Zukunft des Vertriebs

Der schwere Weg zum Kunden

Bankkunden erwarten nach wie vor von ihrer Bank guten Service, gute Beratung und gute Konditionen. Dies hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert. Verändert haben sich jedoch das Informations- und Kommunikationsverhalten - nicht der Berater, sondern das Internet ist heute in vielen Fällen die erste Anlaufstelle. Insbesondere Filialbanken müssen ihre Kunden also verstärkt über Internet erreichen und sie verstärkt kontaktieren. Aber nicht nur im medialen Vertrieb erschweren aktuelle Gesetzesänderungen stark den Verkauf von Bankdienstleistungen.

Der Trend zur Spezialisierung wird sich nicht zuletzt durch die regulatorischen Bedingungen weiter fortsetzen: Kommen nach den Spezialisten für Online-Brokerage und Konsumentenkredit jetzt auch Spezialisten für die Beratung? Besonders betroffen ist die unter Kostendruck stehende klassische Filialbank mit umfassendem Angebot, deren Geschäft auf Vertrauen und dem persönlichen Gespräch beruht. Der Weg zum Kunden wird insbesondere für sie schwerer und kostenintensiver.

Kaufverhalten wenig verändert

Die vergangenen zehn Jahre haben den Bankvertrieb deutlich verändert. Direktbanken sind eine feste Größe der Bankenstruktur geworden, das Internet zum wichtigsten Informationsmedium und zu einem der Vertriebsmedien überhaupt. Auf den ersten Blick haben Kunden so viele neue Verhaltensweisen gelernt. Sie nutzen selbstverständlich Direktbanken als Zweitbank oder auch Erstbank, sie wissen, dass das Tagesgeld die bessere Alternative zum Sparkonto ist, sie informieren sich im Internet und erledigen dort einen großen Teil ihrer Bankgeschäfte. Das zugrunde liegende Kaufverhalten hat sich jedoch weniger stark geändert, als man aufgrund dieser Entwicklungen vermuten könnte.

Der Wechsel der Hausbank ist nach wie vor eine hohe Hürde - 68 Prozent aller Kunden sind seit zehn und mehr Jahren bei ihrer Hausbank. Nur rund acht Prozent der Kunden haben in den vergangenen zehn Jahren mehr als einmal die Bank gewechselt. Der Anteil der hoch wechselbereiten Kunden liegt nach einer aktuellen Studie, dem Future Market Performance Indicator, bei weniger als vier Prozent. An diesen Zahlen hat sich auch durch Online- und Direktbanken nicht viel geändert.

Immer noch sind nur wenige Kunden ständig auf der Suche nach dem besten Angebot. Die große Mehrheit der Kunden will einfach nur ein gutes und faires Angebot, je nach Bedarf mal mit oder mal ohne Beratung. Entgegen häufig geäußerten Annahmen ist der Anteil der preisbewussten Kunden stabil geblieben. Weder hat ihr Anteil signifikant zugenommen noch hat er - und daran hat auch die Finanzkrise nichts geändert - deutlich abgenommen.

Nach wie vor entscheiden rund 20 Prozent der Kunden konsequent nach dem Preis, 30 Prozent interessieren sich wenig für Finanzprodukte und entscheiden wenig nach dem Preis - sie bilden den stabilen Kern der Kunden von Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Und etwa die Hälfte der Kunden entscheidet sich je nach Produkt und Entscheidungssituation. Auch die Zahl der Bankverbindungen hat in den vergangenen fünf Jahren nicht signifikant zugenommen. Die Zahl der preisaffinen und wechselbereiten Kunden hat sich wenig verändert - jedoch das Verhalten und die Flexibilität dieser Kunden. Nicht zuletzt durch den intensiven Wettbewerb unter den Banken ist gerade die große Masse der preissensiblen Kunden zunehmend bereit, nicht nur beim Tagesgeld günstige Angebote fallweise in Anspruch zu nehmen. Die Bereitschaft, für günstige Konditionen auf bestimmte Leistungen wie Filialen zu verzichten, hat abgenommen, die Kunden sind also anspruchsvoller geworden.

Das hat wichtige Konsequenzen für den Bankvertrieb. Die Kommunikation mit der Bank und der tägliche Umgang mit Bankprodukten haben sich verändert. Diese werden inzwischen wie Konsumgüter vermarktet, oft auch über den Preis. Filialbankkunden haben gelernt, dass sie einfache Produkte selbst beurteilen und abschließen können - und sie tun es auch.

Kundenpotenzial oft nicht ausgeschöpft

Wenn aber ein großer Teil der Kunden wie selbstverständlich mediale Informations- und Kommunikationswege bei Geschäften mit der Bank nutzt, ist diese darauf angewiesen, auf diesem Weg Kontakt mit ihren Kunden zu halten. Banken müssen sich also mit Multikanalmanagement beschäftigen und ihre Kunden nach Kanälen und Situationen differenziert ansprechen. Das stellt hohe Anforderungen an Flexibilität und Kanalkompetenz - Multikanal wird immer wichtiger. Denn noch immer gibt es viele unbetreute Kunden, deren Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft ist.

