Marktforschung

Der Finanzkunde vor und nach der Krise

Die Finanzkrise hat sowohl bei Kunden als auch bei den Finanzinstituten zu Ver unsicherung geführt. Nach Zeiten der Selbstfindung widmen sich die Institute wieder dem Kunden. Doch wie hat der Finanzkunde die Krise durchlebt? Hat er sich beziehungsweise seine Bedürfnisse geändert?

"Banker verdienen mehr als jemals zuvor", so titelte die Tagesschau am 3. Februar dieses Jahres aufgrund einer Untersuchung der aktuellen Gehälter der größten Finanzfirmen in den USA im Auftrag des Wall Street Journals. Die Finanzkrise, so scheint es, ist aus Anbietersicht über wunden. Zumindest für einen Großteil der Finanzinstitute.

Aber wie steht es eigentlich um den Finanzkunden? Nachdem viele Anbieter in den letzten zwei Jahren stark mit sich selbst beschäftigt waren, verlor man diesen etwas aus den Augen. Mit anziehender Konjunktur, steigender Ertragslage, aber auch wieder steigendem Wettbewerbsdruck rückt der Kunde in den Fokus zurück.

Beschäftigung mit Finanzthemen nach wie vor relativ gering

Und der Bedarf an Informationen über den "neuen Kunden" ist hoch. Denn der Beina-he-Zusammenbruch des Finanzsystems muss den Kunden verändert haben, so die Hypothese vieler Marktteilnehmer. Entsprechend groß ist die Anzahl an Fragen vieler Marketer und Produktmanager. Dabei lassen sich diese in fünf Kernfragen bündeln:

1. Ist die Finanzkrise für den Kunden tatsächlich überwunden?

2. Haben sich die Bedürfnisse des Kunden durch die Finanzkrise geändert?

3. Gibt es zielgruppenspezifische Unterschiede?

4. Gibt es unter den Finanzinstituten Gewinner und Verlierer der Krise?

5. Welche Konsequenzen müssen die Anbieter aus möglichen Veränderungen ziehen? Was bedeutet das für den Marketing-Mix?

Zunächst ein kleiner Rückblick auf die Zeit vor der Krise. Er kann zum Verständnis der möglichen Veränderungen beitragen. Denn eine Verhaltensänderung des Finanzkunden setzt entweder eine persönliche Betroffenheit oder zumindest eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema Finanzen voraus. Und Letztere war in der Bevölkerung schon immer gering. Lediglich jeder zehnte Bundesbürger hat sich vor der Finanzkrise aktiv mit Finanzangelegenheiten auseinandergesetzt. Im weltweiten Vergleich ist dies eher unterdurchschnittlich.

Ein Grund hierfür ist sicherlich die geringe Konfrontation mit Finanzthemen in der Schul-, Ausbildungs- und Studienzeit. Denn wiederum zehn Prozent der Bevölkerung können von sich nur behaupten, in dieser Zeit sehr viel über Volkswirtschaft und Finanzen gelernt zu haben. Es gibt durchaus viele Länder, die hier auf gleichem Niveau liegen, jedoch können diese eine stärkere Proaktivität ihrer Bürger aufweisen. Das heißt Ausbildung ist nicht zwingend notwendig für eine persönliche, aktive Auseinandersetzung. Allerdings fördert sie diese und führte dazu, dass Per sonen, die bereits früh mit dem Thema konfrontiert wurden, sich auch in der Krise stärker damit befasst haben. Insofern sind die derzeitigen Bemühungen von Wirtschaft, Politik und Medien, Finanzwissen bereits im frühen Alter zu vermitteln, sehr positiv zu bewerten.

Es bleibt festzuhalten, dass die Beschäftigung mit Finanzthemen vor der Krise in Deutschland relativ gering war. Und nach wie vor ist das so, wie aktuelle Studien zeigen. Denn gerade einmal jeder Zwanzigste (auch das ist im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich) hat aufgrund der Finanzkrise Schritte unternommen, um zum Beispiel sein Finanzwissen zu steigern.

