Levin Holle im Gespräch mit Philipp Otto

"Warum kann der Kunde nicht bestimmen, dass Facebook seine Schnittstellen öffnen muss?"

Dr. Levin Holle, Foto: Bundesministerium der Finanzen/Photothek

Im Gespräch mit Philipp Otto weist Levin Holle darauf hin, dass sich im Zuge der Digitalisierung gerade im Zahlungsverkehr sehr viel geändert hat. Nicht zuletzt das Tempo der Veränderungen hat durch den technologischen Fortschritt rasant zugenommen. Das stellt auch den Gesetzgeber vor neue Aufgaben. So ist etwa zwischen dem Entwurf der PSD2-Richtlinie und der Umsetzung viel Zeit vergangen. Zwar hat es auch an der Richtlinie entsprechende Nachbesserungen gegeben, doch musste am Grundsatz des Entwurfes festgehalten werden. Eine Herausforderung sieht der Leiter Finanzmarktpolitik im BMF darin, dass PSD2 ursprünglich zur Stärkung von Startups und Fintechs gedacht war, nun aber auch oder besonders die Big-Techs in den Markt drängen. Neben den dabei auftretenden wettbewerbsrechtlichen Fragen betont er vor allem die wichtige Rolle des Datenschutzes. Wenn es nicht gelingt, echte europäische Standards zu setzen, befürchtet er einen Bedeutungsverlust Europas. (Red.)

Philipp Otto: Herr Holle, es wird heute überall über bargeldlosen Zahlungsverkehr gesprochen, dabei war der bargeldlose Zahlungsverkehr doch eigentlich schon immer irgendwie digital, oder? Warum diskutiert alle Welt jetzt so viel über Digitalisierung im bargeldlosen Zahlungsverkehr?

Levin Holle: Ich weiß nicht, wie Sie "schon immer" definieren, aber ich habe neulich sehr beeindruckt einen Artikel über die Einführung des Euroschecks gelesen. Das erfolgte noch zu Lebzeiten eines Protagonisten, der interviewt wurde, ist also gar nicht so lange her. Aber in den vergangenen Jahren hat sich sehr viel verändert. Durch Fortschritte in der Technologie hat die Geschwindigkeit der Entwicklungen im Zahlungsverkehr enorm zugenommen.

Zudem gibt es heute ganz andere Möglichkeiten, mit Daten umzugehen und diese zu analysieren. Der Zugriff über neue Geräte wie Smartphones und Ähnliches verändert das Thema Schnittstellen massiv. Und nicht zuletzt spielt auch die Regulierung eine nicht unerhebliche Rolle. Eine PSD2 beispielsweise gab es vor zehn Jahren noch nicht.

Das alles führt zu Veränderungen sowohl bei der Struktur der bestehenden Anbieter als auch des Wettbewerbs. Als beispielsweise damals in Brüssel die ersten Ideen zur PSD2 entworfen wurden, hatten die zuständigen Personen das Ziel, bessere Wettbewerbsbedingungen für Startups und Fintechs zu ermöglichen.

Jetzt stehen ganz andere und viel größere Adressen in der Tür, die sich dies zunutze machen könnten. Insofern ist der bargeldlose Zahlungsverkehr heute sowohl von einer enormen Veränderungsgeschwindigkeit als auch von einem sich ständig wandelnden technologischen, regulatorischen und wettbewerblichen Umfeld geprägt.

Philipp Otto: Ist die Herausforderung für den Gesetzgeber wie für den Aufseher jetzt nicht ungleich größer, weil es eben nicht die vielen kleinen Fintechs sind, sondern große, erfolgreiche und unglaublich breit aufgestellte Unternehmen auf den Markt drängen? Wie geht man damit um?

Levin Holle: Die Herausforderung für den Gesetzgeber ist zweifelsohne größer geworden. Das fängt schon mit der Geschwindigkeit der Entwicklung an: Zwischen dem Entwurf der PSD2 und der Umsetzung sind viele Jahre vergangen. Viele Jahre in denen sich die Technik, die Prozesse, die Spieler enorm weiterentwickelt haben. Und auch wenn es zwischendurch einige Nachbesserungen am Entwurf gab, musste vieles davon schon vor sieben Jahren festgehalten werden. Das ist eine enorme Herausforderung.

Und natürlich ist es eine ganz andere Aufgabe, ein Rahmenwerk für sehr große Spieler wie die sogenannten GAFA zu schaffen anstatt nur - wie ursprünglich geplant - für Startups. Denn wenn jetzt auf einmal viel größere, ausländische Spieler auf den Markt drängen, stellen sich auch ganz andere Fragen im Wettbewerbsrecht.

