Regulierung

MIFID: Die Zeit drängt

Die EU-Richtlinie "Markets in Financial Instruments Directive", oder kurz MIFID, zielt darauf ab, die Regelungen für den Handel mit Wertpapieren EU-weit zu harmonisieren und grenzüberschreitende Beschränkungen abzubauen. Ein Blick nach Europa soll zeigen, wie sich der Umsetzungsstatus in ausgewählten EU-Märkten darstellt.

Verzögerte Umsetzung in nationales Recht verunsichert die Branche

Ursprünglich sollte die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht bereits bis Ende Januar 2007 erfolgt sein. Doch bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel England, wurde die Umsetzung immer wieder verzögert. Mit Wirkung zum 1. November 2007 sollen nun die strengeren Regeln für Banken, Vermögensberater und Wertpa-pier-Dienstleistungsunternehmen europaweit in Kraft treten.

Vergleicht man den Status und die Zielstrebigkeit, mit der einzelne nationale Regierungen das Thema angehen, so entsteht der Eindruck, dass viele politische Akteure die nationale Umsetzung der verbindlichen europäischen Richtlinie eher als unverbindlich verstanden haben. Aufgrund des stetig wachsenden Druckes legte Frankreich sich nun auf Ende Mai fest. In Deutschland hat der Bundesrat am 11. Mai das Umsetzungsgesetz verabschiedet.

Dieses zögerliche und uneinheitliche Vorgehen bringt die vielen von der Richtlinie betroffenen Anbieter für Wertpapier-Dienstleistungen in beträchtliche Umsetzungsschwierigkeiten. Dennoch bleibt aus heutiger Sicht der 1. November unberührt von diesen Verzögerungen als fixer Termin für das Inkrafttreten der Regelung bestehen. Bemühungen seitens einiger Länder, diesen Zeitpunkt auf April 2008 zu verschieben, scheiterten bis jetzt nicht zuletzt an jenen Mitgliedstaaten, die sich bisher an den ursprünglichen Fahrplan gehalten haben (siehe Abbildung 1).

Insbesondere größere Bankeninstitute können aufgrund der hohen Komplexität und den aufwändigen operativen Anforderungen nicht auf die Umsetzungen in nationales Recht warten und haben frühzeitig im Sommer 2006 mit den ersten Planungen begonnen. Bereits im November 2006 hatten fast 50 Prozent der Top 100 Kreditinstitute mit einem MIFID-Projekt begonnen (siehe Abbildung 2).

Planungen auf der Basis von "Worst-case-Szenarien"

Die Planungen für die MIFID-Maßnahmen der Institute basieren aufgrund mangelnder nationaler Vorgaben in der Regel auf der Bildung von Hypothesen, die zum Teil unter Annahme eines "Worst-case-Ansatzes" durchgeführt werden: Es wird umgesetzt wie geschrieben, und das zu den strengsten Bedingungen. Weitere Orientierungsgrößen sind bereits vorliegende Gesetzesentwürfe und Kommentierungen von Juristen.

Doch insbesondere die zu erwartenden Friktionen, die sich aus den tatsächlichen länderspezifischen Gesetzestexten ergeben, stellen für international agierende Organisationen - und dies betrifft fast alle betroffenen Anbieter - einen Unsicherheitsfaktor in der Planung dar. Zusätzlich entsteht ein enormer administrativer Steuerungsaufwand zur internen Harmonisierung der Abläufe und Prozesse sowie der IT. Im Sinne der Effizienz werden finale Entscheidungen daher bis zuletzt offen gelassen, um dann schnell auf gesetzliche Vorgaben reagieren zu können. Der Finanzdienstleistungsmarkt wird sich also darauf einstellen müssen, dass die Umsetzungsaktivitäten der Wertpapierdienstleister nicht mit dem 1. November abgeschlossen sein werden, sondern erst nach einer danach folgenden Phase der Optimierung, Nachjustierung und Stabilisierung.

Einige Interpretationsspielräume

Trotz der beschriebenen Widrigkeiten empfiehlt es sich dennoch für alle Wertpapierdienstleister, mit der Umsetzung rasch zu beginnen. Denn für Institute, die bis jetzt noch keinerlei Maßnahmen in Richtung MIFID vollzogen haben, wird es kritisch, die notwendigen Umsetzungen termingerecht abzuschließen. Gerade solche Unternehmen, die bisher auf eine Verschiebung des November-Termins gehofft oder das Ausmaß der Umsetzungsaktivitäten schlicht unterschätzt haben, könnten in terminliche Engpässe geraten.