Wenig persönliche Betroffenheit

Und wie sieht es mit der persönlichen Betroffenheit aus? Gab es dafür in der Finanzkrise nicht genügend Anlässe?

Tatsächlich gaben Mitte 2010 zwei Drittel der Gesamtbevölkerung und vier Fünftel der Besserverdienenden an, von der Krise nicht betroffen zu sein. Gleichzeitig war sich zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit der Bevölkerung darüber einig, dass die Finanzkrise bereits überwunden ist und es wieder aufwärts geht. Zwar hatte die Krise Griechenlands im Laufe des Jahres noch einmal zu einem Schrecken in der Bevölkerung geführt, allerdings wurde dieser schnell verdaut, nachdem es zu der raschen Lösung durch die EU kam.

Die Mehrheit der Deutschen hat daher die eigentliche Finanzkrise persönlich nicht getroffen. Zwar führte sie auf Anbieterseite zu erheblicher Unruhe und existenziellen Bedrohungen, die Folgen für den Otto Normalverbraucher hielten sich jedoch in Grenzen. Weder gab es starke Steuererhöhungen noch einen rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Denn die hohe Inanspruchnahme der Kurzarbeit sicherte Arbeitsplätze und Löhne. Die Milliarden an Schulden, die eine Vielzahl von Staaten aufnehmen mussten, standen und stehen zunächst geduldig auf Papier.

Business as usual?

Aber hat sich dann durch die Finanzkrise gar nichts geändert? Kann es für die Finanzinstitute weitergehen nach dem Motto "business as usual"?

Um hier zu einer Antwort zu gelangen, lohnt sich ein näherer Blick auf die unterschiedlichen Handlungsfelder eines Instituts. Dieser erlaubt dann gleichzeitig eine Ableitung von möglichen individuellen Maßnahmen. Im Folgenden soll daher auf den Kunden und sein Verhalten in den Bereichen Preis, Produkte und Service, Ver triebs- und Informationskanäle, Marken und Anbieter eingegangen werden.

Preis-Leistungs-Wahrnehmung hat sich verschlechtert

Nach wie vor legt die deutliche Mehrheit der Bevölkerung bei Finanzprodukten mehr Wert auf Qualität als auf den Preis. Seit 2007 bewegt sich das Verhältnis von Qualitäts- und Preisfokussierten auf annähernd konstantem Niveau. Das war nicht immer so. 2004 auf dem Höhepunkt der "Geiz-ist-Geil-Phase" gab es noch deutlich mehr Schnäppchenjäger. Eine Folge der damaligen konjunkturellen Krise. Diese gab es infolge der Finanzkrise zwar auch und intensiver, aber deutlich kürzer und wirkte sich zum Beispiel kaum auf den Arbeitsmarkt aus. Hatten wir 2004 noch ungefähr fünf Millionen Arbeitslose, nähern wir uns aktuell der Marke von drei Millionen. Im Vergleich zu damals ist das eigene Portemonnaie des Bundesbürgers wesentlich weniger von der Krise betroffen.

Die Preissensitivität hat sich somit, und das bestätigen auch Studien, die sich deutlich differenzierter und mit anderen Methoden mit der Messung der Preissensitivität befassen, durch die Finanzkrise kaum verändert. Tendenziell ist sie eher gesunken.

Was sich jedoch geändert hat, ist das wahrgenommene Preis-Leistungs-Verhältnis der Banken. Nahezu alle Anbieter wiesen beim TNS Value-For-Money-Meter 2010 geringere Werte gegenüber dem Vorjahr auf. Der Index aggregiert die Komponenten Image, Qualität, Preis und Preisfairness und stellt dadurch die wichtigsten Einflussfaktoren auf das wahrgenommene Preis-Leistungs-Verhältnis dar. Diese Verluste zeigen: Der Finanzkunde hat das Gefühl, nicht mehr so viel Leistung zu erhalten wie früher. Sei es in Bezug auf Beratung, sei es hinsichtlich der Konditionen. Da jedoch fast alle Anbieter davon betroffen sind, halten sich die Konsequenzen in Grenzen.

