Die Zukunft der Filiale

Multikanalmanagement 2.0 - der Berater als Lotse

Die digitale Revolution ist im Privatkundengeschäft der Banken und Sparkassen endgültig angekommen. Während die traditionellen Kreditinstitute noch bis vor Kurzem eher lethargisch wirkten, beginnen Banken und Sparkassen nun vermehrt, sich mit der digitalen Transformation von Geschäftsmodellen, Produkten und Unternehmenskultur auseinanderzusetzen.

Stationärer Vertrieb hat noch nicht ausgedient

Dass einige Institute bereits angefangen haben, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen, belegen die Ergebnisse der IM-Privatkundenstudie 2014*) , in der 2 000 Privatkunden repräsentativ befragt wurden: So sind beispielsweise 59 Prozent der Bankkunden der Meinung, dass ihre Hausbank moderne Kommunikationsmittel und aktuelle technische Möglichkeiten verwendet. Bereits gut 20 Prozent der onlineaffinen Kunden nutzen für ein ausführliches Beratungsgespräch Chat- oder Skype-Lösungen. Und knapp 17 Prozent der 18- bis 29-jährigen Bankkunden informieren sich über aktuelle Angebote, Produkte und Konditionen von Finanzprodukten meistens oder gelegentlich in sozialen Netzwerken.

Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse der Studie jedoch, dass der stationäre Vertrieb noch nicht zum alten Eisen gehört. Für viele Kunden steht die Filiale nach wie vor im Mittelpunkt der Bankbeziehung (Abbildung 1): So nutzen 79 Prozent der Befragten für den Abschluss von Finanzprodukten meistens oder gelegentlich die Filiale, 78 Prozent für ein ausführliches Beratungsgespräch. Aber auch für Service und Informationen wird die Filiale weiterhin mehrheitlich aufgesucht. Lediglich alltägliche Bankgeschäfte werden verstärkt über alternative Kanäle abgewickelt.

Dass die Mehrheit der Kunden nach wie vor großen Wert auf die Filiale legt, spiegelt sich allerdings nicht in einer entsprechenden Zahlungsbereitschaft wider: Während im Jahr 2012 noch 53 Prozent der Bankkunden selbst für günstigere Preise und Konditionen nicht auf Filialen verzichten wollten, beträgt dieser Anteil 2014 lediglich 43 Prozent. Gleichzeitig ist die Bereitschaft, für Filialen und deren Leistungen mehr zu bezahlen als im Online-Kanal, mit acht Prozent sehr gering.

Profitable Ausgestaltung des Privatkundengeschäfts

Diese Ergebnisse verdeutlichen einmal mehr die aktuellen Herausforderungen, mit denen sich Banken und Sparkassen konfrontiert sehen: Wie sollen die reale und die virtuelle Bankenwelt nahtlos verzahnt werden? Wie können die Privatkunden bestmöglich mit Beratungsangeboten erreicht werden? Wie ist mit solchen Filialen zu verfahren, in die immer weniger Kunden kommen? Wie kann das Privatkundengeschäft zukünftig profitabel gestaltet werden? Um diesen komplexen Herausforderungen nachhaltig erfolgreich zu begegnen, gilt es unter anderem

1. Kunden entscheidungsorientiert, das heißt nach Verhaltensrelevanz (IM-Finanzentscheider) zu segmentieren und nicht nach Alter, Vermögen und Einkommen;

2. das passive Angebot an Kanälen weiter auszubauen und zu vernetzen, um die Bedarfe der unterschiedlichen Kundentypen optimal bedienen zu können und den Kunden im Multikanal nicht zu verlieren;

3. die Rolle und Funktion des Beraters hin zu einem Kanal-Navigator weiterzuentwickeln.

Verhaltensorientierte Kundensegmentierung

Inzwischen steht den Kunden bei fast allen Kreditinstituten eine Vielzahl verschiedener Zugangskanäle zur Verfügung. Angesichts dieser Wahlmöglichkeiten hat sich das Kanalnutzungsverhalten von Bankkunden stark ausdifferenziert, sodass eine verhaltensorientierte Kundensegmentierung immer wichtiger wird. Dabei sind zwei Dimensionen entscheidend für die Entwicklung optimaler Vertriebskanalstrategien: das preisbezogene Kaufverhalten und das Kanalnutzungsverhalten.

Die Zusammenfassung dieser beiden Dimensionen ergibt sechs prägnante Kundentypen, die IM-Finanzentscheider: onlineaffine Preisentscheider, Multikanal-Preisentscheider, onlineaffine Preissensible, preissensible Multikanalkunden, preissensible Filialkunden und (filialaffine) Preisindifferente.

