So gibt es, um ein Beispiel außerhalb der Bankenunion zu nennen, in Europa trotz einer gemeinsamen Richtlinie immer noch höchst unterschiedliche Verfahren der Kundenidentifizierung in den Mitgliedstaaten. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen; wir sind in vielen zentralen Fragestellungen also noch weit von einem Level Playing Field entfernt.

Welche Schritte wären Ihnen mit Blick auf wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen noch wichtig?

Bei allen Überlegungen zur Angleichung von Wettbewerbsbedingungen ist das alte Prinzip der Regulierung zu beachten: gleiche Geschäfte, gleiche Risiken, gleiche Kapitalanforderungen.

Die Diskussion über eine Harmonisierung von Regeln darf aber aus unserer Sicht nicht allein auf Europa oder gar die Eurozone beschränkt werden. Unser Blick muss sich auch auf die anderen Wirtschaftsräume mit bedeutenden Bankenmärkten richten, zuallererst denke ich dabei an die USA. Betroffen sind hier insbesondere die großen international tätigen Institute, egal aus welchem Bankensektor. Diese Banken müssen derzeit eine große Anzahl von unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Regulierungen beachten. Auch hier sind also weitere Harmonisierungsanstrengungen erforderlich.

Ein Punkt, zu dem man unterschiedliche Meinungen feststellen kann, ist die gemeinsame Einlagensicherung: Wieso ist die Reaktion der Deutschen Kreditwirtschaft auf das Papier der EU-Kommission zur europäischen Einlagensicherung so heftig ausgefallen? Blockiert diese Haltung nicht auf Jahre das Gesamtprojekt der Schaffung eines einheitlichen europäischen Finanz- und Kapitalmarktes?

Das sehe ich nicht so. Die gemeinsame Einlagensicherung ist keine Voraussetzung für den einheitlichen europäischen Finanz- und Kapitalmarkt. Vielmehr zäumt die Kommission das Pferd von hinten auf. Vorrangiges Ziel muss es doch zunächst sein, dass in den verbleibenden Mitgliedstaaten Sicherungssysteme entsprechend der seit Juli 2015 geltenden Richtlinie zur Einlagensicherung, der DGSD, ausgestaltet und mit Mitteln ausgestattet werden. 13 Länder haben diese Richtlinie derzeit aber noch nicht voll umgesetzt.

Ähnlich sieht es bei den Regeln zur Abwicklung von Banken aus. Auch hier haben immer noch nicht alle Länder die notwendigen Maßnahmen getroffen. Für die nun vorgeschlagene Vergemeinschaftung der Systeme oder eine "Rückversicherung" besteht nach Überzeugung der Deutschen Kreditwirtschaft daher keine ausreichende rechtliche und sachliche Grundlage.

Muss die so deutlich sichtbar gewordene Koalition des Widerstandes aus Politik, Kreditwirtschaft und Notenbank des größten Mitgliedslandes in einer zweifellos wichtigen Einzelfrage bei den anderen EU-Staaten nicht zwangsläufig den Eindruck einer Bevormundung aufkommen lassen?

Es ist doch keine Bevormundung, darauf hinzuweisen, dass wesentliche Richtlinien der Europäischen Union noch nicht in allen Ländern umgesetzt wurden. Kommissionspräsident Juncker hat ja - mit Blick auf die Richtlinie zur Restrukturierung von Banken, die BRRD (Bank Recovery and Resolution Directive - Red.), - selbst davon gesprochen, dass eine "halbgare" Bankenunion nicht das Ziel sein kann. Das sehen wir genauso und haben unsere Bedenken angemeldet.

Der Vorwurf lautet, man gehe mit der gemeinsamen Einlagensicherung sehr stark in Richtung Transferunion: Aber kann es eine einheitliche Wirtschafts- und Währungsunion ohne Solidarität und damit ohne Transfers wirklich geben?

Risiko und Haftung müssen beieinander liegen. Eurogruppenchef Dijsselbloem hat richtigerweise festgestellt, dass es keinem Mitgliedstaat zugemutet werden kann, Risiken zu übernehmen, die nicht kontrollierbar sind. Ansonsten sind die vollen Töpfe der deutschen Einlagensicherung bald aufgebraucht. Damit ist niemandem geholfen. Wir stehen zur Solidarität. Solidarität ist aber keine Einbahnstraße und kann nicht nur in der Vergemeinschaftung von Risiken bestehen. Ansonsten würden wir falsche Anreize setzen und die Gefahr eines Moral Hazard heraufbeschwören. Die Risiken würden also eher zu- als abnehmen.