Nach wie vor belegen die Sparda-Banken, die ING-Diba und die Postbank die ersten drei Plätze. Allerdings muss sich die Postbank den Platz mit der deutlich gegenüber dem Vorjahr verbesserten Targobank (vorher Citibank) teilen. Diese konnte insbesondere bei der Imagedimension punkten. Sicherlich ein Erfolg des neuen Marktauftritts.

Im Mittelfeld finden sich wie im Vorjahr die Genossenschaftsbanken und Sparkassen. Beide hatten 2009 einen großen Sprung in der Rangliste gemacht und gehören somit eindeutig zu den Gewinnern der Krise.

Dem steht die Entwicklung der Großbanken gegenüber. Sie waren 2009 die größten Verlierer, allen voran die Hypovereinsbank, die nun wieder etwas Boden gut machen konnte.

Produkte und Service: Filialbanken sollten auf sichere Anlagen setzen

Nur 15 Prozent der deutschen Internetnutzer (das sind mittlerweile fast drei Viertel der Gesamtbevölkerung) haben sich vor der Krise darüber Gedanken gemacht, wie sehr Ersparnisse und Investitionen mit den Veränderungen an den Finanzmärkten schwanken können. Und so wundert es nicht, dass infolge der Krise mehr als zwei Drittel der Deutschen bei der Anlage des Geldes vorsichtiger geworden sind.

Das trifft nicht auf alle Kundengruppen zu. Kunden der Direktbanken beispielsweise sind hier nach wie vor deutlich risikofreudiger. Während die meisten Filialbanken daher als Schlussfolgerung aus dieser Einstellungsänderung ihre Kommunikation eher in Richtung "sichere Anlagen" ausrichten sollten, werden Direktbanken ihre Zielgruppen erfolgreicher mit risikoreicheren und dafür renditestärkeren Produkten er reichen. Aktien und Fonds konnten in der Gunst dieser Zielgruppe auch wieder deutlich zulegen. Ihre Attraktivität insgesamt in der Bevölkerung entwickelt sich zwar positiv, liegt jedoch noch deutlich unter den Vorjahren.

Produktgewinner der letzten Jahre sind eindeutig kurzfristige Anlagen. Nachvollziehbar in unsicheren Zeiten, in denen der Kunde nicht weiß, was die nächsten Jahre bringen werden. Infolge der Krise haben daher viele Kunden ihre Geldanlagen umgeschichtet. Zu einem Anbieterwechsel (wie von einigen Instituten befürchtet) kam es jedoch in den seltensten Fällen. Warum?

Fast zwei Drittel der Bevölkerung gaben 2010 an, dass ihnen der Aufwand, Finanzprodukte bei einer Bank abzuschließen, bei der man noch nicht Kunde ist, einfach zu hoch ist. Während vor der Krise noch fast die Hälfte dieses Statement verneinte, ist es in 2010 nur noch gut ein Drittel.

Es wird spannend zu beobachten sein, ob die Risikofreude wieder von attraktiven Lockangeboten belebt werden kann und Vorsicht wieder in den Hintergrund rückt. Der Mensch ist vergesslich - und erste Hinweise auf eine Trendwende sind bereits erkennbar. Bedeutung der Beratung deutlich unter Vorkrisenniveau

Die Unsicherheit bei der Produktwahl spiegelt sich auch in einer durch die Finanzkrise gesunkenen Bedeutung der persönlichen Beratung und Betreuung wider. Sie bewegt sich deutlich unter dem Niveau der Jahre vor der Krise. Qualitative Studien zeigen, dass viele Personen eher ihren festen Betreuer für eine "Falschberatung" verantwortlich machen und weniger das Institut als solches.