Die MIFID-Richtlinie lässt bei einigen Vorgaben Interpretationsspielräume, die strategische Auswirkungen haben können. Nicht für alle Punkte wird die Umsetzung in nationales Recht deswegen einen Lösung bringen. Die zentralen, in allen europäischen Märkten diskutierten Fragestellungen sind folgende.

Anreize und Provisionen

Grundsatz: Verbot der Zahlung oder des Erhalts von Zuwendungen (Inducements), die im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen stehen. Finanzielle Anreize von Dritten dürfen von einer Wertpapierfirma nicht angenommen werden, außer diese wurden dem Kunden offengelegt, er hat sein Einverständnis gegeben und die Leistung verbessert die Servicequalität.

Doch was ist tatsächlich unter einem Inducement (finanzieller Anreiz) zu verstehen? Wann wird eine bis jetzt erhobene Gebühr oder Provision zu einer im Sinne der MIFID verbotenen Zuwendung? Wie kann man die finanziellen Einbußen für Kreditinstitute möglichst gering halten oder umgehen?

Möglicher Lösungsansatz: Durch Offenlegung und Zustimmung des Kunden können "Inducements" weiterhin erhoben werden. Offenlegung in allgemeiner Form ist ausreichend, solange sich die WP- Firma verpflichtet, bei Nachfrage weitere Details nachzureichen. Eventuell kann man hier mit einer Klarstellung im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht rechnen.

Grundsatz: Alle Informationen, die Banken ihren Kunden zugänglich machen, müssen redlich, eindeutig und nicht irreführend sein. Marketing-Mitteilungen müssen eindeutig als solche erkennbar sein. Die relevanten Fragen drängen sich direkt auf: In welcher Form muss die Kundeninformation verfasst sein, gibt es Regeln für den Detaillierungsgrad? Wie kann man die Erfahrung mit Finanzinstrumenten bei der Kundeneinstufung bestmöglich berücksichtigen? Beispiel Execution Policy: Müssen die Informationen aller am Abwicklungsprozess involvierten Partner detailliert werden, auch wenn sehr viele Vermittler beteiligt sind? Müssen die Namen der Broker aufgeführt werden? Was passiert, wenn sich diese ändern?

Möglicher Lösungsansatz: Wenn am Abwicklungsprozess Dritte involviert sind und dem Kunden dadurch höhere Kosten entstehen, ist ihm dies mitzuteilen, mit einer Begründung für die Notwendigkeit der entstandenen Kosten. Kundenklassifizierung

Grundsatz: Einteilung in Kleinanleger, professionelle Kunden und geeignete Gegenpartei mit abgestuften Anforderungen an die Informations- und Aufklärungspflichten.

Auch hier ergibt sich Klärungsbedarf: Nach welcher Methode werden die Kunden klassifiziert, und wie wird dies überprüft? Bietet die Bank den Kunden einen nach Asset-Klasse differenzierten Kunden- und damit Anlegerschutz oder nur die Möglichkeit einer Gesamteinstufung an? Dies ist sowohl unter einem Aufwands-Kostenaspekt als auch unter einem strategischen Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit zu beurteilen.

Möglicher Lösungsansatz: Eine initiale Einteilung kann durchgeführt werden. Die Kunden müssen jedoch vorzeitig über das Thema sowie die Vorgehensweise und somit über die damit verbundene Neueinteilung unterrichtet werden.

Verpflichtung zur kundengünstigsten Ausführung von Aufträgen

Grundsatz: Bereitstellung eines Systems, das den kundengünstigsten Ausführungsweg in Bezug auf Kosten, Schnelligkeit und Abwicklungsverfahren sicherstellt. Erstellung von Grundsätzen zur bestmöglichen Auftragsausführung (Best-Execution-Policy). Der Kundenwunsch für einen bestimmten Ausführungsweg hat jedoch grundsätzlich Vorrang vor der Pflicht zur kundengünstigsten Ausführung. Der Nachweis für die Best-Execution ist bis mindestens fünf Jahre nach der Transaktion nachzuweisen.

Doch was genau heißt "Best Execution", und wie kann sie bis mindestens fünf Jahre danach nachgewiesen werden? Welchen Einfluss wird die Abwicklung und Durchführung auf die Best Execution haben? Wie ein Institut Kriterien wie Preis, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit bei der Orderausführung berücksichtigt, könnte ebenfalls ein im Wettbewerb relevanter Aspekt werden.

