Finanzkrise - Effekte und Perspektiven

Wie es zur Finanzkrise kam - eine psychologische Ursachenanalyse

Um Ursachen und Wirkungen der größten wirtschaftlichen Krise der Nachkriegsgeschichte besser einordnen zu können, sollte zunächst geklärt werden, welche Krisen eigentlich gemeint sind. Die akute Finanzkrise begann im Sommer 2007 mit der US-Immobilienkrise, auch Subprime-Krise, als Ergebnis eines spekulativ aufgeblähten Wirtschaftswachstums in den Vereinigten Staaten und einer weltweiten, kreditfinanzierten Massenspekulation. Der Verlauf und die Folgen dieser Krise sind allgemein bekannt. Im öffentlichen Bewusstsein weniger bekannt ist die Vorgeschichte, die bis zu dem Platzen der Technologieblase im Jahr 2000 zurückreicht. In dem Versuch, die US-Wirtschaft 2001 aus der Rezession zu führen, senkte die US-Notenbank die Zinsen und bereitete damit den Boden für einen regelrechten Ansturm auf Kredite. Aufgrund der damaligen Schwäche der Aktienmärkte investierten die Anleger verstärkt in vermeintlich sichere Immobilien und lösten damit einen Boom am Immobilienmarkt aus. Die Kreditinstitute unterstützten dies durch die Lockerung ihrer Bedingungen bei der Kreditvergabe auch an Schuldner mit fehlender Bonität.

Viele Verantwortliche

Nach aktuellem Erkenntnisstand waren für die Entstehung der Finanzmarktkrise nicht nur die Art der Kreditvergabe und die Verbriefung von Kreditforderungen verantwortlich, sondern auch niedrige Zinsen, die nach der Dotcom-Krise die Konjunktur stimulieren sollten, sowie erhebliche weltweite Ersparnisse, die auf den Finanzmärkten nach hohen Renditen strebten. Die Verantwortung für die Entstehung der Krise kann daher keiner einzelnen Gruppe zugeschoben werden, sie verteilt sich vielmehr auf die Schultern der Finanzanbieter, der Ratingagenturen, der Investoren (insbesondere der Hedgefonds), der Konsumenten und der Notenbanken.

Ohne Zweifel tragen die Finanzanbieter, insbesondere die Investmentbanken, einen erheblichen Anteil dieser Verantwortung: Als die Preise von Immobilien und deren Wert als Kreditsicherheiten wegen der wachsenden Nachfrage in den USA anstiegen, nutzten diese die allgemeine Entwicklung, indem sie möglichst vielen Schuldnern Kredite verkauften. Zur Beschaffung des notwendigen Kapitals wurden Kreditforderungen in großem Stil verbrieft, das heißt die Zahlungsansprüche aus den Hypothekenkrediten wurden zusammen mit deren Kreditrisiken weltweit an andere Investoren weitergereicht. Neu geschaffene Finanzprodukte, unter anderem Asset Backed Securities (ABS), boten die Möglichkeit, Forderungsbestände via Verbriefung frei handelbar zu machen. Zugleich konnten diese Geschäfte aus den Bankbilanzen ausgelagert und bankenaufsichtsrechtliche Regelungen dadurch umgangen werden. Die Investoren übernahmen den Kredit, also auch das damit verbundene Ausfallrisiko und erhielten im Gegenzug entsprechend hohe Zinsen, je nachdem, für welches Anlagerisiko sie sich entschieden hatten. Auch aus der Sicht der Investoren stellten diese Produkte somit eine attraktive Investitionsmöglichkeit und renditeträchtige Anlage dar.

Wie lässt sich dieses Verhalten der Finanzanbieter erklären und psychologisch begründen? Vermutlich war das beschriebene Investitionsverhalten durch zwei zentrale Zielsetzungen getrieben:

die aktive Partizipation an sich bietenden Marktchancen zum Zweck der Gewinnmaximierung sowie

die Minimierung der mit Kreditforderungen verbundenen Risiken.