Das Misstrauen gegenüber der Einzelperson "Berater" zeigt sich zum Beispiel auch an dem deutlich gesunkenen Anteil an Personen in der Bevölkerung, die einen festen Versicherungsvertreter haben, an den sie sich in allen Versicherungsangelegenheiten wenden.

Gleichzeitig nimmt der Vorwurf zu, die Institute unternähmen zu wenig, um ihre Kunden über ihre Produkte und Leistungen verständlich zu informieren. Vielfach besteht auf Kundenseite der Eindruck, die Produkte und Informationen seien bewusst so kompliziert konzipiert, dass sie keiner versteht.

Immer mehr Personen setzen daher auf aus ihrer Sicht objektivere Informationsquellen. Mittlerweile nutzt annähernd jeder Zehnte Foren, Newsgroups oder Blogs im Internet, um sich mit anderen Personen über Finanzinstitute auszutauschen oder Meinungen über Finanzinstitute und Finanzprodukte einzuholen. Im Moment ist das noch die absolute Minderheit. Aber diese wird weiterhin zunehmen, sofern die Produkte und die dazu gehörenden Informationen und Beratungen nicht stärker auf den Kunden und seine Bedürfnisse ausgerichtet werden.

Heimische Marken und Anbieter gestärkt

Vor und nach der Krise haben der Anbieter und die Marke bei der Entscheidung für ein Finanzprodukt eine zentrale Bedeutung. Egal bei welchem Produkt. Und die Finanzkrise hat diese Bedeutung noch gestärkt. Fast zwei Drittel der Bevölkerung legen daher auch Wert darauf, dass die Hauptbankverbindung bei einem großen und bekannten Geldinstitut ist. Und die Mehrheit der Nation (75 Prozent) ist davon überzeugt, dass das Geld dort sicher ist. Die Kommunikationsstrategie von Politik und Finanzwirtschaft hat angesichts derartiger Ergebnisse anscheinend funktioniert. Das Vertrauen in das System insgesamt ist nach wie vor vor handen.

Dieses hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass die Kundenbindung im Bankensektor in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Während in vielen Branchen das sogenannte "Shopper-Segment" zugenommen hat, ist dieses im Laufe der Finanzkrise im Bankensektor geschrumpft. Viele Kunden haben den Zeitpunkt genutzt, um ihre Konten zu konsolidieren. Unter anderem wurden Bankbeziehungen zu ausländischen Anbietern gekündigt, die (nicht zuletzt zum Beispiel durch eine geringe Verzinsung bei Tagesgeldkonten) unattraktiv und unsicher geworden waren. Noch nie waren ausländische Anbieter für die Deutschen so unattraktiv wie 2010. Davon können heimische Anbieter zurzeit profitieren.

Als Fazit lässt sich festhalten: Die Finanzkrise hat den Finanzkunden weit weniger beeinflusst, als viele befürchtet haben. Insbesondere das Vertrauen in das System als Ganzes hat dazu beigetragen.

Das Qualitätsbewusstsein hat sich verstärkt, die Bedeutung des Anbieters (und damit traditioneller Marken) bei der Produktwahl hat zugenommen. Gleichzeitig ist die Kundenbindung gestiegen.

Diese Effekte überlagert zurzeit noch die Kritik an der Komplexität und der Verständlichkeit der Produkte und führen zu Misstrauen gegenüber dem Berater (Kritikpunkte, die jedoch auch bereits vor der Krise artikuliert wurden). Das Preis-Leistungs-Verhältnis der gesamten Branche ist aus Kundensicht gesunken.

Doch mit zunehmender konjunktureller Verbesserung werden die Finanzkrise und die damit verbundenen Ängste wieder in Vergessenheit geraten. Wer sich jetzt bereits darauf einstellt und den Kunden langfristig in den Mittelpunkt seines Geschäftsmodells stellt, wird sicherlich als Gewinner aus der Krise hervorgehen und die nächste erfolgreich überstehen.

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