Mögliche Lösungsansätze: Aufzulisten beziehungsweise zu veröffentlichen wären alle Ausführungsplätze. Die Best-Execu- tion-Strategie muss dem Kunden transparent sein.

Außerdem könnte die Anpassung der Datenhaltung und Speicherung der Daten von den relevanten Handels- und Abwicklungssystemen ab dem 1. November für den angegebenen Zeitraum eine Möglichkeit sein.

Wahrung der Marktintegrität

Grundsatz: Aufzeichnung von Kundenaufträgen, Handelsentscheidungen und Geschäften sowie detaillierte Aufzeichnung und Aufbewahrung aller Kundenorders inklusive Ausführungsweg. Relevante Fragen: Während die Informationen für die Aufbewahrung der Kundenorders in der MIFID-Regelung explizit vorgegeben sind, ist die Frage offen, wie der Nachweis der jeweiligen "Best Execution" erbracht werden soll. Denn hier ist es notwendig zu beweisen, dass die Execution-Policy befolgt wurde und die kundengünstigste Durchführung (zum Beispiel im Falle von Kleinanlegern) erfolgt ist. Theoretisch müsste man also alle zu dem Zeitpunkt gültigen Kursangebote speichern, um die günstigste Ausführung nachzuweisen. Die Datenaufbewahrung stellt somit einen großen Kostenblock in der MIFID-Umsetzung dar, da hier auch insbesondere die laufenden Kosten zu berücksichtigen sind.

MIFID steht für Belastung der Ressourcen und geringere Margen

In einer Sache waren sich die Experten von Eurogroup Consulting aus den vertretenen Ländern einig: Die Euphorie über MIFID hält sich sehr in Grenzen. MIFID steht zunächst für hohe Kosten, für eine Belastung der Ressourcen, für einen erhöhten Wettbewerb und damit für geringere Margen bei steigenden laufenden Kosten und hohem Aufwand für IT und Beratung. Hinzu kommen die verschärfte nationale und internationale Konkurrenz sowie der Aspekt eines enormen zusätzlichen bürokratischen Aufwandes, kurze Umsetzungszeiten und weitere rechtliche und operationale Risiken. Insgesamt stehen die Marktteilnehmer in den betrachteten Nationen MIFID mit starken Vorbehalten gegenüber.

Aber MIFID bietet auch Chancen im Bereich der Handelsplattformen. Hier ist intensiv über die Anforderungen an systematische Internalisierer diskutiert worden. Bei Internalisierungssystemen führen große Banken oder Brokerhäuser Kundenaufträge auf regelmäßiger Basis gegen das eigene Buch aus.

Auf der Grundlage der MIFID erhalten sie einen europäischen Pass. Auch Börsen haben die Möglichkeit, Internalisierungsplattformen einzurichten und zu betreiben. Insbesondere vor diesem Hintergrund bietet die im EU-weiten Kontext neue Handelsplattform systematische Internalisierung neue Möglichkeiten. So ist denkbar, dass Handelsplattformen installiert werden, die einen europaweiten Handel nicht nur von so genannten Bluechips, sondern auch von Risikokapitalanlagen, für die auf nationaler Ebene keine ausreichende Liquidität besteht, ermöglichen.

Die MIFID birgt insbesondere auf Grundlage ihres Detaillierungsgrades einige Risiken, sie eröffnet gleichwohl große Chancen für das Fortschreiten der Integration der europäischen Wertpapiermärkte, damit auch für bessere Kapitalallokationsmöglichkeiten seitens der Anleger und für eine Stärkung der einzelnen Finanzplätze im internationalen Wettbewerb.

Für die Umsetzung wird es höchste Zeit

Um nicht in eine nationale legislative Zeitfalle zu tappen, ist die gut geplante und strukturierte Vorgehensweise für die Umsetzung der MIFID für jedes Wertpapier-Unternehmen unbedingt notwendig, damit die europäische Richtlinie auch in entsprechender Qualität bis 1. November umgesetzt werden kann. Dies sollte unabhängig vom Stand der jeweiligen nationalen Gesetzgebung sein, denn die rechtlichen und geschäftlichen Risiken einer mangelhaften Umsetzung könnten dramatisch sein. Zu den Konsequenzen der Nichteinhaltung zählen Sanktionen durch die Aufsichtsbehörden, Klagen von Anlegern, Reputationsschäden, Kundenverluste und Wettbewerbsnachteile. Alles in allem eine Reihe von Argumenten dafür, mit der Umsetzung von MIFID schnellstmöglich zu beginnen.