Den Investmentbanken ein an der Gewinnmaximierung ausgerichtetes Verhalten anzulasten, wäre marktökonomisch widersinnig, streben doch alle Partner auf dem Geld- und Kapitalmarkt danach, die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zu maximieren. Auch Investoren und Aktieninhaber erwarten von den Finanzanbietern, mit ihren Produkten den maximalen Gewinn zu erwirtschaften. Wie verhält es sich jedoch mit dem Umgang mit den damit verbundenen Risiken? In der psychologischen Risikoforschung liegt ein Risikoverhalten dann vor, wenn ein riskantes Verhalten trotz einer wahrgenommenen Unsicherheit über mögliche negative oder positive Konsequenzen gezeigt wird.

Unterdurchschnittliches Risikobewusstsein bei Fondsmanagern

Die Generierung risikominimierender Finanzinstrumente wie die ABS belegt, dass die Banken sich des bestehenden Risikos durchaus bewusst und bestrebt waren, das Ausfallrisiko möglichst gering zu halten. Die Entscheidung, die risikobehafteten Kredite gewinnbringend weiterzuverkaufen, stellte für die Finanzanbieter eine gelungene Kombination der Zielsetzungen Gewinnmaximierung und Risikominimierung, dar. Auch für die Investoren überstieg der Nutzen die möglichen Risiken.

Welche psychologischen Faktoren waren genau dafür verantwortlich, dass die Banken die nicht unerheblichen Risiken beim Handeln mit risikobehafteten Hypothekenkrediten eingingen? Die Verhaltensökonomie (behavioral economics) und die Finanzpsychologie (behavioral finance) liefern hierfür eine Reihe fruchtbarer Erklärungsansätze.

Fondsmanager und Investmentbanker bringen naturgemäß eine überdurchschnittliche Spekulations- und Risikobereitschaft mit. In psychologischen Studien konnte neben einer stark spekulativen Orientierung auch ein unterdurchschnittliches Risikobewusstsein festgestellt werden, das mit einer hohen internalen Kontrollüberzeugung erklärt wird. Solche Menschen glauben, die Geschicke aufgrund ihrer Fähigkeiten gut im Griff zu haben. Werden Erfolge internal und Misserfolge external, also auf ungünstige äußere Umstände attribuiert, spricht man von einer selbstwertdienlichen Verzerrung. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich die Kombination von Erfolgssuche und niedriger Misserfolgsmeidung bei gleichzeitiger Wirkung extrinsischer Motivatoren, zum Beispiel hohen Bonuszahlungen, in einer hohen Leistungsmotivation niedergeschlagen haben. Daneben könnten auch weitere individuelle Merkmale wie die Suche nach Anregung, Flow-Erleben sowie individuelle Entscheidungsstile eine Rolle gespielt haben.

Eine lange wirtschaftspsychologische Tradition besteht in der Untersuchung der Informations- und Entscheidungsprozesse bei Geldanlagen. Berichtet werden systematische Fehler der individuellen Informationsverarbeitung und Urteilsfehler, sogenannte Heuristiken. Demnach treffen Menschen Entscheidungen seltener aufgrund strikt vernünftiger Analyse als nach Daumenregeln, die reale Sachverhalte stark verzerren. Die Psychologen Kahnemann & Tversky konnten in Experimenten zu ihrer "Prospect Theory" nachweisen, dass Wahrscheinlichkeiten nicht proportional eingeschätzt werden, das heißt objektiv geringe Wahrscheinlichkeiten werden über-, objektiv hohe Wahrscheinlichkeiten werden unterschätzt. Die Unterbewertung hoher und mittlerer Wahrscheinlichkeiten führt zu einer Risikoaversion im Gewinnbereich und Risikofreude im Verlustbereich. Zudem nimmt mit zunehmender Entfernung vom individuellen Referenzpunkt die Sensibilität gegenüber Wertveränderungen ab. Flapsig ausgedrückt: Ab einem bestimmten Stadium des Spekulierens kommt es auf eine Null mehr oder weniger auch nicht mehr an.