Sind die Positionen der Deutschen Kreditwirtschaft und der EU-Kommission tatsächlich so unversöhnlich, wie es in den ersten Reaktionen aus Deutschland den Eindruck erweckt? Oder sind die von der DK besonders kritisierten Punkte der Umwidmung der vorhandenen Sicherungsmittel und künftiger Beitragszahlungen sowie die Trägerschaft bei der Europäischen Abwicklungsbehörde nicht natürliche Ansatzpunkte für eine Kompromisssuche?

Dieser Vorschlag ist einfach unausgereift und deshalb lehnen wir ihn ab. Wenn die Kommission mit einem neuen Vorschlag kommt, werden wir ihn natürlich genau prüfen.

Wie wurden Ihrer Wahrnehmung nach die Widerstände aus Deutschland gegen das Projekt in der europäischen Kreditwirtschaft aufgenommen. Wird es dadurch nicht schwieriger, Unterstützung zu erhalten? Welche europäischen Banken/welche Bankengruppen weiß die deutsche Kreditwirtschaft in dieser Frage wirklich auf ihrer Seite?

Zur Klarstellung: Die Bundesregierung hat nie erklärt, eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung dauerhaft abzulehnen. Sie ist lediglich der Auffassung, dass der Verordnungsentwurf verfrüht kommt, weil es an den notwendigen Rahmenbedingungen mangelt.

Ein Großteil der nationalen Einlagensicherungssysteme wie auch die Europäische Bankenvereinigung sehen den Kommissionsvorschlag ähnlich kritisch. Frankreich und Italien teilen die deutsche Auffassung, dass in dieser Frage mehr Kompetenzen auf nationaler Ebene verbleiben sollten. In Frankreich dürfte die derzeit geltende privilegierte Beitragszahlung von 0,5 Prozent der gedeckten Einlagen im Vergleich zu 0,8 Prozent für den Fonds auf den Prüfstein kommen. Ich denke nicht, dass man in Frankreich darüber erfreut ist. Gerade die auch in Frankreich - aber auch in anderen Ländern - genutzte Möglichkeit von Zahlungsverpflichtungen wäre unter einem EDIS überhaupt nicht möglich. Deutschland steht mit seiner Position also nicht allein da.

Welche Signale kommen aus dem Europäischen Parlament nach Bekanntwerden der deutschen Reaktion auf die geplanten Vorschläge der EU-Kommission zur Einlagensicherung?

Nach unserer Einschätzung gibt es im Europäischen Parlament grundsätzlich eine breite Unterstützung für eine europäische Einlagensicherung. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat die Pläne zum EDIS (European Deposit Insurance Scheme - Red.) zuletzt gegenüber der Kritik aus Deutschland verteidigt. Gleichwohl teilen viele Parlamentarier unsere Bedenken hinsichtlich des konkreten Kommissionsentwurfes und den Vorbedingungen für eine europäische Einlagensicherung.

Für Außenstehende kommt zwangsläufig der Eindruck auf, als wolle die deutsche Seite das Projekt Einlagensicherung zeitlich strecken, bis alle Staaten entsprechend der geltenden Richtlinie ihre nationalen Sicherungssysteme mit Mitteln ausgestattet haben. Ist dieser Eindruck richtig? Und ist das aus Sicht der Deutschen Kreditwirtschaft eine Grundbedingung für weiterführende Regelungen?

Die deutsche Position ist es nicht, das Projekt EDIS zeitlich zu strecken. Die Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie sollte aber zumindest eine der Voraussetzungen für ein EDIS sein. Vorrangiges Ziel muss es daher bleiben, zunächst, ohne weitere Verzögerung, die Einlagensicherungsrichtlinie DGSD in allen Mitgliedstaaten vollständig in nationales Recht zu überführen. Anschließend müssen die jeweiligen Einlagensicherungssysteme entsprechend den Vorgaben der Richtlinie ausgestaltet und mit Mitteln ausgestattet sein. Solange die Fonds einiger Einlagensicherungssysteme nicht aufgefüllt sind, werden wir im Notfall nicht für sie einspringen.

Es geht aber nicht allein um unsere Töpfe. Durch den Regelungsvorschlag der Kommission in seiner derzeitigen Form entstünden eklatante Unterschiede zwischen Mitgliedstaaten der Bankenunion und solchen, die nicht der Bankenunion angehören. Der Vorschlag der Kommission wäre als dritte Säule der Bankenunion nämlich nur für die an der Bankenunion mitwirkenden Staaten maßgeblich. Die DGSD hingegen ist von allen EU-Mitgliedstaaten umzusetzen. Mit der Einführung von EDIS hätten die nationalen Einlagensicherungssysteme innerhalb der Bankenunion somit deutlich weniger Kompetenzen als die Systeme außerhalb.

