Kooperationen

Dunkle Wolken über der Filiale

Eine Ursache für das zunehmende Burn-out-Gefühl sind die höhere Veränderungsgeschwindigkeit und die exzessive Komplexität der Um- und Arbeitswelt. Auch das Kreditgewerbe ist in diesem "Laufrad" gefangen und muss sich ständig mit rollierenden Gesetzes- und Regulierungsveränderungen oder mit neuen Technologien befassen. Solche Veränderungen beeinflussen das Kreditgewerbe und das Geschäftsmodell. Das ist an den Landesbanken zu erkennen. Da ihre frühere Stellung (Girozentrale) durch das Wachstum der Sparkassen eingeengt worden ist, sahen viele Geschäftsleitungen den vermeintlichen Ausweg vor allem in Kreditersatzgeschäften. Heute müssen die mühevoll aufgebauten Bestände an "toxischen Wertpapieren" vom Steuerzahler getragen werden durch Garantien oder sogar durch Eigenkapitalzuführung, um die Fortführung des Bankgeschäfts zu gewährleisten.

Sechs Entwicklungen bedrohen die Stellung der Banken und damit das klassische Geschäftsmodell:

1. Selbstberatung der Bankkunden

Bereits Oswald Hahn erwähnte in seinem Artikel "Vorbei an den Banken" (ÖBA 10/1983, Seite 368) das do it yourself als Bedrohungspotenzial. Unternehmen "bohren" ihre Finanzabteilungen auf (In-house-Banking), gestalten sich in Profitcenter oder kaufen beziehungsweise gründen eigene Banken (Würth, Siemens). Selbst Privatkunden verlassen sich in steigender Zahl nicht mehr auf die klassische Bankberatung. Sie informieren sich zunehmend selbst, ziehen alternative Beratungen und Informationsquellen heran und entscheiden eigenständig, ohne Beratung in Anspruch zu nehmen.

Nach den Erkenntnissen einer Analyse ist der dominierende Grund zum Filialbesuch zu weit über 50 Prozent Geldabheben oder Auszüge drucken in der Selbstbedienungszone. Bankberatung rangiert in dieser Rangfolge abgeschlagen unter zehn Prozent, das heißt die Bank wandelte sich zum Kassenhalter oder Anbieter von Einlagenprodukten.

2. Kreditplattformen

Im angelsächsischen Raum agieren bereits seit langem Kreditplattformen. Auch in Deutschland gibt es mehrere solcher Internetplattformen, auf denen sich "Geldhalter" mit "Geldnachfragern" treffen können, beispielsweise auxmoney.com oder smava. de. So wie einst im Industrieclearing1) kommen Personen mit Liquidität, denen 0,25 Prozent Verzinsung verbunden mit Abgeltungssteuer und Inflation zu wenig erscheinen, mittels solcher Plattformen mit Kreditnachfragern zusammen. Die Rolle der Bank als Finanzintermediär wird durch solche Plattformen ersetzt.

In Deutschland ist ihnen noch nicht der Durchbruch gelungen, was vermutlich an der vorsichtigen Grundeinstellung der Deutschen liegt. Selbst der Geldausgabeautomat und die SB-Technik hatten in ihrer Anfangsphase Schwierigkeiten aufgrund der unzureichenden Akzeptanz der Bankkunden.

Brauchen Kreditplattformen in Deutschland vielleicht nur etwas mehr Zeit? Welches Bedrohungspotenzial für Filialbanken stellen sie dar, wenn ihr Verbreitungsanteil zunimmt?

3. Übernahme des Cash-Cycle durch den Handel

Inzwischen kooperieren Wincor Nixdorf und Giesecke & Devrient und vereinen ihre jeweiligen Kompetenzen in der Absicht, den Bargeldverkehr im Handel zu vermindern. Derzeit wird das Bargeld aus den Verkäufen zurück in den Bankenkreislauf geschleust, was oftmals bereits an Werttransportunternehmen outgesourct worden ist. Die Kunden beschaffen sich bislang neues Bargeld in den Banken, überwiegend mittels SB-Technik.

Wenn jetzt durch technische Entwicklungen die Kassen des Handels in der Lage sind, das von dem einen Käufer gezahlte Geld an einen anderen Kunden auszuzahlen, der Bargeld benötigt, dann vermindern sich das Bargeldtransportvolumen und die Notwendigkeit zum Aufsuchen eines Geldausgabeautomaten. Banken, sogar die SB-Technik in den Geschäftsstellen, würden dann noch weniger aufgesucht als derzeit noch notwendig. Auch das dichte Geldautomatennetz der Sparkassen, ein wichtiges Argument der Sparkassenorganisation verliert dadurch an Gewicht.