"Gelernte Sorglosigkeit"

In weiteren psychologischen Experimenten zeigte es sich, dass Geldbeträge bis zu einer bestimmten Höhe noch recht gut differenziert werden konnten, die Diskriminationsleistung allerdings mit zunehmender Höhe der Beträge erheblich abnimmt. Einen weiteren Erklärungsansatz bietet die "Theorie der gelernten Sorglosigkeit". Davon spricht man, wenn ein Akteur nach einer Serie erfolgreicher Engagements das Gefühl für drohende Verluste verlernt hat und demzufolge bereit ist, immer höhere Risiken einzugehen.

Ebenfalls zu nicht-rationalen Entscheidungen beitragen kann der sogenannte Myopismus, das heißt die Kurzsichtigkeit menschlichen Denkens und Verhaltens: Individuen neigen in vielen Alltagssituationen dazu, in der Zukunft liegende Verhaltenskonsequenzen unzureichend in ihrem Verhalten zu berücksichtigen. Auch das Verhalten der Finanzanbieter war maßgeblich von der Hoffnung auf kurzfristige Gewinnmitnahmen geprägt - langfristige Risiken, auf die vielfach hingewiesen wurde, wurden dagegen unbewusst oder unbewusst verdrängt ("nach mir die Sintflut").

Der Einfluss der Gruppe

Marktweite "Anomalien" wie bei der Entstehung der Finanzmarktkrise können nicht allein über allgemeine menschliche Denk- und Verhaltensgewohnheiten erklärt werden. Die Verhaltensökonomie führt eine Fülle von Indizien dafür an, dass beim ökonomischen Verhalten Gruppendenken und Herdenverhalten weitverbreitete Phänomene sind. Dies scheint insbesondere für das Verhalten an der Börse zu gelten, bei dem sehr häufig kumulierende Effekte zu beobachten sind: Gleiche oder ähnliche Situationsdeutungen, Lerneffekte und gerichtete Kommunikations- und Interaktionsprozesse haben eine Gleichrichtung des Verhaltens wie zum Beispiel allgemeine Habgier oder allgemeine Panik zur Folge.

Dass bei Finanzspekulationen in hohem Maße Gruppeneinflüsse am Wirken sind, hat sich an der Börse vielfach bestätigt: So löste um die Jahrtausendwende der Boom der Neuen Ökonomie, angeheizt durch die Medienberichterstattung, in weiten Teilen der Bevölkerung Ansteckungseffekte aus, die ein regelrechtes "Aktienfieber" zur Folge hatten. Entscheidungsrisiken blieben gegenüber den subjektiv erwarteten Gewinnen weitgehend unbeachtet. Auch bei der letzten großen Börsenkrise mehrten sich im Vorfeld kritische Stimmen, die den Markt als "überhitzt" bezeichneten. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Euphorie wurden diese warnenden Informationen jedoch individuell kaum mehr verarbeitet; das verbreitete Urteil, an der Börse reich zu werden, trug zu einer selektiven Wahrnehmung und einer Verdrängung widersprüchlicher Informationen bei.

Neben solchen gesellschaftlichen Ansteckungseffekten werden am Finanzmarkt auch bei den professionellen Akteuren Verhaltens-"Kontaminationen" beobachtet, die rationale Entscheidungsprozesse blockieren und zum Teil aussetzen können. So hatte zum Beispiel JP Morgan als Vorreiter der Auflage neuartiger Finanzprodukte Vorbildwirkung für andere Banken. Zudem wurde die Generierung neuer, immer stärker risikobehafteter Wertpapiere von der Finanzwirtschaft systematisch mit hohen Bonuszahlungen belohnt.