Philipp Otto: Welche Themen beschäftigen Sie im Zusammenhang mit dem Markteintritt großer Technologiekonzerne am meisten?

Levin Holle: Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die dadurch zusätzlich mitbedacht werden müssen. Entscheidend ist die Wahrung eines Level Playing Field. Regeln müssen für alle, die auf dem gleichen Markt tätig sind, gleichermaßen gelten und von allen gleichermaßen eingehalten werden.

Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Anwendung der Datenschutzgrundverordnung. Diese muss auch von großen Plattformen konsequent erfüllt werden.

Ich begrüße sehr, dass mittlerweile Prozesse in Gang gekommen sind, bei der Europäischen Kommission aber auch in Deutschland, wie man sich solchen Themen nähert. Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Kommission eingesetzt, die prüft, zu welchen Veränderungen Datenökonomie und die modernen Datenplattformen führen und welcher Bedarf sich daraus für das Wettbewerbsrecht ergibt.

Philipp Otto: Wie stehen Sie zur Schnittstellendiskussion zwischen der Kreditwirtschaft und beispielsweise Facebook?

Levin Holle: Datenschutz spielt heute eine viel wichtigere Rolle als früher, als das Thema in unseren Feldern gesetzgeberisch kaum erfasst war, weder im Wettbewerbsrecht noch im speziellen Zahlungsverkehrsrecht. Über die PSD2 erhalten Dritte, die bestimmte Bedingungen erfüllen, Zugriff auf Bankdaten. Laut DSGVO hat - etwas pointiert ausgedrückt - jeder Verbraucher das Recht, von Plattformen wie Facebook seine Daten einzufordern.

Dann würde es aber doch eigentlich Sinn machen, eine Diskussion zu führen, ob man in den rechtlichen Überlegungen nicht noch einen Schritt weiter geht und dem Kunden das Recht einräumt, diese Daten wiederum an andere weiterzugeben. Sprich im konkreten Fall: Warum kann der Kunde nicht selbst bestimmen, dass Facebook seine Schnittstellen und damit die entsprechenden Kundendaten auch für Banken öffnen muss?

Bei all diesen Themen bewegt sich der Gesetzgeber immer zwischen dem Datenschutzrecht, was auch das Recht auf den Umgang mit den eigenen Daten beinhaltet, der klassischen Banken- und Zahlungsverkehrsregulierung und dem Wettbewerbsrecht. Das hat den Vorteil, dass manche Dinge sehr spezifisch für den Banken- und Zahlungsverkehrsmarkt reguliert werden können, das hat den Nachteil, dass es sehr komplex und eine eindeutige rechtliche Zuordnung der Problemlagen nicht immer ganz einfach ist. Da ein konsistentes Rahmenwerk zu schaffen, ist nicht leicht.

Philipp Otto: Es klingt mitunter die Sorge an, dass der europäische Zahlungsverkehr künftig von ausländischen Spielern dominiert werden wird. Was kann man dem entgegensetzen? Wie wichtig ist eine zeitnahe, schlagkräftige europäische Lösung?

Levin Holle: Es ist elementar, dass dieses Thema auf der Agenda für den Finanzmarkt der neuen Kommission ganz nach oben rutscht. In der vergangenen Legislaturperiode ist gerade in den Bereichen Digitalisierung und Finanzbereich recht wenig passiert. Vielleicht aus dem durchaus nachvollziehbaren Gedanken heraus, das Experimentierfelder erlaubt und ermöglicht werden.

Aber Europa braucht nun dringend eine Agenda für einen digitalen Finanzbinnenmarkt, denn in den kommenden fünf Jahren werden sehr viele Fragen aufkommen neben den klassischen Zahlungsverkehrsthemen. Wie gehen Finanzdienstleister mit der Cloud um? Wie gehen wir mit einer digitalen Identität um? Wie sollen Kryptotoken reguliert werden?

Diese Fragen können nur effektiv beantwortet werden, wenn echte europäische Standards gesetzt werden. Gelingt das nicht, wird Europa eklatant an Bedeutung sprich an Marktanteilen verlieren. Deswegen ist es so wichtig, dass die Verantwortlichen in der Bundesbank, früher Carl-Ludwig Thiele und jetzt Burkhard Balz, europäisch denken und wir das Thema eines europäischen Zahlverfahrens so stark puschen.

Dr. Levin Holle Leiter Finanzmarktpolitik, Bundesministerium der Finanzen, Berlin
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