- Mit 31 Prozent stellen filialaffine Preisindifferente knapp den größten Anteil aller Kunden. In Finanzangelegenheiten zeigen sie von sich aus wenig Interesse und Initiative. Sie besitzen relativ wenige Finanzprodukte. Am besten werden diese Kunden durch filialbasierte Betreuungskonzepte erreicht. Fehlt der regelmäßige Kontakt durch persönliche Ansprechpartner in der Filiale, sind sie kaum zu gewinnen, zu binden oder ertragreich zu durchdringen.

- Filialaffine Preissensible hingegen sind mit acht Prozent eine kleinere Gruppe überwiegend älterer Kunden, die zwar ein gewisses Interesse an und Initiative in Finanzangelegenheiten haben, aufgrund ihrer geringen Online-Affinität aber die Online-Angebote ihrer Bank wenig nutzen.

- Zu den Kunden, die im Gegensatz dazu den direkten Weg für alle ihre Bankgeschäfte bevorzugen und auf Filialen verzichten können, zählen onlineaffine Preisentscheider (13 Prozent Anteil) und onlineaffine Preissensible (14 Prozent Anteil). Sie sind überwiegend gut informiert und schließen auch ohne Beratung überdurchschnittlich viele Produkte ab. Für 48 Prozent der onlineaffinen Preisentscheider und immerhin 30 Prozent der onlineaffinen Preissensiblen ist eine Direktbank die wichtigste Bankverbindung. Dabei sind fast zwei Drittel dieser Kunden bereits heute schon bei einer Direktbank - das restliche Drittel ist bei Filialbanken und dort besonders abwanderungsgefährdet.

- Die zweitgrößte Gruppe aller Kunden bilden mit einem Anteil von rund 30 Prozent preissensible Multikanalkunden. Je nach Anlass und Situation engagieren sie sich mehr oder weniger stark in Finanzangelegenheiten; die Filiale und der persönliche Berater sind ihnen wichtig. Gleichzeitig schließen sie allerdings einfache Produkte wie Tagesgeld auch durchaus online ab, etwa bei einer Direktbank. Aufgrund der hohen Online-Banking-Nutzung sind die Filialkontakte geringer, sodass Banken und Sparkassen die besten Chancen haben, diese Kunden zu binden, wenn sie die häufigen Online-Kontakte dieser Kunden zur Ansprache nutzen und ihnen gleichzeitig das Gefühl der persönlichen Beziehung zu ihrer Bank geben.

- Eine relativ kleine, aber gleichzeitig sehr fordernde Zielgruppe schließlich sind mit einem Anteil von vier Prozent aller Kunden die Multikanal-Preisentscheider. Aus durchschnittlich 2,9 Bankverbindungen suchen sie sich gezielt das Beste heraus - die guten Konditionen der Direktbanken einerseits, die intensive, persönliche Betreuung durch ihre Hausbank andererseits.

Ausbau und Vernetzung des Kanalangebots

Um insbesondere den Bedürfnissen der Online-, aber auch der Multikanal-Kunden gerecht zu werden, haben zahlreiche Kreditinstitute in den vergangenen Jahren den Ausbau ihrer Online-Kanäle forciert. Gleichzeitig haben sich jedoch die Erwartungen der Kunden an ein breites Kanalangebot ebenfalls erhöht. Die Kunden wollen individuell ihren Zugangskanal wählen können und brechen ihren Kauf gegebenenfalls sofort ab, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.

Um den Marktbearbeitungserfolg zu steigern, ist es deshalb sinnvoll, die Kanalaufgaben nach Kundenverhalten und Kundennutzen zu strukturieren. In diesem Zusammenhang eignet sich der stationäre Vertrieb nach wie vor insbesondere für die Beratung komplexer Produkte, den Verkauf eher beratungsorientierter Produkte, das Banking (insbesondere Zahlungsverkehr, Transaktionen) sowie die Betreuung von filialaffinen Kunden.

Kundenansprache bevorzugt per Mail oder im Online-Banking

Die hierzu notwendige Ansprache muss und sollte allerdings nicht unbedingt in der Filiale stattfinden: Nur 29 Prozent der Kunden wollen zukünftig in der Filiale angesprochen werden, wenn ihre Bank sie zu einem Beratungsgespräch einladen will.