Allen Unternehmen, die sich bis jetzt noch nicht ausführlich mit der MIFID-Regelung beschäftigt haben, kann man eine Vorgehensweise empfehlen, die sich bei "Early Starters" bewährt hat und die für kleine bis mittelgroße Anbieter umsetzbar ist.

Klare Abgrenzungen schaffen

Adaptierung der Direktive durch eine strukturierte Analyse der einzelnen Artikel nach Themengebieten; Identifizierung der Produkte und Dienstleistungen, die durch MIFID betroffen sind; Auflistung der bestehenden Kundenverträge für Investment-Dienstleistungen; Ermittlung der betroffenen Geschäftsbereiche; Identifizierung von Abhängigkeiten der Projekte zueinander; Auflistung der Aufgaben nach Priorität; Aufbau einer Projektorganisation: Entscheidungsgremien, operative Gruppen, Berücksichtigung wichtiger Interessensvertreter.

Kritische Erfolgsfaktoren sind Angemessene Methoden, um den Bestand an bestehenden Produkten, Dienstleistungen und Verträgen zu erheben; Umfassende Dokumentation durch einen internen Projektleiter, um mit dessen Hilfe die betroffenen Abteilungen zu sensibilisieren; klare Gegenüberstellung der eigenen Dienstleistungen im Vergleich zu den in der MIFID beschriebenen Investment-Dienstleistungen.

Im zweiten Schritt: Auswirkungen analysieren

Organisation von thematischen Workshops: Analyse der Auswirkungen von MIFID sowie deren Intensität auf die bestehenden Prozesse (IT, Geschäftsprozesse, et cetera); Identifikation von frei auslegbaren Punkten des Direktiven-Textes, welche einer Entscheidung seitens der Unternehmung bedürfen; Untersuchung der Angemessenheit von Maßnahmen mit Hilfe von Szenarien oder Fallstudien; thematische Auflistung und Bewertung der Auswirkungen beziehungsweise Maßnahmen (Priorität, Komplexität).

Kritische Erfolgsfaktoren sind die fortwährende Einbindung von Experten während dieser Phase; rechtliche Unterstützung durch Anwälte; Einbindungdes IT-Verantwortlichen, um bereits in dieser Phase ausreichende Reaktionsmöglichkeiten zu gewährleisten; beständiger Austausch, um eine einheitliche Vorgehensweise zu gewährleisten und nicht immer wieder "das Rad neu zu erfinden".

Planung der abgestimmten Maßnahmen im dritten Schritt

Zusammenarbeit von Business-Analysten und IT-Vertretern für die Umsetzung der Anforderungen; Organisation von Entscheidungsgremien für die Bestimmung von Maßnahmen und deren Priorisierung gemäß Budgetvorgaben und Risiko; Planung von untereinander abgestimmten Maßnahmen; Erfassung der verbliebenen Optionen in Teilprojekten (IT oder Organisation) und deren Implementierung.

Kritische Erfolgsfaktoren sind die Erfassung und Quantifizierung der Auswirkungen auf die Datenprozesse durch die IT-Abteilungen; erfolgreiche Mobilisierung der Entscheidungsträger.

Endgültige Implementierung zum 1. November 2007

Identifizierung eines verantwortlichen Managers für jedes Teilprojekt; Sicherstellung der MIFID-Konformität aller Maßnahmen sowie Anpassungen bei eventuellen Änderungen der Direktive; Training der Projektteilnehmer in MIFID; Positionierung einer Querschnittfunktion, um die funktionale Stimmigkeit zu gewährleisten; Beobachtung der Abhängigkeiten der diversen Teilprojekte zueinander; Ausarbeitung eines konsolidierten Reportings der Teilprojekte.

Kritische Erfolgsfaktoren sind die dezentrale Umsetzung des Vorgehensplans, zentrale Gesamtprojektsteuerung; Training des Vertriebs, um die Auswirkungen von MIFID auf das Kundenverhältnis umzusetzen; schnelle Umsetzung der MIFID, um nicht in zeitliche Schwierigkeiten zu geraten. (Eurogroup-Consulting-Ansatz: Zeitplan für die MIFID Umsetzung).

Die MIFID-Richtlinie wird den Markt für Wertpapier-Dienstleistungen massiv verändern. Das Ausmaß der Veränderung wird stark davon abhängen, wie stark die Möglichkeiten einer EU-weiten Zusammenarbeit genutzt werden und wie MIFID letztendlich je Land umgesetzt wird. Der 1. November ist der Beginn einer neuen Ära im Wertpapierbereich. Darauf sollten sich alle Wettbewerber schon jetzt einstellen.

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