Erste Entwicklungen wurden bereits getestet, indem bei Rewe bis zu 200 Euro Bar geld in Verbindung mit dem ec-System ausgezahlt werden, wenn Waren in der Mindesthöhe von 20 Euro gekauft werden. Postbankkunden und auch Kunden der Cash-Group-Banken erhalten bundesweit an 180 Heimwerkermärkten und an über 1300 Shell-Tankstellen Bargeld. Sogar Einzahlungen sind möglich. Kunden der Postbank werden zusätzlich bis zu zwei Cent pro getankten Liter gutgeschrieben. Die Postbank kann durch die Kooperation mit Shell ihre Kundenorientierung beweisen, die Tankstellenkette reduziert ihren Bargeldbestand und mindert die Gefahr von Überfällen. Vorteile für den Kunden: Tankstellen gibt es auch in ländlichen Regionen, ihre Öffnungszeiten sind in der Regel kundenfreundlich.

4. Neue Geschäfts- und Kooperationsmodelle für Retailbanken

Automation und neuartige Technologien zur effizienteren Steuerung der Bargeldkreisläufe (Beispiel Cash-Cycle-Management von Wincor Nixdorf) eröffnen neue Chancen und Möglichkeiten, um den Bargeldkreislauf zwischen Handel und Banken enger miteinander zu verbinden. Die bisherigen Kooperationen sind in Deutschland die ersten Versuche. Kostenintensive Cash- und Serviceleistungen, die insbesondere von Filialbanken über das eigene Geschäftsstellennetz angeboten werden, lassen sich so günstiger in Handelsunternehmen integrieren.

Besonders in ländlichen Regionen könnten Kooperationen mit Handelsketten, Baumärkten oder Tankstellen den Bargeldbedarf und sogar Bankserviceleistungen (Kontoauszug, Überweisung) dort bereitstellen, wo sie benötigt werden.

5. Der Durchbruch des Mobile Banking als Bedrohung

Im Auslaufen des E-Commerce-Rausches gab es die ersten Versuche, Handy-Banking anzubieten. Die Resonanz der Kunden war niedrig, das Desaster des Direktbankings nach dem Platzen der Neuer-Markt-Blase sorgte für jahrelangen weitgehenden Stillstand des inzwischen in Mobile Banking umbenannten Vertriebsweges. Technische Weiterentwicklungen, sinkende Preise bei Technik und Telefonanbietern und das Aufkommen von Smartphones beziehungsweise des i-Phones könnten den Durchbruch des Mobile Bankings bewirken. Attraktive Apps erhöhen die Nutzungsmöglichkeit solcher modernen Mobiles auch für Zahlungsverkehr, Wertpapiertransaktionen oder Infor mationsbeschaffungen.

In den achtziger Jahren begann die Umstellung der Transaktionen weg vom Menschen und Beleg hin zu Automaten und zur Digitalisierung. Heute werden diese Automaten minimalisiert in der Gestalt von Smartphones. Die Kreditkarte könnte in wenigen Jahren die Form des Mobiles annehmen. Das heißt, wenn bezahlt wird, dann verwendet man in Zukunft das Mobiltelefon. Das Aufsuchen der Geschäftsstelle wird dann noch seltener als heute erfolgen. Die Near Field Communication gestattet die kontaktlose Verbindung zwischen Lesegerät und dem Mobiltelefon, was den mobilen Bezahldiensten den Durchbruch ermöglicht.

6. Soziale Netzwerke als Alternative zur Kommunikation in der Filiale

Hermann-Josef Lamberti bezeichnete Social Media als "fact of Life in der nächsten Generation". Elektronische Medien wie Facebook, Twitter, Google oder Youtube berühren auch die Beziehung zwischen Kunden und Finanzdienstleistern. Der klassische Kommunikationsweg zwischen Kunde und Bankmitarbeiter in der Geschäftsstelle wird ergänzt oder sogar ersetzt durch die Nutzung von "Social Media".

Durch soziale Netzwerke verbessern Kunden ihre Stellung gegenüber dem Finanzdienstleister: Die bisherige Intransparenz und eingeschränkte Vergleichbarkeit begünstigten die Leistungserstellung und die Preispolitik der Anbieter. In Zukunft infor mieren sich Kunden in Netzwerken, sie stellen finanzrelevante Suchanfragen und recherchieren, tauschen Erfahrungen aus und vergleichen Konditionen. Das heißt über das Internet erfolgt die Vorauswahl auf wenige Anbieter.

Nicht verwunderlich wäre es, würden beispielsweise Interessenten für eine Baufinanzierung ihren Bedarf in einer Internetplattform anmelden und auf Angebote von Finanzdienstleistern warten. Handwerkeraufträge oder Zahnregulierungen werden heute auch bereits im Internet ausgeschrieben.

Durch solche Entwicklungen könnte die Rentabilität der Finanzdienstleister leiden. Gibt es einen Ausweg für den Vertriebsweg Geschäftsstelle, der vor allem in Sparkassen und Genossenschaftsbanken exniststecnhze idend ist?

Die genannten Entwicklungen beeinträchtigen nicht nur die Kommunikation zwischen Kunde und Finanzdienstleister. Nach einem Bonmot von Prof. Hermut Kormann gibt es drei große Herausforderungen für ein Unternehmen: (a) Keine existenzgefährdenden Fehlentscheidungen begehen. (b) Die Kosten nicht verschlampen. (c) Den Kontakt zum Kunden nicht verlieren.