Kunden verlangen dagegen sowohl Flexibilität und Optionenvielfalt wie auch Einfachheit und Orientierung. Vor diesem Hintergrund ist die Akzeptanz für Angebote der eigenen Bank bei den Kunden immer noch hoch. Passgenaue Produktangebote, die zur eigenen Bedarfssituation passen, sind durchaus gefragt.

Der Wettbewerb, ausgetragen als Preis- und Qualitätswettbewerb, geht unvermindert weiter. Neue, internetgetriebene Vertriebsmodelle wie die Kreditplattformen etablieren sich säulenübergreifend als Partner der Banken. Google erwirtschaftet heute schon mehr Provisionen im Finanzdienstleistungsgeschäft als AWD. Und neue Markteintritte heizen den Wettbewerb weiter an: Allein in diesem Jahr kamen die noa bank, Bank of Scotland und NIBC im Tagesgeldbereich hinzu.

Auf der Anbieterseite gibt es drei Trends: die Konzentration im Privatkundengeschäft durch Fusionen und Übernahmen und den Versuch, Skaleneffekte zu erreichen. Die zunehmende Spezialisierung, gerade auch in einzelnen Produkten und Vertriebskanälen. Und drittens die Lateralisierung, das heißt der Vertrieb von Finanzdienstleistungen über Branchenfremde wie zum Bespiel Tchibo, Google und Co.

Die Konsolidierung findet auf Seiten der Privatbanken (Commerzbank/Dresdner Bank, Deutsche Bank/Postbank), aber auch in den Verbundsystemen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken statt. Hier allerdings weniger auf der Ebene der einzelnen Institute, sondern mehr bei den verbundinternen Dienstleistern, wobei der genossenschaftliche Sektor hier der Spar-kassen-Finanzgruppe noch einen Schritt voraus ist. Spezialisierung und Arbeitsteilung nehmen aber auch über Verbundgrenzen hinweg zu. Gerade im Konsumentenkredit und in der Baufinanzierung arbeiten Banken zunehmend mit Spezialisten und Plattformen zusammen (Beispiele Interhyp, Easycredit, SWK).

Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand

Die Notwendigkeit, Produkte und Dienstleistungen in der Kreditwirtschaft zu deutlich günstigeren Kosten anzubieten, ist seit langem erkannt und angegangen - aber wird das reichen? Der Erfolg der Zukunft wird dem gehören, der seine Produkte zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort den richtigen Kunden zu einem fairen Preis-Leis-tungs-Verhältnis anbietet. Und dies müssen nicht unbedingt immer Banken sein!

Der Niedergang zahlreicher Geschäftsmodelle im Einzelhandel zeigt dies eindrucksvoll. Dort, wo Warenhäuser und Versandhändler den Laden um die Ecke verdrängt haben, werden sie heute selbst von Kaffeeröstern und Internethändlern verdrängt, die inzwischen auch nicht mehr Halt vor dem Vertrieb von Finanzdienstleistungen machen. Diese Unternehmen haben zum einen eine extrem hohe Besuchsfrequenz und verfügen über schnelle reibungslose Prozesse. Zum anderen weisen sie eine hohe Kundenorientierung und -zufriedenheit auf und speichern konsequent alles Wissen, das sie über ihre Kunden bekommen können (und dürfen). Davon können Bankvorstände nur träumen.

Interessanterweise begünstigen die vielen regulatorischen Vorgaben die neuen Vertriebsmodelle der Internetplattformen und Direktbanken. Genau wie die Direktversicherer haben sie die Anforderungen des Fernabsatzgesetzes längst umgesetzt. Postbox, Gesprächsaufzeichnung oder beratungsfreies Wertpapiergeschäft gehören zum Standard. Viele Prozesse laufen im Internet automatisiert ab. Wie schon bei MiFID ist es also für Direktanbieter einfacher, die neuen Anforderungen zu erfüllen als für Filialbanken, deren Geschäft auf dem persönlichen Kontakt, dem im Vertrauen gesprochenen Wort basiert. Über die bereits vollständig und teilweise umgesetzten regulatorischen Anforderungen hinaus kommen weitere Änderungen auf den Finanzvertrieb zu (siehe Abbildung 2).

Neben negativen Folgen aus der Erfüllung dieser regulatorischen Auflagen (Aufwand für IT-technische und organisatorische Anpassungen, Ausweitung der Gesprächszeiten in der Anlageberatung, Rücktrittsrisiko bei telefonischer Anlageberatung, Kosten für Mitarbeiter-/Vertriebsschulungen) eröffnen die Versuche des Gesetzgebers, den Kunden stärker zu schützen, auch Positionierungschancen für den aktiven Finanzvertrieb.