Neben dem Modelllernen sind vermutlich auch soziale Vergleichsprozesse mitverantwortlich für die Konformität der Akteure. Im Fall abweichender Risikoeinschätzungen zu den risikobehafteten Finanzprodukten führte der Konformitätsdruck unter den Finanzmanagern dazu, dass höhere Risiken eingegangen wurden als eigentlich geplant, um mit den Gruppennormen auf einer Linie zu liegen. Personen, die dieses Risikoverhalten als leichtsinnig oder verantwortungslos beurteilten, wurden dagegen aus der Gruppe ausgeschlossen. Die Tendenz, bei Geldanlagen konformes Verhalten zu zeigen und sich dem Verhalten individuell bedeutsamer Gruppen anzuschließen, steht wahrscheinlich auch im Zusammenhang mit dem menschlichen Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion: Da das Börsengeschehen in seiner Informationskomplexität individuell nicht mehr überschaubar ist, tendieren Individuen dazu, ihr Verhalten an den Einschätzungen meinungsbildender Instanzen auszurichten. So greifen Anleger überdurchschnittlich häufig auf Informationen aus "zweiter Hand", das heißt auf Medienberichte oder Empfehlungen von Analysten, zurück, die vom "wahren" Wert erheblich abweichen können und zudem selten interessensneutral sind.

Aus der Krise lernen

Die Zusammenstellung psychologischer Erklärungsansätze verdeutlicht, dass die Entstehung der Finanzmarktkrise nicht auf eine einzelne Ursache - und schon gar nicht auf Eigenschaften einzelner Personen oder Personengruppen -, sondern auf ein komplexes Gefüge von Wechselwirkungen zurückgeführt werden kann. Welche dieser psychologischen Faktoren den größten Erklärungsbeitrag leisten, lässt sich im Nachhinein kaum noch bestimmen. Weitaus wichtiger für die Praxis ist dagegen die verlässliche Vorhersage künftiger Marktrisiken, in die psychologische Faktoren unbedingt einfließen sollten.

Was sollten wir demnach aus der Finanzmarktkrise lernen? Ein frommer Wunsch wird es bleiben, Investmentbanker von sich aus zu einem umsichtigeren Anlageverhalten und zu sozialer Verantwortung zu erziehen. Dies würde einen freiwilligen Verzicht auf Gewinnmaximierung voraussetzen - was schon deshalb illusionär ist, weil ihre Leistung nicht nur innerhalb der Finanzbranche, sondern auch außerhalb an der erzielten Rendite gemessen wird. Aus den dargestellten psychologischen Erkenntnissen sind vielmehr folgende Maßnahmen abzuleiten:

Sensibilisierung der Finanzanbieter für die Risiken beim Handel mit Wertpapieren, die unzureichend durch tatsächliche Werte, zum Beispiel Güter, gedeckt sind. Die Risiken des Handels mit solchen "Luftnummern" fiel bisher nur im Ausnahmefall auf die verantwortlichen Personen zurück. Eine Sensibilisierung für Risiken und "große Zahlen" erscheint nur dann erfolgreich, wenn die Händler nach Bankenrecht auch an möglichen Misserfolgen finanziell beteiligt werden, statt die Risiken wie zurzeit geplant in eine steuerfinanzierte "bad bank" auszulagern.

Strengere Auflagen und Kontrollen der Aufsichtsbehörden für den Handel mit Derivaten: Asset Backed Securities und andere "selbstgestrickte" Wertpapiere versuchten nicht nur durch eine Verbriefung die Kreditrisiken abzufangen, sie waren auch geeignet, die Bankenaufsicht zu umgehen, indem die Papiere aus den Bankbilanzen ausgelagert werden konnten. Die gegenwärtige Diskussion hierzu zeigt, wie schwer sich internationale Politik mit einer Neuregelung des Bankrechts tut; dennoch erscheint dieser Schritt unverzichtbar, um die bei der Finanzkrise hochwirksamen "animal spirits" (Akerlof & Shiller) besser im Zaum halten zu können.

Schaffung von Anreizen für langfristige, sozial verantwortliche Investitionen: Diese machen bisher noch weniger als zehn Prozent der Finanzinvestitionen aus, könnten aber bei einer Selbstverpflichtung leitender Fonds und Investmentbanken aufgrund der jüngsten Ereignisse günstigere Bedingungen für ein nachhaltiges, sozial verantwortliches Anlegeverhalten herstellen.

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