Manche Finanzdienstleister haben sogar alle drei Fehler begangen und mussten beziehungsweise müssen dafür bezahlen. Der Kontakt zum Kunden verminderte sich aber nicht nur durch die falsche Aufstellung der SB-Technik, weshalb der Berater den Kunden nicht mehr zu sehen bekommt. Twitter, soziale Netzwerke oder Google entwickeln sich zur Alternative zum Berater. Dazu kommt noch der immense Vertrauensverlust zu den Banken.

Zusatzleistungen in kleineren Filialen

Vertrauensverlust zu Kreditinstituten und die Intensität der neuen Kommunikationsformen kumulieren sich in ihrer Wirkung und beeinträchtigen den immer noch unverzichtbaren Vertriebsweg Geschäftsstelle weiter. Deshalb sollten verantwortungsbewusste Geschäftsleitungen frühzeitig neue Ansätze zur Revitalisierung der Kommunikation in Geschäftsstellen suchen und testen.

Klassische Bankfilialen mit niedriger Kundenfrequenz, vorrangig in kleineren Ortschaften und in Stadtrandlagen, leiden nicht nur infolge des Kundenverlustes an Wettbewerber. Sie werden auch, wenn sie nicht im "Speckgürtel" einer Großstadt liegen, stark von der demografischen Entwicklung getroffen. Deshalb sollten sie zur Verbesserung der Flächeneffizienz neben dem klassischen Bankgeschäft neue beziehungsweise zusätzliche Angebote und Dienstleistungen aufnehmen, um durch höhere Attraktivität für den Kunden die Kommunikationshäufigkeit zu bessern und Zusatzerträge zu generieren. Dies können zum Beispiel postalische Leistungen, Identifikationsdienstleistungen im Zusammenhang mit dem digitalen Brief, dem neuen Personalausweis oder für die Beantragung von Signaturkarten sein.

SB-Bereiche, Service und Beratung für Privat- und Firmenkunden bilden weiterhin die Basis für das Filialkonzept in Großstädten und Ballungszentren.

Die Zukunft und Entwicklung der Bankfiliale hängt mehr denn je von der Anwendung neuer Technologien, der Anpassung an das veränderte Kundenverhalten, dem Offline-Bedarf des Kunden, der Entwicklung und Einführung neuartiger Filialkonzepte (Beispiele: automatisierte Standardbankgeschäfte beim Discounter, Mehrwertfiliale, Dienstleistungsfiliale) ab. Deshalb lassen sich folgende wichtige Herausforderungen an die Entscheidungsträger von Filialbanken formulieren:

Bereitschaft zu Veränderungen und zum Testen von Innovationen.

Fähigkeit, Kooperationen mit Dienstleistungs- und Wertschöpfungspartnern einzugehen und damit eine Unique-Sel-ling-Proposition zu gewinnen.

Kooperationen mit dem Handel

Die enge Kooperation mit Handelsunternehmen könnte ein Baustein zur Effizienzsteigerung von Filialbanken sein. Wichtig bleibt die Erkenntnis: Auch heute schafft die Bankfiliale vor Ort den einzigartigen Ansatzpunkt für den persönlichen Kontakt und die direkte Kundenansprache. Hohe Personalkosten und die teilweise geringe Serviceorientierung der Bankmitarbeiter, Kosten für Immobilien und Filialausstattung, Prozesskosten für IT und Automation belasten aber den teuren Vertriebsweg Bankfiliale und er schweren das Anbieten wettbewerbsfähiger Konditionen.

Alternativlösungen durch Servicekooperationen, wo Mitarbeiter und Filialisten anderer Branchen einfache standardisierte Bankleistungen übernehmen, rücken immer näher und dürften die Entwicklung der Retailbanken in naher Zukunft stärker beeinflussen.

Ergänzt werden diese Lösungen durch Angebote in der Filiale, um die Kundenfrequenz zu stabilisieren oder wieder zu verbessern. Nur durch Anpassung kann die klassische Filiale den Wettbewerb mit anderen und neuen Vertriebswegen bestehen. Wenn Handelsunternehmen sich anpassen können, dann sollte dies auch den Kreditinstituten bei ihrem auch in Zukunft wichtigen Vertriebsweg Geschäftsstelle möglich sein.

Das Shopgeschäft der Tankstellenketten erzielt inzwischen 56 Prozent des Ertrags einer Tankstelle, so das Resultat einer Branchenstudie. Sie mutierten mittlerweile zum Supermarkt, es gibt in ihnen ein breites Spektrum an Dienstleistungen und Produkten, bedauerlicherweise manchmal nicht mehr wichtige Ersatzteile, beispielsweise Sicherungen für bestimmte Autotypen. Banken sollten die Attraktivität von Filialen und die Kundenfrequenz durch bankfremde Angebote erhöhen, sie dürfen aber nicht den Fehler begehen, ihr klassisches Kerngeschäft darüber zu vernachlässigen.

Anmerkung siehe Christel Bax, Das Industrieclearing, Nürnberg 1985.

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