Bei Informationen zu bereits abgeschlossenen Produkten, über Neuigkeiten oder besondere Serviceleistungen oder Produktangebote ist die Akzeptanz einer Ansprache beim Filialbesuch zwar höher, aber insgesamt ist die Online-Ansprache durch die Bank bei vielen Kunden erste Wahl (Abbildung 2). So wollen 60 Prozent der Bankkunden zukünftig gerne via E-Mail oder im Online-Banking über Neuigkeiten oder besondere Serviceleistungen informiert werden, und immerhin die Hälfte der Kunden möchte künftig gerne online zu einem Beratungsgespräch eingeladen werden.

Die telefonische Ansprache stellt allenfalls bei einer Einladung zu einem Beratungsgespräch eine Alternative dar. Apps auf Smartphones oder Tablet-Computer finden lediglich Akzeptanz für die Durchführung von Transaktionen.

Diese Ergebnisse bedeuten nicht, dass es notwendig ist, die Möglichkeiten im Online-Kanal deutlich auszubauen. Lediglich ein Fünftel der Kunden würde nämlich noch mehr online machen, wenn sie dazu die Möglichkeit hätten. Für 44 Prozent respektive 54 Prozent der onlineaffinen Preisentscheider beziehungsweise der Multikanal-Preisentscheider könnte das Angebot durchaus noch umfangreicher sein, aber gut ein Viertel der onlineaffinen und Multikanal-Preissensiblen würde nicht mehr online machen, und von den filialaffinen Kunden wünschen sich weniger als zehn Prozent einen Ausbau der Online-Möglichkeiten.

Verhaltene Akzeptanz innovativer Lösungen

In diesem Zusammenhang stoßen auch die von vielen Instituten als innovative Zugangskanäle propagierten Chat- oder Video-Lösungen bei allen IM-Finanztypen noch auf relative geringe Akzeptanz. Während diese Medien für die Kontaktaufnahme nur sehr wenig Verwendung finden, kommen sie bei Beratungsgesprächen jedoch schon öfter zum Einsatz. So nutzen gut 30 Prozent der Multikanal-Preisentscheider, 24 Prozent der onlineaffinen Preissensiblen und 23 Prozent der onlineaffinen Preisentscheider bereits das Internet (Chat, Skype) für ein ausführliches Beratungsgespräch. Gegebenenfalls kann hier das Telefon als wichtiger Supportkanal dienen, das Call-Center kann eine "Brücke" zwischen Filiale und Online-Kanal sein.

Der Berater als Kanal-Navigator

Im Rahmen des Ausbaus und der Vernetzung des Kanalangebots sind allerdings nicht nur Herausforderungen im stationären und Direkt-Vertrieb zu bewältigen. Selbstverständlich haben die Veränderungen auch Auswirkungen auf die Rolle des Beraters. Da zukünftig immer seltener klar ist, welcher Multikanal-Typ der Kunde ist, muss der Berater beziehungsweise Servicemitarbeiter stärker den Kunden in dem für ihn richtigen Kanal navigieren, das heißt fragend führen.

Um dies zu gewährleisten, sind gewisse Voraussetzungen zu schaffen: So muss dem Berater etwa das Wissen vermittelt werden, welches Angebot in welchem Kanal möglich ist, welche Kundentypen es gibt und wie er diese im Gespräch erkennt. Dies ist eine radikale Paradigmenänderung, denn der Berater agiert somit als Kanal-Navigator. Das heißt aber auch: Es darf kein Nachteil für den Berater sein, wenn Kunden Produkte online anstatt in der Filiale abschließen, denn auch die "Arbeit" für andere Kollegen lohnt sich - im Gegenteil: Gemeinsamer Erfolg ist gewollt. Kundenorientierung muss sich deshalb nachweislich auszahlen.

Derzeit sind die Beratung und der Berater in deutschen Kreditinstituten noch hoch angesehen. So sind 57 Prozent der Bankkunden der Ansicht, dass ihre Hausbank seriöse und kompetente Berater hat. Zwischen den Instituten differiert diese Einschätzung allerdings deutlich: Während mindestens zwei Drittel der Kunden von Volks- und Raiffeisenbanken ihren Hausbanken kompetente und seriöse Berater zusprechen, liegt diese Quote bei Sparkassenkunden mit 58 Prozent lediglich knapp über dem Durchschnitt.

Die zukünftige Platzierung des Beraters als Kanal-Navigator scheitert allerdings aktuell nicht selten bereits daran, dass der Berater auf den Kunden nicht in dem von ihm präferierten Kommunikationskanal zugeht: Lediglich 35 Prozent der Kunden werden von ihrer Hausbank über die bevorzugten Kommunikationswege angesprochen. Wiederum sind die Volks- und Raiffeisenbanken mit einer Zustimmungsquote von 48 Prozent ganz vorne in der Gunst ihrer Kunden, während die Sparkassen mit 36 Prozent nur knapp über dem Durchschnitt liegen.