Mit Blick auf die DGSD sollte zudem eine stärkere rechtliche Angleichung im Bereich der Einlagensicherung erfolgen. Die DGSD gibt den Mitgliedstaaten nämlich in bestimmten Bereichen Spielräume - so zum Beispiel bei der Höhe der endgültigen finanziellen Ausstattung des Fonds und bezüglich der Fragen, welche Einlagen konkret geschützt werden sollen. Bevor die Einlagensicherung daher auf ein europäisches Level gehoben wird, sollten diese Unterschiede in der nationalen Gesetzgebung erst einmal beseitigt werden.

Des Weiteren müssen die Risiken in den Bankbilanzen weiter deutlich reduziert werden. Die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung würde zum jetzigen Zeitpunkt eine Vergemeinschaftung der Risiken aus der Staatsverschuldung darstellen, da Staatsanleihen für Banken weiterhin als risikolos gelten. Weiterhin müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen - insbesondere das Insolvenzrecht - in den Mitgliedstaaten angepasst werden. Auch wäre eine weitere politische Integration notwendig.

Wie sind die weiteren konkreten Schritte und das Zeitfenster in Sachen europäischer Einlagensicherung. Gibt es dazu ein festgelegtes Verfahren? Welche Instanzen sind nun gefordert, um den Prozess voranzubringen?

Der Vorschlag der Kommission wird im sogenannten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beraten. Nach der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags zur europäischen Einlagensicherung geht der Verordnungsentwurf zur Beratung in das Europäische Parlament und danach in den Rat. Aufgrund der Brisanz der Thematik gehe ich nicht davon aus, dass der Gesetzesvorschlag bereits in der ersten Lesung angenommen wird. Parlament und Rat werden Änderungsvorschläge haben. Ein konkretes Zeitfenster für das Gesetzgebungsverfahren lässt sich schwer abschätzen, da die Dauer maßgeblich von möglichen nationalen Widerständen im Rat abhängt.

Der Verordnungsentwurf selbst sieht eine schrittweise Errichtung von EDIS in drei Stufen vor. Von 2017 bis 2020 ist zunächst ein europäisches Rückversicherungssystem geplant, dass nur dann greift, wenn die nationale Einlagensicherung eines Mitgliedstaates im Entschädigungsfall oder aufgrund einer Zuleistung zu Abwicklungsmaßnahmen nach der BRRD überfordert ist. In einer zweiten Stufe ab 2020 sollen dann die jeweiligen nationalen Einlagensicherungssysteme und EDIS in Form einer Co-Insurance Einlagen gemeinsam schützen. Ab dem Jahr 2024 schließlich soll EDIS allein zuständig sein.

Wie viel Ungleichheit verträgt eine europäische Kapitalmarktunion beziehungsweise wie viel Gleichheit braucht eine europäische Kapitalmarktunion?

Ein wesentliches Ziel der Kapitalmarktunion ist die stärkere Integration der Kapitalmärkte. Sie verlangt vor allem danach, die Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden Risikoallokation zu verbessern. Dazu werden insbesondere Standardisierungen und Harmonisierungen erforderlich sein. Insofern begrüßen wir die seitens der Kommission eingeleiteten Schritte bei Verbriefungen und Prospekten.

Hat die aktuelle Geldpolitik der Notenbanken auf die Lage der Kreditinstitute in den verschiedenen europäischen Ländern je nach Geschäftsmodell vergleichbare Einflüsse oder führt sie zu Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Bankensektor?

Ganz generell begünstigt die extrem lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank Kreditinstitute mit Liquiditätsproblemen und etwas schwächeren Bilanzen.

Bei den hiesigen Erträgen macht sich der negative Einlagezins als Belastungsfaktor bemerkbar. Ich sehe aufgrund des starken Wettbewerbes hierzulande nicht, dass Banken den negativen Zins an ihre Kunden weitergeben wollen oder können. Letztlich bleibt es natürlich eine geschäftspolitische Entscheidung jedes einzelnen Institutes, ob und wie es Einlagen verzinst. Zugleich wird die Kreditentwicklung in vielen Eurostaaten ausschließlich von der Nachfrageseite gebremst. Die Banken in Deutschland beispielsweise würden sehr gerne mehr Kredite vergeben.

In dem Maße, wie die extreme Niedrigzinspolitik die Ertragslage der gesunden Banken belastet, ist das Zeitkaufen mit bedenklichen Nebenwirkungen verbunden. Diese unbeabsichtigten Wirkungen werden sogar noch gravierender, wenn die gekaufte Zeit von den ertragsschwachen Banken nicht zur Bilanzsanierung und zur Neujustierung der Geschäftsmodelle genutzt wird. Wir beobachten die extrem lockere Geldpolitik daher mit wachsender Sorge.

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