Dem Margendruck ausweichen

Klar reglementierte Ansprachemöglichkeiten des Kunden erschweren und verteuern den gesamten Konversionsprozess bis zum Beratungsgespräch beziehungsweise bis zum Abschluss. Es gilt, den Kunden neu zu gewinnen und das Recht an der Nutzung seiner Daten zu erwerben. Für alle Kunden (insbesondere die passiven Kunden im Bestand) wird das nicht gelingen, so dass neben der Redimensionierung der Ansprachekanäle (beispielsweise Telefonmarketing) zwei grundsätzlich verschiedene Handlungsfelder bestehen:

Für Kunden, die ihrem Anbieter das Recht zur Nutzung ihrer Daten gewähren (Opt In), sollte gezielt ein konkreter Vorteil angeboten werden (zum Beispiel besondere Angebote in Verbindung mit Treue-/Vorteilsprogrammen). So können über den rein administrativen Einwilligungsprozess hinaus positive Anspracheanlässe generiert werden. Für die zukünftige Zielgruppe der "Opt Out"-Kunden ohne entsprechende Einwilligung sind Überlegungen zu rechtlich möglichen Ansprachewegen anzustellen (zum Beispiel werbefreie Formulierung bei schriftlicher Ansprache, Nutzung von Listendaten).

Grundsätzlich gilt es, dem zunehmenden Margendruck durch intelligente, dem Kunden Nutzen stiftende Ansätze auszuweichen und darüber hinaus das Haftungsrisiko sowie die potenziellen Risikokosten zu minimieren. Dazu gehören kundengerechte und ermüdungsfreie Strukturierung der offenen und geschlossenen Frageteile des Beratungsprotokolls und sinnhafter Einbau in das Beratungsgespräch.

Wertschöpfungskette im Verbraucherkredit überdenken

Die lästige Protokollpflicht und die damit verbundene Verlängerung der (unproduktiven) Gesprächszeit in der Anlageberatung kann genutzt werden, um dem Kunden nicht nur eine Bürokratieberatung, sondern eine dauerhafte und regelmäßige Beratung mit dokumentierten, gemeinsam getroffenen Anlageentscheidungen zu etablieren; idealerweise gepaart mit einem partizipierenden Kostenmodell.

Neben den bereits im Bereich der Beratung dargelegten Punkten stehen Änderungen im Verbraucherkreditgeschäft sowie im Giro- und Depotgeschäft an, die insbesondere die Nutzung von Preisspielräumen durch die vertragliche Produktbindung sowie eine aggressive Preiskommunikation einschränken. Im Verbraucherkreditgeschäft gilt es, die gesamte Wertschöpfungskette neu zu überdenken, da das bewährte Modell "attraktiver Preis für eine Bonitätszielgruppe" künftig so nicht mehr funktioniert. "Ein-Preis-Produkte" oder echte Produktdifferenzierungen (Merkmale) sind strategisch zu überdenken. Die Generierung von provisionsstarken Kombinationsprodukten (RSV) wird erschwert und ist ab Jahresmitte 2010 anders zu lösen.

Vertragsänderungen bei Giro- und Depotrahmenvereinbarungen sind künftig "still und heimlich" nicht mehr möglich. Eine Anpassung muss dem Kunden mit klarer Kommunikation der preislichen Auswirkungen offengelegt werden. In Kombination mit den erheblich erleichterten Wechselmöglichkeiten wird gerade im Girogeschäft im Rahmen von geplanten Änderungen der Vertragswerke eine Überprüfung der Modelle die Folge sein, um dem Kunden künftig klar auf seinen persönlichen Nutzen zugeschnittene Angebote machen zu können.

Die gefühlte Versperrung gelernter Ansprachewege und -mittel sowie die Zunahme der Beratungsbürokratie bauen bei Beratern emotionale und rationale Barrieren bei der Ansprache ihrer Kunden auf. Die Gefahr, dass Berater sich künftig stärker hinter diesen Barrieren verstecken und sich somit den gewachsenen Anforderungen entziehen, birgt für Banken und Sparkassen ein hohes Risiko. Gezielte Identifikation dieser Barrieren und Erarbeitung von Lösungsstrategien (geprüfte Ansprachewege und -formen, klare Nutzenargumentarien zur Entschärfung der Überbürokratisierung et cetera) sollten im Fokus stehen.

Der Vertrieb von Finanzdienstleistungen wird durch die regulatorischen Veränderungen nicht nur erschwert, er bietet auch die Chance, sein Geschäftsmodell gezielt auf den Prüfstand zu stellen. Banken sollten dabei das veränderte Einkaufs- und Informationsverhalten der Kunden berücksichtigen und neben der Kostenbrille die intensive Auseinandersetzung mit den Marktentwicklungen suchen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Zunahme spezialisierter und das Aufkommen lateraler Geschäftsmodelle im Finanzvertrieb. Diese Entwicklung wird derzeit genauso unterschätzt wie das Aufkommen der Direktbanken Mitte der neunziger Jahre. Hier wurden Comdirect, Cortal Consors und ING-Diba noch lange belächelt und spätestens nach dem Platzen der Dotcom-Blase der Niedergang vorausgesagt. Heute beweisen mehr als 14 Millionen zufriedene Kunden im Marktsegment Direktbanken das Gegenteil. Und eines ist sicher: Im Jahre 2020 werden wiederum neue Anbieter mit neuen Geschäftsmodellen die Welt des Finanzvertriebs verändert haben.

Dr. Oliver Mihm , Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
Noch keine Bewertungen vorhanden


X