Dass eine prominente Rolle des Beraters von den Kunden auch durchaus gewünscht ist, zeigt die nach wie vor große Bedeutung eines festen und persönlichen Ansprechpartners. Mit 53 Prozent wünschen sich etwas mehr als die Hälfte der Bankkunden eine solche Person, und insbesondere den Kunden von Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen ist ein persönlicher Ansprechpartner (sehr) wichtig. Während die Direktbank-Kunden auf eine solche Person größtenteils verzichten können, sprechen sich auch 30 Prozent der Postbank- respektive Targobank-Kunden für einen persönlichen Ansprechpartner aus.

Insgesamt bringt der Aufbau eines integrierten Multikanalmanagements inklusive eines professionellen Online-Vertriebs neue kundengerichtete und interne Aufgaben mit sich, etwa im Hinblick auf eine Online-Marktbearbeitung, eine Online-Kundenbetreuung oder einen Online-Kundendialog. Dies impliziert auch einen Bedarf neuer Kompetenzen beziehungsweise Profile. Gegebenenfalls können hierzu bestehende Mitarbeiter weiterentwickelt werden, eventuell müssen solche Kompetenzen respektive Profile aber extern aus anderen Branchen rekrutiert werden.

Entscheidend sind darüber hinaus eine frühzeitige Einbindung von Mitarbeitern in den Strategie- und Umsetzungsprozess und der Abbau von Ängsten und Barrieren durch Heranführen an den Kanal. Die neue Rolle des Beraters muss motivierend und mit Vorteilsargumentation definiert und vermittelt werden.

Kundenorientierung durch motivierte Mitarbeiter

Motivierte Mitarbeiter tragen in erheblichem Maße zur Kundenorientierung bei. Hier gibt es offenbar bei allen Banken und Sparkassen noch erhebliches Verbesserungspotenzial: Nur gut ein Drittel der Kunden hat das Gefühl, dass es ihrer Hausbank wichtig ist. Bei Volks- und Raiffeisenbanken finden 46 Prozent der Kunden eine solche Beachtung, bei Sparkassen sind es nur 36 Prozent der Kunden (Abbildung 3).

Gleichwohl sind zwei Drittel der Bankkunden mit den Leistungen ihrer Bank grundsätzlich zufrieden. Insbesondere Kunden von Sparda-Bank, ING-Diba und DKB äußern überdurchschnittlich oft diese Zufriedenheit, aber auch Kunden von Volks- und Raiffeisenbanken. Immerhin 61 Prozent der Sparkassenkunden sind mit den Leistungen ihres Instituts zufrieden, während hinsichtlich der Leistungen der Deutschen Bank gerade einmal gut die Hälfte der Kunden zufrieden ist. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen motivierten Mitarbeitern und zufriedenen Kunden: Leistungswille, Motivation und Begeisterung können anstecken - begeisterte Mitarbeiter ziehen begeisterte Kunden an. Zufriedene Kunden sind ansprechbar auf weitere Produkte, begeisterte Kunden sprechen die Bank von sich aus auf weitere Produkte an. Und: Zufriedene Kunden vergleichen nicht alles, sind aber preisbewusst, während begeisterte Kunden auch einmal mehr zahlen, ohne zu vergleichen.

Voraussetzungen für Multikanalmanagement 2.0

Um die eingangs dargestellten Herausforderungen nachhaltig erfolgreich bewältigen zu können, gilt es einige essenzielle Voraussetzungen für das Multikanalmanagement 2.0 zu schaffen: In einem ersten Schritt ist das Wissen über das Kundenverhalten aufzubauen und systematisch anzuwenden (IM-Finanzentscheider). Eine im Hinblick auf die Kundenbedürfnisse optimierte Angebotspalette stellt inzwischen einen Hygienefaktor dar, sodass eine Differenzierung am Markt nur über einen erlebbaren Kundenservice und über schnelle kundenzentrierte Prozesse erzielt werden kann - eben "einfach, schnell und günstig".

Wem es dann noch gelingt, seine Mitarbeiter auf diesem Weg nicht nur mitzunehmen, sondern zu Verfechtern eines zukunftsfähigen Multikanalmanagement 2.0 zu machen, der wird in den nächsten Jahren ohne Zweifel mehr Erfolg haben als andere.

*) Investors Marketing AG, IM-Privatkundenstudie 2014: Multikanalmanagement 2.0 - Kundenverhalten, Zielbilder, Lösungsansätze und neue Wettbewerber, Juni 2014.

Dr. Oliver Mihm , Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
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